Urteil des LSG Hamburg vom 03.02.2011

LSG Ham: berufliche weiterbildung, psychologische begutachtung, ermessen, anerkennung, arbeitslosigkeit, beratung, eingliederung, weiterbildungskosten, gespräch, kritik

Landessozialgericht Hamburg
Urteil vom 03.02.2011 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Hamburg S 15 AS 1357/09
Landessozialgericht Hamburg L 5 AS 172/10
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Hamburg vom 10. Mai 2010 wird
zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt die Übernahme der Kosten für eine berufliche Weiterbildung (systemische Familientherapie) mit
DGSF-Anerkennung.
Die 1960 geborene Klägerin erwarb im Jahr 2004 einen Abschluss in Sozialpädagogik. Sie ist hilfebedürftig und
bezieht laufende Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Auf ihren Antrag bewilligte ihr der
Beklagte im Dezember 2006 eine Weiterbildungsmaßnahme Systemische Familientherapie. Nach Ausschulung durch
den Bildungsträger und einen zivilrechtlichen Erfolg der Klägerin in dieser Angelegenheit kam es am 22. Juni 2007 zu
einer psychologischen Begutachtung über die Klägerin und schließlich zu einer Aufhebung der Bewilligung durch den
Beklagen, die bestandskräftig wurde. Am 4. März 2008 beantragte die Klägerin erneut die Übernahme der Kosten
einer Weiterbildungsmaßnahme Systemische Familientherapie.
Dies lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 1. April 2009 ab. Hiergegen legte die Klägerin am 8. April 2009
Widerspruch ein. Den Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 5. Mai 2009 zurück. Die in § 16
SGB II in Verbindung mit § 77 Abs. 1 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) geforderten Voraussetzungen lägen
nicht vor. Die Notwendigkeit der Förderung einer Weiterbildungsmaßnahme sei nicht gegeben. Die Teilnahme an der
beantragten Bildungsmaßnahme würde die Integrationschancen der Klägerin nicht erhöhen, denn nach der
Begutachtung sei sie nicht geeignet für die Weiterbildungsmaßnahme.
Hiergegen hat die Klägerin am 12. Mai 2009 Klage erhoben. Die ursprüngliche Bewilligung zeige die Notwendigkeit der
angestrebten Maßnahme auch aus Sicht des Beklagten. Die unrechtmäßige Ausschulung habe ihr eine
Eingliederungschance genommen, die bei etwa 90 Prozent liege. Die psychologische Begutachtung von 2007 sei
wertlos.
Der Psychologische Dienst der Agentur für Arbeit Hamburg hat die Klägerin am 5. Juni 2009 erneut begutachtet und
am 10. Juni 2009 ein Gutachten darüber erstellt. Eine Eignung als Familientherapeutin sei nicht erkennbar.
Mit Gerichtsbescheid vom 10. Mai 2010 hat das Sozialgericht Hamburg die Klage abgewiesen. Fördervoraussetzung
sei unter anderem eine positive Beschäftigungsprognose. Es müsse zu erwarten sein, dass die
Eingliederungschancen nach Abschluss der Maßnahme erheblich verbessert seien, und es müsse die begründete
Aussicht bestehen, dass dem Antragsteller infolge der Maßnahme ein angemessener Dauerarbeitsplatz verschafft
werden könne. Hinsichtlich dieser Prognoseentscheidung steht dem Leistungsträger ein Beurteilungsspielraum zu, der
seitens der Gerichte nur beschränkt überprüfbar ist. Nur wenn die (tatbestandlichen) Voraussetzungen nach § 77 Abs.
