Urteil des LSG Berlin-Brandenburg vom 29.03.2017

LSG Berlin-Brandenburg: schulausbildung, beendigung, aufnehmen, aushändigung, vormerkung, einfluss, höchstdauer, anerkennung, hochschule, unterbrechung

1
2
3
4
Gericht:
Landessozialgericht
Berlin-Brandenburg 3.
Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
L 3 R 534/07
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 58 Abs 1 S 1 Nr 4 SGB 6, § 149
Abs 5 SGB 6, § 2 BKGG 1996
Vormerkung einer Ausbildungs-Anrechnungszeit - Höchstdauer
einer unvermeidbaren Zwischenzeit zwischen Abiturprüfung und
Beginn des Studiums
Leitsatz
Der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist eine feststehende Höchstgrenze von maximal vier
Kalendermonaten für die Berücksichtigung des ausbildungsorganisatorisch bedingten und
nicht dem Versicherten anzulastenden Zeitraums zwischen Ende der Schulausbildung
(Abitur) und Beginn des Hochschulstudiums zum nächsten Wintersemester als
Anrechnungszeit nach § 58 Abs 1 Satz 1 Nr. 4 SGB VI (unvermeidbare Zwischenzeit) nicht zu
entnehmen.
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom
23. März 2007 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat der Klägerin auch die Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist, ob die Beklagte verpflichtet ist, die Zeit von der Aushändigung des
Abiturzeugnisses bis zum Beginn des Hochschulstudiums als Tatbestand einer
Ausbildungs-Anrechnungszeit (§ 58 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch
[SGB VI]) vorzumerken.
Die 1956 geborene Klägerin, die am 17. April 1975 die Reifeprüfung in G/N abgelegt und
das Abiturzeugnis ausgehändigt erhalten hatte, nahm am 01. Oktober 1975 ein
Jurastudium an der Freien Universität Berlin auf.
Mit Bescheid vom 10. Januar 2006, bestätigt durch Widerspruchsbescheid vom 28. Juni
2006, lehnte die Beklagte die beantragte Vormerkung einer Ausbildungs-
Anrechnungszeit für den Zeitraum vom 18. April bis zum 30. September 1975 ab, weil
die Klägerin die nachfolgende Ausbildung nicht „rechtzeitig“, nämlich nicht bis zum
ersten Tag des fünften, auf die Beendigung der Schulausbildungszeit folgenden
Kalendermonats begonnen habe.
Mit ihrer hiergegen bei dem Sozialgericht Berlin (SG) erhobenen Klage hat die Klägerin
ihr Begehren weiterverfolgt und vorgetragen, sie habe das Studium zum
nächstmöglichen Termin (Wintersemester 1975/1976) aufgenommen und den Fünf-
Monatszeitraum lediglich um 12 Tage überschritten. Es dürfe ihr nicht zum Nachteil
gereichen, dass sie bereits im April und nicht erst im Mai 1975 wie die Masse der
Abiturienten die Abiturprüfung abgelegt habe. Für das Sommersemester 1975 habe sie
sich nicht mehr immatrikulieren können, da dieses bereits am 01. April 1975 begonnen
habe. Für eine Ausbildungsübergangszeit könne es nach dem
Gleichbehandlungsgrundsatz nicht darauf ankommen, an welchem Tag genau in dem
jeweiligen Gymnasium die Reifeprüfung abgenommen worden sei. Durch die
Entscheidung der Beklagten werde sie schlechter gestellt, als diejenigen, die an anderen
Schulen das Abitur zu einem späteren Zeitpunkt abgelegt und dann ebenfalls das
Studium zum nächstmöglichen Termin (Wintersemester 1975/1976) aufgenommen
hätten. Die Auffassung der Beklagten, eine länger als fünf Kalendermonate andauernde
Übergangszeit könne in keinem Fall als Übergangs-/Anrechnungszeit berücksichtigt
werden, lasse sich nicht auf das Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 10. Februar
2005 (B 4 RA 26/04 R, in juris) stützen. Dort sei vielmehr die Rede davon, dass die
5
6
2005 (B 4 RA 26/04 R, in juris) stützen. Dort sei vielmehr die Rede davon, dass die
Ausbildungspause zwischen Abitur und Studium auf abstrakten
ausbildungsorganisatorischen Maßnahmen der Ausbildungsträger beruhe und es
insoweit allein darauf ankomme, dass der Ausbildungswillige sein Studium zum
nächstmöglichen Termin aufnehme. Es komme auf den üblichen und zeitlich
überschaubaren Zeitraum zwischen Abitur und nächstmöglichem Semester an der
Hochschule an. Hierbei handele es sich um einen typisierten Lebenssachverhalt, der
eine starre zeitliche Begrenzung gerade nicht erlaube.
