Urteil des LSG Niedersachsen-Bremen vom 14.12.2000

LSG Nsb: beitragszeit, innere medizin, unfall, gemeinde, altersrente, anerkennung, arbeitsunfähigkeit, niedersachsen, glaubhaftmachung, ausbildung

Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urteil vom 14.12.2000 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Osnabrück S 3 RA 153/97
Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen L 1 RA 139/00
Die Berufung wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Der Kläger bezieht Regelaltersrente. Zuvor bezog er von der Beklagten Altersrente für Berufsunfähige. Er begehrt
hierfür die Vorverlegung des Leistungsfalles vom 9. Januar 1995 auf Herbst 1994 sowie die Anerkennung einer
weiteren Beitragszeit für die Zeit vom 1. April 1952 bis zum Oktober 1955.
Der im Jahre 1934 geborene Kläger hat nach eigenen Angaben nach einer dreijährigen landwirt-schaftlichen
Ausbildung eine landwirtschaftliche Fachschule besucht, für die im Versicherungsverlauf Zeiten der
Fachschulausbildung vom 25. Oktober 1954 bis zum 31. Dezember 1955 festgestellt sind. Im Anschluss habe er
zunächst auf dem elterlichen Hof gearbeitet. Schließlich ist er als selbständiger Landwirt tätig gewesen. Nach dem
Versicherungsverlauf hat er seit 1956 freiwillige Beiträge an die Beklagte entrichtet.
In den Jahren 1994 und 1995 hatte der Kläger mehrere Arbeitsunfälle erlitten. So hatte er sich am 6. September 1994
bei einem Sturz die linke Schulter und das rechte Knie verletzt, war am 9. Januar 1995 erneut auf die linke Schulter
gefallen, am 1. März 1995 wieder auf das rechte Knie gestürzt und hatte sich am 3. Juli 1995 eine Prellung der
rechten Hüfte zugezogen.
Zum 30. Juni 1996 ist der Betrieb des Klägers im Unternehmerverzeichnis gelöscht worden (Bescheid der H. - BG -
vom 29. Juni 1996). Seit dem 1. Juli 1996 bezieht der Kläger von der Hannoverschen Landwirtschaftlichen
Alterskasse (LAK) eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit (EU), nachdem ein diesbezüglicher Antrag des Klägers vom
Oktober 1994 von der LAK mit Bescheid vom 30. Januar 1995 noch mangels EU abgelehnt worden war.
Nachdem der Kläger im Juli 1994 das 60. Lebensjahr vollendet hatte, stellte er im Oktober 1994 über die Gemeinde I.
den zu diesem Verfahren führenden Antrag auf Altersruhegeld für Berufs- bzw. Erwerbsunfähige ab Vollendung des
60. Lebensjahres und beantragte den Rentenbeginn zum 1. August 1994. Zur Be-gründung machte er geltend, dass er
seinen landwirtschaftlichen Betrieb habe aus gesundheitlichen Gründen reduzieren müssen und nun nur noch
geringfügig tätig sei. Bis 1994 habe er noch Schweinemast und Maisanbau betrieben, seit 1995 be-schränke er sich
nur noch auf den Maisanbau. Zur streitigen Beitragszeit trug er vor, dass er vom 1. April 1952 bis zum Oktober 1955
als Spritzwart für die Gemeinde I. tätig gewesen sei und legte zur Glaubhaftmachung die beglaubigte Durchschrift ei-
nes "Beschäftigungsnachweises" vom 5. März 1996 vor, der von den Herren J. und K. unterzeichnet war.
Die Beklagte ermittelte, zog eine Reihe von Befundunterlagen der die Arbeitsunfälle behandelnden Ärzte aus den
Jahren 1994 und 1995 bei und ließ den Kläger sowohl orthopädisch als auch neurolo-gisch-psychiatrisch untersuchen
und begutachten. Dabei stellten der Orthopäde Prof. Dr. L.(Gutachten vom 24. August 1995) und der Arzt für
Neurologie und Psychiatrie Dr. M.(Gutachten vom 12. September 1995) übereinstimmend fest, dass der Kläger in
seinem Beruf des Landwirts nicht mehr vollschichtig tätig sein könne. Während Dr. M.den Leistungsfall ausdrücklich
mit dem 9. Januar 1995 angab, erklärte Prof. Dr. L., dass die Leistungsminderung "seit dem Unfall" bestehe. Die Be-
klagte erließ daraufhin den hier teilangefochtenen Bescheid vom 18. April 1996, mit dem sie dem Klä-ger die
beantragte Altersrente für Berufsunfähige mit Wirkung ab 1. Februar 1995 und unter Ableh-nung der streitigen
Beitragszeit bewilligte. Zur Begründung führte die Beklagte aus, dass der Leis-tungsfall erst mit dem Unfall am 9.
