Urteil des LSG Hessen vom 02.04.2017

LSG Hes: treu und glauben, leichte fahrlässigkeit, aussteller, grobe fahrlässigkeit, unterbrechung des kausalzusammenhanges, unterbrechung des kausalzusammenhangs, haftung des arbeitgebers, arbeitsamt

Hessisches Landessozialgericht
Urteil vom 17.12.1979 (rechtskräftig)
Sozialgericht Frankfurt S 18/3 Ar 17/76
Hessisches Landessozialgericht L 1 Ar 17/77
I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 22. November 1976 wird
zurückgewiesen.
II. Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
III. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist, ob der Beklagten gegen die Klägerin ein Schadensersatzanspruch wegen nicht richtigen Ausfüllens einer
Arbeitsbescheinigung zusteht (§ 145 Nr. 1 Arbeitsförderungsgesetz – AFG –).
Am 7. Januar 1974 meldete sich die frühere Montagearbeiterin der Klägerin Y. C. beim Arbeitsamt Frankfurt am Main
arbeitslos und beantragte die Gewährung von Arbeitslosengeld (Alg). In einer von der Klägerin am 14. Januar 1974
ausgefüllten Arbeitsbescheinigung ist für den Lohnabrechnungszeitraum vom 5. Februar 1973 bis 28. Februar 1973 für
19 Arbeitstage und eine Gesamtzahl von 150 Arbeitsstunden ein Bruttoarbeitsentgelt von 882,85 DM genannt. In der
nächsten Zeile der Bescheinigung ist für den Lohnabrechnungszeitraum vom 1. März 1973 bis 24. März 1973 für 17
Arbeitstage und eine Gesamtzahl von 136 Arbeitsstunden ein Bruttoarbeitsentgelt von 1.668,05 DM eingetragen. In
einer dritten Zeile ist für eine Gesamtzahl von 36 Arbeitstagen und 286 Arbeitsstunden ein Gesamt-
Bruttoarbeitsentgelt von wiederum 1.668,05 DM aufgeführt.
In der Alg-Verfügung vom 29. Januar 1974 wurde von dem Sachbearbeiter der Beklagten zunächst als Arbeitsentgelt
für 286 Arbeitsstunden ein Betrag von 1.668,05 DM eingetragen; dieser Betrag wurde sodann durchgestrichen und
berichtigt in 2.550,90 DM. Aufgrund dieser Berichtigung wurde das der Arbeitslosen Celebi gewährte Alg berechnet.
Tatsächlich betrug das Arbeitsentgelt der Arbeitslosen für die Zeit vom 1. März 1973 bis 24. März 1973 785,20 DM.
Mit Bescheid vom 5. Februar 1975 forderte die Beklagte von der Klägerin einen Betrag von 1.739,– DM als
Schadensersatz, weil die Klägerin durch Ausstellung einer unrichtigen Arbeitsbescheinigung eine Überzahlung an die
Arbeitslose C. in dieser Höhe verschuldet habe. Im einzelnen handelte es sich um Leistungen, die der Arbeitslosen in
der Zeit vom 7. Januar 1974 bis 12. Dezember 1974 gewählt worden waren. Am 13. Februar 1975 legte die Klägerin
Widerspruch ein. Sie räumte ein, versehentlich sei von ihr für die Zeit vom 1. März 1973 bis 24. März 1973 der
Gesamtverdienst der Monate Februar und März 1973 eingetragen werden. Gleichzeitig machte sie jedoch geltend, der
betreffende Sachbearbeiter der Beklagten habe bei gewissenhafter und sorgfältiger Prüfung unbedingt erkennen
müssen, daß der Betrag von 1.668,05 DM für die angegebene Gesamtzeit gelte; den Verdienst für März 1973 habe er
dann leicht durch Abzug des für Februar 1973 genannten Betrages von 882,85 DM ermitteln können. Jedenfalls sei es
erforderlich gewesen, rechtzeitig vor Auszahlung des Alg bei ihr, der Klägerin, eine entsprechende Rückfrage zu
halten.
Aufgrund einer Verfügung vom 18. November 1975 erhöhte die Beklagte in einem undatierten Änderungsbescheid den
von der Klägerin geforderten Betrag auf insgesamt 2.251,17 DM, indem sie zusätzlich für die Arbeitslose C. gezahlte
Krankenkassenbeiträge in Höhe von 512,17 DM ersetzt verlangte.
