Urteil des LSG Hessen vom 02.04.2017

LSG Hes: stationäre behandlung, verschlechterung des gesundheitszustandes, versorgung, medikamentöse behandlung, wahrscheinlichkeit, anerkennung, geschwulst, klinik, entstehung, einwirkung

Hessisches Landessozialgericht
Urteil vom 26.03.1975 (rechtskräftig)
Sozialgericht Darmstadt
Hessisches Landessozialgericht L 5 V 1193/73
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Darmstadt vom 16. Oktober 1973 wird zurückgewiesen.
Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Bei dem 1922 geborenen Kläger sind mit Umanerkennungsbescheid vom 9. Januar 1952 als Schädigungsfolgen
anerkannt:
"Verlust des linken Unterarmes, abgesetzt ca. in der Mitte als Folge einer Verletzung am Kleinfinger und
hinzugetretener fortschreitender Gewebseiterung”.
Dafür wird ihm eine Beschädigungsrente nach einem Grade der Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 50 v.H.
gewährt.
Der von dem Kläger am 5. Dezember 1963 gestellte Antrag, als weitere Schädigungsfolge einen
Bandscheibenschaden anzuerkennen, ist nach der Begutachtung durch Dres. H. und W. mit Bescheid vom 30. Juni
1965 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. September 1965 abgelehnt worden, da eine wesentliche
Änderung im Sinne der Verschlimmerung in den maßgebend gewesenen Verhältnissen nicht eingetreten sei. Die
Rückenbeschwerden seien durch die angeborene Verkürzung des linken Beines verursacht.
Nachdem bei dem Kläger im Jahre 1969 im H.-J.-Krankenhaus F. die Amputation der rechten Brustdrüse wegen eines
Brustdrüsencarcinoms durchgeführt worden war, stellte er am 31. März 1969 Antrag, diese Gesundheitsstörung als
weitere Schädigungsfolge festzustellen. Er verwies dazu auf die ärztliche Bescheinigung der Medizinischen Klinik der
Städt. Kliniken D. vom 12. März 1969.
Unter Auswertung des Krankenblattes über die stationäre Behandlung vom 4. Februar bis 6. März 1969 vertrat der
Facharzt für Chirurgie Dr. He. in der fachchirurgischen Äußerung vom 25. August 1969 die Ansicht, die Entstehung
einer bösartigen Geschwulst beruhe auf hormonalbedingten Umbauvorgängen in der Brustdrüse, in der wahrscheinlich
eine bereits vorhandene Zellgruppe plötzlich vital und bösartig geworden sei. Ein Zusammenhang dieses maligne
gewordenen Zellwachstums mit den Verwundungsfolgen und den übrigen Belastungen des Wehrdienstes sei
abzulehnen.
Oberregierungsmedizinalrätin Dr. S. stimmte am 16. Oktober 1969 dieser Äußerung zu und meinte weiterhin, die
Voraussetzungen einer Kannversorgung nach § 1 Abs. 3 Satz 2 Bundesversorgungsgesetz (BVG) seien nicht erfüllt.
Es bestehe weder ein Anhalt für eine Einwirkung carcinogener Substanzen noch für eine mindestens fünfjährige
schädigungsbedingte Entzündung am Orte der Krebsentstehung. Es sei nach ärztlichen Erfahrungen
unwahrscheinlich, daß äußere im Wehrdienst gelegene Schädigungen ein Mammacarcinom auszulösen in der Lage
seien.
Mit Bescheid vom 3. November 1969 ist der Antrag abgelehnt worden, da eine Änderung oder Verschlimmerung der
anerkannten Schädigungsfolgen nicht eingetreten sei. Eine Anerkennung des Zustandes nach
Brustdrüsenkrebsoperation als Schädigungsfolge im Sinne des § 1 Abs. 3 Satz 1 BVG sei nicht möglich. Sie könne
auch nicht nach § 1 Abs. 3 Satz 2 BVG erfolgen, da eine ursächliche oder zeitliche Verbindung mit der im Wehrdienst
zugezogenen Schädigung nicht zu bejahen sei.
