Urteil des LSG Hessen vom 26.06.1984

LSG Hes: arbeitsmarkt, berufliche ausbildung, öffentliches verkehrsmittel, facharzt, orthopädie, berufsunfähigkeit, auskunft, gesundheitszustand, versicherter, erwerbsunfähigkeit

Hessisches Landessozialgericht
Urteil vom 26.06.1984 (rechtskräftig)
Sozialgericht Frankfurt
Hessisches Landessozialgericht L 2 J 119/83
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 19. November 1982
aufgehoben und die Klage in vollem Umfang abgewiesen.
Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die 1925 geborene Klägerin hat keinen Beruf erlernt. Sie war in der Zeit von 1940 bis 1950 als Landarbeiterin bzw.
landwirtschaftliche Hilfskraft und danach bei verschiedenen Arbeitgebern als Schiffsreinigerin, Putzfrau, Küchenhilfe,
Gummischneiderin, Fließbandarbeiterin, Metallarbeiterin, Paketarbeiterin und Pflegerin beschäftigt. Zuletzt arbeitete
sie bei der Deutschen Bundesbahn als Fahrzeugreinigerin bzw. Dienstfrau (Zugpflegerin). Seit dem 16.6.1977 ist sie
überwiegend arbeitsunfähig erkrankt.
Am 11.5.1979 beantragte sie bei der Beklagten erstmals die Gewährung von Versichertenrente wegen Erwerbs- bzw.
Berufsunfähigkeit, da sie an einer Arthrose an den Knie- und Hüftgelenken, an einem Verschleiß der Wirbelsäule und
an Herz-Kreislaufbeschwerden leide. Der Beklagten lagen Berichte von Prof. Dr. K. von der Klinik vom 30.10.1978,
von Dr. A. (Facharzt für Orthopädie) vom 17.1.1979 und von Dr. T. (Facharzt für Radiologie, Röntgen- und
Nuklearmedizin) vom 28.6.1979 vor. Auf Veranlassung der Beklagten wurde die Klägerin von dem Facharzt für Innere
Krankheiten Dr. H. untersucht, der mit seinem Gutachten vom 9.7.1979 bei der Klägerin folgende
Gesundheitsstörungen feststellte: Abnutzungserscheinungen in beiden Kniegelenken mit leichter
Bewegungseinschränkung links, Kreislauflabilität, Übergewichtigkeit, geringe Abnutzungserscheinungen an der
Wirbelsäule ohne Bewegungseinschränkungen. Insgesamt liege nur eine mäßige Einschränkung des
Leistungsvermögens vor. Die Klägerin könne noch leichte Arbeiten mit einigen Einschränkungen vollschichtig,
mittelschwere Arbeiten nur noch untervollschichtig verrichten.
Gestützt auf diese Feststellungen lehnte die Beklagte mit dem unangefochten gebliebenen Bescheid vom 25.7.1979
den Rentenantrag ab, weil die Klägerin weder berufs- noch erwerbsunfähig sei.
Am 7.1.1980 beantragte die Klägerin erneut die Gewährung von Erwerbs- bzw. Berufsunfähigkeitsrente. Die Beklagte
ließ die Klägerin durch den Facharzt für Orthopädie Dr. M. untersuchen, der in seinem Gutachten vom 26.7.1980 bei
der Klägerin im wesentlichen arthrotische Veränderungen der Kniegelenke beiderseits, mäßige statisch muskuläre
Rückeninsuffizienz bei verstärkter rechtsseitiger Seitenspondylose im Brustwirbelsäulenbereich feststellte. Als
Dienstfrau und Zugpflegerin sei die Klägerin nicht mehr einsatzfähig, könne aber noch leichte bis mittelschwere
Arbeiten mit einigen Einschränkungen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt vollschichtig verrichten.
Mit Bescheid vom 23.4.1980 lehnte die Beklagte den erneuten Rentenantrag wiederum ab. Der von der Klägerin
erhobene Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 29.8.1980 zurückgewiesen.