Das SG hat der Klage mit Gerichtsbescheid vom 23. März 2007 stattgegeben und die
Beklagte verpflichtet, die Zeit von der Aushändigung des Abiturzeugnisses bis zum
Beginn des Hochschulstudiums als Tatbestand einer Ausbildungs-Anrechnungszeit (§ 58
Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB VI) vorzumerken. Die Klägerin habe die von der Beklagten
genannte zeitliche Grenze aus von ihr nicht zu vertretenden Gründen überschritten.
Auch der ausbildungsfreie Übergangszeitraum zwischen zwei Ausbildungsabschnitten sei
ein Anrechnungszeittatbestand, wenn es sich um sog. unvermeidbare Zwischenzeiten
handele (vgl. BSG, Urteil vom 10. Februar 2005, B 4 RA 26/04 R). Im Fall der Klägerin sei
diese Zwischenzeit unvermeidbar, weil (schul)organisatorisch bedingt typisch gewesen.
Sie habe am 17. April 1975 das Abitur abgelegt und am 01. Oktober 1975 ein Studium
aufgenommen. Generell unvermeidbar sei eine Zwischenzeit, wenn die nachfolgende
Ausbildung zwangsläufig nicht früher habe beginnen können. Semesterbeginn für die von
der Klägerin aufgenommene Hochschulausbildung sei der 01. Oktober 1975 gewesen.
Auf den Beginn dieser Ausbildung habe die Klägerin und auch alle anderen Personen, die
zu diesem Zeitpunkt ein Studium hätten aufnehmen wollen, keinen Einfluss gehabt. Die
aufgenommene Hochschulausbildung schließe sich unmittelbar an die vorliegende
Zwischenzeit, die die Zeit nach Beendigung der Schulausbildung überbrückt habe, an
und entspreche der üblichen Wartezeit einer Abiturientin, die zum Wintersemester ein
Studium aufnehmen möchte. Es handele sich auch um einen zeitlich überschaubaren
Zeitraum, in dem es der Klägerin nicht zuzumuten gewesen sei, eine
versicherungspflichtige Beschäftigung aufzunehmen (vgl. BSG, Urteil vom 01. Februar
1995, 13 RJ 5/94, in juris). Zwar stelle das BSG in seinen Entscheidungen regelmäßig auf
eine Zeit von „drei bis vier Monaten“ (so BSG a. a. O.) ab, dabei sei jedoch in der Regel
vorausgesetzt worden, dass die mündliche Abiturprüfung spätestens im Juni eines Jahres
stattfinde (vgl. BSG a. a. O.) und so bis zur nächstmöglichen Gelegenheit zur Aufnahme
eines Studiums zum Wintersemester (regelmäßig 01. Oktober eines Jahres) ein
Zeitraum von drei bis vier Monaten liege. Dass die Abiturprüfung bereits früher, wie im
Fall der Klägerin am 17. April 1975, stattgefunden habe, könne nicht zu ihren Lasten
gehen, weil sie auf den Abiturprüfungstermin sowie auf den Beginn des nächstmöglichen
Hochschulstudiums keinen Einfluss gehabt habe. Es sei dem Versicherten nicht
anzulasten und ihm sei der insoweit entstandene rentenversicherungsrechtliche Nachteil
auszugleichen, wenn eine Ausbildung für eine Zwischenzeit organisationsbedingt
typischerweise generell nicht angeboten werde. Die Rechtsprechung in Anlehnung an § 2
Bundeskindergeldgesetz (BKGG) diene lediglich als Anhalt für den Umfang des bei
typisierender Betrachtungsweise auszugleichenden und von der
Versichertengemeinschaft als Solidarleistung zu tragenden
rentenversicherungsrechtlichen Nachteils und erlaube eine starre zeitliche Begrenzung
gerade nicht.
