Urteil des LSG Hamburg vom 21.10.2010

LSG Ham: gehalt, wichtiger grund, kaufmännischer angestellter, firma, zustandekommen, vorstellungsgespräch, arbeitsweg, arbeitsentgelt, ergänzung, einzelrichter

Landessozialgericht Hamburg
Urteil vom 21.10.2010 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Hamburg S 8 AL 1557/04
Landessozialgericht Hamburg L 5 AL 3/07
Die Berufung wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die
Revision wird nicht zu gelassen.
Tatbestand:
Der Kläger wendet sich gegen die Festsetzung einer dreiwöchigen Sperrzeit.
Der 1966 geborene Kläger war vom 1. Januar 1997 bis 30. April 2004 als Gruppenleiter (kaufmännischer Angestellter)
bei der F. GmbH & Co. KG Hamburg beschäftigt. Er erzielte zuletzt ein Arbeitsentgelt von 2.812,11 EUR brutto
monatlich.
Der Kläger meldete sich am 30. April 2004 bei der Beklagten arbeitslos. Die Beklagte bot dem Kläger mit Schreiben
vom 28. Mai 2004 eine Beschäftigung als kaufmännischer Assistent (Fuhrpark) bei der Firma P. GmbH an und
forderte ihn auf, sich dort umgehend zu bewerben. Der Kläger stellte sich am 8. Juni 2004 bei der Firma vor und führte
ein Bewerbungsgespräch mit der Zeugin Frau W ... Die Firma P. GmbH teilte der Beklagten mit, der Kläger habe sich
am 8. Juni 2004 vorgestellt. Er sei nicht eingestellt worden. Es sei keine Übereinstimmung bei Lohn/Gehalt erzielt
worden. Eine Einstellung wäre ab sofort möglich gewesen. Die Gehaltsforderung des Klägers habe sich jedoch auf
3200 EUR brutto belaufen. Die Firma habe 2600 EUR brutto geboten.
Die Beklagte hörte den Kläger mit Schreiben vom 28. Juni 2004 hierzu an. Der Kläger teilte hierauf mit, er sei nicht
von ihm zu verantworten, dass kein Beschäftigungsverhältnis zu Stande gekommen sei. Es seien
Gehaltsverhandlungen geführt worden. Das angebotene Gehalt habe erheblich unter seinem letzten Gehalt gelegen.
Das Bewerbungsgespräch sei von Frau W. abgebrochen worden. Er wolle weiterhin erwähnen, dass er für die Stelle
eine Fahrzeit von drei Stunden täglich hätte einplanen müssen. Er sei Alleinverdiener und habe seine Frau und drei
Kinder zu versorgen.
Die Beklagte bewilligte mit Bescheid vom 29. Juni 2004 Arbeitslosengeld ab 1. Mai 2004 bis 3. Juni 2004 i.H.v.
305,06 EUR wöchentlich. Mit Bescheid vom 14. Juli 2004 stellte die Beklagte eine Sperrzeit von drei Wochen Dauer
für die Zeit vom 9. Juni 2004 bis 29. Juni 2004, ein Ruhen des Anspruchs auf Arbeitslosengeld für diesen Zeitraum
sowie eine Minderung des Arbeitslosengeld-Anspruches um 21 Tage fest. Der Kläger habe das Zustandekommen
eines Beschäftigungsverhältnisses vereitelt, in dem er ein Gehalt von 3200 EUR gefordert habe.
Hiergegen legte der Kläger am 16. Juni 2004 Widerspruch ein. Die Gehaltsforderung von 3200 EUR sei nicht
übertrieben gewesen. Im Übrigen habe er nicht gesagt, dass diese nicht verhandelbar gewesen sei. Das Gespräch sei
von der Zeugin W. abgebrochen worden und nicht von ihm. Im Übrigen wolle er nochmals darauf hinweisen, dass die
Fahrstrecke 40 Km pro Richtung betrage, sich eine Fahrzeit von knapp 3 Stunden ergebe und sich sein Position vom
Leiter zum Assistenten verschlechtere.
