Urteil des LSG Hessen vom 02.04.2017

LSG Hes: witwenrente, rücknahme der klage, kov, psychiatrisches gutachten, verschärfter arrest, selbsttötung, zustand, bedingung, beleidigung, tod

Hessisches Landessozialgericht
Urteil vom 20.01.1971 (rechtskräftig)
Sozialgericht Darmstadt
Hessisches Landessozialgericht L 5 V 213/69
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Darmstadt vom 24. Januar 1969 wird zurückgewiesen.
Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
Tatbestand:
Die Klägerin ist die Witwe des 1908 geborenen und 1944 als Soldat infolge Selbstmordes durch Erhängen
verstorbenen P. D.
Im August 1948 hatte sie Antrag auf Waisenrente nach dem Körperbeschädigten-Leistungsgesetz (KBLG) für ihre
beiden minderjährigen Kinder gestellt, der durch Benachrichtigung vom 29. November 1948 abgelehnt worden war.
Darin ist ausgeführt worden, dass die absichtlich herbeigeführte Gesundheitsschädigung keinen Leistungsanspruch
begründe, weshalb dem Antrag auf Witwen- und Waisenrente nicht entsprochen werden könne. Das
Oberversicherungsamt D. hatte die dagegen eingelegte Berufung durch Urteil vom 14. Januar 1952 abgewiesen,
nachdem es eine Anzahl von Zeugen gehört und der Facharzt für Nerven- und Gemütsleiden Dr. G. zwei
Stellungnahmen abgegeben hatte. Am 3. Dezember 1957 hatte die Klägerin ihre Berufung gegen dieses Urteil vor dem
Hessischen Landessozialgericht zurückgenommen.
Zuvor hatte sie sich am 31. März 1953 an die Versorgungsbehörde gewandt und ihren früheren Antrag auf KB-
Witwenrente mit dem Hinweis wiederholt, dass es sich um einen Härtefall handele. Hierauf hatte das Versorgungsamt
D. den Bescheid vom 7. Oktober 1953 erlassen, der einmal auf die Rechtsverbindlichkeit des Bescheides vom 29.
November 1948 verwiesen und zum anderen den Kannbezug im Härteausgleich nach § 89 des
Bundesversorgungsgesetzes (BVG) versagt hatte. Nach Beendigung des Berufungsverfahrens vor dem Hess.
Landessozialgericht hatte die Klägerin die dagegen erhobene Klage vor dem Sozialgericht Darmstadt am 24. März
1958 zurückgenommen.
Am 6. August 1963 beantragte sie erneut Witwenrente nach dem BVG mit der Begründung der Selbstmord ihres
Ehemannes sei auf wehrdiensteigentümliche Verhältnisse zurückzuführen. Nach neuester Rechtsprechung, des
Bundessozialgerichts komme es nicht mehr auf die objektive Belastung, sondern die subjektive Belastbarkeit an.
Insoweit habe bereits Dr. G. seinerzeit erklärt gehabt, die wehrdiensteigentümlichen Verhältnisse hätten infolge
abnormer Reaktion zum Freitod geführt. Der Einwand der Bindung früherer Bescheide dürfe nicht erhoben werden, weil
der KBLG-Bescheid vom 29. November 1948 lediglich die Gewährung von Waisenrente abgelehnt und der BVG-
Bescheid vom 7. Oktober 1953 über die Ablehnung der Witwenrente unzutreffenderweise ohne sachliche Prüfung nur
unter Hinweis auf diese Entscheidung ergangen sei. Aus diesem falschen Verwaltungsakt könne keine
Bindungswirkung hinsichtlich des ursächlichen Zusammenhanges abgeleitet werden.
Hierauf wertete das Versorgungsamt die von der Klägerin für das erste Rechtsmittelverfahren eingereichten letzten
Briefe ihres Ehemannes vor seinem Tode aus, zog die bei der Deutschen Dienststelle vorhandenen Unterlagen über
ihn bei und forschte bei dem Bundesarchiv in K. und bei der Staatsanwaltschaft ohne Erfolg nach Kriegsberichts- oder
Strafakten. Alsdann erließ es am 8. Februar 1965 einen Bescheid über die Ablehnung eines Zugunstenbescheides
nach § 40 des Gesetzes über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung – VfG (KOV) –. Darin führte es
zur Begründung aus, der Bescheid vom 29. November 1948 sei auch hinsichtlich der Witwenrente ergangen. An der
Bindung dieses und des Bescheides vom 7. Oktober 1953 werde festgehalten, da keine neuen Tatsachen und
Beweismittel beigebracht worden seien.
