Urteil des LSG Hessen vom 14.12.2007

LSG Hes: besondere härte, neues recht, arbeitsmarkt, rücknahme, anfechtungsklage, taxifahrer, minderung, anspruchsdauer, gesetzesänderung, entstehung

Hessisches Landessozialgericht
Urteil vom 14.12.2007 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Frankfurt S 57 AL 2099/03
Hessisches Landessozialgericht L 7 AL 183/06
Bundessozialgericht B 11 AL 10/08 R
I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 31. Mai 2006 wird mit der
Maßgabe zurückgewiesen, dass der Bescheid der Beklagten vom 4. Februar 2003 in Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 20. Mai 2003 auch hinsichtlich der Minderung der Anspruchsdauer dergestalt geändert
wird, dass sie nur 21 Tage beträgt.
II. Die Beklagte hat dem Kläger die Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten.
III. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist im Berufungsverfahren noch streitig, ob die von der Beklagten festgesetzte 12-wöchige
Sperrzeit wegen Arbeitsablehnung auf Grund einer Rechtsänderung ab dem 1. Januar 2003 auf 3 Wochen zu
beschränken und die deshalb verfügte Rücknahme und Erstattung bewilligter Leistungen darüber hinaus rechtmäßig
ist.
Der 1976 geborene, seit dem 16. Juni 2000 verheiratete kinderlose Kläger beantragte bei der Beklagten am 10.
November 2001 Arbeitslosengeld und meldete sich arbeitslos. Seit dem 3. Juni 2001 wird der Kläger nach der
Lohnsteuerklasse 3 veranlagt. Auf Grundlage des im Zeitraum vom 1. September 2000 bis 18. März 2001, 9. August
2001 bis 13. Oktober 2001 und 14. Oktober 2001 bis 9. November 2001 abgerechneten Bruttoentgeltes aus
versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen in Höhe von insgesamt 26.396,56 DM berechnete die Beklagte
ein wöchentliches Bemessungsentgelt in Höhe von 324,43 EUR und bewilligte dem Kläger entsprechend
Arbeitslosengeld ab dem 10. November 2001 nach der Leistungsgruppe C, allgemeiner Leistungssatz in Höhe von
42,97 DM (22,16 EUR) kalendertäglich. In der Zeit vom 1. März 2002 bis 31. August 2002 übte der Kläger eine
Zwischenbeschäftigung aus. Die Beklagte bewilligte dem Kläger mit Bescheid vom 9. Dezember 2002
(Bewilligungsbescheid) ab dem 19. September 2002, dem Tag der erneuten Arbeitslosmeldung und Antragstellung,
Arbeitslosengeld weiter; vom 10. November 2002 an wegen der Anpassung gemäß § 138 SGB III nach einem
Bemessungsentgelt in Höhe von 330,66 EUR wöchentlich in Höhe von kalendertäglich 22,50 EUR. Zuvor hatte die
Beklagte dem Kläger mit Schreiben vom 19. September 2002 ein Stellenangebot für eine Tätigkeit als Taxifahrer mit
Nachtfahrten unterbreitet. Die Stelle hatte der Kläger bei seinem Vorstellungsgespräch am 23. September 2002 mit
der Begründung abgelehnt, Nachtfahrten seien ihm nicht möglich, weil er schlecht sehen könne. Das bestätigte er in
einer Erklärung gegenüber der Beklagten vom 17. Dezember 2002. Mit Bescheid vom 4. Februar 2003 (erweiterter
Sperrzeitbescheid) stellte die Beklagte deshalb eine Sperrzeit gemäß § 144 SGB III für den Zeitraum vom 24.
September 2002 bis 16. Dezember 2002 fest, nahm die Bewilligung für den vorbenannten Zeitraum zurück und setzte
einen Erstattungsbetrag in Höhe von 1.874,02 EUR wegen gezahlten Arbeitslosengeldes im vorbenannten Zeitraum
fest und verkürzte die Leistungsdauer um 84 Tage. Hiergegen legte der Kläger mit Schreiben vom 17. Februar 2003
am 3. März 2003 mit der Begründung Widerspruch ein, seine nachts nachlassende Sehkraft habe die Tätigkeit nicht
zugelassen. Eine augenärztliche Bescheinigung reiche er nach. Auf Erinnerung der Beklagten legte der Kläger am 25.
