Urteil des LSG Hessen vom 13.03.2017

LSG Hes: mangel des verfahrens, öffentlich, elternrente, kov, beihilfe, ausgleichsfonds, nachzahlung, rückforderung, ermessen, leistungsklage

Hessisches Landessozialgericht
Urteil vom 04.08.1971 (rechtskräftig)
Sozialgericht Frankfurt
Hessisches Landessozialgericht L 5 V 59/70
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt/Main vom 8. Januar 1970 aufgegeben und
die Beklagte verurteilt, an den Kläger 1.827,– DM zu zahlen.
Außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Der Kläger hatte auf den am 25. November 1960 gestellten Antrag der Eheleute M. (künftig M. genannt) mit Bescheid
vom 14. Dezember 1961 Elternrente nach ihrem am 9. Oktober 1915 geborenen und seit dem 6. März 1943
verschollenen Sohn H.-W. M. von monatlich 35,– DM gewährt, die mit Bescheid vom 3. Dezember 1962 für die Zeit
vom 1. Januar bis 31. Dezember 1961 mit insgesamt 1.459,– DM festgesetzt worden ist. Gleichzeitig überwies der
Kläger die Nachzahlung von 2.943,– DM an die Beklagte, die sie am 14. September 1962 als Vorsatz der
Aufwendungen für die am 1. November 1960 von monatlich 303,– DM gezahlte Beihilfe zum Lebensunterhalt nach
dem Lastenausgleichsgesetz (LAG) geltend gemacht hatte.
Dieser Betrag ist dann gemäss Bescheid vom 19. Dezember 1962 von der Beklagten an M. zur Auszahlung gelangt.
Mit Bescheid vom 19. Juni 1963 stellte der Kläger die Elternrente für die Zeit vom 1. Januar bis 31. Dezember 1962
endgültig auf insgesamt 2.520,– DM fest und überwies zur Befriedigung des Ersatzanspruchs an die Beklagte 1.827,–
DM.
Durch Unterrichtung der Beklagten erhielt der Kläger am 26. April 1965 erstmalig Kenntnis davon, dass M. vom 15.
Oktober 1962 rückwirkend ab 1. Januar 1957 ein Altersruhegeld bezogen hätten und für die Zeit vom 1. Januar 1957
bis 31. Juli 1962 eine Nachzahlung von 8.354,60 DM getätigt worden sei.
Die Beklagte erließ daraufhin den Bescheid vom 28. April 1965 über die Änderung der Beihilfe zum Lebensunterhalt
aus dem Härtefonds nach §§ 301, 301 a LAG und den hierzu ergangenen Bestimmungen, mit dem sie von M 7.500,–
DM zuviel gezahlter Kriegsschadensrente zurückforderte, die durch Einbehaltugen der laufenden Zahlungen nach dem
Bescheid vom 11. Juni 1965 2.637,– DM und am 1. Oktober 1970 nach 977,– DM ausmachte.
Der Kläger erteilte dem Anfechtungsbescheid nach § 42 Abs. 1 i.V.m. § 47 Abs. 1 und 3 des Gesetzes über das
Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung (VerwVG) vom 4. Mai und den Festsetzungsbescheid vom 5. Mai
1965 sowie die Benachrichtigung vom 8. Juni 1965, mit der eine Restüberhebung von 5.964,– DM berechnet worden
ist, die er von M. zurückverlangte.
Mit Schreiben vom 29. Juni 1966 forderte weiterhin der Kläger die Beklagte unter Hinweis auf § 81 b
Bundesversorgungsgesetz (BVG) zur Rückzahlung des zu Unrecht erstatten Betrags von 4.770,– DM auf, was die
Beklagte mit Schreiben vom 13. Dezember 1966 ablehnte. Die weiteren Anmahnungsschreiben des Klägers vom 21.