Der nach Anhörung des Oberregierungsmedizinalrates Dr. W. erteilte Widerspruchsbescheid vom 29. Januar 1970
führte noch aus, ein ursächlicher Zusammenhang der Brustdrüsenkrebserkrankung mit den Verwundungsfolgen und
den übrigen Belastungen des Wehrdienstes bestehe nicht. Auch die Voraussetzungen zur Gewährung von Versorgung
als Kannleistung nach § 1 Abs. 3 Satz 2 BVG seien nicht gegeben. Die hormonabhängige Krebserkrankung sei nicht
durch die Einflüsse des Wehrdienstes oder die Verwundungsfolgen herbeigeführt worden.
In dem Klageverfahren vor dem Sozialgericht Darmstadt hat der Kläger vorgetragen, durch den Verlust des linken
Armes hätte er bei seiner beruflichen Tätigkeit, bei der er oft eine Bohrmaschine zu benutzen gehabt habe,
ungewöhnlich viele Traumen an der rechten Brustseite gesetzt. Dadurch sei das Carcinom entstanden und als
mittelbare Schädigungsfolge anzuerkennen. Entzündliche Prozesse und Abzesse hätten vor der Operation nicht
vorgelegen. Hinsichtlich der Anerkennung des Bandscheibenschadens als Schädigungsfolge werde die Erteilung eines
Zugunstenbescheides beantragt.
Dazu hat der Beklagte ausgeführt, bei der versorgungsärztlichen Prüfung des medizinischen Sachverhalts hätten die
Krankenunterlagen über die stationäre Behandlung des Klägers in der Zeit vom 4. Februar bis 6. März 1969 in der
Medizinischen Klinik der Städtischen Kliniken in D. vorgelegen. Einer weiteren Untersuchung und Begutachtung
bedürfe es nicht.
Das Sozialgericht hat Beweis erhoben und hat von Prof. Dr. W. auf Veranlassung des Klägers das Gutachten vom 13.
November 1972 mit der Ergänzung vom 12. Juli 1973 gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) eingeholt. Er hat
darin die Meinung vertreten, daß eine Anerkennung eines ursächlichen Zusammenhangs zwischen
Geschwulstentstehung und traumatischer Gewebsschädigung nicht möglich sei. Die Krebsgeschwulst sei nicht am
Ort der Schädigung, an dem linken Arm, entstanden, sondern in der Brustdrüse der rechten Seite, die zuvor keiner
Schädigung ausgesetzt war. Die im Jahre 1942 durchgemachte Unterarmphlegmone könne nach ärztlicher Erfahrung
unmöglich die Entstehung der 26 Jahre später aufgetretenen bösartigen Brustdrüsengeschwulst begünstigt haben. Bei
dem Kläger handele es sich hinsichtlich der Benutzung der Bohrmaschine nur um unblutige Stoßtraumen, die als
Ursache eines Mammacarcinoms wissenschaftlich nicht ernsthaft diskutiert werden könnten.
Mit Urteil vom 16. Oktober 1973 ist die Klage abgewiesen worden, da sowohl ein ursächlicher als auch ein mittelbar
ursächlicher Zusammenhang zwischen der anerkannten Schädigungsfolge und dem Zustand nach Carcinomleiden
nicht zu bejahen sei. Das habe besonders das Gutachten des Prof. Dr. W. aufgezeigt. Die vom Gesetz verlangte
Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs lasse sich nicht feststellen. Eine Versorgung als Kannleistung
komme ebenfalls nicht in Frage, da über mindestens 5 Jahre keine chronische Entzündung der rechten Brustseite
bestanden und das Krebsleiden sich nicht in dem Gebiet dieser Entzündung entwickelt habe.
Gegen das dem Kläger am 16. November 1973 zugestellte Urteil hat er am 12. Dezember 1973 Berufung zur
Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle des Sozialgerichts Darmstadt eingelegt. Zur Begründung führt
er unter Hinweis auf die ärztliche Bescheinigung des Dr. W. vom 16. November 1973 aus, bereits Anfang August 1968
wäre eine Krebsgeschwulst in der Brustdrüse der rechten Seite vorhanden gewesen. Anlaß und Ursache für diese
Geschwulst sei die Tatsache, daß er wegen Verlustes des linken Armes beim berufsbedingten Bohren den Bohrer
jedesmal an die Brust habe setzen müssen. Damit sei der ursächliche Zusammenhang zwischen
Geschwulstentstehung und traumatischer Gewebsbeschädigung bewiesen. Darüber hinaus verlange er auch höhere
Beschädigtenrente wegen eines Bandscheibenvorfalls.