Januar 1995 eingetreten sei und für die Beitragszeit keine Bei-tragszahlungen nachgewiesen seien. (Die im Bescheid
darüber hinaus festgestellte Begrenzung des Zahlbetrages auf ½ der Vollrente wegen Überschreitens der
Hinzuverdienstgrenze hat sich auf Wider-spruch des Klägers durch den Abhilfebescheid der Beklagten vom 14. März
1997 erledigt und ist nicht Streitgegenstand des Verfahrens).
Der Kläger erhob Widerspruch und machte geltend, dass er bereits zur Zeit der Rentenantragstellung in 1994
berufsunfähig gewesen und die Beitragszeit durch die vorgelegten Zeugenerklärungen nachgewiesen sei. Die Beklagte
erließ den gleich-falls angefochtenen Widerspruchsbescheid vom 27. Mai 1997, in dem sie ausführte, dass der
Leistungsfall nach den vorliegenden medizinischen Unterlagen erst anläss-lich des zweiten Sturzes auf die linke
Schulter am 9. Januar 1995 feststellbar und die streitige Beitragszeit weder glaubhaft gemacht noch nachgewiesen
sei.
Hiergegen hat der Kläger am 4. Juli 1997 Klage vor dem Sozialgericht (SG) Osnabrück erhoben und zur streitigen
Beitragszeit die Auffassung vertreten, diese müsse bereits deshalb anerkannt werden, weil er in dieser Zeit als
Spritzwart gegen Entgelt beschäftigt gewesen sei. Das SG hat einen Befund-bericht der Fachärztin für
Allgemeinmedizin N.vom 28. Oktober 1998 nebst zahlreichen Unterlagen eingeholt. Sodann hat es die Klage mit
Gerichtsbescheid vom 23. Mai 2000 abgewiesen und zur Be-gründung u.a. ausgeführt: Nach den vorliegenden
medizinischen Unterlagen lasse sich ein früherer Leistungsfall als der 9. Januar 1995 nicht nachweisen. Auch habe
der Kläger seinen Betrieb jedenfalls noch bis Januar 1995 geführt. Und die streitige Zeit könne bereits deshalb nicht
als Beitragszeit aner-kannt werden, weil keine Beitragsentrichtungen von der Gemeinde I.als Arbeitsgeber erkennbar
seien. Denkbar sei, dass der Kläger nur geringfügig beschäftigt oder von der Gemeinde als versicherungsfrei
angesehen worden sei.
Gegen den am 26. Mai 2000 zugestellten Gerichtsbescheid richtet sich die am 26. Juni 2000 eingelegte Berufung, die
der Kläger trotz Fristverlängerung und Erinne-rung nicht begründet hat. Nach Ladung zum Termin zur mündlichen
Verhandlung hat sich der Kläger am Terminstag telefonisch gemeldet und um eine Vertagung gebe-ten, da er wegen
Wirbelsäulenbeschwerden nicht erscheinen könne.
Der Kläger beantragt nach seinem schriftlichen Vorbringen,
1. den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Osnabrück vom 23. Mai 2000 aufzuheben, den Bescheid der Beklagten
vom 18. April 1996 abzuändern und den Widerspruchsbe-scheid vom 27. Mai 1997 aufzuheben, 2. die Beklagte zu
verurteilen, a. dem Kläger Altersrente für Berufsunfähige bereits ab dem 1. August 1994 zu zahlen, b. die Zeit vom 1.
April 1952 bis einschließlich Oktober 1955 als Beitragszeit anzuerkennen ... hilfsweise: den Rechtsstreit zu vertagen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt die angefochtenen Bescheide als zutreffend und bezieht sich zur Begründung ergän-zend auf den
Gerichtsbescheid des SG.
Der Senat hat im vorbereitenden Verfahren die Verwaltungsakte der LAK beigezogen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte sowie auf die für den Kläger
bei der Beklagten geführte Verwaltungsakte Bezug genommen. Sie haben vorgelegen und sind Gegenstand von
mündlicher Verhandlung und Entscheidung gewesen.
