Urteil des LSG Niedersachsen-Bremen vom 30.05.2002

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Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urteil vom 30.05.2002 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Lüneburg S 11 V 15/96
Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen L 10/9 V 24/98
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Lüneburg vom 30. März 1998 aufgehoben und der
Bescheid des Beklagten vom 29. Dezember 1994 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. März 1996
abgeändert. Der Beklagte wird verurteilt, dem Kläger für die Zeit vom 1. März 1987 bis 28. Februar 1989
Berufsschadensausgleich ohne die Anwendung der Kürzungsvorschrift des § 8 der
Berufsschadensausgleichsverordnung zu gewähren. Dem Beklagten werden die außergerichtlichen Kosten des
Klägers beider Instanzen auferlegt. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Höhe des dem Kläger zu gewährenden Berufsschadensausgleiches für die Zeit vom
1. März 1987 bis zum 28. Februar 1989. Der Streit dreht sich dabei um die Frage, ob das Vergleichseinkommen
wegen Vollendung des 63. Lebensjahres gemäß § 8 der Berufsschadensausgleichs-Verordnung (BSchAV) auf 75 vom
Hundert (v.H.) zu kürzen ist.
Der im Februar 1924 geborene Kläger hat in der Zeit von September 1938 bis August 1941 eine Berufsausbildung im
Bäckerhandwerk erfolgreich durchlaufen. Seit Oktober 1941 war er Soldat der Wehrmacht, in der Zeit von April 1945
bis November 1949 befand er sich in russischer Kriegsgefangenschaft. Im September 1955 hat der Kläger die
Kaufmannsgehilfenprüfung abgelegt und war im Anschluss daran als Außendienstmitarbeiter im Landhandel bzw. als
Lagermeister bei der Fa. I. beschäftigt. Seit März 1984 bezog der Kläger Altersruhegeld für Schwerbehinderte.
Nachdem bei dem Kläger zuvor eine schädigungsbedingte Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 50 v.H.
anerkannt war, stellte der Beklagte mit Bescheid vom 30. Juni 1983 eine MdE um 60 v.H. gemäß § 30 Abs. 1 des
Bundesversorgungsgesetzes (BVG) wegen der Schädigungsfolgen
"Narben an den Unterarmen nach Verbrennung. Leichte Knickfussstellung und mäßige Verformung des Schienbeines
nach Bruch des rechten Unterschenkels. Verlust des Mittel- und Endgliedes des rechten Zeigefingers.
Rippenfellschwarte links nach Rippenfellentzündung. EKG-Veränderung im Sinne eines rechtsseitigen
Schenkelblocks. Rechts konvexe Verbiegung der unteren und mittleren Brustwirbelsäule.”
fest. Bereits mit Bescheid vom 2. April 1982 hatte der Beklagte bei dem Kläger eine MdE von 80 v.H. im Sinne des
Schwerbehindertengesetzes wegen der Schädigungsfolgen sowie der weiteren Funktionsstörungen
- Ventilationsstörungen bei Lungenemphysem mit Rechts-Herz-Überlastung (Einzel-MdE 40 v.H.); -
Wirbelsäulenveränderungen (Einzel-MdE 20 v.H.)
festgestellt.
Den Antrag des Klägers auf Gewährung von Berufsschadensausgleich vom 8. März 1984 hatte der Beklagte zunächst
abgelehnt. Auf das der Revision des Klägers teilweise stattgebende Urteil des Bundessozialgerichtes (BSG) vom 10.
Mai 1994 hin erließ der Beklagte den Ausführungsbescheid vom 29. Dezember 1994, mit dem er die ablehnenden
Bescheide aufhob. In dem Bescheid stellte der Beklagte mit Wirkung ab dem 1. März 1984 gemäß § 30 Abs. 1 und 2
BVG eine MdE um 70 v.H. fest und gewährte dem Kläger Berufsschadensausgleich. Hierbei legte der Beklagte als
Vergleichseinkommen dasjenige männlicher Arbeiter der Leistungsgruppe 1 in der Brot- und Backwarenindustrie
zugrunde. Für die Zeit seit März 1987 – Vollendung des 63. Lebensjahres des Klägers im Februar 1987 – kürzte der
Beklagte das Vergleichseinkommen auf 75 v.H ... Es sei nicht glaubhaft, dass der Kläger ohne die Schädigungsfolgen
länger als bis zur Vollendung des 63. Lebensjahres erwerbstätig gewesen wäre.