November und 21. Dezember 1966, 3. Februar und 6. Juni 1967 sind mit den Schreiben der Beklagten vom 2. Januar,
10. März, 11. Juli, 23. November und 27. Dezember 1967 negativ beschieden worden.
Daraufhin hat der Kläger im Klagewege vor dem Sozialgericht Frankfurt/Main den Betrag von 1.827,– von der
Beklagten zurückgefordert. Er hat ausgeführt, er werde nur noch dieser Betrag verlangt, der der Beklagten auf Grund
des Bescheides vom 19. August 1963 überwiesen worden sei. Es handele sich dabei um den öffentlich-rechtlichen
Rückerstattungsanspruch. Da ein Nachzahlungsbetrag an die Eheleute M. zu Unrecht errechnet worden sei, sei auch
der Erstattungsbetrag vom 1.827,– DM an die Beklagte zu Unrecht gezahlt worden. Die Gerichte der
Sozialgerichtsbarkeit seien zur Entscheidung für diesen Anspruch zuständig. Der Anspruch der vorliegenden Art
betreffe eine Angelegenheit der KOV.
Dazu hat die Beklagte geltend gemacht, für die Klage sei das Verwaltungsgericht und nicht das Sozialgericht
zuständig. Die Klage sei im übrigen auch unbegründet. Der vom Kläger überwiesene Betrag von 1.827,– DM stehe ihr
nach § 290 Abs. 3 LAG zu. Wenn der Kläger sich getäuscht habe und bei seiner Rentenberechnung von falschen
Voraussetzungen ausgegangen sei, so sei das nicht ihr anzulasten. Der Betrag von 1.827,– DM sei von ihr als
Aufwendungsersatz nach § 290 Abs. 3 LAG einbehalten worden. Im übrigen könnten nicht die Leistungsempfänger
nicht der Verwurf des Verschweigens des Altersruhegeldes träfe. Der Geldendmachung des öffentlich-rechtlichen
Erstattungsanspruchs stehe § 290 Abs. 2 LAG entgegen, wonach der Ausgleichsfonds bei Zusammentreffen eigener
Forderungen mit denen anderer öffentlicher Kassen immer Vorrang habe. Es bestehe noch eine Forderung gegen die
Leistungsempfänger von über 1.500,– DM. Vorsorglich werde auch die Einrede der Verjährung geltend gemacht, denn
seit dem 26. April 1965, als der Kläger von der Verschweigung anderweitiger Einkünfte durch den Berechtigten mehr
als 3 Jahre vergangen.
Mit Urteil vom 8. Januar 1970 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. In den Entscheidungsgründen hat es
ausgeführt, die Klage sei unzulässig, da der Sozialgerichtsweg nicht gegeben sei. Das Gericht habe keine
Entscheidung über eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit in Angelegenheiten der Kriegsopferversorgung zu treffen
gehabt. Die Möglichkeit der Rückforderung von der eigentlich leistungspflichtigen Stelle sei vor allem nach
allgemeinen verwaltungsrechtlichen Grundsätzen und dem für diese Stelle speziellen Recht – hier dem
Lastenausgleichsrecht – zu beurteilen.
Gegen das dem Kläger am 13. Januar 1970 zugestellte Urteil ist die Berufung am 19. Januar 1970 bei dem
Hessischen Landessozialgericht eingetragen, zu deren Begründung er ausführt, die Berufung sei gemäß § 149 SGG
statthaft, da der Beschwerdewert 500,– übersteige. Es werde ein wesentlicher Mangel des Verfahrens gerügt, weil das
Sozialgericht die Klage als unzulässig abgewiesen habe, obwohl es eine Sachentscheidung hätte treffen müssen. Das
Sozialgericht habe bei seiner Entscheidung den Unterschied zwischen einem öffentlich-rechtlichen
Erstattungsanspruch nach § 81 b BVG und einem öffentlich-rechtlichen Rückerstattungsanspruch verkannt.
Vorliegend werde jedoch nicht ein Anspruch nach § 81 b BVG geltend gemacht, sondern die Erstattung von zu
Unrecht überwiesenen Versorgungsbezügen. Der Betrag von 1.827,– DM sei der Beklagten als Ersatzanspruch
überwiesen worden. Dieser Betrag sei ohne Rechtsgrund gezahlt worden, da den Eheleuten M. kein
Nachzahlungsanspruch zugestanden habe.