März 2003 eine augenärztliche Verordnung über eine Sehhilfe vor. Ab dem 1. April 2003 rechnete die Beklagte den
Erstattungsbetrag gegen bewilligtes Arbeitslosengeld in Höhe von 0,99 EUR kalendertäglich im Einvernehmen mit
dem Kläger auf. Mit Schreiben vom 28. April 2003 holte die Beklagte die Anhörung des Klägers im
Widerspruchsverfahren nach und wies dabei darauf hin, dass die Rücknahme der Leistungsbewilligung sich auf § 45
Abs. 2 S. 3 Nr. 3 SGB X i.V.m. § 330 Abs. 2 und 3 SGB III stütze. Sie gab dem Kläger Gelegenheit sich bis zum 16.
Mai 2003 zum Sachverhalt zu äußern. Mit Widerspruchsbescheid vom 20. Mai 2003 wies die Beklagte den
Widerspruchsbescheid des Klägers als unbegründet zurück. Eine 12-wöchige Sperrzeit sei gemäß §§ 144 Abs. 1 Nr.
2, 434g Abs. 2 SGB III eingetreten, weil der Kläger das Arbeitsangebot vom 19. September 2002 bei seiner
Vorsprache am 23. September 2002 abgelehnt habe (Sperrzeit wegen Arbeitsablehnung), ohne hierfür einen wichtigen
Grund zu haben. Der vom Kläger in Aussicht gestellte Nachweis für eine unzureichende Sehschärfe in der Nacht sei
ausgeblieben. Weiter habe er als gewünschte Tätigkeiten selber Taxifahrer, Night-Auditor und Nachtschichten
angegeben. Die Aufhebung stütze sich auf § 45 Abs. 2 S. 3 Nr. 3 SGB X i.V.m. § 330 Abs. 2 SGB III. Er habe
aufgrund der dem Arbeitsangebot angefügten Rechtsfolgenbelehrung erkennen können, dass der
Arbeitslosengeldanspruch bei Ablehnung des Arbeitsangebots ruht.
Hiergegen hat der Kläger am 11. Juni 2003 beim Sozialgericht Frankfurt am Main Anfechtungsklage erhoben. Die
Beteiligten haben ihr Vorbringen aus dem Verwaltungsverfahren wiederholt. Das Sozialgericht Frankfurt am Main hat
mit Urteil vom 31. Mai 2006 den angefochtenen Bescheid der Beklagten dergestalt abgeändert, dass eine Sperrzeit
nur für den Zeitraum vom 24. September 2002 bis 14. Oktober 2002 eingetreten und dementsprechend ein
Rückforderungsbetrag nur in Höhe von 465,36 EUR festzusetzen sei. Befugnisgrundlage für die Festsetzung einer
Sperrzeit sei gemäß § 144 Abs. 4 Nr. 1 SGB III idF des Ersten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am
Arbeitsmarkt vom 23. Dezember 2002 (BGBl I S. 4607) - Änderungsgesetz - (SGB III F. 2003), welche bei einer
erstmaligen Ablehnung eines Arbeitsangebotes nur eine Sperrzeit von 3 Wochen vorsehe. Gemäß Art. 14 Abs. 1 des
Änderungsgesetzes sei die Regelung am 1. Januar 2003 in Kraft getreten und hier maßgeblich, weil bei einer
Anfechtungsklage die Rechtslage im Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheides maßgeblich sei. Etwas
anderes folge nicht aus § 434g Abs. 2 SGB III, nach dem § 144 Abs. 1 SGB III a.F. weiterhin anzuwenden sei, wenn
das die Sperrzeit begründende Ereignis vor In-Kraft-Treten des Änderungsgesetzes eingetreten sei. Sinn und Zweck
der Übergangsvorschrift sei ausschließlich, die mit § 144 Abs. 1 SGB III F. 2003 eingefügte Darlegungs- und
Nachweispflicht des Arbeitsuchenden für die Annahme eines wichtigen Grundes erst für ab In-Kraft-Treten des
Änderungsgesetzes eingetretene Sperrzeitereignisse vorzusehen (Gesetzesbegründung: BT-Drucks 15/25 S. 36). Für
den Zeitraum bis 14. Oktober 2002 sei der angefochtene Bescheid der Beklagten hingegen rechtmäßig und die Klage
abzuweisen. In den Gründen hat das Sozialgericht weiter darauf hingewiesen, die verkürzte Sperrzeit führe nur zu
einer Minderung der Anspruchsdauer um 3 Wochen.
