Urteil des LSG Hamburg vom 09.03.2011

LSG Ham: wiederaufnahme des verfahrens, pflege, sozialhilfe, tod, einverständnis, leistungserbringer, gleichstellung, begriff, wohnung, legalzession

Landessozialgericht Hamburg
Urteil vom 09.03.2011 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Hamburg S 58 SO 514/06
Landessozialgericht Hamburg L 5 SO 65/10 WA
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 14. März 2008 geändert: Die Klage
wird abgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten, ob die Beklagte als Trägerin der Sozialhilfe der Klägerin als Betreiberin eines ambulanten
Pflegedienstes Pflegedienstleistungen zu vergüten hat.
Die Klägerin hatte am 13. April 2006 mit dem hilfebedürftigen A. B. einen Pflegevertrag über ambulante
Pflegedienstleistungen in dessen Wohnung geschlossen. Diesen Vertrag hatte sie am 18. April 2006 der Beklagten
zur Kenntnis gebracht. Am X.XXXXX 2006 verstarb Herr B., für welchen nachträglich die Pflegestufe II festgestellt
wurde.
In der Folgezeit stellte die Klägerin gegenüber der Beklagten für die Zeit bis zu dessen Tod insgesamt 2090,16 EUR
für gegenüber Herrn B. erbrachte Pflegedienstleistungen in Rechnung. Mit Bescheid vom 31. Oktober 2006 lehnte die
Beklagte das Begehren ab. Nach § 19 Abs. 6 Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialhilfe - (SGB XII) könnten nach
dem Tode eines Leistungsberechtigten nur Einrichtungen und Pflegegeldempfänger Leistungen erhalten, ambulante
Pflegedienste wie die Klägerin seien hingegen nicht anspruchsberechtigt. Der Widerspruch der Klägerin blieb ohne
Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 17. November 2006).
Am 14. Dezember 2006 hat die Klägerin vor dem Sozialgericht Hamburg Klage erhoben und ihr Begehren
weiterverfolgt.
Mit Urteil vom 14. März 2008, berichtigt durch Beschluss vom 8. Mai 2008, hat das Sozialgericht die Beklagte unter
Aufhebung des Bescheides vom 31. Oktober 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. November
2006 dem Grunde nach verurteilt, an die Klägerin die angemessenen Kosten für die von ihr in der Zeit vom 18. April
2006 bis zum X.XXXXX 2006 geleistete Pflege des Herrn A. B., geboren am XX.XXXXXXXXX 1950, unter
Berücksichtigung der bereits von der Pflegekasse geleisteten Zahlungen in Höhe von 921,00 EUR monatlich zu
zahlen. In der Begründung heißt es, der Klägerin stehe der geltend gemachte Anspruch zu. Der verstorbene Herr B.
habe gegenüber der Beklagten einen Anspruch auf Übernahme der angemessenen Kosten für eine besondere
Pflegekraft aus § 65 Abs. 1 Satz 2 SGB XII gehabt. Dieser Anspruch sei nach seinem Tode gemäß § 19 Abs. 6 SGB
XII im Wege einer Legalzession auf die Klägerin übergegangen. Zu den nach dieser Vorschrift übergehenden
Ansprüchen der Berechtigten auf "Leistungen für Einrichtungen" zählten auch die hier streitigen Ansprüche auf
Übernahme der angemessenen Kosten für eine besondere Pflegekraft nach § 65 Abs. 1 Satz 2 SGB XII, mithin der
angemessenen Kosten für einen ambulanten Pflegedienst. Der Wortlaut der Norm stehe einer solchen Auslegung
nicht entgegen. Es sei zudem vor dem Hintergrund des Gleichheitsgrundsatzes (Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz - GG -)
kein Grund ersichtlich, warum private Pflegepersonen und stationäre Einrichtungen, nicht dagegen ambulante
Pflegedienste durch die Norm begünstigt werden sollten.
Das Urteil des Sozialgerichts ist der Beklagten am 16. Mai 2008 zugestellt worden. Am 4. Juni 2008 hat sie Berufung
eingelegt und ausgeführt, die Begründung des Sozialgerichts für die ihr nachteilige Entscheidung sei rechtlich nicht
tragfähig, § 19 Abs. 6 SGB XII begünstige ambulante Pflegedienste nicht.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 14. März 2008 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.
Sie verteidigt die angefochtene Entscheidung und vertieft ihre früheren rechtlichen Ausführungen.