Mit Widerspruchsbescheid vom 26. November 1975, zugestellt am 11. Dezember 1975, wurde der Widerspruch der
Klägerin als unbegründet zurückgewiesen. Die Beklagte stützte diese Zurückweisung darauf, für das Bestehen des
geltend gemachten Schadensersatzanspruchs sei ausreichend, daß der Klägerin hinsichtlich der unrichtigen
Ausfüllung der Arbeitsbescheinigung leichte Fahrlässigkeit anzulasten sei.
Am 9. Januar 1976 hat die Klägerin durch Einreichen einer Klageschrift bei dem Sozialgericht Frankfurt am Main
Klage erhoben. Sie hat sich darauf berufen, die Fehlerhaftigkeit der Bescheinigung sei so offensichtlich gewesen, daß
sie gar nicht habe übersehen werden können; deshalb sei ihr Verschulden nicht ursächlich für den eingetretenen
Schaden. Die Beklagte hat demgegenüber geltend gemacht, die Ursächlichkeit des Verhaltens der Klägerin werde
selbst dann nicht unterbrochen, wenn auch einer ihrer Bediensteten einen offensichtlichen Fehler bei der Ausstellung
der Bescheinigung schuldhaft nicht erkannt habe.
Mit Urteil vom 22. November 1976 hat das Sozialgericht Frankfurt am Main entsprechend den Antrag der Klägerin den
Bescheid der Beklagten vom 5. Februar 1975 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. November 1975
aufgehoben. Im einzelnen ist das Urteil darauf gestützt, ein Schadensersatzanspruch der Beklagten könne nicht durch
Leistungsbescheid, sondern nur im Wege der Leistungsklage geltend gemacht werden; im übrigen könne die Beklagte
nur dann von der Klägerin Schadensersatz verlangen, wenn sie vorher die Arbeitslose erfolglos wegen einer
Rückforderung der Überzahlung in Anspruch genommen habe; schließlich sei die Anwendung des § 254 Bürgerliches
Gesetzbuch (BGB) von der Beklagten noch nicht geprüft worden; insoweit handele es sich um eine Entscheidung, die
zunächst von der Beklagten getroffen werden müsse, bevor eine gerichtliche Überprüfung möglich sei. Abschließend
heißt es in dem Urteil, daß daher der Klage unter Aufhebung des Leistungsbescheides, abgeändert durch den
Bescheid ohne Datum, in Form des Widerspruchsbescheides stattzugeben gewesen sei.
Gegen dieses ihr am 10. Dezember 1976, zugestellte Urteil richtet sich die mit Schriftsatz vom 5. Januar 1977,
eingegangen beim Hessischen Landessozialgericht am 6. Januar 1977, eingelegte Berufung der Beklagten.
Die Beklagte ist der Auffassung, sie sei befugt, den Schadensersatzanspruch im Wege des Verwaltungsaktes geltend
zu machen und brauche auch vorher nicht gegen die Arbeitslose C. vorzugehen, abgesehen davon, daß ihr insoweit
kein Rückforderungsanspruch zustehen auch ein Mitverschulden brauche sie sich nicht anrechnen zu lassen, da sie
auf die Angaben der Klägerin habe vertrauen dürfen und selbst keine Ursache für den Schadenseintritt gesetzt habe.
Die Beklagte beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 22. November 1976 aufzuheben und die
Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Sie macht ergänzend geltend, daß keine Überzahlung von Alg eingetreten wäre, wenn von seiten der Beklagten der für
286 Arbeitsstunden genannte – zutreffende – Endbetrag von 1.668,05 DM der Alg-Berechnung zugrunde gelegt
worden wäre.
Ergänzend wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der Leistungsakten der Arbeitslosen C., Stamm-Nr. , Arbeitsamt
Frankfurt am Main, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist zulässig. Sie ist frist- und formgerecht eingelegt sowie an sich statthaft (§§ 151 Abs. 1, 143
Sozialgerichtsgesetz – SGG –).
Sie ist jedoch unbegründet. Das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 22. November 1976 ist in seinem
Ergebnis der Aufhebung der von der Klägerin angefochtenen Bescheide der Beklagten, wenn auch nicht in seiner
Begründung, zutreffend. Der Beklagten steht gegen die Klägerin kein Schadensersatzanspruch nach § 145 Nr. 1 AFG
wegen nicht richtigen Ausfüllens einer Arbeitsbescheinigung zu.