Der Kläger beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt/Main vom 8. Januar 1970 aufzuheben und die Beklagte
zu verurteilen, an ihm 1.827,– DM zu zahlen.
Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Sie macht dazu geltend, zutreffend sei das Sozialgericht davon ausgegangen, dass es sich vorliegend nicht um eine
öffentlich-rechtliche Streitigkeit in Angelegenheiten der Kriegsopferversorgung handele und somit das Sozialgericht
nicht zuständig sei. Denn der Kläger stütze seinen Anspruch nicht auf eine Vorschrift des BVG oder eines sonstigen
Gesetzes des Versorgungsrechts, sondern mache einen auf allgemeine Grundsätze des Verwaltungsrechts sich
gründenden öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch geltend. Der Anspruch habe in den Bestimmungen des
Lastenausgleichsrechts seinen Ursprung. Nach dem Tod der Eheleute M. habe noch eine Forderung des
Ausgleichsfonds von 977,– DM wegen überzahlter Kriegsschadensrente bestanden. Diese Forderung gehe der
Klageforderung gemäß § 290 Abs. 2 LAG vor.
Beide Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Die Versorgungsakte mit der Grundliste-Nr. hat vorgelegen. Auf ihren Inhalt und den der Gerichtsakte beider
Rechtszüge wird zur Ergänzung des Tatbestandes Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die nach § 151 Abs. 1 SGG frist- und formgerecht eingelegte Berufung, über die der Senat gemäß § 124 Abs. 2 SGG
im Einverständnis mit dem Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden konnte, ist zulässig, da
Ausschließungsgründe nicht entgegenstehen (§§ 143, 149 SGG). Sie ist auch begründet.
Die von dem Kläger erhobene Rüge eines wesentlichen Verfahrensmangels wegen Erlass eines Prozessurteils
anstelle eines Sachurteils ist zurecht erheben worden, denn die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit sind gemäß § 51
Abs. 1 SGG zur Entscheidung berufen. Dieser Mangel des Verfahrens zwingt aber den Senat nicht, die Sache unter
Aufhebung des Urteils an das Sozialgericht zurückzuweisen; das ist vielmehr in das Ermessen des Gerichts gestellt.
Da die Sache ohne weiteres Ermittlungen entscheidungsreif ist, hielt es der Senat für geboten, von der Möglichkeit
der Zurückverweisung keinen Gebrauch zu machen, sondern selbst zu entscheiden (§ 155 SGG).
Die Zulässigkeit des Rechtswegs zu den Sozialgerichten ist für diese Leistungsklage (§ 54 Abs. 5 SGG) gegeben, die
dann stattfindet, wenn der öffentlich-rechtliche Rechtsträger seinen Anspruch nicht durch einen Verwaltungsakt
geltend machen kann, weil der Anspruchsgegner nicht seiner Hoheitsgewalt unterworfen ist. Die Zulässigkeit selbst
ergibt sich aus § 51 Abs. 1 SGG. Nach dieser Bestimmung entscheiden die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit über
öffentlich-rechtliche Streitigkeiten in Angelegenheiten der Kriegsopferversorgung (KOV). Der Begriff "Angelegenheit
der KOV” ist im Gesetz nicht näher erläutert. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG 2, 23) sind
darunter jedenfalls solche Angelegenheiten zu verstehen, die im BVG oder älteren KOV-Gesetzen ihre Grundlage
haben. Um eine solche Angelegenheit handelt es sich vorliegend. Der Kläger verlangt nämlich Rückgewähr einer
Leistung aus der KOV, nämlich der, die das Versorgungsamt Frankfurt/Main nach dem BVG an M. in Form von
Elternrente erbracht hatte, wobei der Umstand, dass die Leistung nicht an die Leistungsempfängerin, sondern infolge
des Forderungsübergangs an die Beklagte abgeführt worden sind (§ 290 Abs. 3 LAG), die Zulässigkeit des
Sozialgerichtsweges nicht beeinflusst (BSG 13, 94 ff.). Der Forderungsübertragung lässt nämlich die
versorgungsrechtliche Natur der Forderung als Leistung unberührt (Breith. 70, 334). Der Anspruch auf Rückgewähr
einer solchen Leistung ist lediglich die Kehrseite des Anspruchs auf die gewährte Versorgungsleistung (BSG. 3, 57; 6,
197; 10, 206; 16, 151; Urteil vom 20.5.1970, Az.: 8 RV 689/68) und deshalb rechtlich wie dieser zu beurteilen (BSG,
Urteil vom 8.9.1970, Az.: 9 RV 488/67).