Das Landessozialgericht hat das Berufungsverfahren vorübergehend im Hinblick auf eine zu erwartende Entscheidung
des Bundessozialgerichts zum Ruhen gebracht. Nach Wiederaufnahme des Verfahrens haben die Beteiligten jeweils
ihr Einverständnis mit einer Entscheidung durch den Berichterstatter ohne mündliche Verhandlung erklärt.
Die Sachakten der Beklagten haben vorgelegen. Auf ihren sowie auf den Inhalt der Prozessakten, insbesondere die
zutreffende Sachverhaltsdarstellung im Tatbestand des Urteils des Sozialgerichts, wird wegen weiterer Einzelheiten
des Sachverhalts ergänzend Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Der Senat entscheidet mit Einverständnis der Beteiligten durch den Berichterstatter ohne mündliche Verhandlung (§§
155 Abs. 4 und 3, 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG -).
Die nach den Vorschriften des Sozialgerichtsgesetzes statthafte sowie form- und fristgerecht eingelegte und damit
zulässige Berufung hat in der Sache Erfolg. Das angefochtene Urteil des Sozialgerichts war aufzuheben und die Klage
abzuweisen, da der Klägerin der geltend gemachte Anspruch nicht zusteht. Die allein in Betracht kommende
Anspruchsgrundlage des § 19 Abs. 6 SGB XII greift nicht zugunsten der Klägerin ein.
Nach § 19 Abs. 6 SGB XII steht der Anspruch der Berechtigten auf Leistungen für Einrichtungen oder auf Pflegegeld,
soweit die Leistung den Berechtigten erbracht worden wäre, nach ihrem Tode demjenigen zu, der die Leistungen
erbracht oder die Pflege geleistet hat. Danach gehört die Klägerin als ambulanter Pflegedienst nicht zu dem durch die
Vorschrift begünstigten Personenkreis, insbesondere handelt es sich bei ihr nicht um eine Einrichtung im Sinne der
Vorschrift. Der Senat folgt insoweit der ausführlich und zutreffend begründeten Entscheidung des
Bundessozialgerichts vom 13. Juli 2010 (B 8 SO 13/09 R), wonach ambulante Pflegeleistungen nicht dem Begriff der
Leistungen für Einrichtungen im Sinne des § 19 Abs. 6 SGB XII unterfallen. Ein ambulanter Pflegedienst hat daher
nach dem Tod des pflegebedürftigen Hilfeempfängers keinen eigenen Anspruch - als dessen Sonderrechtsnachfolger -
auf Übernahme noch nicht bezahlter Pflegekosten gegen den Sozialhilfeträger.
Leistungen zur häuslichen Pflege, die der von der Klägerin betriebene ambulante Dienst gegenüber Herrn B. erbracht
hat, sind keine "Leistungen für Einrichtungen" im Sinne von § 17 Abs. 6 SGB XII. Der Gesetzgeber unterscheidet
schon bei der Begriffsbestimmung zwischen Leistungen außerhalb von Einrichtungen (ambulanten Leistungen) und
Leistungen in teilstationären oder stationären Einrichtungen (vgl. § 13 Abs. 1 SGB XII). Ambulante Leistungen werden
hiernach "außerhalb von Einrichtungen" erbracht, ambulante Dienste sind mithin gerade nicht Einrichtungen im Sinne
der Definition (BSG, a.a.O.). Die von der Klägerin geforderte Gleichstellung ambulanter Leistungserbringer mit
stationären ist im Hinblick auf den Anspruchsübergang nach § 19 Abs. 6 SGB XII auch nicht vor dem Hintergrund des
Gleichheitsgrundsatzes (Art. 3 Abs. 1 GG) geboten. Die Situation ambulanter Leistungserbringer und die der Erbringer
von stationären bzw. teilstationären Leistungen ist, wie das Bundessozialgericht ebenfalls dargelegt hat, nicht
vergleichbar. Auch hierauf nimmt der Senat ausdrücklich Bezug, um Wiederholungen zu vermeiden.
Auf die Berufung der Beklagten war daher das stattgebende Urteil des Sozialgerichts aufzuheben und die Klage
abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG (siehe auch dazu BSG, a.a.O.).
Ein Grund, nach § 160 Abs. 2 SGG die Revision zuzulassen, ist nicht gegeben. Insbesondere ist die Sache nicht
mehr grundsätzlich klärungsbedürftig, nachdem das Bundessozialgericht die dem Rechtsstreit allein zugrunde
liegende Rechtsfrage entschieden hat.