Nach § 145 Nr. 1 AFG – und zwar sowohl in der Fassung vom 25. Juni 1969 (BGBl. I S. 582) als auch in der seit dem
20. Juli 1974 geltenden und damit während der Leistungsgewährung an die Arbeitslose C. in Kraft getretenen
Neufassung des Gesetzes über Konkursausfallgeld vom 17. Juli 1974 (BGBl. I S. 1481) – ist u.a. derjenige, der –
vorsätzlich oder fahrlässig – eine Arbeitsbescheinigung nach § 133 AFG nicht, nicht richtig oder nicht vollständig
ausfüllt, der Bundesanstalt für Arbeit zum Ersatz des daraus entstandenen Schadens verpflichtet. Hinsichtlich des
Inhaltes der Arbeitsbescheinigung bestimmte § 133 Satz 2 AFG in der zum Zeitpunkt der Ausstellung der
Bescheinigung der Klägerin (14. Januar 1974) geltenden Fassung vom 25. Juni 1969 (BGBl. I S. 582), daß das
Arbeitsentgelt und sonstige Leistungen (§ 117 Abs. 2 AFG die der Arbeitnehmer aus dem Beschäftigungsverhältnis
erhalten oder noch zu beanspruchen hatte, anzugeben waren; insoweit besteht Übereinstimmung mit der jetzt
geltenden Regelung des § 133 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AFG. Im vorliegenden Falle sind, wie der Senat nicht verkennt, die
genannten gesetzlichen Voraussetzungen für einen Schadensersatzanspruch der Beklagten an sich dem Grunde nach
erfüllt. Die Klägerin ist ihrer bereits unmittelbar aus § 133 AFG folgenden Verpflichtung, in der Arbeitsbescheinigung
zutreffende Angaben über die Höhe des Arbeitsentgeltes zu machen, nicht nachgekommen. Sie hat in der von ihr am
14. Januar 1974 ausgestellten Bescheinigung das von der Arbeitslosen C. im Lohnabrechnungszeitraum vom 1. März
1973 bis 24. März 1973 erzielte Bruttoarbeitsentgelt nicht richtig eingetragen und dadurch die Bescheinigung nicht
richtig ausgefüllt. Dieses Arbeitsentgelt betrug nicht, wie von der Klägerin angegeben, 1.668,05 DM, sondern nur
785,20 DM. Hinsichtlich des Zustandekommens dieser nicht richtigen Angaben ist der Klägerin, die in entsprechender
Anwendung des § 278 BGB ein Verschulden der Personen, deren sie sich zur Ausstellung der Arbeitsbescheinigung
bediente, in gleichem Umfange wie eigenes Verschulden zu vertreten hat, auch – wenigstens – leichte Fahrlässigkeit
anzulasten. Wie die Klägerin selbst einräumt, wurde von ihr versehentlich für die Zeit vom 1. März 1973 bis 24. März
1973 der Gesamtverdienst der Monate Februar und März 1973 eingetragen. Diese nicht richtige Eintragung war auch –
in adäquater Weise – ursächlich für den Eintritt des von der Beklagten der Klägerin gegenüber geltend gemachten
Schadens. Die nicht richtige Ausfüllung der Bescheinigung kann nicht hinweggedacht werden, ohne daß der
Schadenseintritt entfiele; die Möglichkeit des Eintritts dieses Schadens liegt auch nicht so außerhalb aller
Wahrscheinlichkeit, daß sie vernünftigerweise nicht in Betracht gezogen werden konnte. Eine Unterbrechung des
Kausalzusammenhangs durch das Handeln des die Alg-Festsetzung vornehmenden Sachbearbeiters der Beklagten
ist nicht gegeben. Die Alg-Festsetzung ging von den nicht richtigen Angaben der Klägerin aus; diese wurden der
Leistungsgewährung zugrunde gelegt. Damit kamen aber lediglich die in der nicht richtig ausgefüllten
Arbeitsbescheinigung von Anfang an enthaltenen Fehlermöglichkeiten voll zum Tragen. Von einem Abbrechen oder
einer Unterbrechung der Kausalkette kann angesichts dieses Geschehensablaufes nicht gesprochen werden.
Der Beklagten kann auch nicht verwehrt werden, einen Schadensersatzanspruch nach § 145 AFG im Wege einseitiger
hoheitlicher Regelung durch Verwaltungsakt geltend zu machen. Der erkennende Senat hält insoweit nach erneuter
Überprüfung an seiner bisherigen Rechtsprechung (Urt. v. 4.3.1973 – L 1/Ar – 1104/71; Urt. vom 31.5.1979 – L 1/Ar –
296/78) fest, zumal der hier vertretene Standpunkt der überwiegenden Meinung in Rechtsprechung und Literatur
entspricht (vgl. Bayer. LSG, Urt. v. 25.10.1973 – L 9/Al – 73/71 – Breithaupt 1974, 539; LSG Rheinland Pfalz, Urt. v.