Im Widerspruchsverfahren nahm das Landesversorgungsamt H. eine Prüfung des Falles unter Berücksichtigung des
BSG-Urteils vom 11. November 1959 (Az.: 11/9 RV-290/57) vor, das es nicht für anwendbar hielt. Es stellte fest, dass
der Ehemann der Klägerin, der von Beruf Landwirt gewesen war und im Jahre 1944 als Gefreiter bei einer
Flakabteilung im Rheinland Dienst getan hatte, die Bekannte eines Offiziers beim morgendlichen Herauskommen aus
dessen Unterkunft mit dem Wort "Offiziersmatratze” beleidigt habe, worauf er durch das Kriegsgericht wegen eines
Beleidigungsdelikts mit Arrest bestraft und zum Kanonier degradiert werden sei. Seine Selbsttötung, die er vor Antritt
der Strafe begangen habe, könne nur als Schädigungsfolge in Betracht kommen, wenn ein zurechenbarer freier Wille
zur Tatzeit gefehlt hätte und die Tat durch einen versorgungsrechtlichen Tatbestand verursacht worden wäre. Das
Beleidigungsdelikt sei aber weder auf die dem Wehrdienst eigentümlichen Verhältnisse zurückzuführen noch reiche
des Strafmass erheblich von den Verhältnissen des bürgerlichen Lebens ab. Überdies gehe aus den Briefen des
Ehemannes der Klägerin nicht hervor, dass nach der Verurteilung durch Zwangsmassnahme der militärischen
Vorgesetzten ein so starker Druck auf ihn ausgeübt worden sei, dass er dadurch in seiner Willensbestimmung
erheblich beeinträchtigt worden sei und sich deshalb das Leben genommen habe.
Dieser Auffassung zugrunde legend gab der Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. H. am 10. Juni 1965 eine
aktenmäßige Äußerung ab, welcher ORMR Dr. W. zustimmte. Dr. H. bejahte die Frage, ob zur Zeit der Suicidhandlung
die freie Willensbestimmung wesentlich beeinträchtigt gewesen sei. Da die Straftat und ihre Folgen aber nicht auf
wehrdiensteigentümliche Verhältnisse zurückzuführen sei, könne auch die daraus resultierende abnorme Reaktion des
Ehemannes der Klägerin nach Art einer reaktiven Depression bei entsprechender psychischer Veranlagung bzw.
Minderbelastbarkeit nicht als damit zusammenhängend angesehen werden.
Mit Widerspruchsbescheid vom 18. August 1965 wurde der angefochtene Bescheid nunmehr bestätigt, indem auf die
tatsächlichen und ärztlichen Feststellungen Bezug genommen wurde.
Im Klageverfahren vor dem Sozialgericht Darmstadt hat die Klägerin vorgetragen, es sei rechtlich nicht mehr
erheblich, ob den früheren Bescheiden Bindung auch in Bezug auf die Witwenrente zukomme, nachdem der Beklagte
auf ihren Antrag vom 6. August 1963 hin sachlich neu geprüft und dann entschieden habe. Sein Bescheid vom 9.
Februar 1965 sei deshalb in Wahrheit kein Zugunstenbescheid, weshalb das Sozialgericht uneingeschränkt sachlich
über ihn zu befinden habe. Abgesehen davon hätte der Beklagte prüfen müssen, ob die Voraussetzungen des § 40
Abs. 2 VfG (KOV) vorlägen, nachdem sie in ihrem Antrag auf die geänderte Rechtsprechung des
Bundessozialgerichts in Selbstmordfällen hingewiesen habe, die den Fall ihres Ehemannes decke. Auf die früheren
nunmehr überholten Stellungnahmen des Dr. G. dürfe nicht mehr abgestellt werden. Dr. H. sei zutreffend von einer
abnormen Reaktion nach Art einer reaktiven Depression ausgegangen, habe aber zu Unrecht unterstellt dass der
Freitod nicht mit wehrdiensteigentümlichen Verhältnissen in Zusammenhang gestanden habe. Insoweit sollte ein
abschließendes psychiatrisches Gutachten eingeholt werden.