Die Beklagte hat gegen das ihr am 7. September 2006 zugestellte Urteil am 20. September 2006 beim Hess. LSG
Berufung eingelegt.
Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts gelte nach allgemeinen Grundsätzen für eine an Tatsachen anknüpfende
Regelung das zum Zeitpunkt des Eintritts der Tatsache geltende Recht. Dem stehe nicht entgegen, dass die
Übergangsregelung des § 434g Abs. 2 SGB III das ausdrücklich nur für § 144 Abs. 1 SGB III a.F. anordne. Die
Übergangsregelung beziehe sich nur auf die durch das Änderungsgesetz eingeführte besondere Darlegungs- und
Nachweispflicht des Arbeitsuchenden für das Vorliegen eines wichtigen Grundes und damit eine Beweislastregelung,
für die ohne ausdrückliche Übergangsregelung im Gegensatz zu Tatsachen der vorbenannte Grundsatz nicht
maßgeblich sei.
Die Beklagte beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 31. Mai 2006 aufzuheben und die Klage
abzuweisen.
Der Kläger stellt keinen Antrag.
Wegen weiterer Einzelheiten und dem Vorbringen der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und
der Leistungsakte der Beklagten, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung der Beklagten hat in der Sache keinen Erfolg. Die zulässige Klage des Klägers ist begründet, soweit das
Sozialgericht ihr stattgegeben hat. Insoweit ist der angefochtene erweiterte Sperrzeitbescheid der Beklagten
rechtswidrig und verletzt den Kläger in eigenen Rechten, weil ihm aufgrund des Bewilligungsbescheides der Beklagten
vom 9. Dezember 2002 ein insoweit ungekürzter Anspruch auf Arbeitslosengeld ab dem 15. Oktober 2002 zusteht.
Die Voraussetzungen für die allein in Betracht kommende Befugnisgrundlage nach § 45 SGB X i.V.m. § 330 Abs. 2
SGB III und § 50 Abs. 1 SGB X liegen nicht vor. Für den Zeitraum vom 15. Oktober 2002 bis zum 16. Dezember 2002
ist der Bewilligungsbescheid der Beklagten vom 9. Dezember 2002 rechtmäßig, obwohl der Kläger das Stellenangebot
der Beklagten für eine Tätigkeit als Taxifahrer bei seiner Vorsprache am 23. September 2002 abgelehnt hat. Ob das
ebenso für den Zeitraum vom 24. September 2002 bis 14. Oktober 2002 gilt, kann hingegen dahingestellt bleiben. Der
Kläger hat das Urteil des Sozialgerichts nicht mit der Berufung angefochten, soweit es seine Klage abgewiesen hat.
Der Arbeitslosengeldanspruch des Klägers ruht nicht aufgrund einer Sperrzeit wegen Arbeitsablehnung für den im
Berufungsverfahren noch streitigen Zeitraum gemäß § 144 Abs. 2 S. 2 SGB III. Zur Überzeugung des Senats ist allein
aufgrund der Rechtsänderung durch das Erste Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 22.
Dezember 2002 (BGBl I S. 4607) - Änderungsgesetz - mit Wirkung vom 1. Januar 2003 (Art. 17 Abs. 1
Änderungsgesetz) eine Sperrzeit ab dem 15. Oktober 2002 nicht eingetreten.