Hiergegen hat die Klägerin fristgerecht beim Sozialgericht Frankfurt am Main Klage erhoben und geltend gemacht, sie
sei nicht mehr in der Lage, vollschichtig Arbeiten zu verrichten, weshalb ihr seit Antragsmonat
Erwerbsunfähigkeitsrente zustehe. Zum Beweis für ihr Vorbringen hat sie Berichte von Dr. A. vom 8.5.1981 und
19.8.1981 und der Dres. T. und B. (Fachärzte für Innere Krankheiten) vom 17.9.1981 vorgelegt. Das Sozialgericht hat
Beweis erhoben durch Einholung eines Gutachtens bei dem Facharzt für Orthopädie Dr. Bu. vom 17.5.1982. Der
Sachverständige hat bei der Klägerin als Leiden von erwerbsminderndem Dauereinfluß einen Kniegelenksverschleiß,
eine chronische Dorsalgie bei deutlichen degenerativen Veränderungen der mittleren und unteren Brustwirbelsäule
sowie eine beginnende Daumensattelgelenksarthrose beiderseits festgestellt. Die Klägerin sei nur noch in der Lage,
leichte bis mittelschwere Arbeiten 6 Stunden täglich zu verrichten. Die Arbeiten sollten vorwiegend im Sitzen mit
Möglichkeit zum zwischenzeitlichen Gehen und Stehen, in geschlossenen Räumen ohne vermehrtes Bücken und
Tragen schwerer Gegenstände durchgeführt werden. Dieses Leistungsvermögen bestehe seit Anfang 1982. In seiner
Stellungnahme zu diesem Gutachten hat der beratende Arzt der Beklagten, Dr. M. die Auffassung vertreten,
zumindest leichte Arbeiten seien der Klägerin noch ganztags zuzumuten.
Durch Urteil vom 19.11.1982 hat das Sozialgericht die Bescheide der Beklagten vom 23.4.1980 und 29.8.1980
aufgehoben und die Beklagte verurteilt, der Klägerin Rente wegen Erwerbsunfähigkeit ab 1.1.1982 zu gewähren. Nach
dem Gutachten von Dr. Bu. könne die Klägerin nicht mehr vollschichtig arbeiten. Mit diesem Leistungsvermögen sei
eine Vermittlung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht mehr vorstellbar. Die von der Beklagten der Klägerin
angebotene Tätigkeit als Büroreinigerin genüge nicht dem eingeschränkten Leistungsvermögen.
Gegen das der Beklagten am 17.1.1983 zugestellte Urteil hat diese am 8.2.1983 Berufung eingelegt.
Die Beklagte vertritt die Ansicht, nach dem fachorthopädischen Gutachten von Dr. Bu. sei keine
Befundverschlechterung im Vergleich zu dem Gutachten von Dr. M. festzustellen. Wenn Dr. Bu. der Klägerin noch 6
Stunden täglich mittelschwere Arbeiten zumute, müsse davon ausgegangen werden, daß sie leichte Arbeiten noch
vollschichtig verrichten könne. Im übrigen habe das Sozialgericht nicht geprüft, ob die Klägerin auf dem
Teilzeitarbeitsmarkt vermittlungsfähig sei. Soweit dies nicht der Fall sei, stehe ihr allenfalls eine Zeitrente zu.
Die Beklagte beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 19. November 1982 aufzuheben und die
Klage in vollem Umfang abzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Zur Begründung ihres Antrages bezieht sie sich auf das von dem Sozialgericht eingeholte Gutachten von Dr. Bu. und
auf die ihrer Ansicht nach zutreffenden Gründe des angefochtenen Urteils sowie auf die von ihr im Termin am
26.6.1984 vorgelegte ärztliche Bescheinigung von Dr. Ma. (Orthopäde) vom 25.6.1984.