Gegen den ihr am 04. April 2007 zugestellten Gerichtsbescheid richtet sich die Berufung
der Beklagten, mit der diese vorträgt, eine Anerkennung als Übergangs-
/Anrechnungszeit i. S. d. § 58 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB VI für den Zeitraum vom 18. April
bis zum 30. September 1975 zwischen Ende der Schulausbildung und Beginn der
Hochschulausbildung sei im Fall der Klägerin nicht möglich. Dem Urteil des BSG vom 10.
Februar 2005 (B 4 RA 26/04 R) könne über den entschiedenen Sachverhalt hinaus nicht
gefolgt werden, sofern die Übergangszeit länger als fünf Monate dauere. Bislang seien
weder durch die Rechtsprechung des BSG noch durch die Rechtsprechung der
Landessozialgerichte über fünf Monate hinausgehende Übergangszeiten zwischen
Ausbildungen als Übergangs-/Anrechnungszeiten berücksichtigt worden. So habe auch
in den vom SG Berlin besonders besprochenen Entscheidungen des
Landessozialgerichts (LSG) Saarland (Urteil vom 09. September 2004, L 1 RA 8/04, in
juris) und des LSG Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 19. April 2004, L 3 RA 41/03, in juris),
zu dem das Urteil des BSG vom 10. Februar 2005 (B 4 RA 26/04 R) ergangen sei, die
Zwischenzeit zwischen der Ablegung der Abiturprüfung im Monat Mai und dem
Studienbeginn zum 01. Oktober im üblichen zeitlichen Rahmen von bis zu vier Monaten
gelegen. Auch aus der sonstigen Rechtsprechung des BSG lasse sich nicht entnehmen,
dass eine Zwischenzeit von fünf und mehr Monaten noch als unvermeidliche
Zwischenzeit zwischen zwei Ausbildungsabschnitten und damit als „Übergangszeit-
Anrechnungszeit“ i. S. d. § 58 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB VI angesehen werden könne (vgl.
z. B. BSG, Urteil vom 01. Februar 1995, B 13 RJ 5/94, in SozR 3-2600 § 58 Nr. 3 i. V. m.
7
8
9
10
11
12
13
14
15
16
17
z. B. BSG, Urteil vom 01. Februar 1995, B 13 RJ 5/94, in SozR 3-2600 § 58 Nr. 3 i. V. m.
Urteil vom 06. Juli 1972, 11 RA 79/72, in SozR Nr. 47 § 1255 RVO; Urteil vom 31. August
2000, B 4 RA 7/99, in SozR 3-2600 § 58 Nr. 14). Dass im Rahmen der Berücksichtigung
einer „Übergangszeit-Anrechnungszeit“ i. S. d. § 58 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB VI eine
„Höchstdauer der Übergangszeit“ bestehe, lasse sich auch aus dem Urteil des LSG
Baden-Württemberg vom 29. Juni 2006 (L 10 R 3634/05, in juris) herleiten, in dem
ausgeführt werde, dass auch in Fällen längerer ausbildungsorganisationsbedingter
unvermeidbarer Zwischenzeiten auf den aus dem BKGG abgeleiteten Wert von vier
Monaten abzustellen sei, der nach der Rechtsprechung des BSG weiterhin „als Anhalt“
für den Umfang des bei typisierender Betrachtungsweise auszugleichenden und von der
Versichertengemeinschaft als Solidarleistung zu tragenden
rentenversicherungsrechtlichen Nachteils dienen solle. So seien in den vom BSG mit
Urteilen vom 10. Februar 2005 (B 4 R 26/04 R und B 4 R 32/04 R) entschiedenen Fällen
die vier Monate auch nur um wenige Tage überschritten gewesen. Im Rahmen der
Berücksichtigung einer „Übergangszeit-Anrechnungszeit“ i. S. d. § 58 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4
SGB VI sei mithin eine „Höchstdauer der Übergangszeit“ von vier bis fünf Monaten
anzuwenden, selbst wenn abstrakt bestehende ausbildungsorganisationsbedingte
Gegebenheiten eine längere unvermeidbare Zwischenzeit verursachen würden.
Die Beklagte hat schriftsätzlich beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 23. März 2007 aufzuheben und
die Klage abzuweisen.
Die Klägerin hat schriftsätzlich beantragt,
die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.