Der Kläger beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Darmstadt vom 16. Oktober 1973 aufzuheben und den Beklagten
unter Aufhebung des Bescheides vom 5. November 1969 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. Januar
1970 zu verurteilen, wegen der weiteren Schädigungsfolge "Zustand nach Brustdrüsenkrebsoperation” eine höhere
Beschädigtenrente zu gewähren, hilfsweise, weiteren Beweis zu erheben durch Einholung eines weiteren Gutachtens
von Amts wegen.
Der Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend und führt mit Medizinaldirektor Dr. P. aus, die pendelnden Fibrome in der
rechten Achselhöhle, die klinisch gutartig gewesen und in örtlicher Betäubung entfernt worden seien, stünden in
keinem Zusammenhang mit den Schädigungsfolgen. Wegen der Gutartigkeit sei auch ein solcher nicht mit dem
Mammacarcinom Steinthal II einschließlich der Lymphknotenmetastasen in der rechten Achselhöhle zu bejahen.
Insoweit sei auf den Befundbericht der Städtischen Klinik D. zu verweisen, wo ein Fibrolipom ohne
Malignitätsverdacht beschrieben werde. Prof. Dr. W. habe eindeutig dargelegt, daß keine der Voraussetzungen erfüllt
seien, welche die Anerkennung eines ursächlichen Zusammenhangs zwischen Geschwulstentstehung und
traumatischer Gewebsschädigung gestatteten. Über den Bandscheibenvorfall sei bereits durch die Bescheide vom 30.
Juni 1965 und Widerspruchsbescheid vom 28. September 1965 bindend negativ entschieden worden. Eine erneute
Entscheidung könne nur in einem gesonderten Verwaltungsverfahren nach § 40 VerwVG erfolgen.
Die Versorgungsakten mit der Grundlisten-Nr. xxxxx haben vorgelegen. Auf ihren Inhalt und den der Gerichtsakte
beider Rechtszüge, der auszugsweise in der mündlichen Verhandlung vorgetragen worden ist, wird zur Ergänzung des
Tatbestandes Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist zulässig; sie ist insbesondere frist- und formgerecht eingelegt worden (§§ 143, 148 Nr. 3, 150 Nr. 3,
151 Abs. 2 SGG). Sie ist jedoch unbegründet.
Der Bescheid vom 3. November 1969, der in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. Januar 1970
Gegenstand der Klage geworden ist (§ 95 SGG), ist zu Recht ergangen. Der Kläger hat weder einen Rechtsanspruch
auf Versorgung noch kommt die Gewährung einer Kannversorgung in Betracht. Als Rechtsgrundlage kommen einmal
§ 1 i.V.m. §§ 1 Abs. 3 Satz 1, 62 Abs. 1 BVG und zum anderen § 1 Abs. 3 Satz 2 BVG in Frage. Hiernach hat
derjenige, der durch eine militärische Dienstverrichtung oder durch die dem militärischen Dienst eigentümlichen
Verhältnisse eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen der
Schädigung Anspruch auf Versorgung. Zur Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Schädigungsfolge genügt die
Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs. Nach § 62 Abs. 1 BVG ist ein Anspruch auf Versorgung neu
festzustellen, wenn in den Verhältnissen, die für seine Feststellung maßgebend gewesen sind, eine wesentliche
Änderung eintritt. Wenn die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs nicht gegeben ist, da über die
Ursache des festgestellten Leidens in der medizinischen Wissenschaft Ungewißheit besteht, kann weiterhin mit
Zustimmung des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung Versorgung in gleicher Weise wie für
Schädigungsfolgen gewährt werden (§ 1 Abs. 3 Satz 2 BVG).
