Urteil des LSG Hessen vom 29.08.2007

LSG Hes: entschädigung, vergütung, veranlagung, verwaltung, ausstellung, befreiung, verzicht, gesamtumsatz, zweifelsfall, geldleistung

Hessisches Landessozialgericht
Urteil vom 29.08.2007 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Gießen S 10 SB 163/06
Hessisches Landessozialgericht L 4 SB 15/07
Bundessozialgericht B 9 SB 7/07 R
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Gießen vom 13. Dezember 2006 abgeändert und der
Beklagte unter Abänderung des Bescheids vom 27. März 2006 in Gestalt der Widerspruchsbescheids vom 30. Mai
2006 verurteilt, der Klägerin die auf die Vergütung in Höhe von 25,00 EUR entfallende Umsatzsteuer in Höhe von 4,00
EUR zu ersetzen.
Der Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu 1/3 für beide Rechtszüge zu erstatten. Die Klägerin
hat die Kosten des Rechtsstreits zu 2/3 für beide Rechtszüge zu tragen.
Die Revision wird zugelassen.
Der Streitwert wird auf 12,22 EUR festgesetzt.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten noch um den Ersatz der Umsatzsteuer auf das Honorar für die Ausstellung eines
Befundscheins ohne nähere gutachtliche Äußerung im Sinne der Nr. 200 der Anlage 2 zu § 10 Justizvergütungs- und
Entschädigungsgesetz (JVEG) in Höhe von insgesamt 4,00 EUR.
Die Klägerin ist eine ärztliche Gemeinschaftspraxis, die für den Beklagten im Rahmen des Schwerbehindertenrechts
Befundberichte erstattet und hierfür Honorare nach Nr. 200 der Anlage 2 zu § 10 JVEG erhalten hat. In Sachen X.
datiert der Befundbericht vom 9. März 2006. Mit Bescheid vom 27. März 2006 setzte der Beklagte ein Honorar in
Höhe von insgesamt 25,00 EUR ohne Umsatzsteuer fest. Den mit dem Ziel des Ersatzes der hierauf entfallenden
Umsatzsteuer eingelegten Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 30. Mai 2006 zurück. In
Sachen W. datiert der Befundbericht vom 27. Dezember 2005. Mit Bescheid vom 27. März 2006 setzte der Beklagte
ein Honorar in Höhe von insgesamt 20,44 EUR ohne Umsatzsteuer fest. Den dagegen eingelegten Widerspruch wies
er mit Widerspruchsbescheid vom 30. Mai 2006 zurück. In Sachen PU. datiert der Befundbericht vom 28. November
2005. Mit Bescheid vom 27. März 2006 setzte der Beklagte ein Honorar in Höhe von insgesamt 30,94 EUR ohne
Umsatzsteuer fest. Den dagegen eingelegten Widerspruch wies er mit Widerspruchsbescheid vom 30. Mai 2006
zurück.
Die hiergegen jeweils am 27. Juni 2006 erhobenen Klagen hat das Sozialgericht (SG) GE. verbunden und mit Urteil
vom 13. Dezember 2006 unter Zulassung der Berufung als unbegründet abgewiesen. Zur Begründung hat es im
Wesentlichen ausgeführt, für die begehrte Erstattung der Umsatzsteuer auf die gezahlten Honorare nach Nr. 200 der
Anlage 2 zu § 10 JVEG fehle es an einer Rechtsgrundlage. § 12 Abs. 1 S. 2 Ziffer 4 JVEG sei auf die Entschädigung
eines sachverständigen Zeugen nicht anwendbar, denn aus § 12 Abs. 1 S. 1 JVEG gehe hervor, dass diese Vorschrift
nur für Gutachten oder Übersetzungen gelte. Aus Ziffer 1 Abs. 1 S. 1 Umsatzsteuerrichtlinie 2005 sei zu entnehmen,
dass die Umsatzsteuer einen Leistungsaustausch voraussetze, der nur vorliege, wenn Leistender und
Leistungsempfänger vorhanden seien und der Leistung eine Gegenleistung (Entgelt) gegenüberstehe. Im Falle einer
Schadensersatzleistung fehle es hieran. Die Entschädigung der (sachverständigen) Zeugen nach dem JVEG sei
echter Schadensersatz, weshalb hierfür keine Umsatzsteuer zu entrichten sei.