Sie hält an ihrer Auffassung fest, dass es keine starre zeitliche Grenze für die Zeit
zwischen dem Ablegen der Abiturprüfung und der Aufnahme des Studiums als
Anrechnungszeit geben könne, da die Ausbildungspause zwischen Abitur und Studium
auf abstrakten ausbildungsorganisatorischen Maßnahmen der Ausbildungsträger
beruhe. Es könne daher nur darauf ankommen, dass der Ausbildungswillige sein
Studium zum nächstmöglichen Termin aufnehme, wie sie es getan habe.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung
einverstanden erklärt.
Dem Senat hat bei Entscheidungsfindung die Verwaltungsakte der Beklagten
vorgelegen.
Entscheidungsgründe
Das Gericht konnte ohne mündliche Verhandlung entscheiden, weil die Beteiligten sich
damit einverstanden erklärt haben (§ 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz [SGG]).
Die Berufung der Beklagten ist unbegründet. Das SG hat der Klage zu Recht statt
gegeben und die Beklagte verpflichtet, den streitgegenständlichen Zeitraum vom 18.
April bis zum 30. September 1975 unter dem Gesichtspunkt der sog. unvermeidbaren
Zwischenzeit als Ausbildungs-Anrechnungszeit vorzumerken.
Rechtsgrundlage für den Anspruch der Klägerin auf Vormerkung einer Ausbildungs-
Anrechnungszeit vom 18. April bis zum 30. September 1975 ist § 149 Abs. 5 SGB VI i. V.
m. § 58 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB VI. Nach § 149 Abs. 5 SGB VI stellt der
Versicherungsträger, nachdem er das Versicherungskonto geklärt hat, die im
Versicherungsverlauf enthaltenen und nicht bereits geklärten Daten durch Bescheid fest.
Über die Anrechnung und Bewertung der im Versicherungsverlauf enthaltenen Daten
wird erst bei Feststellung einer Leistung entschieden. Infolgedessen wird im Rahmen
eines Vormerkungsverfahrens nur geprüft, ob der behauptete
Anrechnungszeittatbestand nach seinen tatsächlichen und rechtlichen Voraussetzungen
erfüllt ist. Selbst wenn mithin im Einzelfall jegliche leistungsrechtliche Auswirkung einer
Ausbildung als Anrechnungszeit verneint werden könnte, kann die Vormerkung einer
derartigen Anrechnungszeit nicht allein mit der Begründung abgelehnt werden, zum
Zeitpunkt des Leistungsfalls könne sich das bei der Berechnung der Leistung
anzuwendende Recht geändert haben. Entscheidend ist mithin, ob nach derzeitigem
Recht generell die Möglichkeit besteht, dass der Sachverhalt in einem künftigen
Leistungsfall rentenversicherungsrechtlich erheblich werden könnte (BSG SozR 3-2600 §
58 Nr. 13 S. 70).
Zu den vormerkungsfähigen Anrechnungszeiten gehören nach § 58 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4
17
18
19
20
21
Zu den vormerkungsfähigen Anrechnungszeiten gehören nach § 58 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4
SGB VI auch Zeiten einer schulischen Ausbildung, in denen der Versicherte nach
Vollendung des 17. Lebensjahres u. a. eine Schule, Fachschule oder Hochschule besucht
hat. Diese Ausbildungs-Anrechnungszeiten sind vom Gesetzgeber abschließend
normierte Tatbestände. Sie sind ein rentenrechtlicher Ausgleich dafür, dass der
Versicherte wegen der Ausbildung ohne Verschulden gehindert war, eine
rentenversicherungspflichtige Beschäftigung auszuüben und so Pflichtbeitragszeiten in
der gesetzlichen Rentenversicherung zu erhalten. Daher ist die Berücksichtigung dieser
Zeiten, die typischerweise für das System der gesetzlichen Rentenversicherung von
Nutzen sind, eine Solidarleistung der Versichertengemeinschaft i. S. des sozialen
Ausgleichs. Sie beruht auf staatlicher Anordnung und ist Ausdruck staatlicher Fürsorge.
Im Hinblick hierauf steht dem Gesetzgeber bei ihrer Ausgestaltung ein
Gestaltungsspielraum zu. Damit ist auch vereinbar, dass lediglich bestimmte typische
Ausbildungen als Anrechnungszeittatbestände normiert und diese zeitlich begrenzt sind
(vgl. BSG, SozR 2200 § 1259 Nrn. 77, 102 S. 276; BSG, SozR 3-2600 § 58 Nr. 13 S. 72).