Mit dem dagegen erhobenen Widerspruch wandte sich der Kläger gegen die Kürzung des Berufsschadensausgleiches.
Er wies in diesem Zusammenhang darauf hin, dass er zuletzt im Februar 1984 netto 2.187,38 DM verdient habe. Im
März 1984 habe die Summe der Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung und der Betriebsrente 1.775,30 DM
betragen. Es sei eine Einkommensminderung von 412,08 DM eingetreten. Im Hinblick auf die geringe Höhe der Rente
und die Höhe der Differenz hätte er ohne die Schädigungsfolgen noch fünf weitere Jahre zur Rentensteigerung
arbeiten wollen.
Mit Bescheid vom 26. März 1996 wies der Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Es sei nicht glaubhaft,
dass der Kläger über die Vollendung des 63. Lebensjahres hinaus gearbeitet hätte. Für die Beurteilung dieser Frage
sei nicht alleine auf die Höhe der Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung und die Betriebsrente abzustellen.
Vielmehr sei die wirtschaftliche Gesamtsituation des Klägers zu berücksichtigen. Im März 1987 habe er
Gesamteinkünfte in Höhe von 2.540,10 DM gehabt (gesetzliche Rente und Betriebsrente zuzüglich
Berufsschadensausgleich und Erhöhungsbetrag gemäß § 30 Abs. 2 BVG).
Dagegen hat der Kläger am 30. April 1996 Klage beim Sozialgericht (SG) Lüneburg erhoben. Er hat weiterhin die
Gewährung von Berufsschadensausgleich ohne die Kürzung des Vergleichseinkommens begehrt und zur Begründung
die Auffassung vertreten, den Beklagten treffe die Beweislast dafür, dass er ohne die Schädigungsfolgen seine
Erwerbstätigkeit bereits mit der Vollendung des 63. Lebensjahres aufgegeben hätte. Im Übrigen sei zu
berücksichtigen, dass bei Zurücklegen von fünf weiteren Beitragsjahren in der gesetzlichen Rentenversicherung eine
Rentensteigerung in Höhe von etwa 230,00 DM monatlich zu erwarten gewesen wäre. Besondere Belastungen für das
Haus hätten zu der damaligen Zeit nicht bestanden. Auch seien Kosten für Kinder nicht angefallen. Seine Ehefrau sei
seit 1987 berufstätig gewesen, ab Juli 1988 habe ihr Arbeitsentgelt etwa 990,00 DM brutto monatlich betragen.
Mit Urteil vom 30. März 1998 hat das SG die Klage als unbegründet abgewiesen. Zur Begründung hat es im
Wesentlichen ausgeführt, dass zwar zwischen dem Netto-Arbeitsentgelt von Februar 1984 einerseits und der Summe
aus der gesetzlichen Rente und der Betriebsrente andererseits eine monatliche Einkommensdifferenz von etwa
350,00 DM bestanden habe. Andererseits ergäben statistische Erkenntnisse, dass mehr als 80 v.H. derjenigen
männlichen Versicherten, die die Anspruchsvoraussetzungen für das Altersruhegeld mit Vollendung des 63.
Lebensjahres erfüllt hätten, dieses auch geltend gemacht hätten. Ein Weiterarbeiten des Klägers über den genannten
Zeitpunkt hinaus sei daher eher unwahrscheinlich. Zudem habe das BSG auch darauf hingewiesen, dass die
Glaubhaftmachung einer weiteren Erwerbstätigkeit in aller Regel nicht gelinge, wenn der Beschädigte auch ohne die
Schädigungsfolgen sozial gesichert hätte aus dem Erwerbsleben ausscheiden können. So sei es im Fall des Klägers
gewesen. Außerdem sei es bei dem Kläger nach seiner Schilderung in dem vorangegangenen Rechtsstreit so
gewesen, dass ihm die Arbeit in den letzten Jahren in Folge von Rationalisierungsmassnahmen seines Arbeitgebers
immer schwerer gefallen sei. Besonders das letzte Jahr vor der Rente sei "die reinste Qual” gewesen. Für das
Ausscheiden des Klägers aus dem Erwerbsleben seien im Übrigen auch schädigungsfremde Leiden von ganz
erheblicher Bedeutung gewesen.