Der Senat hat zum Gesundheitszustand und zum Leistungsvermögen der Klägerin Beweis erhoben durch Einholung
eines Gutachtens vom 12.10.1983 bei dem Facharzt für Orthopädie Dr. Sch. Der Sachverständige hat bei der Klägerin
folgende Gesundheitsstörungen von erwerbsminderndem Dauereinfluß festgestellt: Panarthrose beider Kniegelenke
mit Bevorzugung des Kniescheibengleitlagers beidseits und Bewegungsbehinderung, degenerative
Wirbelsäulenveränderungen vorwiegend der Brustwirbelsäule und unteren Halswirbelsäule bei leichter Fehlstatik,
beginnende Aufbraucherscheinungen beider Hüftgelenke und der linksseitigen Sprung- und Rückfußgelenke mit
unergiebiger Beweglichkeit, Krampfaderleiden an beiden Beinen, Arthrosis beider Daumen- und Sattelgelenke ohne
Krankheitswert. Der Klägerin seien nur noch ausschließlich leichte körperliche Arbeiten zumutbar. Die Tätigkeiten
sollten überwiegend im Sitzen mit nur gelegentlichem Stehen und Gehen zu ebener Erde mit nur gelegentlichem
Treppensteigen, ohne Benutzung von Leitern und Überkopfarbeiten, ohne Zwangshaltung des Kopfes, nicht nur unter
besonderem Zeitdruck, ohne Heben und Tragen von Lasten und ohne gehäuftes Bücken erfolgen. Arbeiten mit den
Händen in der Nässe sollten unter prophylaktischen Gesichtspunkten unterbleiben. Die Verrichtung der Tätigkeiten
vorwiegend in geschlossenen und temperierten Räumen wäre wünschenswert, jedoch nicht zwingend notwendig. Die
Einholung weiterer Gutachten sei nicht erforderlich. In der vom Senat angeforderten ergänzenden Stellungnahme vom
10.1.1984 hat der Sachverständige zu der Frage, welche Einschränkung hinsichtlich des Weges zur Arbeitsstelle
bestehe, ausgeführt, der Klägerin könne unter Beachtung eines gewissen Ermessensspielraumes eine
ununterbrochene Wegstrecke von 800 m und einschließlich einer kurzen Stehpause von 1.000 m zugemutet werden.
Außerdem hat der Senat zu der Frage, welche Tätigkeiten für die Klägerin noch in Betracht kommen, eine Auskunft
des Präsidenten des Landesarbeitsamtes Hessen vom 11.4.1984 eingeholt, auf die Bezug genommen wird.
Wegen weiterer Einzelheiten sowie zum Vorbringen der Beteiligten im übrigen wird Bezug genommen auf den Inhalt
der Gerichtsakten sowie auf die vom Senat beigezogenen Akten der Beklagten, welche Gegenstand der mündlichen
Verhandlung waren.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist zulässig und begründet.
Das Sozialgericht hat unter Aufhebung der angefochtenen Bescheide die Beklagte zu Unrecht verurteilt, der Klägerin
Rente ab 1.1.1982 zu gewähren. Die Zeit vor dem 1.1.1982 steht vorliegend ohnehin bereits außer Streit, da das
Sozialgericht jedenfalls im Ergebnis insoweit die Klage abgewiesen hat und nur die Beklagte Berufung eingelegt hat.
Entgegen der Ansicht der Vorinstanz ist der Versicherungsfall der Berufsunfähigkeit und der der Erwerbsunfähigkeit
noch nicht eingetreten. Die Klägerin ist noch nicht berufsunfähig im Sinne von § 1246 Abs. 2
Reichsversicherungsordnung (RVO), so daß auch Erwerbsunfähigkeit nach § 1247 Abs. 2 RVO nicht vorliegt, wonach
über die Berufsunfähigkeit hinaus noch weitere Voraussetzungen erfüllt sein müssen.