Eine Ausbildung in diesem Sinn liegt zwar im streitgegenständlichen Zeitraum nicht vor,
denn die Klägerin hatte bereits am 17. April 1975 mit Aushändigung des
Abiturzeugnisses die Schulausbildung beendet (vgl. hierzu auch Urteil des BSG vom 04.
August 1998, B 4 RA 8/98 R, in juris). In der anschließenden Zeit bis zum 01. Oktober
1975 fand auch keine Ausbildung statt. Die Beteiligten gehen aber unter
Berücksichtigung der Rechtsprechung des BSG übereinstimmend davon aus, dass über
die in § 58 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 SGB VI genannten Fallgruppen hinaus i. S. einer
erweiternden Auslegung auch solche Zeiten als Anrechnungszeiten zu werten sind, die
zwischen zwei rentenrechtlich erheblichen anrechenbaren Ausbildungszeiten, wie
diejenigen zwischen Schulabschluss und Beginn des Hochschulstudiums, liegen.
Die Beteiligten gehen des Weiteren übereinstimmend davon aus, dass im streitigen
Zeitraum die Voraussetzungen der vom BSG entwickelten sog. unvermeidbaren
Zwischenzeit zwischen zwei Ausbildungsabschnitten insoweit erfüllt sind, als die Klägerin
nach Beendigung ihrer Schulausbildung aus für sie unvermeidbaren, weil hoheitlich
vorgegebenen Gründen nicht in der Lage war, die sich an die Abiturprüfung am 17. April
1975 anschließende Hochschulausbildung vor dem Studienbeginn des Wintersemesters
am 01. Oktober 1975 anzutreten.
Soweit aber die Beklagte ihre Berufung darauf stützt, dass bislang durch die
Rechtsprechung über fünf Monate hinausgehende Übergangszeiten zwischen
Ausbildungen nicht als Ausbildungs-Anrechnungszeit anerkannt worden seien und sie
daher das Urteil des BSG vom 10. Februar 2005 (B 4 RA 26/04 R) über den
entschiedenen Sachverhalt hinaus nicht anwenden will, vermag der Senat sich dem nicht
anzuschließen. Zunächst hatte das BSG im dortigen Fall lediglich über eine
Übergangszeit zwischen dem 26. Mai 1979 und dem 01. Oktober 1979 zu entscheiden,
also über eine Zwischenzeit von mehr als vier, aber nicht von mehr als fünf Monaten.
Zum anderen würde der Monat der Beendigung der Schulausbildung mit einer nur
teilweisen Belegung als Ausbildungs-Anrechnungszeit (im Fall der Klägerin bis zur
Aushändigung des Abiturzeugnisses am 17. April 1975) rentenrechtlich als voll belegter
Monat gelten (§ 122 Abs. 1 SGB VI), da Ausbildungs-Anrechnungszeiten zu den
rentenrechtlichen Zeiten gehören (§§ 58 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 bzw. 4 a, 54 Abs. 1 Nr. 2
und Abs. 4 SGB VI). Ausgehend hiervon hätte die Klägerin ihr Studium am 01. Oktober
1975 noch innerhalb einer Übergangszeit von höchstens, also nicht mehr als fünf
Monaten begonnen, da der erste Tag der Frist der 01. Mai gewesen wäre und die
Bedeutung des Wortlauts einer Zeitspanne von „längstens fünf Monaten“, wie die
Beklagte sie für maßgebend hält, nicht überschritten wird, wenn der erste Tag des
sechsten Kalendermonats, hier also der 01. Oktober 1975, noch zum fünften Zeitmonat
hinzugerechnet wird.