Gegen das ihm am 30. April 1998 zugestellte Urteil wendet sich die am 26. Mai 1998 bei dem Landessozialgericht
(LSG) eingegangene Berufung des Klägers, mit der er weiterhin die Gewährung von Berufsschadensausgleich ohne
Kürzung des Vergleichseinkommens für die Zeit bis Februar 1989 begehrt. Er trägt zur Begründung vor, dass er ohne
die Schädigungsfolgen bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres einer Erwerbstätigkeit nachgegangen wäre. Hierzu
verweist er darauf, dass der Berufsschadensausgleich den durch die vorzeitige Aufgabe der Erwerbstätigkeit
eingetretenen Einkommensverlust nicht habe vollständig ausgleichen können. Im Übrigen sei die Höhe der Rente aus
der gesetzlichen Rentenversicherung auch so gering bemessen, dass er jedenfalls bis zur Vollendung des 65.
Lebensjahres hätte erwerbstätig sein müssen.
Der Kläger beantragt,
1. das Urteil des SG Lüneburg vom 30. März 1998 aufzuheben und den Bescheid des Versorgungsamtes Hannover
vom 29. Dezember 1994 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides des Landesversorgungsamtes Niedersachsen
vom 26. März 1996 abzuändern,
2. den Beklagten zu verurteilen, ihm für die Zeit vom 1. März 1987 bis zum 28. Februar 1989
Berufsschadensausgleich ohne die Anwendung der Kürzungsvorschrift des § 8 der
Berufsschadensausgleichsverordnung zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Lüneburg vom 30. März 1998 zurückzuweisen.
Er hält das angegriffene Urteil und die mit ihm überprüften Bescheide für zutreffend. Hierin sieht er sich durch die
Rechtsprechung des BSG bestätigt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte, die Akte des SG Lüneburg,
Az.: S 11 V 13/86, die Beschädigtenakte des Versorgungsamtes Hannover, Grundlisten-Nr.: 046476, und die
Schwerbehindertenakte des Versorgungsamtes Hannover, Az.: 251616, Bezug genommen. Die genannten Unterlagen
waren ihrem wesentlichen Inhalt nach Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt. Sie ist auch begründet.
Die angefochtenen Bescheide des Beklagten sind entgegen der Auffassung des SG teilweise rechtswidrig. Sie
verletzen den Kläger insoweit in seinen Rechten, als das Vergleichseinkommen für die Berechnung des
Berufsschadensausgleiches in der Zeit vor dem 1. März 1989 auf 75 v.H. gekürzt wird.
Das SG hat die Anspruchsgrundlagen des Berufsschadensausgleiches zutreffend dargelegt und auch auf die
Kürzungsvorschrift des § 8 der BSchAV hingewiesen. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf die Ausführungen
in dem angefochtenen Urteil Bezug genommen, § 153 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG). Das BSG hat in der
Entscheidung vom 13. August 1997, Az.: 9 RV 26/95, SozR3-3642 § 8 Nr. 8, mit Recht darauf hingewiesen, dass eine
unmittelbare Anwendung des § 8 Abs. 1 Nr. 2, 1. Alternative BSchAV in Fällen wie dem vorliegenden nicht in Betracht
kommt. Denn der Kläger ist nicht mit Erreichen des 63. Lebensjahres wegen Erreichens oder Inanspruchnahme einer
gesetzlichen Altersgrenze aus dem Erwerbsleben ausgeschieden. Dies war ihm deshalb nicht mehr möglich, weil er
bereits zu einem früheren Zeitpunkt aus dem Erwerbsleben ausgeschieden war.
In der genannten Entscheidung hat das BSG in Fortführung seiner bisherigen Rechtsprechung jedoch darauf
hingewiesen, dass eine entsprechende Anwendung der 1. Alternative des § 8 Abs. 1 Nr. 2 BSchAV in Betracht
kommt, wenn der Beschädigte zeitlich nach dem tatsächlichen Ausscheiden aus dem Erwerbsleben eine gesetzliche
Altersgrenze erreicht, bei deren Erreichen er tatsächlich sozial gesichert aus dem Erwerbsleben hätte ausscheiden
müssen oder können, und wenn sich für das an sich maßgebliche, hypothetische, vorzeitige Ausscheiden des
Beschädigten aus dem "Hätte-Beruf” deutliche Anhaltspunkte aufgrund von Umständen ergeben, die im Ersatzberuf
tatsächlich vorgelegen haben. Fehlen solche deutlichen Anhaltspunkte, so ist im Sinne des § 8 Abs. 1 Satz 3
BSchAV glaubhaft gemacht, dass der Beschädigte über den Zeitpunkt des Erreichens einer gesetzlichen Altersgrenze
hinaus ohne die Schädigungsfolgen noch erwerbstätig gewesen wäre.