Nach § 1246 Abs. 2 RVO ist berufsunfähig ein Versicherter, dessen Erwerbsfähigkeit infolge von Krankheit oder
anderen Gebrechen oder Schwäche seiner körperlichen oder geistigen Kräfte auf weniger als die Hälfte derjenigen
eines körperlich und geistig gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und
Fähigkeiten herabgesunken ist. Der Kreis der Tätigkeiten, nach denen die Erwerbsfähigkeit eines Versicherten zu
beurteilen ist, umfaßt alle Tätigkeiten, die seinen Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihm unter
Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs seiner Ausbildung sowie seines bisherigen Berufes und der besonderen
Anforderungen seiner bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können.
Ausgangspunkt für die Beurteilung der Berufsunfähigkeit ist nach der ständigen Rechtsprechung des
Bundessozialgerichts (BSG), der sich der Senat anschließt, der "bisherige Beruf” des Versicherten, von dessen
qualitativem Wert es abhängt, auf welche anderen Tätigkeiten er zumutbar noch verwiesen werden kann (vgl. BSG-
Urteil vom 18.2.1981 in SozR 2200 § 1246 Nr. 75 m.w.H.; BSG-Urteile vom 9.12.1981 in SozR 2200 § 1246 Nrn. 85
und 86; BSG-Urteil vom 15.11.1983 – 1 RJ 112/82). Als bisheriger Beruf ist im Regelfall die letzte Beschäftigung
anzusehen, die der Versicherte vollwertig und nicht nur vorübergehend versicherungspflichtig ausgeübt hat (vgl. BSG-
Urteil vom 1.6.1982 – 1 RJ 32/81; BSG-Urteil vom 29.11.1979 in SozR 2200 § 1246 Nr. 53).
Im vorliegenden Fall ist die Klägerin als ungelernte Arbeiterin einzustufen. Die Klägerin hat keinen Beruf erlernt und
auch im Laufe ihres Arbeitslebens fast ausschließlich nur ungelernte Arbeiten verrichtet. Die von der Klägerin zuletzt
verrichtete Tätigkeit als Zugpflegerin erforderte keine berufliche Ausbildung und stellte keine besonderen qualitativen
Anforderungen.
Als ungelernte Arbeiterin kann die Klägerin nach dem von der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts entwickelten
Stufenschema (zu dem Stufenschema vgl. BSG-Urteil vom 12.11.1980 in SozR 2200 § 1246 Nr. 69; BSGE 45, 276 ff.
m.w.H.; BSG-Urteil vom 9.12.1981 in SozR 2200 § 1246 Nr. 86) zumutbar auf alle Tätigkeiten des allgemeinen
Arbeitsmarktes verwiesen werden, da die Versicherten der Gruppe der ungelernten Arbeiter grundsätzlich auf alle
Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes verwiesen werden können, die sie nach ihrem Gesundheitszustand und
ihren beruflichen Fähigkeiten verrichten können (BSG-Urteil vom 18.2.1981 in SozR 2200 § 1246 Nr. 75 m.w.H.; BSG-
Urteil vom 1.3.1984 – 4 RJ 43/83).
Nach den von dem Senat getroffenen Feststellungen ist das Leistungsvermögen der Klägerin zwar eingeschränkt,
doch ist sie noch in der Lage, leichte Arbeiten unter Beachtung einiger Einschränkungen zu verrichten. Für diese
Feststellung stützt sich der Senat vor allem auf das von ihm eingeholte Gutachten von Dr. Sch. vom 12.10.1983
sowie auf dessen ergänzende Stellungnahme vom 10.1.1984. Dr. Sch. hat sich in seinem Gutachten mit den
orthopädischen Vorgutachten von Dr. M. und Dr. Bu. auseinandergesetzt und überzeugend dargelegt, daß trotz der bei
der Klägerin vorhandenen Gesundheitsstörungen eine Einschränkung auf 6 Stunden täglich auch für leichte Arbeiten
nicht geboten ist. Andererseits hat Dr. Sch. aber auch ausgeführt, daß mittelschwere Arbeiten, wie sie Dr. Bu. der
Klägerin noch zugemutet hat, nicht mehr in Betracht kommen. Damit hat Dr. Sch. die von dem beratenden Arzt der
Beklagten bereits zum Gutachten von Dr. Bu. vertretene Auffassung voll bestätigt, daß der Klägerin zumindest leichte
Arbeiten noch vollschichtig zumutbar sind und die abweichende Auffassung von Dr. Bu. insoweit weder durch die Art
und Schwere der Gesundheitsstörungen begründet noch in sich schlüssig sei. Der Senat hat keinen Anlaß, an der
Richtigkeit des Gutachtens von Dr. Sch. zu zweifeln. Dem Sachverständigen lagen die früheren gegensätzlichen
Gutachten vor, und er hat sich nach erneuter Untersuchung der Klägerin unter Berücksichtigung der von ihr
vorgetragenen Beschwerden mit diesen Gutachten auseinandergesetzt. Das Gutachten selbst läßt Widersprüche in
Befunderhebung und Beurteilung des Leistungsvermögens nicht erkennen und ist hinreichend wissenschaftlich
begründet.