Entscheidungsgründe:
Der Senat konnte über die Berufung am Sitzungstag entscheiden und musste den Rechtsstreit nicht vertagen, weil
der Kläger weder erhebliche Gründe für seinen Vertagungsantrag vorgetragen noch deren Vorliegen glaubhaft gemacht
hat, §§ 202 Sozialgerichtsgesetz (SGG) i.V.m. 227, 294 Zivilprozessordnung (ZPO). Denn der Kläger hat weder
dargelegt, warum ihn bestehende Wirbelsäulenbeschwerden an der Anreise zum Termin hindern, noch hat er eine
etwaige Reiseunfähigkeit z.B. durch Vorlage eines ärztlichen Attestes glaubhaft gemacht.
Die gem. §§ 143 f. SGG statthafte und zulässige Berufung ist unbegründet.
Weder der Gerichtsbescheid des SG noch die Bescheide der Beklagten sind zu beanstanden. Der Kläger hat weder
Anspruch auf einen früheren Leistungsbeginn noch auf Anerkennung der streitigen Beitragszeit.
Nach § 37 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) haben Versicherte, die das 60. Lebensjahr vollendet haben,
Anspruch auf Altersrente - neben weiteren Voraus-setzungen - dann, wenn sie berufsunfähig sind. Nach § 99 Abs. 1
SGB VI wird die Rente von dem Kalendermonat an geleistet, zu dessen Beginn die Anspruchsvor-aussetzungen
erfüllt sind. Danach hat die Beklagte in den angefochtenen Beschei-den die Zahlung zu Recht erst ab dem 1. Februar
1995 einsetzen lassen, weil der Leistungsfall der BU zutreffend erst für den 9. Januar 1995 festgestellt werden kann.
Ein früherer Leistungsfall ist nicht nachweisbar. Zur Begründung schließt sich der Senat den Ausführungen des SG im
Gerichtsbescheid auf S. 5 an, § 153 Abs. 2 SGG.
Ergänzend ist Folgendes festzustellen: Zwar könnte für einen Leistungsfall bereits im Jahre 1994 sprechen, dass der
Kläger bereits am 6. September 1994 einen Arbeits-unfall erlitten, erstmals auf die linke Schulter gestürzt war und die
linke Schulter später ausschlaggebend für den Annahme des Leistungsfalles wurde. Auch hatte die Sachverständige
Frau Dr. O., Fachärztin für Innere Medizin in ihrem Gutachten vom 6. Januar 1995, also noch vor dem zweiten Sturz
auf die linke Schulter am 9. Januar 1995, für die LAK im dortigen Rentenverfahren ausgeführt, dass der Kläger u.a.
auf-grund seiner Erkrankung der linken Schulter nicht mehr vollschichtig als Landwirt tä-tig sein solle (EU aber nicht
vorliege). Der Beweiswert dieser Aussage von Frau Dr. O. in diesem Verfahren wird jedoch dadurch beeinträchtigt,
dass die Sachverständige allein zur Frage der EU, nicht aber zur Frage der BU Stellung nehmen sollte und Stellung
genommen hat, weil das Recht der Landwirtschaftlichen Alterssicherung grundsätzlich nur eine Rente wegen EU
kennt und auch nur eine solche vom Kläger im dortigen Verfahren beantragt und bei der Sachverständigen von der
Alterskasse nachgefragt worden war. Die Äußerungen der Sachverständigen zur Tätigkeit des Klägers als Landwirt
können daher nicht als Beantwortung einer Beweisfrage, son-dern lediglich als begleitende Einschätzung der Ärztin
verstanden werden. Demge-genüber ergibt sich aus den zahlreichen, in diesem Verfahren wegen BU eingeholten und
vom Senat gewürdigten medizinischen Unterlagen, dass ein Leistungsfall der BU frühestens am 9. Januar 1995 (oder
später), nicht jedoch früher nachweisbar ist. So haben die beiden gehörten Sachverständigen Prof. Dr. L. und Dr. M.