Derartige deutliche Anhaltspunkte liegen im Fall des Klägers nicht vor. In diesem Zusammenhang ist nämlich
zunächst darauf hinzuweisen, dass im Fall der analogen Anwendung des § 8 Abs. 1 Nr. 2 BSchAV anders als bei
seiner direkten Anwendung das gravierende Indiz der tatsächlichen Aufgabe der Erwerbstätigkeit zu dem zu prüfenden
Zeitpunkt fehlt, das mit schädigungsbedingten Gründen zu erklären, dem Beschädigten glaubhaft zu machen obliegt.
Auch allein der Umstand, dass der Kläger mit Erreichen des 63. Lebensjahres sozial gesichert aus dem Erwerbsleben
hätte ausscheiden können, stellt keinen deutlichen Anhaltspunkt dafür dar, dass er sich tatsächlich so verhalten
hätte. Denn das Erreichen einer rentenrechtlich gesicherten Altersgrenze ist ohnehin Voraussetzung, um überhaupt
über eine analoge Anwendung des § 8 Abs. 1 Nr. 2 BSchAV nachdenken zu können.
Im Übrigen bestehen Bedenken, aus der Rechtsprechung des BSG zu der Möglichkeit des sozial gesicherten
Ausscheidens aus dem Erwerbsleben für Fälle der vorliegenden Art regelmäßig zu schließen, dass die über die
Vollendung des 63. Lebensjahres hinausgehende Erwerbstätigkeit nicht glaubhaft zu machen ist. Denn diese
Rechtsprechung betrifft andere Sachverhalte als den hier zu beurteilenden. In den vom BSG entschiedenen
Sachverhalten, Urteile vom 10. Mai 1994, Az.: 9 RV 29/93, SozR3-3100 § 30 Nr. 9, vom 15. Juli 1992, Az.: 9 a RV
8/92, SozR3-3642 § 8 Nr. 5, und vom 8. Oktober 1987, Az.: 4b RV 15/86, SozR 3642 § 8 Nr. 1, war die Konstellation
jeweils so, dass ein Beschädigter mit Vollendung des 60. Lebensjahres einerseits Altersrente wegen
schädigungsbedingter Schwerbehinderung und andererseits Rente zum selben Zeitpunkt und in selber Höhe wegen
Arbeitslosigkeit, wegen schädigungsfremder Schwerbehinderung bzw. wegen Berufsunfähigkeit hätte in Anspruch
nehmen können. Vor dieser, von ihren wirtschaftlichen Auswirkungen letztlich belanglosen Auswahl, hätte der Kläger
bei der fiktiven Entscheidung nicht gestanden, ob er vorzeitiges Altersruhegeld nach Vollendung des 63. Lebensjahres
in Anspruch nehmen sollte. Da die Anspruchnahme vorzeitigen Altersruhegeldes mit Vollendung des 63. Lebensjahres
an besondere gesundheitliche Voraussetzungen nicht geknüpft ist, mithin auch nicht von den Auswirkungen der
Schädigung abhängen kann, kann allein aus der Existenz der gesetzlichen Möglichkeit nicht auf das tatsächliche
Verhalten des Klägers geschlossen werden.
Allerdings folgt aus der gesetzlichen Altersgrenze in Verbindung mit den bereits von dem SG genannten statistischen
Erkenntnissen eine gewisse Vermutung dafür, dass auch der Kläger diese Altersgrenze in Anspruch genommen hätte.
Das BSG hatte aber in der Entscheidung vom 9. März 1988, Az.: 9/9 a RV 28/86, SozR 3642 § 8 Nr. 3, darauf
hingewiesen, dass neben den statistischen Erkenntnissen auch zu prüfen ist, ob konkrete Anhaltspunkte für einen
Willen auch des Beschädigten zum vorzeitigen Ruhestand vorgelegen haben. Als wesentlichen Aspekt hat das BSG
in der genannten Entscheidung darauf abgestellt, ob sich aus dem tatsächlichen Ausscheiden aus dem Erwerbsleben
mit Vollendung des 60. Lebensjahres auf den Willen zum vorzeitigen Ruhestand schließen lässt. Insoweit seien Art
und Ausmaß der Beschädigung, der Leidensdruck, die konkreten Umstände im Ersatzberuf und die wirtschaftliche
Lage des Beschädigten zu berücksichtigen.