Im Gegensatz zu § 144 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGB III in der bis zum 31. Dezember 2002 geltenden Fassung des Job-
AQTIV-G vom 10.12.2001 (BGBl I S. 3443) - SGB III a.F. -, der eine Sperrzeit von 12 Wochen bestimmte - die auf
sechs Wochen nur zu verkürzen war, falls sie nach den für den Eintritt der Sperrzeit maßgebenden Tatsachen eine
besondere Härte bedeuten würde (§ 144 Abs. 3 S. 1 SGB III a.F.) oder der Arbeitslose eine nur bis zu 6 Wochen
befristete Arbeit nicht angenommen hatte (§ 144 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 SGB III a.F.) -, wenn der Arbeitslose trotz
Belehrung über die Rechtsfolgen eine vom Arbeitsamt unter Benennung des Arbeitgebers und der Art der Tätigkeit
angebotene Beschäftigung nicht angenommen oder nicht angetreten oder die Anbahnung eines solchen
Beschäftigungsverhältnisses, insbesondere das Zustandekommen eines Vorstellungsgesprächs, durch sein Verhalten
verhindert hat (§ 144 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGB III), ohne für sein Verhalten einen wichtigen Grund zu haben, sieht die
Neuregelung in solchen Fällen eine flexiblere, gestufte Sanktionsfolge vor, welche bei der ersten Ablehnung eines
Arbeitsangebots nach Entstehung des Arbeitslosengeldanspruchs zunächst eine nur 3-wöchige Sperrzeit gemäß §
144 Abs. 4 Nr. 1c SGB III i.d.F. des Änderungsgesetzes - SGB III F. 2003 - zur Folge hat. Sie beginnt weiterhin nach
dem Tage des Ereignisses, das die Sperrzeit begründet; es sei denn, das Ereignis fällt in
eine Sperrzeit, dann beginnt sie in unmittelbarem Anschluss an die vorherige Sperrzeit (§ 144 Abs. 2 S. 1 SGB III).
Daher hat das Sozialgericht zu Recht festgestellt, dass aufgrund der Neuregelung eine Sperrzeit nur vom 24.
September 2002, dem auf die Ablehnung des Stellenangebots durch den Kläger folgenden Tag, bis zum 14. Oktober
2002 eingetreten sein kann.
Nicht zu folgen ist der Berufung der Beklagten, für das noch vor In-Kraft-Treten des Änderungsgesetzes eingetretene
Sperrzeit begründende Verhalten des Klägers sei weiterhin die alte Rechtslage maßgeblich gewesen. Im Ergebnis
stützt daher der Senat die Rechtsauffassung des Sozialgerichts (a.A. ohne Begründung: LSG NRW, 26.1.2005 L 12
AL 39/04 - (juris)).
Verkürzt ist jedoch dessen Begründung, das ab dem 1. Januar 2003 geltende Recht sei auf den im Jahr 2003
erlassenen Bescheid der Beklagten schon deshalb anzuwenden, weil bei einer Anfechtungsklage grundsätzlich die
Rechtslage im Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung maßgeblich sei (Keller in: Meyer/Ladewig, SGG, 8.
Aufl., § 54 Rn 32a, 33 mwN). Ist das für sich genommen richtig, beantwortet sich hieraus allein keineswegs die Frage,
ob oder unter welchen Voraussetzungen das am 1. Januar 2003 in Kraft getretene Änderungsgesetz auch für
Sperrzeitereignisse gilt, die vorher eingetreten sind, oder ob insoweit § 144 SGB III a.F. wirksam bleibt. Maßgeblich
ist vielmehr eine verständige Auslegung des gesetzgeberischen Willens im Lichte der allgemeinen Grundsätze des
intertemporalen Verwaltungsrechts (Überblick: Kopp in: SGb 1993, S. 593 ff.) unter Berücksichtigung der rechtlichen
Ausgestaltung der Sperrzeitregelung sowie der damit verbundenen Gesetzesänderung und Übergangsregelung des §
434g Abs. 2 SGB III einschließlich der hierzu vorliegenden Gesetzesbegründungen.
Ist es zunächst Sache des Gesetzgebers selbst zu bestimmen, ab wann eine Neuregelung greifen soll, führt das ohne
Weiteres nicht zu einer eindeutigen Klärung der Rechtsfrage, weil er eine ausdrückliche Übergangsregelung
hinsichtlich der geänderten Dauer der Sperrzeit nicht getroffen hat. Zwar bestimmt § 434g Abs. 2 SGB III, dass § 144
Abs. 1 SGB III a.F. weiterhin anzuwenden ist, wenn das Ereignis, das die Sperrzeit begründet, vor dem 1. Januar
2003 liegt. Sie beschränkt sich jedoch ausschließlich auf Abs. 1, der inhaltlich nur eine Änderung hinsichtlich der
umgekehrten Darlegungs- und Beweislast für in der Sphäre des Arbeitslosen liegende Umstände für die Annahme
eines wichtigen Grundes enthält (so: Schlegel in: Eicher/Schlegel, Stand 4/2003, § 434g Rn. 23 ff.).