10.2.1978 – L 1/Ar – 53/77; Bayr. LSG, Urt. v. 28.9.1978 – L 5/Al – 7/78 – Breithaupt 1979, 178; LSG Niedersachsen,
Urt. v. 31.10.1978, L 3/Ar-30/78; Bayer. LSG, Urt. v. 14.12.1978 – L 9/Al – 187/77; Hennig/Kühl/Hauer, Kommentar
zum Arbeitsförderungsgesetz, § 145 AFG, Anm. 1; Schönefelder/Kranz/Wanka, Kommentar zum
Arbeitsförderungsgesetz, § 145 AFG, Rdnr. 3; a.A. LSG Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 1.2.1973 – L 16/Ar – 50/72 –
Breithaupt 1973, 843; s. allgemein im Sinne einer Bejahung der Möglichkeit, Schadensersatzforderungen mittels eines
Verwaltungsaktes geltend zu machen, auch BSG, Urt. v. 10.11.1977 – 3 RK 44/75 – BSGE 45, 119, 120).
Zwar ist nicht zu verkennen, daß § 145 AFG nur eine materiell-rechtliche Regelung der Schadensersatzpflicht enthält
und da eine spezialgesetzliche Grundlage, die eine Geltendmachung der Schadensersatzforderung durch
Verwaltungsakt ausdrücklich zuläßt, fehlt. Auch aus der Vorschrift des § 133 AFG über die Arbeitsbescheinigung
können insoweit ebensowenig irgendwelche Schlußfolgerungen gezogen werden wie aus der Bußgeldvorschrift des §
230 Abs. 1 Nr. 4 AFG, wonach ordnungswidrig handelt, wer vorsätzlich oder fahrlässig entgegen § 133 AFG eine
Arbeitsbescheinigung nicht, nicht richtig, nicht vollständig oder nicht rechtzeitig ausstellt. Weiterhin bestehen
zwischen dem Arbeitgeber und der Bundesanstalt für Arbeit keine einem besonderen Gewaltverhältnis im klassischen
Sinne vergleichbare rechtliche Sonderbeziehungen, die kraft – freiwilliger oder unfreiwilliger – Unterwerfung die
Befugnis zu einseitiger hoheitlicher Regelung begründen könnten. Andererseits ist aber zwischen der Bundesanstalt
für Arbeit und dem Arbeitgeber im Hinblick auf dessen gesetzliche Verpflichtung zur Ausstellung einer – richtigen –
Arbeitsbescheinigung ein – gesetzliches – verwaltungsrechtliches Schuldverhältnis im Sinne eines
Sozialrechtsverhältnisses vorhanden, wobei hier dahinstehen kann, ob dieses Sozialrechtsverhältnis bereits allein
durch die gesetzliche Verpflichtung des Arbeitgebers zur Ausstellung einer Arbeitsbescheinigung oder erst durch ein
Verlangen des Arbeitnehmers oder des Arbeitsamtes auf Ausstellung dieser Bescheinigung begründet wird oder ob es
vielleicht sogar erst mit der Ausstellung einer konkreten Bescheinigung entsteht. Jedenfalls besteht spätestens bei
der Ausstellung einer Arbeitsbescheinigung, und zwar gegenüber dem Arbeitsamt, eine rechtliche Verpflichtung des
Arbeitgebers zu richtigen und vollständigen Angaben, ebenso wie jedenfalls spätestens mit der Vorlage der
Bescheinigung beim Arbeitsamt konkrete sozialrechtliche Rechtsbeziehungen zwischen dem Arbeitsamt und dem
Arbeitgeber als Aussteller der Bescheinigung mit wechselseitigen Rechten und Pflichten hergestellt werden. Aus dem
Sozialrechtsverhältnis folgt aber typischerweise und ohne daß es insoweit einer speziellen gesetzlichen Legitimation
bedarf, jedenfalls bei gesetzlich ausdrücklich normierten Rechten und Pflichten, die Befugnis des Leistungsträgers
zum Tätigwerden mittels Verwaltungsaktes, und zwar unabhängig davon, ob es sich um Akte der Leistungsverwaltung
oder um Akte der Eingriffsverwaltung handelt. Das Sozialrechtsverhältnis zwischen der Bundesanstalt für Arbeit und
dem Arbeitgeber bildet mit anderen Worten die rechtliche Ermächtigungsgrundlage zur Geltendmachung des
Schadensersatzanspruchs nach § 145 AFG durch Erlaß eines Verwaltungsaktes gegenüber dem Arbeitgeber.