Mit diesem Gutachten ist der Gesundheitszustand der Klägerin nunmehr als geklärt anzusehen. Aus der von der
Klägerin vorgelegten ärztlichen Bescheinigung von Dr. M. vom 25.6.1984 ergeben sich keine Hinweise auf eine nach
der Untersuchung bei Dr. Sch. eingetretene Verschlechterung. Nachdem die Klägerin bereits früher internistisch
untersucht worden war, ohne daß besonders gravierende Gesundheitsstörungen festgestellt werden konnten, ist die
gesundheitliche Situation von seiten dieses Fachgebietes offenbar unverändert geblieben, worauf der Sachverständige
hingewiesen hat. Da von seiten anderer medizinischer Fachgebiete weder weitere erhebliche Gesundheitsstörungen
bekannt noch von der Klägerin vorgetragen worden sind, besteht weder von internistischer Seite noch von seiten
eines anderen Fachgebietes Anlaß zur Einholung eines weiteren Gutachtens.
Mit dem ihr verbliebenen Leistungsvermögen kann die Klägerin zwar nicht mehr in ihrem zuletzt ausgeübten Beruf als
Fahrzeugreinigerin bzw. Zugpflegerin arbeiten, dennoch ist sie noch nicht berufsunfähig. Wie sich aus der Auskunft
des Präsidenten des Landes arbeit samt es Hessen vom 11.4.1984 ergibt, kommen für sie noch eine Reihe anderer
Berufe in Betracht, die sie unter Beachtung ihres gesundheitlichen Leistungsvermögens und ihres beruflichen
Werdeganges verrichten kann. Danach kann die Klägerin noch als Mitarbeiterin in der Poststelle eines Betriebes oder
einer Behörde, als Pförtnerin (Tagesschicht) in Eingangshallen von Betrieben oder Behörden, als Kartenverkäuferin
und/oder -Kontrolleurin, Gerätezusammensetzerin und Maschinenstickerin in der Gardinenherstellung in den von dem
Präsidenten des Landesarbeitsamtes näher beschriebenen Umfang tätig sein. Hinsichtlich dieser Tätigkeiten ist der
Arbeitsmarkt für die Klägerin auch nicht verschlossen, da insoweit Arbeitsplätze auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt
der Bundesrepublik einschließlich Berlin (West) in nennenswertem bzw. ausreichendem Umfang zur Verfügung
stehen.
Es kann auch nicht davon ausgegangen werden, daß die Klägerin nur noch unter arbeitsmarkt- bzw.