Die Firma P. GmbH teilte der Beklagten mit Schreiben vom 2. September 2004 mit, der Kläger habe auf ein Gehalt
von 3200 EUR bestanden. Der Kläger habe dies damit begründet, dass er drei Kinder zu versorgen habe und noch
nicht so lange arbeitslos sei, so dass er auf ein besseres Angebot warten könne. Man habe den Kläger gebeten dies
noch einmal zu überdenken, da er der nahezu perfekte Kandidat für diese Stelle gewesen sei. Man habe ihm auch
einen Vorab-Besuch beim Kunden vorgeschlagen. Der Kläger habe jedoch auf seinem Gehaltswunsch beharrt.
Weiterhin sei die Entfernung für ihn indiskutabel gewesen.
Mit Widerspruchsbescheid vom 9. September 2004 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers als unbegründet
zurück. Der Kläger habe durch sein Verhalten das Zustandekommen des Beschäftigungsverhältnisses vereitelt. Ein
wichtiger Grund für die Ablehnung liege nicht vor. Sowohl Arbeitsentgelt als auch Arbeitsweg seien zumutbar i.S.d. §
121 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III).
Hiergegen hat der Kläger am 12. Oktober 2004 Klage erhoben. Ihm sei keine Chance gegeben worden, auf das
Angebot von 2400 EUR plus 10 EUR Fahrgeld pro Tag einzugehen. Die Dauer des Anfahrtsweges sei problematisch.
Hinsichtlich des Arbeitsweges mit öffentlichen Verkehrsmitteln betrage die Fahrzeit nach Auskunft des HVV 1:10
Stunde. Hinzu komme aber noch, dass der Kläger morgens einige Minuten früher aus dem Haus gehe müsse.
Das Sozialgericht hat in der mündlichen Verhandlung vom 28. November 2006 die Zeugin W. vernommen. Bezüglich
des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung verwiesen. Sodann hat das
Sozialgericht die Klage mit Urteil vom gleichen Tage abgewiesen. Die streitigen Bescheide seien nicht zu
beanstanden, da der Anspruch des Klägers auf Arbeitslosengeld vom 9. Juni 2004 bis 29. Juni 2004 wegen des
Eintritts einer Sperrzeit von drei Wochen geruht habe, da der Kläger trotz Belehrung über die Rechtsfolgen die ihm von
der Beklagten angebotene Beschäftigung bei der Firma P. GmbH ohne wichtigen Grund nicht angenommen bzw.
durch sein Verhalten die Anbahnung des Beschäftigungsverhältnisses verhindert habe. Das Verhalten des Klägers im
Vorstellungsgespräch habe die Anbahnung eines Beschäftigungsverhältnisses verhindert. Der Kläger habe durch sein
Verhalten in diesem Gespräch bewusst zumindest konkludent zum Ausdruck gebracht, dass er die Beschäftigung
nicht will. Die Arbeitsstelle sei ihm zu weit entfernt gewesen sei und zudem habe er sich nicht auf das zumutbare
Gehaltsangebot von monatlich 2600,- EUR eingelassen. Das ihm dieses Gehalt gebotenen worden sei, stehe für das
Gericht aufgrund der glaubhaften Aussage der Zeugin fest. Der Kläger habe den Tatbestand des § 144 Abs. 1 Nr. 2
SGB III auch durch vorwerfbares Verhalten verwirklicht. Bei pflichtgemäßer Sorgfalt habe er erkennen können, dass
durch sein Beharren auf der Gehaltsvorstellung und die Ablehnung des Fahrtweges der Arbeitgeber dies als
Ablehnung des Angebotes auffassen musste. Die Beklagte habe in dem schriftlichen Vorschlag vom 28. Mai 2004
auch hinreichend über die Rechtsfolgen der Ablehnung des Angebots belehrt. Schließlich habe der Kläger für die
Ablehnung der Beschäftigung auch keinen wichtigen Grund. Sowohl das gebotene Gehalt als auch die benötigte
Fahrzeit seien nach § 121 SGB III zumutbar.