Der Schadensersatzanspruch der Beklagten wird auch nicht dadurch ausgeschlossen, daß diese nicht erfolglos
versucht hat, die Leistungsempfängerin C. vorrangig in Anspruch zu nehmen. Auch ohne eine solche
Inanspruchnahme sind alle rechtlichen Voraussetzungen des Schadensersatzanspruchs gegenüber der Klägerin
erfüllt. Insbesondere liegt bereits allein aufgrund der – materiell – ungerechtfertigten Leistungsgewährung an die
Arbeitslose ein Schaden der Beklagten vor. Die Verpflichtung zur vorrangigen erfolglosen Inanspruchnahme möglicher
sonstiger Ersatzpflichtiger stellt im Schadensersatzanspruch nicht den Regel-, sondern vielmehr den Ausnahmefall
dar (s. z.B. die Regelung des Amtshaftungsrechts in § 839 Abs. 1 Satz 2 BGB). Der Gesetzgeber hätte deshalb in §
145 AFG die Solidarität der Haftung des Arbeitgebers ausdrücklich anordnen müssen; dies hat er jedoch nicht getan
(s. zur Ablehnung einer Subsidiarität auch Bayer. LSG, Urt. v. 14.12.1978 – L 9/Al – 187/77; Hennig/Kühl/Heuer,
a.a.O., Anm. 4).
Der an sich dem Grunde nach gegebene und auch ohne vorrangige Inanspruchnahme der Arbeitslosen C. durch
Verwaltungsakt durchsetzbare Schadensersatzanspruch der Beklagten wird jedoch dadurch ausgeschlossen, daß
eine Offensichtlichkeit bzw. Evidenz der Unrichtigkeit der Arbeitsbescheinigung vorliegt und die Beklagte, obwohl sie
hierzu verpflichtet und in der Lage war, diese Unrichtigkeit nicht durch entsprechende Rückfragen bei der Klägerin
behoben hat.
Aus dem spätestens mit der Vorlage der nicht richtig ausgefüllten Arbeitsbescheinigung bei dem Arbeitsamt zwischen
dem Aussteller der Bescheinigung und der Bundesanstalt für Arbeit mit wechselseitigen Rechten und Pflichten
begründeten Sozialrechtsverhältnis ergibt sich für die Bundesanstalt für Arbeit nach dem auch im Sozialgericht
geltenden Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) die (Neben-)Pflicht, alles in ihren Kräften Stehende und ihr
Zumutbare zu tun, um den Aussteller vor vermeidbaren, das Sozialrechtsverhältnis betreffendem Schaden zu
bewahren (so hinsichtlich des Sozialversicherungsverhältnisses BSG, Urt. v. 23.3.1972 – 5 BJ – 63/70 – BSGE 34,
124). Sie braucht zwar die ihr vorgelegten Bescheinigung nicht auf ihre Richtigkeit hin zu überprüfen (vgl. Bayer. LSG,
Urt. v. 28.9.1978 – L 5/Al – 7/78 – Breithaupt 1979, 178, 180), sie muß andererseits jedoch aufgrund der
Verpflichtung, den Aussteller der Bescheinigung vor vermeidbaren Schaden zu bewahren, auf offensichtliche bzw.
evidente Unrichtigkeiten, die aus der Bescheinigung selbst heraus für jeden verständigen Adressaten ohne weiteres
erkennbar sind, achten und auf ihre Aufklärung und Behebung drängen. Sie darf nicht eine erkennbar unrichtige
Bescheinigung der Leistungsgewährung zugrunde legen und den infolge einer Überzahlung eintretenden Schaden dann
gegenüber dem Aussteller der Bescheinigung in Gestalt eines Schadensersatzanspruchs geltend machen. Vielmehr
muß sie den Schaden, der dem Aussteller dann entsteht, wenn er der Bundesanstalt einer bei ihr eingetretenen
Schaden zu ersetzen hat, im Rahmen des ihr Möglichen und Zumutbaren von vornherein von dem Aussteller
fernhalten.