Was die Versorgung aufgrund des Rechtsanspruchs angeht, so liegt eine Wahrscheinlichkeit im Sinne der im
Versorgungsrecht geltenden Kausalitätsnorm nicht vor. Denn bei dem Carcinom, das bei dem Kläger am 16. Januar
1969 zur Amputation der rechten Mamma geführt hat, besteht in der medizinischen Wissenschaft noch Ungewißheit
über die Entstehungsursache bösartiger Geschwülste. Da sie ungewiß ist, kann sie nicht mit der erforderlichen
Wahrscheinlichkeit auf Einwirkungen des Kriegsdienstes oder der anerkannten Schädigungsfolgen zurückgeführt
werden. Nach den Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im Versorgungswesen kann der ursächliche
Zusammenhang zwischen einem Trauma und einem bösartigen Tumor nur dann wahrscheinlich sein, wenn die
Gewalteinwirkung diejenige Körperstelle unmittelbar oder mittelbar betroffen hat, an welcher sich später der Tumor
entwickelt hat oder wenn die Gewalteinwirkung derartig beschaffen gewesen ist, daß sie länger dauernde und
eingreifende Gewebs- und Stoffwechselstörungen in dem betreffenden Gebiet hervorgerufen hat. Dabei müssen der
Zeitraum der Gewalteinwirkung und die erste auf eine Geschwulstbildung zu beziehende Erscheinung aufeinander in
Einklang stehen. Das bedeutet, daß zwischen der Gewalteinwirkung und der Geschwulstbildung nachweisbare
Übergänge bestehen müssen.
Diese Voraussetzungen hat der medizinische Sachverständige Prof. Dr. W. der auf Veranlassung des Klägers gemäß
§ 109 SGG gehört worden ist, nicht bejaht. Er sah sich nicht in der Lage, mit der vom Gesetz geforderten
Wahrscheinlichkeit die Erkrankung des Klägers im Jahre 1969 auf seine Verwundung im Jahre 1943 zu beziehen.
Insoweit befindet er sich in Übereinstimmung mit den medizinischen Äußerungen der Dres. H., S. und P. Prof. Dr. W.
hat in seinem Gutachten vom 13. November 1972 weiter zum Ausdruck gebracht, daß ein unmittelbarer oder
mittelbarer ursächlicher Zusammenhang zwischen der anerkannten Schädigung durch Verlust des linken Armes und
dem Krebs der rechten Brustseite wissenschaftlich nicht begründet werden könne. Dazu verweist er in seiner
Begründung besonders darauf, daß die Krebsgeschwulst nicht am Ort der Schädigung, nämlich dem linken Arm,
entstanden ist, sondern in der Brustdrüse der rechten Seite, die zuvor keiner Schädigung ausgesetzt war. Er hat
weiterhin geprüft, ob die Schädigung durch den Verlust des linken Armes eine medikamentöse Behandlung derart
nötig gemacht hat, daß dadurch ein Wachstumsreiz auf die rechte Brustseite hätte ausgeübt werden können. Auch für
einen derartigen Zusammenhang ergaben die in den Akten enthaltenen Fakten nichts. Sie sprachen gleichfalls nicht
dafür, daß die im Jahre 1943 durchgemachte Unterarmphlegmone die Entstehung der 1969 entfernten bösartigen
Brustdrüsengeschwulst begünstigt hat. Schließlich steht der Annahme eines derartigen Zusammenhangs auch die
ärztliche Erfahrung entgegen, nach der es unmöglich ist, daß sich 26 Jahre nach dem schädigenden Ereignis noch
eine Geschwulst entwickeln kann.