Der Kläger trägt zu Begründung der Berufung vor, dass die Aussage der Zeugin nicht glaubhaft, weil in sich
widersprüchlich sei. Dies gelte für die Höhe des angebotenen Gehaltes, wie für die Frage, ob ein Rückruf des Klägers
am Nachmittag des Vorstellungsgespräches vereinbart worden sei. Der Kläger habe nicht damit rechnen müssen,
dass die Zeugin sofort das Gespräch beenden würde, nachdem er seine Gehaltsvorstellung mit 3000,- EUR beziffert
hatte.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichtes Hamburg vom 28. November 2006 sowie den Bescheid der Beklagten vom 14. Juli
2004 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 9. September 2004 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Das Gericht hat in der mündlichen Verhandlung vom 21. Oktober 2010 nochmals sowohl den Kläger als auch die
Zeugin W. vernommen. Bezüglich des Ergebnisses dieser Vernehmung wird auf das Protokoll der mündlichen
Verhandlung verwiesen.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch den Berichterstatter als Einzelrichter mit schriftlicher
Erklärung vom 10. August 2010 bzw. 21. Juli 2010 einverstanden erklärt.
Zur Ergänzung des Sachverhaltes wird auf den Inhalt der Prozessakte und der Leistungsakte der Beklagten Bezug
genommen. Diese Unterlagen haben vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe:
Der Berichterstatter konnte im Einverständnis der Beteiligten anstelle des Senates entscheiden (§ 154 Abs. 3 i.V.m.
Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz – SGG).
Die Berufung ist statthaft (§§ 143, 144 SGG) und auch im Übrigen zulässig, insbesondere form- und fristgerecht (§
151 SGG) erhoben.
Sie ist jedoch unbegründet. Zu Recht hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Die streitgegenständlichen
Bescheide der Beklagten erweisen sich als rechtmäßig.
Das Sozialgericht hat die einschlägigen Rechtsgrundlagen zutreffend benannt und ebenso zutreffend ausgeführt, dass
auf dieser Grundlage die streitigen Bescheide nicht zu beanstanden sind. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird
daher nach § 153 Abs. 2 SGG zunächst auf die Ausführungen des Sozialgerichts, welche das Gericht sich
ausdrücklich zu eigen macht, Bezug genommen und ergänzend auf Folgendes hingewiesen:
Das Gericht ist davon überzeugt, dass der Kläger durch sein Verhalten beim Vorstellungsgespräch das
Zustandekommen eines Arbeitsverhältnisses verhindert hat. Bei einem Vorstellungsgespräch soll der Arbeitnehmer
sein Interesse an der Aufnahme eines Arbeitsverhältnisses zum Ausdruck bringen. Dies gilt auch dann, wenn es sich
bei dem Gespräch um die bloße Befolgung eines Vermittlungsvorschlags der Agentur für Arbeit handelt. Der
Arbeitslose ist in diesem Stadium gehalten, alle Bestrebungen zu unterlassen, die dieser Intention (Aufnahme eines
Arbeitsverhältnisses) nach außen hin erkennbar entgegenlaufen und den Arbeitgeber veranlassen, ihn aus dem
Bewerberkreis auszuscheiden. Maßgebend ist insoweit das Gesamtverhalten, das der Arbeitslose in Ansehung des
Arbeitsangebots an den Tag legt. Dies gilt nicht nur für die Bewerbung, sondern auch für das Verhalten beim
Bewerbungsgespräch. Der Arbeitslose muss sich gegenüber dem potenziellen Arbeitgeber so verhalten, wie dies
üblicherweise von einem an einer Arbeitsaufnahme interessierten Arbeitslosen erwartet werden kann. Abzustellen ist
hierbei auf den objektiven Empfängerhorizont des Arbeitgebers (vgl. BSG, Urteil vom 05.09.2006 - B 7a AL 14/05 R;
LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 15.05.2007 - L 12 AL 59/04; Bayerisches LSG, Urteil vom 26.03.2009 – L 10 AL
84/06, alle in juris).