Dementsprechend bezieht sich die Gesetzesbegründung ausschließlich darauf, insoweit dem Arbeitslosen die - unter
Berücksichtigung der Rechtsprechung des BSG (Urteil, 26.11.1992 - 7 R Ar 38/92 - BSGE 71, 256) in der Regel nur
vermeintlich - günstigere verfahrensrechtliche Regelung des § 144 Abs. 1 SGB III a.F. zu erhalten (BTDrucks 15/25
S. 36). Soweit darüber hinaus Abs. 1 auch eine Änderung durch den Wegfall der Formulierung "von zwölf Wochen"
enthält, handelt es sich nur um eine redaktionelle Folgeänderung der Neuregelung in den Abs. 3 und 4 (vgl. BTDrucks
15/25 S. 31), die allein Bestimmungen zur Dauer der Sperrzeit enthalten. Eine weitergehende Übergangsregelung für
die Abs. 3 und 4 ergibt sich nur, wenn im Umkehrschluss zu § 434g Abs. 2 SGB III anzunehmen ist, dass im Übrigen
(Abs. 3 und 4) § 144 SGB III F. 2003 auch auf Sperrzeitereignisse anzuwenden ist, die sich vor In-Kraft-Treten des
Änderungsgesetzes ereignet haben (ausdrücklich offen gelassen: Eicher in: Eicher/Spellbrink, Handbuch
Arbeitsförderungsrecht, § 1 Rn. 55).
Gegen eine solche Gesetzesinterpretation wendet die Beklagte ein, die Übergangsregelung des § 434g Abs. 2 SGB III
beziehe sich nur auf eine verfahrensrechtliche Regelung, welche nach allgemeinen Grundsätzen ohne anderslautende
Übergangsregelung stets anzuwenden sei, während die Änderungen zur Dauer der Sperrzeit eine inhaltliche Frage
beträfen, welche nach den Grundsätzen des intertemporalen Verwaltungsrechts es gebieten würden, die im Zeitpunkt
des Eintretens der maßgeblichen Tatsache - Sperrzeitereignis - bestehende Rechtslage anzuwenden. Einer dem §
434g Abs. 2 SGB III entsprechenden Regelung für die Abs. 3 und 4 habe es daher nicht bedurft, weil sie auch ohne
ausdrückliche Übergangsregelung greife.
Zutreffend ist an den Ausführungen, dass sich in der Tat bei der Neuregelung des § 144 Abs. 1 SGB III F. 2003, um
eine verfahrensrechtliche Rechtsänderung handelt, welche dem Arbeitslosen eine gesteigerte Mitwirkungsobliegenheit
bei der Ermittlung eines wichtigen Grundes enthält, die nach den Grundsätzen intertemporalen Verfahrensrechts in
anhängigen Verfahren zu beachten ist (vgl. BSG, 18.9.1997 - 11 RAr 9/97; SozR 3 4100 § 152 Nr. 7 mwN). Nicht zu
folgen ist hingegen der Argumentation, für die weiteren materiell-rechtlichen Rechtsänderungen des § 144 Abs. 3 und
4 SGB III F. 2003 ergebe sich nach allgemeinen Grundsätzen zwingend, auf das im Zeitpunkt des Sperrzeit
begründenden Verhaltens maßgebliche Recht abzustellen.
Für materielle Rechtsänderungen gibt es keinen allgemeinen Grundsatz intertemporalen Rechts, der losgelöst von den
jeweiligen Besonderheiten des jeweiligen Regelungsgegenstandes allgemeine Gültigkeit besitzt.
Entscheidungserheblich ist allein die jeweilige konkrete Neuregelung und ihre Auslegung unter Berücksichtigung des
Sachzusammenhanges, in den sie eingebettet ist (Kopp, a.a.O., S. 595 mwN). Als Auslegungshilfe dienen dabei die
als Grundsätze intertemporalen Rechts bezeichneten sachlichen Gesichtspunkte, welche bei Rechtsänderungen
relevant sein können.