Gegen das ihr am 15. Februar 2007 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 12. März 2007 Berufung beim Hessischen
Landessozialgericht in Darmstadt eingelegt. Sie vertritt die Auffassung, auch das Honorar nach Nr. 200 der Anlage 2
zu § 10 JVEG sei vom Gesetzgeber als Vergütung und nicht als Schadensersatz angelegt, weshalb die hierauf
entfallende Umsatzsteuer gemäß § 12 Abs. 1 S. 2 Ziffer 4 JVEG zu ersetzen sei. Aus § 12 Abs. 1 S. 1 JVEG lasse
sich die vom SG gezogene Schlussfolgerung nicht herleiten. Die Klägerin hat außerdem eine Erklärung ihres
Steuerberaters vorgelegt, wonach sie für das Jahr 2006 gemäß § 19 Abs. 2 Umsatzsteuergesetz (UStG) auf die
Befreiung von der Umsatzsteuerpflicht für "Kleinunternehmer" nach § 19 Abs. 1 S. 1 (UStG) verzichtet. Sie hat hierzu
ergänzend vorgetragen, durch Vortrags- und andere umsatzsteuerpflichtige Tätigkeiten im Jahr 2006 überschreite sie
voraussichtlich ohnehin die Umsatzgrenzen für den Wegfall der Umsatzsteuer. Durch den Verzicht auf die Befreiung
von der Umsatzsteuer habe sie Planungssicherheit und vermeide eine nachträgliche Veranlagung zur Umsatzsteuer.
Für das Jahr 2005 hat die Klägerin keine Umsatzsteuerpflicht mehr behauptet.
Die Klägerin beantragt unter Klagerücknahme im Übrigen, das Urteil des Sozialgerichts Gießen vom 13. Dezember
2006 abzuändern und den Beklagten unter Abänderung des Bescheids vom 27. März 2006 in Gestalt des
Widerspruchsbescheids vom 30. Mai 2006 zu verurteilen, ihr die auf die Vergütung in Höhe von 25,00 EUR entfallende
Umsatzsteuer in Höhe von 4,00 EUR zu ersetzen.
Der Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Er hält das angegriffene Urteil für zutreffend.
Wegen weiterer Einzelheiten und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichts- und
Verwaltungsakten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, ergänzend Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Soweit die Klägerin die Klage in Sachen W. und PU. zurückgenommen hat, ist der Rechtsstreit in der Hauptsache
erledigt (§ 102 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG).
Im Übrigen ist die Berufung zulässig, weil sie das SG ausdrücklich zugelassen hat (§ 144 Abs. 1 Satz 1 SGG), und
auch begründet. Das angegriffene Urteil des SG Gießen vom 13. Dezember 2006 war unter Abänderung des
Honorarbescheids vom 27. März 2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 30. Mai 2006 in Sachen X.
abzuändern und die Beklagte zum Ersatz der Umsatzsteuer i. H. v. 4,00 EUR an die Klägerin zu verurteilen, denn die
Klägerin hat durch Vorlage der Erklärung ihres Steuerberaters über den Verzicht auf die "Kleinunternehmerregelung" in
§ 19 Abs. 1 S. 1 UStG den Nachweis erbracht, dass sie im Jahr 2006 nicht von der Umsatzsteuer befreit ist.