übereinstim-mend auf den zweiten Sturz des Klägers auf die linke Schulter Bezug genommen, als sie feststellten, der
Kläger könne nicht mehr als Landwirt arbeiten. Dies gilt nicht nur für die ausdrückliche Feststellung des Dr. M.,
sondern auch für das Gutachten von Prof. Dr. L ... Denn dessen Aussage bei der Beantwortung der Beweisfragen
("seit dem Unfall") ist mit dem übrigen Gutachten in Beziehung zu setzen ist, wonach aber mit "seit dem Unfall" nur
der zweite Unfall gemeint gewesen sein kann (vgl. die An-gabe: "Arbeitsunfähigkeit seit dem 9. Januar 1995", Seite 1
des Gutachtens). Auch hat die behandelnde Ärztin Frau N. in ihrem vom SG eingeholten ausführlichen Be-fundbericht
vom 28. Oktober 1998 darauf hingewiesen, dass eine Arbeitsunfähigkeit nach dem ersten Unfall vom 6. September
1994 nur vorübergehend bestand und be-reits am 13. Oktober 1994 wieder beendet war, weshalb nach dem ersten
Sturz eine für BU erforderliche dauerhafte Leistungsminderung nicht feststellbar ist. Demhinge-gen löste erst der
zweite Sturz auf die linke Schulter - wohl im Sinne einer erhebli-chen Verschlimmerung - eine Arbeitsunfähigkeit aus,
die dauerhaft war (bis ins Jahr 1996). Die damit naheliegende Annahme einer erheblichen Verschlimmerung erst
anlässlich des zweiten Sturzes ergibt sich auch aus den vorliegenden Befundunter-lagen der seinerzeit behandelnden
Ärzte, insbesondere der Durchgangsärzte. Da-nach war am 6. September 1994 nur noch allein eine Schwellung des
linken Armes mit Hämatomverfärbung feststellbar (Bericht des Durchgangsarztes Dr. P. vom 8. November 1994),
wohingegen Frau N. als Folge des Unfalls vom 9. Januar 1995 eine "drohende Schultersteife" diagnostizierte
(Befundbericht vom 23. Juni 1995).
Den Nachteil des damit fehlenden Nachweises eines früheren Leistungsfalles hat nach den Grundsät-zen der
objektiven Beweislast der Kläger zu tragen.
Auch die Anerkennung der streitigen Zeit als Beitragszeit wurde von der Beklagten zu Recht abge-lehnt, der Senat
schließt sich auch insoweit den zutreffenden Ausführungen des SG im Gerichtsbe-scheid auf S. 6 an, § 153 Abs. 2
SGG.
Ergänzend wird auf Folgendes hingewiesen: Ein Nachweis oder auch nur eine Glaubhaftmachung einer
Pflichtbeitragszeit (vgl. etwa §§ 119 Abs. 6, 145 Angestelltenversicherungsgesetz - AVG - bzw. §§ 199, 203 SGB VI)
setzt voraus, dass zumindest überwiegend wahrscheinlich ist, dass für den streitgen Zeitraum vom Arbeitgeber
Beiträge entrichtet oder zumindest vom Arbeitsentgelt abgezogen worden sind. Eine solche überwiegende
Wahrscheinlichkeit ist vorliegend nicht gegeben. Aus dem vom Kläger in Durchschrift vorgelegten
"Beschäftigungsnachweis" ist allein ersichtlich, dass der Kläger im streitigen Zeitraum von der Gemeinde I.gegen
einen Stundenlohn von 1,20 DM die Tätigkeit eines Spritzwartes verrichten sollte. Demgegenüber bleiben für die
Beitragsentrichtung maßgebliche Fragen völlig offen. So geht aus der Erklärung nicht hervor, ob der Kläger als
versicherungspflichtiger Arbeit-nehmer angestellt war oder etwa als Selbständiger tätig wurde. Auch bleibt nicht
erkennbar, ob und von wem etwaige Sozialversicherungsbeiträge zu entrichten sein sollten. Ungeklärt bleibt sogar, in
welchem zeitlichen Umfang die Tätigkeit ausgeführt werden sollte, so dass - so bereits das SG - der Tatbestand einer
versicherungsfreien Tätigkeit nicht auszuschließen ist. Auch die Tatsache, dass der Kläger nach eigenen Angaben im
streitigen Zeitraum über weite Strecken eine Fachschulausbildung absolviert hat, spricht nicht dafür, dass es sich um
ein versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhält-nis gehandelt hat. Diese Ausbildung hat die Beklagte im
Versicherungsverlauf auch als Ausbildungs-zeit festgestellt.
Die daher auch bezüglich der begehrten Anerkennung der Beitragszeiten verbleibende Nichterweis-lichkeit geht
ebenfalls zu Lasten des Klägers.
Nach alledem war die Berufung mit der Kostenfolge des § 193 Abs. 1 SGG zurückzuweisen.
Es hat kein gesetzlicher Grund gemäß § 160 Abs. 2 SGG vorgelegen, die Revision zuzulassen.