Demgegenüber hat der Beklagte ausgeführt, über die Gewährung von Witwenrente sei bereits rechtskräftig
entschieden, weshalb nur die Voraussetzungen zur Erteilung eines Zugunstenbescheides hätten geprüft werden
können. Dass in diesem Rahmen Auskünfte und ärztliche Stellungnahmen eingeholt worden seien sei zulässig und
notwendig gewesen. Der Hinweis auf § 40 Abs. 2 VfG (KOV) gehe fehl, da sich die Rechtsprechung des
Bundessozialgerichts zu Suicidfällen nur bei bestimmten medizinischen Tatbeständen nicht aber bezüglich der hier
interessierenden Frage des ursächlichen Zusammenhanges geändert habe. Dr. H. Äußerung sei schlüssig und
zutreffend.
Mit Urteil vom 24. Januar 1969 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. In den Entscheidungsgründen hat es
ausgeführt, der Beklagte habe den Erlass eines Zugunstenbescheides zu Recht abgelehnt. Hier läge der Tatbestand
des § 40 Abs. 2 VfG (KOV) vor, weil nach am 24. März 1958 erfolgter Rücknahme der gegen die Versagung von
Witwenrente gerichtet gewesenen Klage ein für die Klägerin günstigeres Urteil des Bundessozialgerichts vom 11.
November 1959 ergangen sei.
Die dort entwickelten Grundsätze ergäben jedoch, dass der Freitod ihres Ehemannes nicht auf den Wehrdienst
zurückgeführt werden könne. Die über ihn verhängte Arreststrafe wegen Beleidigung wäre auch im Zivilleben in
entsprechender Weise ausgesprochen worden.
Gegen dieses Urteil, die der Klägerin am 21. Februar 1969 zugestellt worden ist, richtet sich ihre am 27. Februar 1969
beim Hessischen Landessozialgericht eingegangene Berufung. Zur Begründung verweist sie erneut auf die
einschlägige Entscheidung des Bundessozialgerichts, wonach es in einem Falle der Selbsttötung nicht auf die
objektive Belastung, sondern auf die subjektive Belastbarkeit ankomme. So betrachtet sei der Freitod ihres
Ehemannes Schädigungsfolge, weil die bei ihm vorhanden gewesene Depression aus dienstlichen Vorfällen heraus
entstanden sei.
Die Klägerin beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Darmstadt vom 24. Januar 1969 aufzuheben und den Beklagten
unter Aufhebung des Bescheides vom 9. Februar 1965 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. August
1965 zu verurteilen, Hinterbliebenenrente ab Antragstellung zu gewähren.
Der Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend und weist darauf hin, dass ein Ermessensfehlgebrauch nicht vorliege.
Die Witwenakten des Versorgungsamts D. mit der Archiv-Nr. sowie die Akten des Oberversicherungsamtes D. (Pr. L.
Nr. ) und die Akten des Sozialgerichts Darmstadt (Az.: Vers. ) haben vorgelegen. Auf ihren Inhalt und des der
Nr. ) und die Akten des Sozialgerichts Darmstadt (Az.: Vers. ) haben vorgelegen. Auf ihren Inhalt und des der
Gerichtsakten beider Instanzen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung war, wird Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin ist nach § 143 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässig, aber
unbegründet.
Der Entscheidung des Sozialgerichts vom 24. Januar 1969 konnte im Ergebnis beigetreten werden.
Hinterbliebenenrente könnte die Klägerin nur erhalten, wenn der Tod ihres Ehemannes ursächlich auf den Wehrdienst
und seine Eigentümlichkeiten zurückgeführt werden könnte (§ 38 i.V.m. § 1 BVG). An diesen Voraussetzungen fehlt
es hier.
Zunächst ist in rechtlicher Hinsicht darauf hinzuweisen, dass die früheren ablehnenden und bindenden Bescheide vom
29. November 1948 und 7. Oktober 1953 über die Witwenrente entschieden haben. Das folgt einmal schon aus dem
Wortlaut des Bescheides vom 29. November 1948. Im letzten Satz der seinerzeitigen Berufungsbegründung vom 16.
Dezember 1948 hat die Klägerin zudem selbst Witwenrente begehrt. Der Tenor des Berufungsurteils des
Oberversicherungsamtes D. vom 14. Januar 1952 bezieht sich eindeutig auf den Bescheid vom 29. November 1948
und bestätigt damit auch die Ablehnung der Witwenrente. Im anschließenden Verfahren vor dem Hess.
