Urteil des LSG Hessen vom 14.03.2017

LSG Hes: versorgung, wissenschaft, wahrscheinlichkeit, entstehung, ergänzung, gerichtsakte, anerkennung, ermessensleistung, grundausbildung, erfahrung

Hessisches Landessozialgericht
Urteil vom 12.07.1972 (rechtskräftig)
Sozialgericht Darmstadt
Hessisches Landessozialgericht L 5 V 225/71
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Darmstadt vom 20. Januar 1971 wird zurückgewiesen.
Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
Tatbestand:
Der 1944 geborene Kläger hatte als Soldat auf Zeit vom 2. Oktober 1963 bis 30. September 1965 Dienst bei der
Bundeswehr getan. Um den 18. Dezember 1964 erkrankte er an einem periodischen Fieber, das etwa zwei Tage
anhielt. Diese Fieberschübe wiederholten sich in Abständen von ca. drei Wochen. Er trat dabei innerhalb von Minuten
aus vollem Wohlbefinden im Dienst oder auch außerhalb dieses Dienstes auf und verschwand ohne Medikation. Am
1. Juli 1965 erfolgte deswegen die Aufnahme in die medizinische Abteilung des Zentrallazarettes K., die bis zum 28.
Januar 1966 andauerte, wobei die Zeit ab 30. September 1965 als Wehrdienstübungszeit angerechnet worden ist.
Nach seiner Entlassung beantragte er am 1. Februar 1966 Versorgung und Heilbehandlung nach §§ 80 ff. des
Soldatenversorgungsgesetzes (SVG) i.V.m. dem Bundesversorgungsgesetz (BVG). Dieser Antrag ist mit Bescheid
vom 8. Mai 1967 abgelehnt worden, da der Kläger an der Aufklärung des Sachverhalts nicht mitgewirkt habe.
Einen erneuten Antrag auf Versorgung nach dem SVG stellte er dann am 11. März 1968 wegen der rezidivierenden
Fieberschübe unklarer Genese.
Unter Auswertung des Arztberichtes der I. Medizinischen Universitätsklinik F., wo der Kläger vom 13. August bis 13.
Oktober 1966 stationäre Aufnahme gefunden hatte, vertrat der Regierungsmedizinaldirektor Dr. W. in der Äußerung
vom 2. Juli 1968 die Ansicht, eine Kannversorgung könne nicht Platz greifen, weil die Ursache der zu beobachtenden
Leidenserscheinungen unbekannt sei und damit die den Symptomen zuzuordnende Krankheit.
Der Hessische Minister für Arbeit, Volkswohlfahrt und Gesundheitswesen lehnte am 24. September 1968 die
Anwendung der Kannvorschrift des § 81 a SVG ab, da diagnostisch nicht geklärt sei, welches Leiden die auftretenden
Krankheitserscheinungen auslösten.
Mit Bescheid vom 3. November 1968 ist hiernach die begehrte Versorgung wegen auftretender Fieberschübe
abgelehnt worden, wobei dem Kläger gleichzeitig mitgeteilt worden ist, daß wegen der nicht ausreichenden
diagnostischen Klärung dieser Fieberschübe auch keine Kannleistung gewährt werden könne.
In dem sich anschließenden Widerspruchsverfahren ist von Oberregierungsmedizinalrat Dr. W. der Bericht des
Krankenhauses N. in F. ausgewertet worden, wo der Kläger sich vom 5. Mai bis 16. Mai 1968 zur stationären
Beobachtung befunden hatte.
Der daraufhin ergangene Widerspruchsbescheid vom 21. August 1969 führte aus, der Bericht des Krankenhauses N.
in F. habe in der Frage der periodisch auftretenden Fieberschübe keine neuen Gesichtspunkte erbracht. Auch in
diesem Krankenhaus wären bei Anwendung aller Untersuchungsmethoden, die für eine medizinische Klärung der
Ursache dieser unklaren Fiebererscheinungen irgendwie in Betracht kämen, keine Anhaltspunkte zu erkennen
gewesen, die zu entsprechenden diagnostischen Schlüssen und damit zu einer Klärung in der Frage des
Ursachenzusammenhangs mit dem vom Kläger geleisteten Wehrdienst führen könnten. Die Gewährung von
Versorgung als Rechtsanspruch sowie als Kannleistung sei damit nicht möglich.
In dem Klageverfahren vor dem Sozialgericht Darmstadt hat der Kläger vorgetragen, die ersten Fieberschübe seien
während der Bundeswehrdienstzeit aufgetreten. Wenn die Ursache und Entstehung nicht geklärt werden könne, dürfe
das nicht zu seinen Lasten gehen.
Mit Urteil vom 20. Januar 1971 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. In den Entscheidungsgründen hat es
ausgeführt, dem Kläger stehe keine Versorgung gemäß § 81 SVG zu. Eine Kannleistung nach § 81 a SVG komme
ebenfalls nicht in Betracht. Es sei weder eine Dienstverrichtung noch seien Wehrdienst eigentümliche Verhältnisse
ersichtlich, welche zu einer gesundheitlichen Schädigung hätten führen können, Es seien auch keine
Schädigungstatbestände anzunehmen, die für eine Kannleistung in Frage kämen.
Gegen das dem Kläger am 29. Januar 1971 zugestellte Urteil ist die Berufung am 1. März 1971 beim Hessischen
Landessozialgericht eingegangen, zu deren Begründung er vorträgt, das Sozialgericht sei zu Unrecht davon
ausgegangen, daß der Beklagte auch zur Ablehnung des Kannanspruchs gemäß § 81 a SVG berechtigt gewesen sei.
Da die periodisch auftretenden Fieberschübe sich unstreitig während der Wehrdienstzeit im Herbst 1964 eingestellt
hätten, sei das Erfordernis der Bestimmbarkeit der Beschädigung nach Zeit und Ort der geleisteten Dienstverrichtung
erfüllt.
Der Kläger beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Darmstadt vom 20. Januar 1971 und den Bescheid vom 3.
Oktober 1968 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. August 1969 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend und führt ergänzend aus, es fehle an dem für die Prüfung der Kausalität
notwendigen Nachweis des schädigenden Ereignisses.
Da der Kläger in der mündlichen Verhandlung vom 12. Juli 1972 weder vertreten noch erschienen war, hat der Senat
auf Antrag des Beklagten beschlossen, nach Lage der Akten zu entscheiden.
Die Versorgungsakte mit der Archiv-Nr. XXX und die WDB.-Akte des Wehrbereichsgebührnisamtes III D. haben
vorgelegen. Auf ihren Inhalt und den der Gerichtsakte beider Rechtszüge wird zur Ergänzung des Tatbestandes
Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung, über die gemäß §§ 110, 126 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) nach Lage der Akten entschieden
werden konnte, ist zulässig; sie ist insbesondere frist- und formgerecht eingelegt worden (§§ 143, 151 Abs. 1 SGG).
Sie ist jedoch unbegründet.
Der Bescheid vom 3. Oktober 1968, der in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. August 1969
Gegenstand der Klage geworden ist (§ 95 SGG), ist zu Recht ergangen.
Der Senat hatte lediglich noch darüber zu befinden, ob dem Kläger ein Härteausgleich oder eine Kannversorgung
gemäß § 81 a SVG, zum anderen nach § 81 Abs. 4 SVG (Sechstes Gesetz zur Änderung des
Soldatenversorgungsgesetzes vom 10. August 1971 – BGBl. I. S. 1273), gewährt werden kann. Diese Leistungen
stehen zu, wenn die zur Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Folge einer Schädigung erforderliche
Wahrscheinlichkeit (§ 81 Abs. 3 und 4 SVG) nur deshalb nicht gegeben ist, weil über die Ursache des festgestellten
Leidens in der ärztlichen Wissenschaft Ungewißheit besteht. Es handelt sich dabei um eine Ermessensleistung der
Versorgungsbehörde, die nur daraufhin geprüft werden kann, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens
überschritten worden sind oder ob von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden
Weise Gebrauch gemacht worden ist (§ 54 Abs. 2 Satz 2 SGG).
Wie Ansprüche schlechthin sind auch Ermessensleistungen von dem Vorliegen gewisser Voraussetzungen abhängig.
Zu den tatbestandsmäßigen Leistungsvoraussetzungen gehört nicht nur, daß über die Ursache der Erkrankung in der
medizinischen Wissenschaft Ungewißheit besteht, sondern auch, daß die angeschuldigten Schädigungen nach den
Erfahrungen der medizinischen Wissenschaft geeignet sein müssen, das Leiden hervorzurufen. Zwar gehören die
beim Kläger seit 1964 periodisch auftretenden Fieberschübe nach Prof. Dr. A. vom Krankenhaus N. in F. zu den
Leiden, deren Ätiologie und Pathogenese noch unklar ist. Jedoch sind im vorliegenden Fall die angeschuldigten
schädigenden Einwirkungen nach der Erfahrung der medizinischen Wissenschaft nicht geeignet, diese Fieberschübe
zu verursachen. Das hat Dr. W. unter Beachtung des Rundschreibens des BMA vom 25. April 1968 (Schieckel-
Gurgel, BVG Komm. III neu bearbeitete Aufl. Nr. 478, S. 1984) zutreffend festgestellt. Danach ist eine Versorgung
nach § 81 a und § 81 Abs. 4 SVG allein in den Fällen in Betracht zu ziehen, in denen ein Leiden festgestellt worden
ist, über dessen Ursache in der medizinischen Wissenschaft insofern Ungewißheit besteht, als die Bedeutung von
Schädigungstatbeständen oder anerkannten Schädigungsfolgen für die Entstehung oder Verschlimmerung des
Leidens nicht mit Wahrscheinlichkeit beurteilt werden kann. Danach ist in jedem Fall zu verlangen, das ein geeigneter
Schädigungstatbestand gegeben sein muß. Das Auftreten des ersten Fieberschubes während der Dienstverrichtung
bei der Bundeswehr ist als nicht ausreichend anzusehen, um dieses als schädigendes Ereignis werten zu können.
Das verkennt der Kläger, wenn er zum Nachweis dessen summarisch auf den geleisteten Dienst bei der Bundeswehr
verweist, der keine Besonderheiten im Hinblick auf einen Schädigungstatbestand erkennen läßt. Eine ursächliche
Bedeutung für die Fieberschübe kommt diesem Dienst nämlich deshalb nicht zu, weil er sich nicht durch besondere
Faktoren, die für die Krankheitsentwicklung eine Rolle spielen könnten, ausgezeichnet hat. Das ist der Anamnese des
Berichtes der medizinischen Abteilung des Zentrallazaretts der Bundeswehr in K. zu entnehmen, wo festgehalten ist,
daß die Grundausbildung und Weiterverwendung ohne Besonderheiten erfolgte. Im Dezember 1964, als die
Fieberschübe erstmals auftraten, habe der Kläger normalen Dienst verrichtet. Es hätten keine auffälligen Ereignisse
privater oder dienstlicher Natur bestanden.
Bei diesem Sachverhalt sind keine schädigenden Einwirkungen festzustellen, die die beim Kläger aufgetretenen
Fieberschübe erklären könnten. Demzufolge bedurfte es auch keiner weiteren Sachaufklärung gemäß § 106 SGG. Der
Beklagte hat vielmehr sein Ermessen richtig ausgeübt, wenn er einen Härteausgleich bzw. eine Kannleistung
abgelehnt hat. Damit war der Berufung der Erfolg zu versagen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.