Legt man diese objektive Gesamtschau der Beurteilung des Verhaltens des Klägers zugrunde, so ergibt sich klar,
dass er durch sein Verhalten das Zustandekommen eines Beschäftigungsverhältnisses vorwerfbar verhindert hat. Der
Kläger hat von Beginn an zu erkennen gegeben, dass er eigentlich an der angebotenen Beschäftigung nicht ernsthaft
interessiert war. Dies wird insbesondere durch den ständig – bis in das gerichtliche Verfahren – fortgeführten Hinweis
auf den unzumutbar langen Arbeitsweg, die verschlechterte berufliche Stellung und das zu geringe Gehalt deutlich. So
hat der Kläger hierauf im Rahmen der Anhörung durch die Beklagte (vgl. Blatt 24 der Verwaltungsakte), im
Widerspruch (vgl. Blatt 31-32 der Verwaltungsakte) und in seiner Stellungnahme zur Klagbegründung (vgl. Blatt 16-17
der Prozessakte) immer wieder hingewiesen. Dies lässt die Aussage der Zeugin, dass er diese Argumente auch im
Rahmen des Vorstellungsgespräches mit Nachdruck vorgetragen hat, als sehr glaubwürdig erscheinen. Dabei sind
nach Ansicht des Gericht dem Kläger insbesondere folgende Umstände entgegenzuhalten: Nach seinen eigenen
Angaben in der mündlichen Verhandlung am 21. Oktober 2010 hat die Zeugin ihm zunächst ein Gehalt von ca. 2400,-
EUR (inkl. Fahrgeld) und sodann ein Gehalt von ca. 2600,- EUR (inkl. Fahrgeld) geboten. Dieses Angebot hat der
Kläger nach seinen eigenen Angaben abgelehnt, obwohl es weit über der Grenze des ihm Zumutbaren lag. Nach § 121
Abs. 2 Satz 2 SGB III ist in den ersten 3 Monaten der Arbeitslosigkeit ein Gehalt nicht zumutbar, wenn es mehr als
20% unter dem zuletzt bezogenen Gehalt liegt. Ausgehen von dem letzten Gehalt des Klägers in Höhe von ca. 2812,-
EUR lag demnach die Zumutbarkeitsgrenze für das Gehalt bei ca. 2250,- EUR. Somit war schon das erste Angebot
der Zeugin dem Kläger zumutbar, das zweite Angebot lag sogar mehr als 15% über der Zumutbarkeitsgrenze. Dies
hätte dem Kläger auch bewusst sein müssen. Denn wie er selbst stets betont hat, beinhaltete seine letzte Stelle die
Leitung eines Fuhrparks, während es bei der angebotenen Stelle um eine Assistenz ging. Bei dieser Sachlage musste
es sich dem Kläger aufdrängen, dass allein schon aus diesem Gesichtspunkt für die angebotene Tätigkeit kein
höheres, als sein zuletzt bezogenes Gehalt angemessen sein konnte. Ein Abschlag von ca. 200,- EUR musste als
mehr als angemessen erscheinen. Insbesondere ist vor diesem Hintergrund nicht nachvollziehbar, wie der Kläger zu
einer Gehaltsvorstellung von 3200,- EUR kommen konnte, wie er sie in dem Fragenbogen im Vorfeld des
Vorstellungsgesprächs angegeben hatte.
Hat der Kläger somit auf der Grundlage seiner eigenen Angaben ein erkennbar zumutbares Gehaltsangebot abgelehnt,
kommt es auf die diesbezüglichen Angaben der Zeugin, deren Glaubhaftigkeit von dem Kläger – ohne dass dies von
den Gericht nachvollzogen werden könnte – angezweifelt wird, nicht entscheidend an. Soweit der Kläger vorträgt, er
hätte das Angebot der Zeugin ja letztlich angenommen, habe dazu aufgrund des plötzlichen Gesprächsabbruchs und
seiner daraus resultierenden Verwirrung nur keine Gelegenheit mehr gehabt, ist dies für das Gericht weder
nachvollziehbar noch überzeugend. Auch hier gibt der Kläger selbst an, dass er die Zeugin nach dem angeblichen,
plötzlichen Abbruch des Gesprächs gefragt habe, was sie denn der Beklagten mitteilen werde. Wer sich über einen
solchen Gesichtspunkt Gedanken und Sorgen machen kann, ist nach der Überzeugung des Gerichts nicht so verwirrt,
dass er nicht auch an dieser Stelle einlenken und auf das zumutbare Angebot der Zeugin eingehen könnte. Es
ergeben sich für das Gericht nicht die geringsten Anhaltspunkte dafür, dass die Zeugin in diesem Fall nicht ihr
Angebot aufrechterhalten hätte. Denn unzweifelhaft bestand auf Seiten der P. GmbH ein großes Interesse an der
Vermittlung des Klägers.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder Nr. 2 SGG nicht vorliegen.