Nach Auswertung der genannten Gesichtspunkte steht zur Überzeugung des Senates fest, dass keine ausreichende
Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass bei dem Kläger ein unabhängig von den Schädigungsfolgen bestehender Wille
zum vorzeitigen Ruhestand vorgelegen hat. Denn die tatsächliche Aufgabe der Erwerbstätigkeit zum 28. Februar 1984
ist - wie sich im Übrigen auch aus der Tatsache der Gewährung von Berufsschadensausgleich aus diesem Anlass
ergibt - nicht völlig unabhängig von den Auswirkungen der Schädigungsfolgen auf die Ausübung der Tätigkeit. Zwar
hat der Kläger mit dem Schädigungsfolgen über nahezu 30 Jahre hinweg eine Erwerbstätigkeit ausgeübt. Zu beachten
ist jedoch, dass in zeitlicher Nähe zu dem Ausscheiden aus dem Erwerbsleben, nämlich mit Wirkung ab dem 1.
September 1982, eine Verschlimmerung der Schädigungsfolgen dergestalt festgestellt worden ist, dass die MdE
nunmehr mit 60 v.H. bemessen wurde. Insoweit ist insbesondere auch zu beachten, dass mit dem Bescheid vom 30.
Juni 1983 erstmals eine Verbiegung der Brustwirbelsäule als Schädigungsfolge anerkannt worden ist. Es ist
unmittelbar einleuchtend, dass das Hinzutreten dieser Schädigungsfolge dem Kläger die Tätigkeit in dem tatsächlich
ausgeübten Ersatzberuf außerordentlich erschwerte, die nämlich ein hohes Maß an körperlicher Mobilität erforderte.
Dieser Umstand spiegelt sich in dem ganz erheblichen Leidensdruck insbesondere im letzten Jahr der
Erwerbstätigkeit wider, den der Kläger im vorangegangenen Rechtsstreit bereits gegenüber dem SG sehr eindrücklich
dargelegt hat. Hinzukam, dass sich die Leistungsanforderungen in dem Ersatzberuf durch die
Rationalisierungsmaßnahmen des Arbeitgebers des Klägers gerade in den letzten Jahren vor seinem Ausscheiden
noch deutlich verstärkt haben. Es kann also keinesfalls davon ausgegangen werden, dass der Kläger vor dem
tatsächlichen Ausscheiden aus dem Erwerbsleben den Ersatzberuf als nicht anstrengend empfunden hätte.
Andererseits spricht nichts dafür, dass der Kläger etwa durch seinen Arbeitgeber zur Berufsaufgabe gedrängt worden
wäre.
Auch die wirtschaftliche Lage des Beschädigten bietet keine ausreichenden Indizien zur Feststellung eines Willens
zum vorzeitigen Ruhestand. Zwar hat sich objektiv die wirtschaftliche Situation des Klägers durch den Eintritt in den
vorzeitigen Ruhestand mit Vollendung des 60. Lebensjahres verbessert. So hat er selber mit seinem Widerspruch auf
eine Netto-Einkommensdifferenz zwischen Februar und März 1984 von 412,08 DM hingewiesen. Mit Wirkung ab März
1984 wurden dem Kläger Berufsschadensausgleich in Höhe von 421,00 DM monatlich und mit Rücksicht auf § 30
Abs. BVG eine Erhöhung der Grundrente um 137,00 DM monatlich bewilligt. Tatsächlich verfügte der Kläger über
diese Leistungen zum Zeitpunkt des Ausscheidens aus dem Erwerbsleben jedoch nicht. Er konnte auch nicht so
sicher davon ausgehen, dass ihm diese Leistungen gewährt werden würden, dass er darauf eine wirtschaftliche
Entscheidung hätte stützen können. Immerhin hat es bis zur Bewilligung der Leistung einen durch drei Instanzen
geführten Rechtsstreit mit einem Zeitablauf von über zehn Jahren erfordert. Tatsächlich hat der Eintritt in den
Ruhestand für den Kläger zunächst eine finanzielle Einbusse bedeutet. Der Senat kann auch nicht davon ausgehen,
dass die Einkommensänderungen für die Lebensgestaltung des Klägers und seiner Ehefrau ohne Bedeutung gewesen
wären. Dies gilt unabhängig davon, dass der Kläger in dem vorangegangenen Rechtsstreit dem SG besondere
Ausgabeverpflichtungen nicht hat benennen können. Immerhin hat die Ehefrau des Klägers nach seinem Ausscheiden
aus dem Erwerbsleben eine Erwerbstätigkeit aufgenommen und damit das Familieneinkommen erhöht.