betriebsunüblichen Bedingungen tätig sein kann, weil die ihr zumutbare ununterbrochene Wegstrecke nur noch 800
bzw. einschließlich einer kurzen Stehpause nur noch 1.000 m beträgt. Zwar ist die Rechtsprechung des
Bundessozialgerichts zur Verschlossenheit des Arbeitsmarktes grundsätzlich mir auf solche Versicherte anzuwenden,
die nur noch Teilzeitarbeit verrichten können (BSG-Urteil vom 19.3.1981 in SozR 2200 § 1247 Nr. 33 m.w.H.; BSGE
44, 39, 40 – für viele), ausnahmsweise ist jedoch auch bei Vollzeitarbeitsplätzen zu prüfen, ob es für die in Betracht
kommenden Tätigkeiten Arbeitsplätze in ausreichendem Umfang gibt. Dies ist u.a. dann nicht der Fall, wenn ein
Versicherter nicht mehr in der Lage ist, entsprechende Arbeitsplätze von seiner Wohnung aus aufzusuchen (BSG-
Urteil vom 19.3.1981 a.a.O.; BSGE 44, 39, 40; vgl. bereits BSGE 24, 142, 145). Demnach kann berufs- bzw.
erwerbsunfähig auch ein Versicherter sein, der wegen seiner Gesundheitsstörungen nicht mehr unter betriebsüblichen
Arbeitsbedingungen einsatzfähig ist. Hierzu zählt auch die Unfähigkeit, einen Arbeitsplatz aufzusuchen. Angesichts
der Zumutbarkeit eines Wohnsitzwechsels kommt es allerdings nicht auf den konkreten Weg von der Wohnung des
Versicherten zur Arbeitsstelle an, sondern vielmehr darauf, welcher Weg zur Arbeitsstelle oder zu einem öffentlichen
Verkehrsmittel als üblich angesehen werden kann (BSG-Urteil vom 10.3.1982 – 5b/RJ-70/81; BSG-Urteil vom
11.9.1979 – 5 RJ 86/78). Bei einer Einschränkung des Arbeitsweges auf 800 m bei einer ununterbrochenen Strecke
bzw. auf 1.000 m, wenn eine kurze Stehpause gemacht wird, muß jedoch davon ausgegangen werden, daß
grundsätzlich noch ausreichend Arbeitsplätze für die Klägerin erreichbar sind, (vgl. auch Urteil des Senats vom
29.5.1984 – L-2/J-212/82 m.w.H.). Wie der Präsident des Landesarbeitsamtes in seiner erwähnten Auskunft ausführt,
handelt es sich zwar insoweit nach seiner Auffassung um eine Minimalvoraussetzung, doch ergibt sich auch aus
seiner Auskunft, daß ein solcher Weg grundsätzlich noch als üblich angesehen werden kann. Entgegen der Ansicht
des Präsidenten des Landesarbeitsamtes kommt es nämlich nicht darauf an, ob die Klägerin im Umkreis von etwa
1.000 m von ihrem derzeitigen Wohnort einen Arbeitsplatz finden kann oder jedenfalls ein öffentliches Verkehrsmittel
erreichen kann, um zu einem Arbeitsplatz zu gelangen. Für die Frage, ob der Arbeitsmarkt für die Klägerin wegen der
Einschränkung der Wegstrecke als offen oder verschlossen anzusehen ist, kommt es auf den Arbeitsmarkt im
gesamten Bundesgebiet und nicht auf die örtlichen Verhältnisse an.
Bei dieser Sachlage ist es unbeachtlich, ob der Klägerin auf dem örtlichen Arbeitsmarkt in absehbarem Zeitraum eine
Teilzeitbeschäftigung vermittelt werden könnte, weil die Klägerin nicht auf lediglich Teil zeit arbeiten beschränkt ist.
Für noch vollschichtig Erwerbsfähige ist die vom Bundessozialgericht entwickelte Rechtsprechung zur
Verschlossenheit des Arbeitsmarktes für Teilzeitbeschäftigte nicht anwendbar. Aus diesem Grunde scheidet auch die
Gewährung einer Zeitrente nach § 1276 RVO aus.
Die Vermittlung eines dem Leistungsvermögen der Klägerin entsprechenden Arbeitsplatzes ist Aufgabe der
Arbeitsverwaltung und fällt nicht in den Risikobereich der Rentenversicherung.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Der Senat hat die Revision nicht zugelassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG nicht
vorliegen.