Diese lassen in einer Gesamtschau eher den Willen des Gesetzgebers erkennen, die flexiblere, in den ersten beiden
Stufen (erst 3, dann 6 Wochen) verkürzte Sperrzeitdauer bei Ablehnung eines Arbeitsangebots auch auf
Sperrzeitereignisse anzuwenden, die erst ab dem 1. Januar 2003 von der Beklagten festgestellt sind, auch wenn das
Sperrzeitereignis bereits davor eingetreten ist.
Als wesentliche Gesichtspunkte intertemporalen Verwaltungsrechts sind folgende Grundsätze hervorzuheben (Kopp,
a.a.O.):
1. Grundsatz der Sofortwirkung und Nicht-Rückwirkung: Neues Recht soll grundsätzlich ab dem Zeitpunkt seines In-
Kraft-Tretens gelten, ohne für die Zeit davor zurückzuwirken;
2. Grundsatz der Kongruenz von Rechtsanwendung und Rechtslage: Es soll das Recht gelten, welches zur Zeit seiner
Anwendung maßgeblich gewesen ist;
3. Grundsatz der Anwendung neuen Rechts auf in der Vergangenheit entstandene, aber fortwirkende Rechte oder
Rechtsverhältnisse;
4. Grundsatz der Unantastbarkeit in der Vergangenheit abgeschlossener Rechtsverhältnisse;
5. Grundsatz des Vorrangs neuen Rechts bei dringlichen Rechtsanliegen;
6. Grundsatz der Vermeidung eines Nebeneinanders von neuem und altem Recht.
Zu welchem Ergebnis die Grundsätze zu 1-4 gelangen, hängt maßgeblich davon ab, was Anknüpfungspunkt der
Sperrzeitregelung sein soll. Können Anknüpfungspunkt für die maßgebliche Rechtslage der Eintritt des die Sperrzeit
begründenden Ereignis, die Sperrzeitfeststellung durch die Beklagte, der Zeitpunkt der Anspruchsentstehung oder der
Anspruchszeitraum sein, verbieten sich die zwei letztgenannten Gesichtspunkte von vornherein aus folgenden
Überlegungen:
Auf den Zeitpunkt des Entstehens des Anspruchs abzustellen, scheidet schon deshalb aus, weil als Folge dessen
noch lange Zeit selbst nach dem In-Kraft-Treten des Änderungsgesetzes eingetretene Sperrzeitereignisse nach altem
Recht zu behandeln wären und die BA nebeneinander unterschiedliches Recht anzuwenden hätte. Das widerspräche
schon den weiteren Grundsätzen zu 5 und 6; ebenso entsprach es dem ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers bei
Überführung des AFG in das SGB III durch das AFRG, auch nach altem Recht entstandene Ansprüche den neuen
Sperrzeitregelungen zu unterwerfen (BTDrucks 13/4941, S. 227; BSG SozR 3-4300 § 144 Nr. 12; Valgolio in:
Hauck/Noftz SGB III, Stand 3/2007, § 144 Rn. 320).
Auf den Anspruchszeitraum abzustellen kommt nicht in Betracht, weil er einerseits in beide gesetzlichen
Geltungszeiträume hineinragen und andererseits nach Maßgabe des anzuwendenden Rechts eine unterschiedliche
Zeitspanne erfassen kann. Würde nach § 144 SGB III a.F. eine Sperrzeit von 12 Wochen greifen, könnte sie im
Gegensatz zu einer nur 3-wöchigen Sperrzeit nach neuem Recht den Geltungszeitraum des Änderungsgesetzes
erfassen. Die jeweilige Rechtsanwendung würde als Zirkelschluss bestimmen, welches Recht anzuwenden ist.
Bei den verbleibenden Anknüpfungspunkten Sperrzeitereignis und Sperrzeitfeststellung ist keinen von beiden für die
maßgebliche Gesetzesänderung aus den vorbenannten Grundsätzen zu 1-4 der Vorrang einzuräumen.