Landessozialgericht hat die Klägerin Aufhebung des Oberversicherungsamts-Urteils begehrt und damit Aufhebung des
die Witwenrente versagenden Bescheides vom 29. November 1948. Der 7. Senat des Hess. Landessozialgerichts hat
zutreffend angenommen, dass auch die Witwenrente in Streit stehe, wie sich aus dem Protokoll vom 3. Dezember
1957 ergibt. Davon abgesehen hat die Klägerin im Schriftsatz vom 20. Mai 1954 erneut Hinterbliebenenentschädigung
begehrt. Zutreffend hat deshalb der Bescheid vom 7. Oktober 1953 auf die Bindung des früheren Verwaltungsaktes
vom 29. November 1948 verwiesen und zusätzlich noch eine Härteversorgung abgelehnt. Dieser Bescheid ist nach
Rücknahme der Klage ebenfalls bindend geworden.
Bei dieser Sachlage kann der Antrag vom 6. August 1963 nur als solcher auf die Erteilung eines
Zugunstenbescheides gewertet werden, zumal die Klägerin auch auf die neue Rechtsprechung des BSG in
Selbstmordfällen verwiesen hat. Damit begehrt sie einen Zugunstenbescheid nach § 40 Abs. 2 VfG (KOV).
Demzufolge mußte der Beklagte vor Bescheidung des Antrags Ermittlungen unter Beachtung des BSG-Urteils vom
11. November 1959, Breith. 60/148, durchführen. Zu Recht hat er verneint, dass hier ein Fall des § 40 Abs. 2 VfG
(KOV) vorliegt. Auch das Sozialgericht hat letztlich die Voraussetzungen des § 40 Abs. 2 VfG (KOV) verneint, wenn
dieses auch eingangs der Entscheidungsgründe in widersprüchlicher Weise das Vorliegen der Voraussetzungen des §
40 Abs. 2 VfG (KOV) angenommen hat. Bei richtiger Würdigung der Entscheidungsgründe wollte es damit aber nur
zum Ausdruck bringen, dass der Fall unter dem Gesichtspunkt des § 40 Abs. 2 VfG (KOV) zu überprüfen sei.
Hierzu ist festzustellen, dass die Rechtsprechung des BSG sich in Selbsttötungsfällen nicht im Sinne der in der KOV
geltenden Kausalitätslehre der wesentlichen Bedingung gewandelt hat. Auch in diesen Fällen ist und war immer schon
zu fragen und zu entscheiden, ob die Selbsttötung in einem Zustand des Ausschlusses der freien Willensbestimmung
verübt worden ist. Weiter wurde verlangt, dass dieser Zustand durch wehrdiensteigentümliche Verhältnisse
herbeigeführt worden sein müsse. Hieran hat sich durch die Entscheidung des BSG vom 11. November 1959 nichts
geändert, weil auch diese an der Voraussetzung festhält, dass ein wehrdienstbedingter Einfluss auf die freie
Willensbestimmung als Ausgangspunkt der Kausalreihe vorhanden sein muss. Bezogen auf den vorliegenden Fall ist
aber schon zweifelhaft, ob die Tat in einem Zustand des Ausschlusses der freien Willensbestimmung verübt wurde.
Aus den bei den Akten befindlichen Briefen des Verstorbenen geht hervor, dass er sich mindestens schon Wochen
vor dem Tod mit dem Gedanken beschäftigte, freiwillig aus dem Leben zu scheiden. Damit muss offen bleiben ob er
bei Begehung der Tat sich überhaupt in einem Zustand des Ausschlusses der freien Willensbestimmung befunden
hat. Wäre es so gewesen und hätte er die Tat bewusst freiwillig verübt, würde schon aus diesen Gründen ein
wehrdienstbedingter Tatbestand entfallen.
Selbst wenn man aber mit Dr. H. davon ausgeht, dass im Zeitpunkt des Todes die freie Willensbestimmung
wesentlich beeinträchtigt war, so war sie es jedenfalls nicht durch Umstände, die dem Wehrdienst eigentümlich sind.