Ist damit der ursächliche Zusammenhang zwischen der Schädigungsfolge und der 1969 aufgetretenen Erkrankung zu
verneinen, so gilt das auch hinsichtlich der vom Kläger später in das Feld geführten neuen Behauptung. Danach soll
Anlaß und Ursache für die Entstehung der Geschwulst das mit Hilfe der rechten Brustseite durchgeführte elektrische
Bohren gewesen sein. Auch dieser Frage ist Prof. Dr. W. in dem Ergänzungsgutachten vom 12. Juli 1973
nachgegangen und hat zutreffend ausgeführt, daß die vom Kläger geltend gemachten Stoßtraumen als Ursache eines
Mammacarcinoms wissenschaftlich nicht ernsthaft diskutiert werden könnten. Diese Meinung stützte er auf die
wissenschaftliche Literatur, nach der als Ursache einer Geschwulstentstehung ein Trauma mit Gewebszerstörung
verlangt werden müsse. Weiterhin müsse sich die Heilung des traumatischen Gewebsdefektes infolge infektiös-
entzündlicher Prozesse über lange Zeit hingezogen haben. All das trifft bei dem Kläger nicht zu. Zwar hat der
Facharzt für Chirurgie Dr. W. am 2. August 1963 sieben pendelnde Fibrome in der rechten Achselhöhle entfernt. Wenn
der Kläger unter Hinweis auf diese Tatsachen die verlangten Brückensymptome nachweisen will, so muß er sich
entgegenhalten lassen, daß diese Fibrome gutartig waren und in keinem Zusammenhang mit den Schädigungsfolgen
oder mit dem Mammacarcinom stehen. Darauf hat zu Recht Medizinaldirektor Dr. P. hingewiesen. Diese Meinung
steht auch im Einklang mit dem Befundbericht der Städtischen Kliniken D., wo ein Fibrolipom ohne
Malignitätsverdacht festgestellt worden ist. Daß die pendelnden Fibrome und der Knoten in der rechten Brust Folgen
des berufsbedingten Bohrens sind, hat keiner der gehörten medizinischen Sachverständigen oder Gutachter bestätigt.
Das gilt auch für Dr. W.
Bei diesem eindeutigen Sachverhalt bedurfte es nicht der Einholung eines weiteren Gutachtens, zumal sich zu der
Frage der Krebsentstehung Prof. Dr. W. eingehend geäußert hat. Die Tatsache, daß vor der Operation im Jahre 1969
Fibrome in der rechten Achselhöhle bestanden haben, war dem medizinischen Sachverständigen durch die
Auswertung der Krankenunterlagen der Medizinischen Klinik der Städtischen Kliniken D. bekannt. Gleichfalls die
Tatsache, daß es vor der Operation nicht zu Gewebsdefekten gekommen ist. Damit kommt als Anspruchsgrundlage
der § 1 Abs. 3 Satz 1 BVG nicht in Betracht.
Entfällt die Anspruchsgrundlage des § 1 Abs. 1 i.V.m. § 1 Abs. 3 Satz 1 BVG, so ist auch § 62 Abs. 1 BVG nicht
einschlägig. Denn eine wesentliche Änderung in den Verhältnissen, die für die Feststellung des Anspruchs auf
Versorgung maßgebend gewesen sind, ist nicht eingetreten. Eine solche liegt nur dann vor, wenn sich das durch die
Einflüsse des Kriegsdienstes entstandene Leiden verschlimmert hat. Die Gutachten der Dres. H., S. und W. haben
widerspruchsfrei und überzeugend aufgezeigt, daß die Verschlechterung des Gesundheitszustandes des Klägers
durch die Brustdrüsenkrebsoperation und damit durch ein Nichtschädigungsleiden verursacht worden ist. Eine
schädigungsbedingte Änderung in den der Rentengewährung zugrunde liegenden Verhältnissen ist damit nicht
nachzuweisen. Es ist deshalb nicht möglich, den Grad der MdE über einen Gradsatz von 50 v.H., wie er im übrigen
den Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im Versorgungswesen entspricht, zu erhöhen.
Eine Kannversorgung gemäß § 1 Abs. 3 Satz 2 BVG kommt ebenfalls nicht in Betracht. Das hat der Beklagte ohne
erkennbaren Ermessensfehler festgestellt. Seine Ablehnung hält sich im Rahmen des Rundschreibens des
Bundesarbeitsministers vom 16. Juni 1969 (BVBl. 1969, 70). Danach sind die Voraussetzungen für eine Versorgung
nach § 1 Abs. 3 Satz 2 BVG nur dann gegeben, wenn das allgemeine Krebsrisiko durch Tatbestände des § 1 BVG
individuell erheblich erhöht worden ist. Das trifft bei Personen zu, die durch dienstliche Verhältnisse in vermehrtem
Maße der Einwirkung bekannter carcinogener Substanzen ausgesetzt waren, wobei aber die Exposition nicht so
massiv war, daß man die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs annehmen könnte, andererseits aber
auch nicht so gering war, daß man dieser Exposition im Verhältnis zu der Menge der im täglichen Leben
aufgenommenen gleichartig wirkenden carcinogenen Substanzen keine wesentliche Bedeutung zumessen könnte.