Verletzt die Bundesanstalt für Arbeit diese Pflicht, so kann sie jedenfalls dann keinen Schadensersatzanspruch nach
§ 145 AFG geltend machen, wenn keine Anhaltspunkte für eine vorsätzliche oder wenigstens grobfahrlässige
unrichtige Ausfüllung der Arbeitsbescheinigung durch den Aussteller bestehen. Dies ergibt sich aus den folgenden,
sich ergänzenden und gegenseitig verstärkenden, letztlich aber in dem übergeordneten Grundsatz von Treu und
Glauben (§ 242 BGB) zusammenhängenden Überlegungen:
Einmal folgt bereits unmittelbar aus dem Grundsatz von Treu und Glauben, daß ein Leistungsträger keine Rechte
ausüben und damit auch keine Ansprüche geltend machen darf, wenn er sich dadurch in treuwidriger Weise zu seinem
früheren Verhalten in Widerspruch setzt (sog. venire contra proprium, s. BSG, Urt. v. 17.11.1970 – 1 RA 233/68 –
BSGE 32, 60, 63; BSG, Urt. v. 26.4.1977 – 4 RJ – 35/76 – SozR 2200 § 1286 Nr. 3; BSG, Urt. v. 22.11.1979 – 8 b
RKg – 3/79). Ein solcher Widerspruch liegt jedoch vor, wenn die Bundesanstalt für Arbeit unter Verletzung ihrer aus
dem Sozialrechtsverhältnis nach Treu und Glauben folgenden Pflicht zur Herbeiführung einer Berichtigung
offensichtlich unrichtige Angaben in einer Arbeitsbescheinigung nicht aufklärt, sie vielmehr unbeanstandet der
Leistungsgewährung zugrunde legt und anschließend, gestützt auf diese unrichtigen Angaben, einen
Schadensersatzanspruch gegen den Aussteller der Bescheinigung geltend macht. Sie handelt dabei jedenfalls dann
treuwidrig und muß diese Geltendmachung unterlassen, wenn dem Aussteller seinerseits nicht wiederum Vorsatz oder
grobe Fahrlässigkeit anzulasten sind.
Zum zweiten bietet sich in derartigen Fällen die Übernahme der in der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zum
sog. sozialrechtlichen Schadensersatz – bzw. Herstellungsanspruch entwickelten Grundsätze und deren
Fortentwicklung an. Nach diesen Grundsätzen ist ein Leistungsträger dann, wenn er eine sich aus dem
Sozialrechtsverhältnis ergebende (Neben-)Pflicht verletzt, verpflichtet, den durch die betreffende Pflicht Geschützten
so zu stellen, wie er stehen würde, wenn der Leistungsträger sich pfichtgemäß verhalten hätte (vgl. aus der neuesten
Rechtsprechung insbesondere BSG, Urt. v. 9.5.1979 – RV-20/78; BSG, Urt. v. 20.6.1979 – 5 RKn-16/78; BSG, Urt. v.
17.7.1979 – 12 RAr 15/78; BSG, Urt. v. 4.9.1979 – 7 RAr-115/78; BSG, Urt. v. 12.10.1979 – 12 RK-47/77; BSG, Urt.
v. 28.11.1979 – 5 RK-64/77, jeweils mit weiteren Nachweisen).
Wendet man diese Grundsätze auf die vorliegende Fallgestaltung – entsprechend – an, so ergibt sich folgendes: hätte
die Bundesanstalt für Arbeit nach der Vorlage einer offensichtlich unrichtigen Arbeitsbescheinigung ihre Pflicht, den
Aussteller um Aufklärung und Behebung des Fehlers zu ersuchen, erfüllt und der Aussteller, wovon dann im Wege der
Unterstellung auszugehen ist, eine entsprechende Richtigstellung vorgenommen, so würde der Aussteller stehen, daß
er der Bundesanstalt gegenüber nicht zum Schadensersatz verpflichtet ist. Die Bundesanstalt kann daher von ihm
auch nicht den Schaden ersetzt verlangen, der ihr dadurch entstanden ist, daß sie die ihr obliegende Aufklärung
pflichtwidrig unterlassen hat. Etwas anderes würde, und zwar im Sinne einer Quotelung der Schadensersatzforderung,
nur dann gelten, wenn die Bundesanstalt dem Aussteller ein Mitverschulden entgegenhalten könnte. Dieser Einwand
ist ihr jedoch, wie im folgenden näher dargelegt wird, wiederum dann verwehrt, wenn dem Aussteller nicht wenigstens
Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit anzulasten sind.