Das SG ist unzutreffend davon ausgegangen, dass das nach Nr. 200 der Anlage 2 zu § 10 JVEG an sachverständige
Zeugen für die Ausstellung eines Befundscheins ohne nähere gutachtliche Äußerung zu zahlende Honorar nicht den
umsatzsteuerrechtlichen Leistungsbegriff erfülle, sondern als Entschädigung aufzufassen sei, auf die grundsätzlich
keine Umsatzsteuer entfalle. Richtig ist vielmehr, dass es sich sehr wohl auch bei der Ausstellung eines
Befundscheins ohne nähere gutachtliche Äußerung um eine Leistung handelt, für die der sachverständige Zeuge ein
"Honorar" nach Nr. 200 der Anlage 2 zu § 10 Abs. 1 JVEG erhält. Dies ergibt sich eindeutig aus dem Wortlaut des
Gesetzes, das auch im Zusammenhang mit dem sachverständigen Zeugen die Begriffe "Leistung" und "Honorar"
verwendet, während im Gegensatz hierzu der Zeuge lediglich eine "Entschädigung" nach § 19 Abs. 1 JVEG erhält und
zwar auch bei schriftlicher Beantwortung der Beweisfrage. Damit hat der Gesetzgeber bewusst den sachverständigen
Zeugen vergütungsrechtlich vom Kreis der übrigen Zeugen abgegrenzt und entsprechend der Intension des JVEG den
Gedanken der Leistungshonorierung gegenüber dem Gedanken der Entschädigung, der mehr in den Hintergrund
getreten ist, gestärkt. Konsequent sieht daher § 12 Abs. 1 S. 2 Ziffer 4 JVEG vor, dass über die Vergütungen nach §§
9 bis 11 JVEG hinaus, mit denen ansonsten auch die üblichen Gemeinkosten abgegolten sind, die auf die Vergütung
entfallende Umsatzsteuer gesondert zu ersetzen ist, sofern diese nicht nach § 19 Abs. 1 UStG unerhoben bleibt. Die
vom SG vorgenommene Interpretation des § 12 Abs. 1 JVEG ist weder mit dem Wortlaut noch dem Sinn oder der
Systematik des Gesetzes zu vereinbaren. Allerdings kann die Verwaltung beim Arzt als sachverständigen Zeugen
grundsätzlich zunächst davon ausgehen, dass dieser nach § 19 Abs. 1 S. 1 UStG von der Erhebung der
Umsatzsteuer ausgenommen ist, weil er in der Regel die dort genannten Umsatzgrenzen (17.500,00 EUR im
vorangehenden oder voraussichtlich 50.000,00 EUR im Jahr der Veranlagung) nicht überschreiten wird, denn ärztliche
Leistungen sind gemäß § 4 Ziffer 14 UStG von der Umsatzsteuer befreit und werden gemäß § 19 Abs. 3 S. 1 Ziffer 1
UStG beim maßgeblichen Gesamtumsatz nicht mitgerechnet. Sofern der Arzt für seine Leistungen nach dem JVEG
Ersatz der auf die Vergütung entfallenden Umsatzsteuer begehrt, ist er somit verpflichtet, im Zweifelsfall seine
Veranlagung zur Umsatzsteuer gegenüber der Verwaltung nachzuweisen. Ohne einen solchen Nachweis ist die
Verwaltung nicht verpflichtet, Umsatzsteuer zu ersetzen, schon um zu vermeiden, dass zu Unrecht erhobene
Umsatzsteuer nicht an den Fiskus abfließt.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a Abs. 1 SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).
Der Senat hat die Revision zugelassen, weil er der Rechtssache grundsätzliche Bedeutung beimisst (§ 160 Abs. 2
SGG).
Der Streitwert war gemäß § 197a Abs. 1 SGG i.V.m. §§ 63 Abs. 2 S. 1, 47 Abs. 1, 52 Abs. 3 Gerichtskostengesetz
(GKG) entsprechend der ursprünglich eingeklagten bezifferten Geldleistung auf 12,22 EUR festzusetzen.