Der Senat kann auch nicht im Hinblick auf die nicht schädigungsbedingten Leiden des Klägers gravierende
Anhaltspunkte dafür gewinnen, dass er nicht über das 63. Lebensjahr hinaus gearbeitet hätte. Im Hinblick auf das bei
dem Kläger im Jahr 1991 eingetretene pseudoneurasthenische Syndrom hat der Sachverständige Dr. J. in der
ergänzenden Stellungnahme vom 14. Mai 1991 darauf hingewiesen, dass sich die neurologischen Störungen bei
Abschluss der Behandlung 1982 vollständig zurückgebildet hätten. Auch die pseudoneurasthenischen Störungen
seien bis zum 30. Juni 1983 abgeklungen gewesen. Immerhin hat der Kläger seine Tätigkeit nach der Erkrankung im
Juli 1982 wieder aufgenommen. Im Hinblick auf die Störungen der Herzkreislauffunktionen hat der Sachverständige
Prof. Dr. K. in dem Gutachten vom 11. April 1990 darauf hingewiesen, dass bereits 1957 Reizleitungsstörungen des
Herzens festgestellt worden seien. Auch dadurch ist der Kläger an der langjährigen Verrichtung der Erwerbstätigkeit
nicht gehindert gewesen. Die dem schwerbehindertenrechtlichen Bescheid vom 2. April 1982 zugrunde liegenden
weiteren Leiden des Klägers haben diesen ebenfalls nicht daran gehindert, bis 1984 zu arbeiten. In diesem
Zusammenhang ist im Übrigen darauf hinzuweisen, dass wenigstens ein Teil der Wirbelsäulenveränderungen durch
den Bescheid vom 30. Juni 1983 ebenfalls als Schädigungsfolgen anerkannt worden sind. Dass sich im übrigen die
schädigungsfremden Leiden nach dem tatsächlichen Ausscheiden des Klägers aus dem Erwerbsleben mit der Folge
wesentlich verschlimmert hätten, dass sie eine Erwerbstätigkeit ab März 1987 unmöglich gemacht hätten, ist für den
Senat nicht ersichtlich.
Auch aus der Schilderung der besonders stressigen Tätigkeit in den letzten Jahren vor der Aufgabe der
Erwerbstätigkeit ist nicht zu schließen, dass der Kläger jedenfalls nach Vollendung seines 63. Lebensjahres die
Erwerbstätigkeit aufgegeben hätte. Denn die Prognose der voraussichtlichen Aufgabe der Erwerbstätigkeit mit
Vollendung des 63. Lebensjahres ist lediglich anhand des tatsächlichen Verhaltens des Klägers in dem Ersatzberuf im
Bezug auf sein vermutetes Verhalten in dem "Hätte-Beruf" zu stellen. Für diese Prognoseentscheidung kommt es
hinsichtlich der etwa für die Aufgabe der Tätigkeit maßgebenden Arbeitsverhältnisse nicht auf diejenigen der
tatsächlich verrichteten Ersatztätigkeit, sondern auf die derjenigen Tätigkeit an, die der Kläger ohne die
Schädigungsfolgen verrichtet hätte. Dass auch bei dieser Tätigkeit insbesondere in der Zeit seit etwa 1980 die
Arbeitsbedingungen so schlecht geworden wären, dass sie den Kläger mit Vollendung des 63. Lebensjahres
veranlasst hätten, die Erwerbstätigkeit aufzugeben, ist nicht ersichtlich. Selbst wenn man Zugunsten des Beklagten
unterstellt, dass der Kläger aufgrund der ungünstigen Arbeitsbedingungen die tatsächlich verrichtete Tätigkeit
jedenfalls mit Vollendung des 63. Lebensjahres aufgegeben hätte, ließe sich daraus nicht die Vermutung herleiten,
dass er auch die Tätigkeit im "Hätte-Beruf” mit Vollendung des 63. Lebensjahres aufgegeben hätte.
Die Kostenentscheidung beruht auf der Anwendung der §§ 183, 193 SGG.
Anlass für die Zulassung der Revision besteht nicht, § 160 Abs. 2 SGG.