Drittens ergibt sich nämlich der Wegfall des Schadensersatzanspruchs aus einer – entsprechenden – Anwendung der
Grundsätze des § 254 BGB, die ihrerseits wiederum zugleich eine besondere Ausprägung des Grundsatzes von Treu
und Glauben darstellen (vgl. Palandt-Heinrichs, Bürgerliches Gesetzbuch, Kommentar, 39. Aufl., 1980, § 254 BGB,
Anm. 1 a). Nach § 254 Abs. 1 BGB hängt, wenn bei der Entstehung des Schadens ein Verschulden des Beschädigten
mitgewirkt hat, die Verpflichtung zum Ersatze sowie der Umfang des zu leistenden Ersatzes von Umständen,
insbesondere davon ab, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder dem anderen Teile verursacht worden
ist. Aus § 254 Abs. 2 Satz 1 BGB folgt, daß dies u.a. auch dann gilt, wenn sich das Verschulden des Beschädigten
darauf beschränkt, daß er unterlassen hat, den Schaden abzuwenden. Diese Grundsätze gelten, ebenso wie der
Grundsatz von Treu und Glauben im öffentlichen Recht und damit auch im Sozialrecht entsprechend (vgl. Palandt-
Heinrichs, a.a.O., Anm. 2 c mit weiteren Nachweisen). Auch auf den Schadensersatzanspruch des § 145 AFG sind
sie daher anzuwenden (so bereits das Urteil des erkennenden Senates vom 31. Mai 1979 – L 1/AR – 296/78; a.A.
Bayer. LSG, Urt. v. 28.9.1978, a.a.O., S. 180). Sie laufen letztlich auf eine Abwägung hinaus, bei der in erster Linie
auf das Maß der beiderseitigen Verursachung und erst in zweiter Linie auf das Maß des beiderseitigen Verschuldens
abzustellen ist. Diese Abwägung kann, wie sich bereits aus dem Wortlaut des § 254 Abs. 1 BGB ergibt, im Einzelfall
zu einem (völligen) Wegfall der Ersatzpflicht führen (vgl. Palandt-Heinrichs, a.a.O., Anm. 4 a, 4 b).
Ein derartiger Wegfall der Ersatzpflicht ist regelmäßig dann anzunehmen, wenn der Schaden eingetreten ist, obwohl
der Arbeitsbescheinigung die offensichtliche Unrichtigkeit der dort gemachten Angaben ohne weiteres zu entnehmen
gewesen ist. Wägt man bei dieser Fallgestaltung das Maß der beiderseitigen Verursachung gegeneinander ab, so tritt
die von dem Aussteller herrührende Verursachung, auch wenn insoweit keine Unterbrechung des
Kausalzusammenhanges eintritt, ganz in den Hintergrund im Verhältnis zu der in der Sphäre der Bundesanstalt
liegenden Verursachung. In dem Augenblick, in dem die von dem Arbeitgeber gemachten Angaben von der
Bundesanstalt der Leistungsgewährung zugrunde gelegt worden, wird die entscheidende Ursache für den späteren
Schadenseintritt gesetzt. An dieser Stelle, an der die in der Bescheinigung enthaltenen Angaben erstmals überhaupt
eine praktische Bedeutung gewinnen, muß, zumal diese Angaben nur für die Bundesanstalt, nicht aber auch für den
Aussteller von Interesse sind, wenigstens eine Plausibilitätskontrolle ihrer Richtigkeit, eine Überprüfung auf
offensichtliche, aus der Bescheinigung selbst heraus ohne weiteres erkennbare Fehler erfolgen. Falls die betreffenden
Angaben unrichtig sind, wirkt sich diese Unrichtigkeit nämlich hier, und nur hier, aus, wenn es um die
Leistungsfestsetzung geht. Die Unterlassung einer solchen Überprüfung bzw. die Nichtbeanstandung –
möglicherweise nicht erkennbar – offensichtlicher Fehler in der Sphäre der Bundesanstalt begründet aber auch, wenn
man in zweiter Linie auf das Maß des beiderseitigen Verschuldens abstellt, regelmäßig einen so schwerwiegenden
Schuldvorwurf, daß demgegenüber eine nur leichte Fahrlässigkeit auf seiten des Ausstellers als rechtlich unerheblich
zurücktreten muß. Erst bei von dem Aussteller vorsätzlich oder wenigstens grobfahrlässig herbeigeführten unrichtigen
Angaben kommt – immer unterstellt, daß die Unrichtigkeit der Angaben evident ist – eine Schadensquotelung in
Betracht, wobei, entgegen der Ansicht des Gerichts erster Instanz, immer davon auszugehen ist, daß die Gerichte die
diesbezüglichen Abwägungen, da es sich insoweit nicht um Ermessensentscheidungen oder um Entscheidungen mit
einem gerichtlich nicht voll nachprüfbaren Beurteilungsspielraum handelt, selbst vornehmen können, so wie dies auch
in der ordentlichen Gerichtsbarkeit bei Anwendung des § 254 BGB geschieht.