Nur für solche Fälle gilt aber die Rechtsprechung des BSG, wie unschwer aus der Entscheidung vom 1. November
1959 entnommen werden kann. Denn die Entscheidung stellt zwar auf die subjektive Belastbarkeit ab, aber nur unter
der Voraussetzung, dass ein wehrdienstbedingter Einfluss (Schädigung) auf die Geistestätigkeit insbesondere die
freie Willensbestimmung, stattgefunden hat. Es bleibt deshalb bei Anwendung der Entscheidung immer zu prüfen, ob
die Selbsttötung auf wehrdiensteigentümlichen Verhältnissen beruht, d.h. ob diese die wesentliche Bedingung für den
Tod darstellen. Das haben der Beklagte und das Sozialgericht zutreffend verneint. Wehrdiensteigentümlich war die
Straftat nicht. Eine entsprechende Beleidigung im Zivilleben war ebenfalls mit Strafe bedroht. Es ist auch nicht
ersichtlich, dass die Umstände des Wehrdienstes den Ehemann der Klägerin zu der Beleidigung getrieben hätten. Sie
ist infolge dessen nur gelegentlich des Wehrdienstes geschehen, aber nicht durch ihn verursacht worden. Furcht vor
Strafe hätte der Verstorbene auch im Zivilleben haben müssen. Davon abgesehen sind aber 4 Wochen verschärfter
Arrest keine besonders harte Strafe, jedenfalls keine unverhältnismäßig hohe. Während des Krieges wurden alle
strafrechtlichen Delikte ganz allgemein schärfer geahndet. Hätte der Ehemann der Klägerin als Zivilist eine
Offiziersfreundin beleidigt, wäre ihm kaum eine mildere Bestrafung zu Teil geworden. Hinzu kam vorliegend zwar noch
die Furcht vor einer Versetzung an die Front. Ob eine solche überhaupt ausgesprochen worden ist, ist
unwahrscheinlich, weil der Verstorbene in seinen letzten Briefen eine solche überhaupt nicht erwähnt hat. Im übrigen
muss jeder Soldat im Kriege mit einer Versetzung an die Front rechnen. Davon abgesehen, wären aber auch hier die
wehrdienstbedingten Umstände so zurückgetreten, dass sie als Ursache der Selbsttötung ausscheiden müssten.
Entscheidend für eine evtl. Versetzung an die Front war bei verständiger Würdigung aller Umstände nicht der
Wehrdienst, sondern das eigene Verhalten des Ehemannes der Klägerin, dem allein hier die Bedeutung der
wesentlichen Bedingung für die Selbsttötung zukommt. Das gleiche gilt für die Furcht vor Schande und die Folgen der
Degradierung vom Gefreiten zum Kanonier. Alle diese Einflüsse beruhen letztlich auf der vom Wehrdienst
unabhängigen Straftat, die in den Verantwortungsbereich des Ehemannes der Klägerin fällt. Hinter dem eigenen
Verhalten des Verstorbenen treten die wehrdienstbedingten Umstände so zurück, dass sie als wesentliche Bedingung
für die Selbsttötung ausscheiden.
Bei diesem Sachverhalt hat das Sozialgericht das Vorliegen der Voraussetzungen des § 40 Abs. 2 VfG (KOV) zu
Recht verneint.
Demzufolge hätte es nunmehr prüfen müssen, ob der ablehnende Zugunstenbescheid des Beklagten
ermessensfehlerhaft war oder nicht. Nach dem Dargelegten ist ein Ermessensfehler des Beklagten nicht zu erkennen.
Selbst wenn man aber mit der Klägerin annehmen wollte, dass eine sachliche Neuprüfung vorliegt, weil der Beklagte
im Widerspruchsbescheid vom 18. August 1965 nicht mehr ausdrücklich auf die Bindung der früheren Bescheide
Bezug genommen hat, wäre die Rechtslage keine andere. Denn aus den dargelegten Gründen fehlt es am Nachweis
einer wehrdienstbedingten Einwirkung auf die freie Willensbestimmung, sofern man überhaupt deren Ausschluss hier
unterstellen will. Auch bei sachlicher Nachprüfung konnte im Hinblick auf die vorliegenden Unterlagen, insbesondere
die Briefe des Verstorbenen und die eingeholte Stellungnahme des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. H.,
ein Ausschluss der freien Willensbestimmung durch Umstände, die dem Wehrdienst eigentümlich sind, nicht
angenommen werden.
Damit konnte dem angefochtenen Urteil im Ergebnis beigetreten werden und die Berufung war mit der sich aus § 193
SGG ergebenden Kostenfolge als unbegründet zurückzuweisen.