1 SGB III vorlägen, habe die Behörde auf der Rechtsfolgenseite ihr pflichtgemäßes Ermessen auszuüben, ob die
Teilnahme an einer Maßnahme und, wenn ja, welche und in welchem Umfang, gefördert werde. Die von dem
Beklagten getroffene Prognoseentscheidung weise keine Fehler auf. Der Beklagte habe seine Prognose
nachvollziehbar begründet. Dies werde gestützt durch die Einschätzung des Psychologischen Dienstes der Agentur
für Arbeit vom 10. Juni 2009, wonach die Klägerin nicht als Familientherapeutin geeignet sei. Dass sich die Beklagte
in ihrem Widerspruchsbescheid auf das Gutachten des Psychologischen Dienstes vom 22. Juni 2007 stütze, sei vor
dem Hintergrund des psychologischen Gutachtens vom 10. Juni 2009 unerheblich, weil hierin festgestellt wird, "dass
sich in der Persönlichkeit und dem Verhaltensrepertoire der Klägerin seit der letzten Begutachtung nichts geändert
hat, was nun auf die Eignung einer Familientherapeutin hinweisen könnte". Beide Gutachten würde ihre Feststellungen
auf einer nachvollziehbaren und plausiblen Tatsachengrundlage mit ebenso nachvollziehbarer und plausibler
Begründung treffen. Es sei von der Klägerin nichts von Substanz hiergegen vorgebracht worden und auch sonst
nichts ersichtlich, was das gefundene Ergebnis erschüttere. Im Übrigen stehe die Bewilligung der Maßnahme im
Ermessen des Leistungsträgers. Die Bewilligung einer ganz bestimmten Weiterbildungsmaßnahme - wie von der
Klägerin begehrt - setze voraus, dass jede andere Entscheidung als die Förderung der von der Klägerin favorisierten
Maßnahme fehlerhaft wäre. Anhaltspunkte für eine solche Reduzierung des Entschließungs- und des
Auswahlermessens auf Null seien nach dem Sach- und Streitstand nicht ersichtlich.
Dagegen hat die Klägerin am 25. Mai 2010 Berufung eingelegt. Sie wiederholt im Wesentlichen ihr Vorbringen erster
Instanz und spricht überdies Ansprüche auf Schadenersatz, Schmerzensgeld und Aufwandsentschädigung an.
Die Klägerin beantragt
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Hamburg vom 10. Mai 2010 aufzuheben und den Beklagten unter Aufhebung
der Bescheide vom 1. April 2009 und 5. Mai 2009 zu verurteilen, die Kosten für ihre berufliche Weiterbildung
(systemische Familientherapie) mit DGFS-Anerkennung zu übernehmen.
Der Beklagte beantragt sinngemäß,
die Berufung zurückzuweisen.
Er verweist auf die Begründung des angefochtenen Gerichtsbescheides.
Durch Beschluss vom 7. September 2010 hat der Senat die Berufung nach § 153 Abs. 5 des Sozialgerichtsgesetzes
(SGG) dem Berichterstatter zur Entscheidung mit den ehrenamtlichen Richtern übertragen.
Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Prozessakte und der Leistungsakte des Beklagten sowie der
Akten der gerichtlichen Eilverfahren L 5 B 528/07 ER AS und L 5 B 1073/08 ER AS Bezug genommen. Diese
Unterlagen haben vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Beratung des Senats gewesen.
Entscheidungsgründe:
Der Senat konnte in der Besetzung mit dem Berichterstatter und zwei ehrenamtlichen Richtern verhandeln und
entscheiden, weil das Sozialgericht durch Gerichtsbescheid entschieden hat und der Senat durch Beschluss die
Berufung dem Berichterstatter übertragen hat, der nach § 153 Abs. 5 SGG zusammen mit den ehrenamtlichen
Richtern entscheidet.
Die Berufung ist statthaft (§§ 143, 144 SGG) und auch im Übrigen zulässig, insbesondere form- und fristgerecht (§
151 SGG) erhoben.
Sie ist jedoch unbegründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die Voraussetzungen einer
Förderung der Weiterbildung sind nicht erfüllt.
Anspruchsgrundlage für die begehrte Eingliederungsleistung ist § 16 Abs. 1 Satz 2 SGB II in Verbindung mit § 77
Abs. 1 SGB III. Nach § 16 Abs. 1 Satz 2 SGB II können als Leistungen zur Eingliederung in Arbeit unter anderem alle
im Sechsten Abschnitt des Vierten Kapitels des SGB III geregelten Leistungen erbracht werden. Soweit das SGB II
für die einzelnen Leistungen keine abweichenden Voraussetzungen regelt, gelten für diese Leistungen die
Voraussetzungen und Rechtsfolgen des SGB III mit der Maßgabe, dass an die Stelle des Arbeitslosengeldes die
Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II treten.