Gleiches gilt nach dem Rundschreiben auch bei Personen mit chronischen Entzündungen, die mit schädigenden
Einwirkungen in ursächlichem Zusammenhang stehen, sofern die chronische Entzündung über mindestens 5 Jahre
bestanden und der Krebs sich in dem Gebiet der chronischen Entzündung entwickelt hat.
Vorliegend sind diese Voraussetzungen nicht gegeben, wie Prof. Dr. W. das überzeugend in seinem Gutachten
dargestellt hat. Denn es ist weder ein Anhalt für eine Einwirkung carcinogener Substanzen noch für eine mindestens
5jährige schädigungsbedingte Entzündung am Orte der Krebsentstehung der Brustdrüse gegeben. Zu Recht wird
insoweit von Oberregierungsmedizinalrätin Dr. S. auf das Krebsgrundsatzgutachten von Prof. Dr. B. (in der
Schriftenreihe des Bundesversorgungsblattes als Heft 2 erschienen) verwiesen. Danach kommt eine Kannversorgung
bei dem hormonabhängigen Brustkrebs deshalb nicht in Frage, weil es nach den ärztlichen Erfahrungen in den beiden
Weltkriegen von vornherein unwahrscheinlich ist, daß äußere im Wehrdienst gelegene Schädigungen ein
Mammacarcinom verursachen können. Das gilt gleichfalls von den vom Kläger geltend gemachten Stoßtraumen,
worauf Prof. Dr. W. in seinem Ergänzungsgutachten vom 12. Juli 1973 hingewiesen hat. Er hat unter Beachtung der
wissenschaftlichen Lehrmeinung seinen Standpunkt dahin zusammengefaßt, daß eine derartige Ursache eines
Mammacarcinoms wissenschaftlich nicht ernsthaft diskutiert werden könne. Im Hinblick hierauf kann dahingestellt
bleiben, ob das Arbeiten Einarmiger mit einem elektrischen Bohrer nicht überhaupt gegen die einschlägigen
Unfallvorschriften verstößt und deshalb dem eigenverantwortlichen Gefahrenkreis zugerechnet werden muß.
Zu Recht ist daher mit Bescheid vom 3. November 1969 und Widerspruchsbescheid vom 29. Januar 1970 die
Gewährung einer Kannleistung abgelehnt worden. Ein Ermessensfehler ist nicht ersichtlich, weil sich die
Versorgungsbehörde auf sachgemäße Erwägungen stützt.
Der Senat hatte ebenso wie das Sozialgericht nicht darüber zu befinden, ob der Bandscheibenschaden des Klägers
eine weitere Schädigungsfolge ist. Zwar hat sich der Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht am
16. Oktober 1973 einen derartigen Antrag vorbehalten. Damit stand sein Begehren nicht zur Entscheidung an. Diese
wäre dem Sozialgericht auch nicht möglich gewesen, weil wegen des rechtsverbindlich gewordenen Bescheides vom
30. Juni 1965 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. September 1965 ein gesondertes
Verwaltungsverfahren nach § 40 VerwVG vorausgehen muß. Das steht noch aus, so daß auch der Senat nicht über
das mit Schriftsatz vom 18. März 1974 geltend gemachte Begehren entscheiden konnte.
Der Berufung war daher der Erfolg zu versagen.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG.
Die Revision war gemäß § 160 Abs. 2 SGG nicht zuzulassen, da der Senat nicht über eine Rechtssache von
grundsätzlicher Bedeutung zu entscheiden hatte und auch das Urteil nicht von einer Entscheidung des
Bundessozialgerichts oder des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes abweicht.