Bei Anwendung dieser Grundsätze auf den vorliegenden Fall ergibt sich, daß die von der Klägerin am 14. Januar 1974
ausgestellte Arbeitsbescheinigung aus sich heraus offensichtlich bzw. evident unrichtig ist. Es liegt auf der Hand, daß
die Arbeitslose C. nicht einerseits in der Zeit vom 5. Februar 1973 bis 28. Februar 1973 als Montagearbeiterin für eine
Gesamtzahl von 150 Arbeitsstunden 882,85 DM und andererseits bei derselben ausgeübten Tätigkeit in der sich
anschließenden Zeit vom 1. März 1973 bis 24. März 1973 für eine Gesamtzahl von nur 136 Arbeitsstunden 1.668,05
DM verdienen konnte. Hier mußte sich jedem verständigen Adressaten der Bescheinigung bereits auf den ersten Blick
die Überzeugung aufdrängen, daß eine der beiden Verdienstangaben nicht richtig sein konnte. Die Unrichtigkeit der
Angaben war weiterhin auch insoweit offensichtlich, als für die Gesamtzahl von 286 Arbeitsstunden wiederum der
Betrag vom 1.668,05 DM genannt war. Das gleiche Arbeitsentgelt konnte nicht einerseits für 136, andererseits
gleichzeitig für 286 Arbeitsstunden erzielt worden sein. Diese offensichtlichen Unstimmigkeiten hätten den
betreffenden Sachbearbeiter der Beklagten veranlassen müssen, sich mit der Klägerin wegen einer entsprechenden
Klarstellung und Berichtigung in Verbindung zu setzen. Dies hat er jedoch nicht getan, sondern statt dessen nach
eigenem Gutdünken einer unrichtigen Gesamtbetrag von 2.550,90 DM errechnet und eingetragen, obwohl es weitaus
näher lag, den Betrag von 1.668,05 DM für den Monat März als den unrichtigen Betrag anzusehen. Bei alledem ist
auch der Vorwurf schuldhaften Verhaltens so offensichtlich begründet, daß im einzelnen dahinstehen kann, ob und in
welchem Umfang die angeführten rechtlichen Begründungen für das Entfallen des Schadensersatzanspruchs der
Beklagten ein Verschulden voraussetzen (vgl. insoweit aus Herstellungsanspruch insbesondere die zitierten Urteile
des BSG vom 9.5.1979, 4.9.1979 und 12.10.1979).
Anhaltspunkte für ein vorsätzliches oder auch nur grobfahrlässiges Verhalten der Klägerin bzw. ihrer als
Erfüllungsgehilfen tätig gewordenen Angestellten bestehen andererseits nicht. Bei der unrichtigen Angabe bezüglich
des Arbeitsentgelts für den Monat März 1973 handelt es sich, wie nach den Vorbringen der Klägerin zur Überzeugung
des Senats feststeht, um einen Übertragungsfehler, der nur, wenn auch insoweit unzweifelhaft, den Vorwurf leichter
Fahrlässigkeit zu rechtfertigen vermag. Der Vorwurf einer wenigstens groben Fahrlässigkeit wäre nur dann zu
vertreten gewesen, wenn die von der Klägerin genannten Zahlen als solche unrichtig gewesen wären. Der für den
Monat genannte Betrag war jedoch als solcher zutreffend; er gab das Gesamtarbeitseinkommen für 286
Arbeitsstunden richtig wieder. Insoweit wäre es auch nicht zu einer Überzahlung gekommen, wenn dieser in der Alg-
Verfügung vom 29. Januar 1974 zunächst richtig eingetragene Betrag nicht nachträglich im unzutreffender Weise
abgeändert worden wäre.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision hat der Senat zugelassen, weil er der Rechtssache grundsätzliche Bedeutung beigemessen hat (§ 160
Abs. 2 Nr. 1 SGG).