Nach § 16 Abs. 1 Satz 2 SGB II in Verbindung mit § 77 Abs. 1 SGB III können erwerbsfähige Hilfebedürftige bei
beruflicher Weiterbildung durch Übernahme der Weiterbildungskosten gefördert werden, wenn
1. die Weiterbildung notwendig ist, um sie bei Arbeitslosigkeit beruflich einzugliedern, eine ihnen drohende
Arbeitslosigkeit abzuwenden oder weil bei ihnen wegen fehlenden Berufsabschlusses die Notwendigkeit der
Weiterbildung anerkannt ist, 2. vor Beginn der Teilnahme eine Beratung durch die Agentur für Arbeit erfolgt ist und 3.
die Maßnahme und der Träger der Maßnahme für die Förderung zugelassen sind.
Aus dem Wort "können" ist zu entnehmen, dass die Übernahme der Weiterbildungskosten im pflichtgemäßen
Ermessen der Beklagten steht. Insoweit hat das SGB II nichts Abweichendes geregelt, wie sich aus der Verwendung
des Wortes "kann" in § 16 Abs. 1 Satz 2 SGB II ergibt. Auch die hier in Rede stehende Übernahme der Kosten für
eine berufliche Weiterbildung (systemische Familientherapie) mit DGSF-Anerkennung steht somit im Ermessen des
Beklagten. Ein Anspruch der Klägerin setzt demzufolge voraus, dass das Ermessen des Beklagten auf Null reduziert
ist, also keine andere Entscheidung als die Bewilligung der Weiterbildung rechtmäßig ist.
Jedoch ist weder erkennbar, dass sie begehrte Weiterbildung notwendig zur Eingliederung der Klägerin ist, noch dass
der Beklagte gezwungen ist, trotz des gesetzlich eingeräumten Ermessens die Weiterbildung zu bewilligen. Der Senat
verweist insoweit nach § 153 Abs. 2 SGG auf die Begründung des angefochtenen Gerichtsbescheides, der er folgt.
Ergänzend und mit Blick auf die Erörterungen in der mündlichen Verhandlung des Senats ist darauf hinzuweisen, dass
sich aus der psychologischen Begutachtung der Klägerin vom 10. Juni 2009 ihre Nichteignung für die angestrebte
Weiterbildung ergibt. Das Gespräch mit ihr sei nicht zu steuern; es gelinge nicht, mit ihr über ihr temperamentvolles
und manchmal ausfallendes Verhalten zu sprechen. Zwischendurch verfalle sie in Klagen über jahrelange
Benachteiligungen. Über Alternativen habe nicht gesprochen werden können. Dieser Befund deckt sich mit dem
Eindruck des Senats aus der mündlichen Verhandlung. Die Klägerin ist ausfallend, nicht zugänglich und außer
Stande, über sich selbst und ihre Situation auch nur ansatzweise distanziert oder realistisch nachzudenken. Sie hält
im Übrigen an der Begutachtung von 2007 und ihrer Kritik daran fest, ohne sich mit dem Umstand auseinandersetzen
zu können, dass sich mit der Begutachtung aus dem Jahr 2009 eine neue Lage, aber für sie nichts Günstigeres
ergeben hat. Wie bereits das Sozialgericht festgehalten hat, fehlt es an jeglichem Ansatzpunkt für ein der Klägerin
vorteilhafteres Bild; sie hat es insbesondere nicht vermocht, den Gutachten des Psychologischen Dienstes der
Arbeitsagentur andere, günstigere Gutachten entgegenzusetzen.
Aus dem Umstand, dass ihr vor Jahren die begehrte Weiterbildung bewilligt wurde, vermag die Klägerin rechtlich
nichts mehr herzuleiten. Die damalige Bewilligung wurde bestandskräftig aufgehoben und die Eignung der Klägerin für
die Weiterbildung ist erst nachfolgend – wie ausgeführt – durchgreifend in Zweifel gezogen worden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt dem Ausgang in der Hauptsache.
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 SGG nicht vorliegen.