An das Sperrzeitereignis ist nur zwingend anzuknüpfen, wenn die Rechtsänderung die Sperrzeitregelung für
Arbeitslose - teilweise - verschärft. Der Arbeitslose darf für sein vorwerfbares Verhalten keine - verschärfte -
potenzielle Anspruchsminderung erfahren, die im Zeitpunkt seines Handelns nicht gegolten hat. Regelmäßig würde
das Ergebnis bei den Sperrzeittatbeständen des § 144 Abs. 1 S. 1 Nr. 2-4 SGB III schon dadurch sichergestellt, dass
es an der erforderlichen ordnungsgemäßen Rechtsfolgenbelehrung fehlte. Deswegen konnte für die jedenfalls teilweise
belastenden Änderungen der Sperrzeitregelung in der Vergangenheit allein das Sperrzeitereignis selbst den
maßgeblichen Anknüpfungspunkt darstellen (zu den Änderungen in der Vergangenheit: Henke in: Eicher/Schlegel, §
144, Stand 3/2006, Rn. 68 ff.). Der von der Beklagten geltend gemachte allgemeine Grundsatz trifft in dieser
Konstellation zu (so auch: Henke, a.a.O., Rn. 71). Vorliegend stellen die Änderungen der Sperrzeitdauer in § 144 Abs.
3 und 4 SGB III F. 2003 jedoch für die betroffenen Arbeitslosen eine überwiegend begünstigende, jedenfalls nicht
belastende Neuregelung dar. Allein der Verkürzungstatbestand besonderer Härte des § 144 Abs. 3 S. 1 SGB III a.F.,
der auch bei Arbeitsablehnung oder Ablehnung bzw. Abbruch einer Maßnahme eingreifen konnte, ist nur noch für den
Sperrzeittatbestand der Arbeitsaufgabe vorgesehen (§ 144 Abs. 3 S. 2 Nr. 2.b SGB III F. 2003). Allerdings kann eine
gegenüber dem Tatbestand besonderer Härte alten Rechts weitergehende Sperrzeitfolge bei Arbeitsablehnung oder
Ablehnung bzw. Abbruch einer Maßnahme nur eintreten, wenn nach Entstehung eines Anspruchs zum mindestens
dritten Mal unter den weiteren Sperrzeitvoraussetzungen eine Arbeit oder Maßnahme abgelehnt oder eine Maßnahme
abgebrochen ist, ohne dass die weiteren Privilegierungstatbestände des § 144 Abs. 4 Nr. 1a-b, 2a-b SGB III F. 2003
greifen und der Anspruch trotz dritter Sperrzeit auch nicht nach § 147 Abs. 1 Nr. 2 SGB III erloschen ist. Das mag
sachlogisch nicht auszuschließen sein, dürfte praktisch aber nicht eintreten können, auch weil in dieser Konstellation
eine weitere Sperrzeit mit besonderer Härtefolge kaum anzunehmen ist. Zwingend auf das Sperrzeitereignis
abzustellen, erfordern die Regelungen des § 144 Abs. 3 und 4 SGB III F. 2003 aus diesem Gesichtspunkt nicht.
Für die Anknüpfung an das Sperrzeitereignis spricht unabhängig von der belastenden Wirkung der Rechtsänderung,
dass die Ruhenswirkung bei Erfüllung des Sperrzeittatbestandes kraft Gesetzes eintritt; ein Verwaltungsakt der BA
hat keine konstitutive Bedeutung (BSG, 5.11.1998 - B 11 AL 29/98 R - BSGE 83, 95; BSG, 25.4.2002 - B 11 AL 65/01
R - BSGE 89, 243; Henke in: Eicher/Schlegel SGB III, Stand 11/2006, § 144 Rn. 577). Insoweit könnte das vor In-
Kraft-Treten des Änderungsgesetzes eingetretene Ereignis als abgeschlossener Sachverhalt angesehen werden, der
gesetzlich eine Ruhenswirkung in der Vergangenheit bestimmt hat und für den sich die Anwendung neuen Rechts
verbietet (im Ergebnis wohl: Henke, a.a.O., Rn. 71).
