Urteil des LSG Niedersachsen-Bremen vom 28.11.2002

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Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urteil vom 28.11.2002 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Hildesheim S 13 SB 288/98
Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen L 10/9 SB 237/99
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozial-gerichts Hildesheim vom 25. Oktober 1999 wird
zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darüber, ob bei dem Kläger ein Grad der Behinderung (GdB) von mehr als 10 vorliegt.
Der 1944 geborene Kläger beantragte im Juli 1997 die Feststellung einer Behin-derung und eines GdB. Er wies in dem
Zusammenhang auf Wirbelsäulenverän-derungen, Funktionsstörungen im Bereich von Schulter und Arm,
Bluthochdruck und Funktionsstörungen der Kniegelenke hin. Der Beklagte zog einen Befundbe-richt des behandelnden
Chirurgen I. bei und ließ den Kläger dann von Dr. J. auf chirurgischem Fachgebiet begutachten. Dieser kam
zusammenfassend zu dem Ergebnis, dass bei dem Kläger Lendenwirbelsäulenveränderungen vorlägen, die einen GdB
von 10 bedingten. Mit Bescheid vom 22. April 1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. August 1998
lehnte der Beklagte daraufhin die Feststellung einer Behinderung ab. Bei dem Kläger liege ein GdB von wenigstens 20
nicht vor.
Dagegen hat der Kläger Klage beim Sozialgericht (SG) Hildesheim erhoben und die Feststellung eines GdB von
wenigstens 20 begehrt. Zur Begründung hat er auf Funktionsstörungen verschiedener Gelenke und der Wirbelsäule
sowie auf eine rheumatische Erkrankung hingewiesen. Das SG hat die Akte des Verfahrens SG Hildesheim, Az: S 4
RI 86/95, beigezogen, in dem sich das Gutachten des Internisten und Rheumatologen Dr. K. vom 20. Januar 1999
befindet. Daraufhin hat das SG die Klage mit Gerichtsbescheid vom 25. Oktober 1999 als unbegrün-det abgewiesen.
Zur Begründung hat es insbesondere ausgeführt, der Beklagte habe den GdB zutreffend mit 10 festgestellt und hierbei
die Wirbelsäulenverände-rungen sowie die Funktionsstörungen des Schultergelenkes berücksichtigt. Ein echtes
rheumatisches Geschehen oder eine Fibromyalgie lägen bei dem Kläger nicht vor.
Gegen den ihm am 1. November 1999 zugestellten Gerichtsbescheid wendet sich die am 30. November 1999 bei dem
Landessozialgericht eingegangene Berufung des Klägers, mit der er weiterhin die Feststellung eines GdB von
mindestens 20 begehrt. Bei ihm lägen zahlreiche Behinderungen des Stütz- und Bewegungsap-parates vor, nämlich
Funktionsstörungen der Wirbelsäule und der rechten Schul-ter mit Rotatorenmanschettenruptur. Der behandelnde Arzt
halte auch daran fest, dass eine Fibromyalgie vorliege.
Der Kläger beantragt nach seinem schriftsätzlichen Vorbringen,
1. den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Hildesheim vom 25. Oktober 1999 und den Bescheid des Beklagten vom
22. April 1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. August 1998 aufzuheben,
2. den Beklagten zu verurteilen, bei ihm eine Behinderung und einen Grad der Behinderung von wenigstens 20
festzustellen.
Der Beklagte beantragt schriftsätzlich,
die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Hildesheim vom 25. Oktober 1999
zurückzuweisen.
Er hält den angefochtenen Gerichtsbescheid und die mit ihm überprüften Be-scheide für zutreffend.
Zur weiteren Aufklärung des Sachverhaltes hat der Senat Befundberichte des Internisten und Rheumatologen Dr. L.
und des Neurologen und Psychiaters M. eingeholt. Darüber hinaus hat er die Akte des gleichfalls hier anhängigen
Rechts-streits Az: L 10 RI 289/02 beigezogen, bei der sich die Akte des SG Hildesheim, Az: S 4 RI 86/95, befindet.
Die Akte des Verfahrens Az: L 10 RI 289/02 enthält sich das Gutachten des Internisten und Rheumatologen Dr. N.
vom 6. Mai 2002.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, der
Schwerbehindertenakte des Versorgungsamtes Braun-schweig sowie der genannten beigezogenen Akten Bezug
genommen. Diese Unterlagen waren Gegenstand der Entscheidungsfindung.
Die Beteiligten haben übereinstimmend ihr Einverständnis mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche
Verhandlung erklärt.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt. Sie ist jedoch nicht begründet.
Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die angegriffenen Bescheide des Beklagten sind nicht rechtswidrig. Dem
Kläger steht die Feststellung einer Behin-derung sowie eines GdB nicht zu.
Die Behinderung und der dadurch bedingte GdB sind seit dem 1. Juli 2001 nach den Vorschriften der §§ 2, 68 ff des
Neunten Buches Sozialgesetzbuch (SGB IX) festzustellen, das insoweit an die Stelle des aufgehobenen
Schwerbehinderten-gesetzes getreten ist. Wesentliche materiell-rechtliche Änderungen haben sich dadurch nicht
ergeben. Insbesondere ist die Einschätzung des durch die Behin-derung bedingten GdB weiter nach den
"Anhaltspunkten für die ärztliche Gut-achtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehinder-
tengesetz”, Ausgabe 1996, (AHP 1996) vorzunehmen.
Gemäß § 69 Abs 1 Satz 5 SGB IX sind Feststellungen im Zusammenhang mit einer Behinderung nur zu treffen, wenn
ein GdB von wenigstens 20 vorliegt. Da-von ist im vorliegenden Fall nicht auszugehen.
Im Vordergrund der Beschwerden des Klägers stehen Funktionsstörungen der Wirbelsäule. Diese bedingen aber nicht
einen GdB von wenigstens 20. Nach Rdnr 26.18, S 140 der AHP 1996 würde ein GdB von 20 wegen Wirbelsäulen-
schäden nur erreicht werden, wenn diese wenigstens mittelgradige funktionelle Auswirkungen in einem
Wirbelsäulenabschnitt hätten. Diese Voraussetzung liegt im Fall des Klägers nicht vor. Die bei ihm vorliegenden
Wirbelsäulenveränderun-gen bedingen in keinem der Wirbelsäulenabschnitte mindestens mittelgradige funktionelle
Auswirkungen.
Die qualitative Bewertung von Funktionsstörungen der Wirbelsäule nimmt der Senat nach dem von Bruns,
Begutachtung von Wirbelsäulenschäden nach dem Schwerbehindertengesetz, Der medizinische Sachverständige
1999, S 75 in der Tabelle 3 vorgeschlagenen Bewertungsschema vor. Dieses knüpft in für den Se-nat
nachvollziehbarer Weise an die nach der Neutral-0-Methode gewonnenen Messwerte der Wirbelsäulenbeweglichkeit
sowie an das Ott’sche und Scho-ber’sche Zeichen an. Nachvollziehbare Befunde zur Beurteilung der Wirbelsäu-
lenbeweglichkeit finden sich in den Gutachten der Dres. J., K. und N ... Bei Ver-gleich der mitgeteilten Befunde lässt
sich zwar eine Zunahme der Bewegungsein-schränkungen feststellen, sie erreichen aber auch nach den von Dr. N.
erhobe-nen Befunden nicht ein mittelgradiges Ausmaß.
Die Beweglichkeit der Halswirbelsäule ist insgesamt weniger als mittelstark ein-geschränkt. Zwar ist die Rotation
stärker als in leichtem Ausmaß beeinträchtigt, doch sind Vor- und Rückneigung der Halswirbelsäule frei. Auch die
Lendenwir-belsäule ist in ihrer Beweglichkeit insgesamt weniger als mittelgradig einge-schränkt. Zwar deutet der für
das Schober’sche Zeichen mitgeteilte Messwert insoweit auf eine mittelgradige Funktionsstörung hin, jedoch wird eine
derartig starke Einschränkung bei der Seitneigung der Lendenwirbelsäule nicht erreicht. Ein Finger-Boden-Abstand von
5 cm beweist im übrigen eine insgesamt nur we-niger als mittelgradige Einschränkung der Beweglichkeit der
Lendenwirbelsäule.
Es kann in diesem Zusammenhang dahingestellt bleibe, ob die Wirbelsäulener-krankung des Klägers als inkomplette
Spondarthritis zu werten ist, wie Dr. L. in seinem von dem Kläger vorgelegten Arztbrief vom 28. Oktober 2002 meint.
Kon-sequenzen für die Bewertung des GdB würden sich daraus nicht ergeben, weil für diese nicht auf Diagnosen,
sondern auf Einschränkungen körperlicher und seeli-scher Funktionen abzustellen ist.
Eine funktionell bedeutsame Einschränkung der Beweglichkeit der rechten Schulter liegt nicht vor. Zwar hat der Kläger
beim Anheben des Armes um etwa 50 Grad Schmerzen geäußert, nach Überwinden dieses Punktes ist die Beweg-
lichkeit des Schultergelenkes nach den Feststellungen des Dr. N. jedoch frei. Die von Dr. N. angegebenen
Bewegungsausmaße des linken Ellenbogens des Klä-gers übersteigen dasjenige Maß, das nach Rdnr 26.18, S 144
der AHP 1996 für die Vergabe eines Teil-GdB erforderlich wäre. Die Kniegelenke sind nach der Befunderhebung des
Dr. N. frei beweglich. Eine Fibromyalgie liegt nach seiner Einschätzung nicht vor. Insoweit muss der Senat auch der
gegenteiligen Diagno-se in den Arztbrief des Dr. L. vom 28. Oktober 2002 nicht weiter nachgehen. Aus dem
genannten Brief ergeben sich keine nachvollziehbaren Befunde, die für eine durch die Erkrankung bedingte
Funktionsstörung sprechen würden.
Für die mitgeteilten Blutdruckwerte kann nach Maßgabe der Rdnr 26.9, S 92 der AHP 1996 allenfalls ein GdB von 0
bis 10 vergeben werden, wobei mangels Leistungsbeeinträchtigungen und Augenhintergrundveränderungen die
Einschät-zung eher im unteren Bereich der eröffneten Spanne vorzunehmen ist. Es han-delt sich nicht etwa um eine
mittelschwere Form eines Bluthochdrucks, obwohl der diastolische Blutdruck mehrfach über 100 mmHg gemessen
wurde. Eine me-dikamentöse Behandlung des Hochdruckleidens des Klägers findet nämlich nicht statt. Der Zustand
nach Entfernung eines Basalioms im Februar 2001 bedingt bei dem Kläger nicht erkennbar eine
Leistungsbeeinträchtigung. Bei derartigen Er-krankungen findet nach Maßgabe von Rdnr 26.17, S 133 der AHP 1996
eine Heilungsbewährung nicht statt.
Die Kostenentscheidung beruht auf der Anwendung der §§ 183, 193 des Sozial-gerichtsgesetzes (SGG).
Anlass für die Zulassung der Revision besteht nicht, § 160 Abs 2 SGG.