Die Rechtsgrundlage für das Leistungsbegehren des Klägers ist der öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch als ein
allgemein anerkanntes Rechtsinstitut (vgl. BSG 16, 151 mit weiteren Hinweisen). Im öffentlichen Recht gilt ohne
ausdrückliche Normierung allgemein der Grundsatz, dass Leistungen, die eines rechtlichen Grundes entbehren, zu
erstatten sind, wobei Gläubiger derjenige ist, der sie geleistet hat, was für den Kläger zutrifft, der als
nichtverpflichteter Rechtsträger des öffentlichen Rechts anstelle des Verpflichteten – nämlich der Beklagten – einem
vermeintlich berechtigten Dritten geleistet hat. Das Versorgungsamt Frankfurt/Main war nämlich auf Grund des
Bescheides vom 19. August 1963 der Ansicht gewesen, dass M. für die Zeit vom 1. Januar bis 31. Dezember 1962
eine Elternrente von insgesamt 2.520,– DM und vom 1. Januar bis 30. September 1963 von insgesamt 1.890,– DM
wegen der von der Beklagten gewährten Beihilfe zum Lebensunterhalt zum Zweck der Erstattung überwiesen, obwohl
ein Anspruch auf Elternrente in dieser Höhe wegen des gezahlten Altersruhegeldes von der
Landesversicherungsanstalt Hessen an M. nicht bestanden hat. Damit sind die auf Grund des Versorgungsanspruchs
an M. gewährten Leistungen zu Unrecht, nämlich auf Grund des vermeintlichen Anspruchs der M., in dieser Höhe an
die Beklagte gezahlt worden, was bedingt, dass diese nunmehr auf Grund des Wegfalls der Leistungspflicht des
Klägers in dieser Höhe zur Rückerstattung verpflichtet ist, wobei für den Erstattungsanspruch, der vorliegend deshalb
gegeben ist, weil der Kläger der Beklagten eine Geldleistung erbracht hat, für kein Rechtsgrund mehr besteht, ohne
Bedeutung ist, dass dieser Betrag für die Zeit vom 1. Januar 1962 bis 30. September 1963 nicht von M.
zurückgefordert worden ist. Denn der öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch ist nicht von einem
Rückforderungsanspruch der Versorgungsverwaltung gegen den Versorgungsberechtigten abhängig (BSG, Urteil vom
20.5.1970, Az.: 8 RV 689/68). Der Hinweis der Beklagten auf § 290 Abs. 3 LAG geht daher fehl. Sie ist vielmehr
verpflichtet, dem Kläger den auf Grund des Bescheides vom 19. August 1963 überwiesenen Betrag von 1.827,– DM
zurückzuzahlen.
Der Geltendmachung der Rückforderung des Betrages von 1.827,– DM steht auch nicht die von der Beklagten
erhobene Einrede der Verjährung entgegen, da der Erstattungsanspruch nicht in drei Jahren verjährt, wie sie meint,
sondern für ihn, der in seiner Funktion dem bürgerlich-rechtlichen Bereicherungsanspruch entspricht, grundsätzlich die
Verjährungsfrist von 30 Jahren gilt (BSG, Urteil vom 30.10.1969; Az.: 8 RV 53/68).
Der Berufung des Klägers war daher mit der Maßnahme stattzugeben, dass die Beklagte zu verurteilen war, den
Betrag von 1.827,– DM zurückzuzahlen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs. 4 SGG, weil die Beteiligten Behörden bzw. Körperschaften des
öffentlichen Rechts sind.