Dem steht entgegen, dass nach der aktuellen, geänderten Rechtsprechung des BSG Sperrzeitbescheide einen
deklaratorischen Verfügungssatz zur Feststellung des Sperrzeitzeitraumes enthalten (BSG, 3.6.2004 - B 11 AL 71/03
R - SGb 2004, 479; BSG, 18.8.2005 - B 7a/7 AL 94/04 R - BSGE 95, 80). Damit bedarf nicht nur bei der
vorausgehenden Leistungsbewilligung, die im Wege der Aufhebung oder Rücknahme zu korrigieren ist, sondern auch
bei einer mit der Sperrzeitfeststellung verbundenen Leistungsablehnung die Ruhenswirkung eines Umsetzungsaktes;
zumal das BSG in seiner Entscheidung vom 18.8.2005 ausdrücklich offen gelassen hat, ob eine falsche
Sperrzeitfeststellung die gesetzlich bestimmte Ruhenswirkung für die Beteiligten bindend abändern kann (höheres
Arbeitslosengeld für Zeitraum, in dem gesetzlich eine Sperrzeit eingetreten ist, welche die BA aber für einen anderen
Zeitraum festgestellt hat).
Entscheidend für den Senat ist daher, dass die folgenden weiteren Gesichtspunkte dafür sprechen, dass der
Gesetzgeber die für die Arbeitslosen günstigere Regelung zum frühestmöglichen Zeitpunkt nach ihrem In-Kraft-Treten
Geltung verschaffen wollte.
Die Neuregelung der Sperrzeitdauer war eingebettet in die grundlegende Reform der Arbeitsmarktpolitik der
Bundesregierung unter Berücksichtigung der Reformvorschläge der Kommission Moderne Dienstleistungen am
Arbeitsmarkt (Gesetzesbegründung: BTDrucks 15/15, S. 1). Mit der Neuregelung der Sperrzeitdauer, die insbesondere
eine flexiblere Handhabung bei Sperrzeiten wegen Arbeitsablehnung, Ablehnung oder Abbruch einer Maßnahme
ermöglichen sollte (Gesetzesbegründung, a.a.O., S. 31, Nr. 20 zu Buchstabe c), verband sich die Hoffnung des
Gesetzgebers die in der Reformgesetzgebung gesteigert geforderte Eigeninitiative des Arbeitslosen zielgerichteter
fördern zu können (Gesetzesbegründung, a.a.O., S. 25). Entsprechend dem Grundsatz zu 5. deutet das darauf hin,
dass dem Gesetzgeber daran gelegen war, die neuen Instrumente frühzeitig einsetzen zu können, um die
gewünschten Erfolge am Arbeitsmarkt erreichen zu können. Erleichtert wird diese Gesetzesinterpretation durch die
vorbenannte Übergangsregelung, der jedenfalls ein hinreichender Auslegungsspielraum hierfür zu entnehmen ist.
Weiter fällt hierfür ins Gewicht, dass allein das Anknüpfungsmerkmal "Zeitpunkt der Sperrzeitfeststellung" es der
Beklagten ermöglichte, dem Grundsatz zu 6. gemäß bei allen Sperrzeitfeststellungen ab dem 1. Januar 2003
einheitlich die Neuregelung des § 144 SGB III F. 2003 anwenden zu können.
Auf die Rechtslage im Zeitpunkt des Erlasses des angefochtenen erweiterten Sperrzeitbescheides der Beklagten
abzustellen, steht nicht entgegen, dass für die Frage, ob der zurückgenommene Bewilligungsbescheid rechtmäßig ist,
grundsätzlich die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt seines Erlasses entscheidend ist (Steinwedel in: KassKomm, §
45 SGB X, Stand 5/2006, Rn. 24 mwN), welcher vorliegend vor In-Kraft-Treten der Rechtsänderung ab 1. Januar 2003
gelegen hat. Ist Arbeitslosengeld bewilligt ohne eine gesetzlich eingetretene Sperrzeit zu berücksichtigen, erfolgt die
Korrektur der Leistungsbewilligung nicht allein durch die Rücknahme oder Aufhebung der Leistungsbewilligung,
sondern erfordert zugleich die nachträgliche Feststellung der Sperrzeit als Umsetzungsakt (BSG, 3.6.2004, a.a.O.).
Das rechtfertigt es, den Zeitpunkt des Erlasses der Sperrzeitfeststellung als maßgeblich anzusehen.
Der Tenor des Urteils des Sozialgerichts ist gemäß § 138 SGG zu berichtigen, weil er keine ausdrückliche Verfügung
zur Dauer der Anspruchsminderung enthält, obwohl die Entscheidungsgründe hierauf ausdrücklich hinweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 S. 1 SGG. Maßgeblich ist gewesen, dass die Beklagte voll
unterlegen ist.
Die Revision ist wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache zugelassen (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG).