Urteil des LSG Hessen vom 14.12.2005

LSG Hes: hessen, vertragsarzt, verwaltungsverfahren, altersgrenze, anschrift, verzicht, einkünfte, härtefall, beratungspflicht, sozialstaatsprinzip

Hessisches Landessozialgericht
Urteil vom 14.12.2005 (rechtskräftig)
Sozialgericht Frankfurt S 5/27 KA 668/04
Hessisches Landessozialgericht L 4 KA 41/05
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 14. September 2005 wird
zurückgewiesen.
Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Der Streitwert wird auf 5.000,00 EUR festgesetzt.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um den Beginn der Teilnahme des Klägers an der erweiterten Honorarverteilung nach den von
der Beklagten hierzu verabschiedeten Grundsätzen für den Zeitraum vom 1. Mai 2000 bis zum 28. Februar 2003.
Nach den jeweils im hessischen Ärzteblatt (zuletzt vom Oktober 2001) bekannt gemachten Grundsätzen der
erweiterten Honorarverteilung der Beklagten (EHV) sowohl in der seit dem 1. Januar 1993 als auch in der seit dem 1.
Januar 2001 geltenden Fassung erlangen Vertragsärzte unter bestimmten Voraussetzungen einen
Versorgungsanspruch, der aus einbehaltenen Honoraranteilen der Vertragsärzte in Hessen beglichen wird. Die
Teilnahme an der EHV ist zu beantragen (§ 1 Abs. 2 Satz 1). Der Anspruch auf Teilnahme an der EHV beginnt für den
Vertragsarzt an demjenigen Monatsersten, der auf den Eintritt der Berufsunfähigkeit oder der Aufgabe der
vertragsärztlichen Tätigkeit nach Vollendung des 65. Lebensjahres folgt (§ 1 Abs. 2 Satz 2). Wird ein Antrag auf
Teilnahme an der EHV verspätet gestellt, so beginnen die Zahlungen bei einer Antragstellung innerhalb von drei
Monaten nach Eintritt des Versorgungsfalles entsprechend den vorstehenden Vorschriften, bei einer späteren
Antragstellung vom Ersten des auf den Eingang des Antrages folgenden Monats bzw. vom Ersten des Monats an,
von dem ab die Kassenärztliche Vereinigung Hessen (KV Hessen) Kenntnis von dem Versorgungsfall hatte oder
haben musste (§ 1 Abs. 2 Satz 3). In besonderen Härtefällen können Zahlungen bis zu drei Jahren rückwirkend
geleistet werden (§ 1 Abs. 2 Satz 5 in der ab 1. Januar 2003 geltenden Fassung).
Der 1935 geborene Kläger war bis August 1982 in der Bundesrepublik Deutschland als Krankenhausarzt beschäftigt.
Danach war er vom 1. Oktober 1982 bis 19. November 1989 als niedergelassener Frauenarzt mit
Kassenarztzulassung in Hessen tätig. Seine kassenärztliche Tätigkeit beendete er durch Verzicht und kehrte nach
Griechenland zurück wo er von November 1989 bis 31. Dezember 2002 in verschiedenen Krankenhäusern als
Frauenarzt seinem Beruf nachging. Eine weitere kassenärztliche bzw. vertragsärztliche Tätigkeit entfaltete er danach
nicht mehr. Nach seinen Angaben war er ab 1. Januar 2003 in Griechenland (T.) arbeitslos.
Mit dem am 17. Februar 2003 bei der Beklagten eingegangenen Schreiben vom 10. Februar 2003 teilte er seine neue
Anschrift in Griechenland mit und erkundigte sich nach den Voraussetzungen einer "Altersrente nach dem 65.
Lebensjahr". Dieses Schreiben sah die Beklagte als Antrag auf Teilnahme an der EHV an und bat den Kläger mit
Schreiben vom 24. Februar 2003 um Mitteilung, ob er nach seinem Verzicht auf die Zulassung in Hessen wieder eine
vertragsärztliche Tätigkeit aufgenommen habe. Dies verneinte der Kläger mit Schreiben vom 28. Februar 2003 und
begehrte ausdrücklich die Teilnahme an der EHV rückwirkend bereits ab Vollendung des 65. Lebensjahres im Mai
2000. Zur Begründung wies er darauf hin, die Beklagte habe es schuldhaft unterlassen ihn rechtzeitig vor Vollendung
des 65. Lebensjahres über die Möglichkeit zur Teilnahme an der EHV zu beraten. Seine frühere Adresse in
Griechenland sei der Beklagten bekannt gewesen.
Mit Schreiben vom 6. März 2003 erläuterte die Beklagte dem Kläger Beginn und Berechnung seiner EHV-Bezüge ab
1. März 2003 und bewilligte mit Bescheid vom 13. Mai 2003 EHV-Bezüge ab 1. März 2003 in Höhe von 600,00 EUR
vierteljährlich mit monatlichen Abschlagszahlungen in Höhe von 30 v. H. (180,00 EUR).
Den dagegen mit dem Ziel eines früheren Beginns der EHV-Bezüge eingelegten Widerspruch wies der Vorstand der
Beklagten mit Widerspruchsbescheid vom 20. Januar 2004 zurück.
Die hierauf am 23. Februar 2004 erhobene Klage hat das Sozialgericht Frankfurt am Main (Az.: S 5/27 KA 668/04) mit
Urteil vom 14. September 2005 mit Zustimmung der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung abgewiesen. Zur
Begründung hat es ausgeführt, die Beklagte habe die Grundsätze der EHV, die nach der Rechtsprechung des
Bundessozialgerichts (BSG) rechtmäßig seien, im Falle des Klägers zutreffend angewandt mit der Folge, dass ihm
vor dem 1. März 2003 kein Anspruch auf Teilnahme an der EHV zustehe. Vor Eingang des Schreibens des Klägers
vom 10. Februar 2003 am 17. Februar 2003 habe die Beklagte von dem Versorgungsfall weder Kenntnis gehabt noch
haben müssen. Zwar habe der Kläger auch nach Beendigung seiner vertragsärztlichen Tätigkeit in Hessen zur
Beklagten aufgrund eines Anwartschaftsrechts auf Teilnahme an der EHV in einem sozialrechtlichen Schuldverhältnis
gestanden, aus dem für die Beklagte gegenüber dem Kläger Nebenpflichten im Sinne von Ausklärungs-, Informations-
und Beratungspflichten folgten. Diese ging jedoch nicht so weit, dass die Beklagte die Altersentwicklung
ausgeschiedener Vertragsärzte überwachen und diese vor Vollendung des 65. Lebensjahres auf die Möglichkeit eines
Anspruchs auf Teilnahme an der EHV hinweisen müsse. Eine solche Verpflichtung zur Spontanberatung ohne
konkreten Anlass bestehe schon deshalb nicht, weil der Beklagten regelmäßig nicht bekannt sei, ob und wann die
weiteren Voraussetzungen für eine Teilnahme an der EHV bei den in Hessen tätig gewesenen Ärzten vorlägen.
Umgekehrt obliege es vielmehr den berechtigten Ärzten selbst, sich um eine Teilnahme an der EHV und damit auch
um eine rechtzeitige Antragstellung zu kümmern. Etwas anderes könne allenfalls dann gelten, wenn ein Arzt sich
ohnehin im zeitlichen Zusammenhang mit der Vollendung des 65. Lebensjahres in einem laufenden
Verwaltungsverfahren mit der Beklagten befinde, was beim Kläger aber nicht der Fall gewesen sei. Selbst wenn aber
unterstellt werde, die Beklagte habe eine insoweit gegenüber dem Kläger bestehende Pflicht zur Spontanberatung
verletzt, könne der Kläger hieraus keine weiteren Ansprüche herleiten, denn die unterstellte Pflichtverletzung der
Beklagten wäre dann nicht wesentlich ursächlich gewesen für die verspätete Antragstellung. Der Kläger habe sich
nämlich fahrlässig gegen sich selbst handelnd nicht rechtzeitig um seine EHV-Angelegenheiten gekümmert, was die
wesentliche Ursache für den späteren Beginn seiner Teilnahme an der EHV sei, gegenüber der eine unterstellte
Pflichtverletzung durch die Beklagte als nicht gleichwertige Bedingung zurücktrete.
Gegen das am 16. September 2005 mit Einschreiben abgesandte Urteil hat der Kläger am 7. Oktober 2005 Berufung
eingelegt, mit der er sein Begehren auf Teilnahme an der EHV bereits ab Mai 2000 weiterverfolgt. Die Beklagte habe
ihn unter der ihr bekannten Anschrift in Griechenland rechtzeitig auf die Möglichkeit der Teilnahme an der EHV ab
vollendetem 65. Lebensjahr hinweisen müssen. In diesem Fall habe er auch rechtzeitig einen Antrag gestellt. Wegen
der Pflichtverletzung der Beklagten sei ihm daher die Teilnahme an der EHV bereits ab Mai 2000 zu ermöglichen.
Der Kläger beantragt (sinngemäß), das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 14. September 2005
aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 13. Mai 2003 in Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 20. Januar 2004 zu verurteilen, ihn bereits ab 1. Mai 2000 an der erweiterten
Honorarverteilung nach den Grundsätzen der Beklagten teilnehmen zu lassen.
Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Sie nimmt zur Begründung auf ihren Widerspruchsbescheid vom 20. Januar 2004 und den Beschluss ihres
Vorstandes vom 19./20. Juni 1981 Bezug, mit dem die Überlegung, vorzeitig aus der Kassenpraxis ausgeschiedene
und ggf. verzogene Ärzte vor Erreichen der Altersgrenze über die Möglichkeit der EHV-Teilnahme infolge einer
weiteren Herabsetzung der Altersgrenze zu informieren, verworfen wurde. Für die KV sei es unzumutbar, ständig die
Altersentwicklung ausgeschiedener Ärzte zu verfolgen und diese automatisch darauf hinzuweisen, dass sie einen
EHV-Anspruch durch Antragstellung begründen könnten.
Die Beteiligten haben sich schriftlich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden
erklärt.
Wegen weiterer Einzelheiten und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichts- und
Verwaltungsakten, die Gegenstand der Beratung gewesen sind, ergänzend Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Der Senat konnte mit dem Einverständnis der Beteiligten durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entscheiden (§§
153 Abs. 1, 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz – SGG).
Die zulässige Berufung ist sachlich unbegründet.
Das angegriffene Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 14. September 2005 ist nicht zu beanstanden. Das
Sozialgericht hat mit zutreffender Begründung einen Anspruch des Klägers auf Teilhabe an der EHV der Beklagten
bereits vor dem 1. März 2003 abgelehnt. Der Senat schließt sich ausdrücklich diesen Erwägungen an und sieht daher
insoweit von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 153 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG -).
Ergänzend wird darauf hingewiesen, dass zur Überzeugung des Senats die in der Rechtsprechung des BSG
entwickelten Grundsätze zu den Hinweispflichten eines Rentenversicherungsträgers gegenüber einem Versicherten im
Zusammenhang mit der Rentenantragstellung nicht auf das sozialrechtliche Schuldverhältnis zwischen Vertragsarzt
und Kassenärztlicher Vereinigung (KV) übertragbar sind. Das in diesem Zusammenhang entwickelte Rechtsinstitut
des sog. sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs ist daher auf das Verhältnis zwischen Vertragsarzt und KV nicht
anwendbar, weil die KV nicht zu den Leistungsträgern nach § 12 des Ersten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB I)
gehört und die Honoraransprüche der Kassen- bzw. Vertragsärzte nicht der Verwirklichung ihrer sozialen Rechte im
Sinne des § 11 SGB I dienen. Vielmehr handelt es sich insoweit um Vergütungsansprüche für erbrachte Leistungen
(so zutreffend: Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 22. Januar 1986, Az.: L 1 Ka 2646/84 in
MedR 1987, S. 61). Dies gilt auch für Ansprüche ausgeschiedener Vertragsärzte auf Teilnahme an der erweiterten
Honorarverteilung, bei denen es sich ebenfalls um Honoraransprüche und nicht um Sozialleistungen im Sinne des §
11 SGB I handelt. Das auf mitgliedschaftlicher Beziehung beruhende Verhältnis des Vertragsarztes zu seiner KV
unterscheidet sich wesentlich von dem Rechtsverhältnis eines möglichen Leistungsempfängers gegenüber einem
Sozialleistungsträger i. S. des § 12 SGB I, aus dem insbesondere die in § 14 SGB I normierte Beratungspflicht des
Leistungsträgers gegenüber dem Bürger resultiert. Das Verhältnis zwischen Bürger und Sozialleistungsträger i. S. des
§ 12 SGB I ist besonders durch das Sozialstaatsprinzip geprägt, weil es hier in besonderem Maße um Bürger geht,
die auf diese Leistungen angewiesen und im Umgang mit Recht und Behörden aber überwiegend besonders
unerfahren sind. Dem trägt das soziale Verwaltungsverfahren durch das Prinzip der sozialstaatlich geprägten
Kooperation und durch das Erfüllungsprinzip Rechnung, das sicherstellen soll, dass soziale Rechte möglichst nicht an
Reibungsverlusten im Verwaltungsverfahren scheitern und möglichst weitgehend verwirklicht werden (§ 2 Abs. 2 SGB
I – so zutreffend: Gagel in SGb 2000, S. 519 m. w. N.). Auch die Verpflichtung des Rentenversicherungsträgers
darauf hinzuwirken, dass jeder Berechtigte seine von ihm erworbenen Rentenleistungen wirklich erhält und in diesem
Zusammenhang mögliche Leistungsempfänger spontan zu beraten, beruht auf diesem besonderen
Sozialrechtsverhältnis zwischen Sozialleistungsempfänger und Sozialleistungsträger (siehe etwa BSG, Urteil vom 6.
März 2003, Az.: B 4 RA 38/02 R m. w. N.). Es ist offenkundig, das Vertragsärzte nicht in gleicher Weise
schutzbedürftig wie ein Großteil der Sozialleistungsempfänger i. S. der §§ 11 ff. SGB I sind, weshalb die
Beratungspflichten der KV gegenüber ihren Mitgliedern nicht den gleichen Umfang haben können. Vielmehr muss von
einem Vertragsarzt erwartet werden, dass er sich selbst rechtzeitig um seine Teilhabe an der Altersversorgung durch
Inanspruchnahme der erweiterten Honorarverteilung bemüht, ebenso wie er sich grundsätzlich eigenverantwortlich um
die Verwirklichung seiner Honoraransprüche gegenüber der KV während der Ausübung seiner vertragsärztlichen
Tätigkeit zu kümmern hat. Im Übrigen sehen die Grundsätze der EHV die Möglichkeit vor, in besonderen Härtefällen
Zahlungen bis zu drei Jahren rückwirkend zu leisten (§ 1 Abs. 2 Satz 5). Ein solcher Härtefall liegt jedoch nicht vor
und wurde vom Kläger auch nicht geltend gemacht. Denn nach seinen Angaben war er noch bis Ende 2002 als
Frauenarzt in griechischen Krankenhäusern tätig und daher in dieser Zeit wohl auch nicht auf die Teilnahme an der
EHV angewiesen. Damit verbleibt bis zum Beginn seiner Versorgungsbezüge aus der EHV lediglich ein Zeitraum von
zwei Monaten, in dem er möglicherweise, ohne Einkünfte aus seiner ärztlichen Tätigkeit zu erzielen, nicht an der
erweiterten Honorarverteilung durch die Beklagte teilnehmen konnte.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 SGG i. V. m. § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).
Die Revision war nicht zuzulassen (§ 160 Abs. 2 SGG).
Bei der Streitwertfestsetzung nach § 63 Abs. 2 Satz 1 Gerichtskostengesetz (GKG) in der ab 1. Juli 2004 geltenden
Fassung vom 5. Mai 2004 (BGBl. I, S. 718) war der "Regelstreitwert" gem. § 52 Abs. 2 GKG zugrunde zu legen, weil
die Höhe der EHV-Bezüge im streitigen Zeitraum nicht ohne weiteren unverhältnismäßigen Ermittlungsaufwand
festzustellen ist (§ 42 Abs. 3 Satz 2 GKG).