Vor allem aber ist es im Streitfall auch aus anderen Gründen ohne Bedeutung, dass die
Klägerin nach Ablegung der Abiturprüfung am 17. April ihr Studium erst am 01. Oktober
1975 aufnehmen konnte. Wie das BSG (vgl. Urteile vom 10. Februar 2005, B 4 RA 26/04
R und B 4 RA 32/04 R) überzeugend ausführt, ist entscheidendes Kriterium für die
Anrechenbarkeit einer Zeit zwischen zwei Ausbildungen, dass sie generell unvermeidbar
und organisationsbedingt typisch ist und dementsprechend häufig vorkommt. Derartige
Zwischenzeiten stellen sich mit den beiden anderen Ausbildungsabschnitten als
einheitliche notwendige Ausbildung dar, denn Versicherte, die eine vom Gesetzgeber
vorgesehene typisierte Ausbildung aus von ihnen nicht zu vertretenden
organisationsbedingten Gründen ungewollt und unvermeidbar nicht zügig fortsetzen und
dementsprechend erst später eine rentenversicherungspflichtige Beschäftigung
aufnehmen können, sollen in dem entsprechenden zeitlichen Rahmen keinen
rentenversicherungsrechtlichen Nachteil erleiden. Ausgehend von diesen Grundsätzen
22
23
24
rentenversicherungsrechtlichen Nachteil erleiden. Ausgehend von diesen Grundsätzen
ist eine über vier Monate hinausgehende Unterbrechung als unschädlich anzusehen,
wenn der Ausbildungswillige durch staatliche Anordnung („von hoher Hand“) gehindert
war, das Studium zu einem früheren Zeitpunkt aufzunehmen (vgl. zur Ableistung eines
zwingend vorgeschriebenen praktischen Jahrs in der ehemaligen DDR bereits BSG, Urteil
vom 31. August 2000, B 4 RA 7/99 R, in SozR 3-2600 § 58 Nr. 14 S. 80, 81). Um einen
vergleichbaren Fall handelt es sich aber auch, wenn Abitur und Studium nicht
aufeinander folgen, sondern mit dem Studium aus Gründen der Schul- und
Hochschulorganisation erst nach Ablauf von vier Monaten begonnen werden kann.
Schul- und Berufsausbildung bzw. die einzelnen Ausbildungsabschnitte gehen in der
Regel nicht nahtlos ineinander über, so dass für den Fall, dass die Ausbildung für eine
Zwischenzeit organisationsbedingt typischerweise generell nicht angeboten wird, dies
dem zukünftigen Versicherten nicht anzulasten und der ihm insoweit entstandene
rentenversicherungsrechtliche Nachteil auszugleichen ist (so ausdrücklich BSG, Urteil
vom 16. Dezember 1997, B 4 RA 67/97 R, in SozR 3-2600 § 58 Nr. 13 S. 74; BSG, Urteile
vom 10. Februar 2005, B 4 RA 26/04 R und B 4 RA 32/04 R).
Ebenso kann der von der Beklagten angeführten weiteren Rechtsprechung nichts
Abweichendes entnommen werden. So hat das BSG in seinem Urteil vom 01. Februar
1995 (13 RJ 5/94, in juris) hinsichtlich der dort zu beurteilenden Überbrückungszeit von
sechs Monaten darauf abgestellt, ob diese generell, etwa durch feststehende
Anfangstermine, unvermeidbar gewesen ist oder ob sie auf den besonderen individuellen
Umständen des Einzelfalls - dort eine ungewöhnlich lange Dauer des
Verwaltungsverfahrens zur Anerkennung des Klägers als Kriegsdienstverweigerer -
beruht hat. Dass auch eine längere Überbrückungszeit – etwa durch feststehende
Anfangstermine - unvermeidbar sein kann, hat das BSG aber ausdrücklich für möglich
gehalten und diese Rechtsprechung im bereits erwähnten Urteil vom 31. August 2000 (4
RA 7/99 R) auch fortgeführt. Anderes folgt auch nicht aus dem Urteil vom 16. Dezember
1997 (4 RA 67/97, in juris), denn dort hat das BSG über einen Sachverhalt entschieden,
in dem die als (Ausbildungs-)Anrechnungszeittatbestand geltend gemacht Zeit nach
dem Abschluss des Staatsexamens gelegen hat, ohne dass ein weiterer
Ausbildungsabschnitt gefolgt ist.
Auch unter Berücksichtigung der sowohl vom SG wie auch von der Beklagten zitierten
Urteile des LSG Saarland vom 09. September 2004 (L 1 R 8/04) und des LSG Nordrhein-
Westfalen vom 19. April 2004 (L 3 RA 41/03) ergibt sich keine andere Entscheidung. So
hat das LSG Saarland entsprechend der hier vertretenen Auffassung die Zeit nach
Beendigung der Schulausbildung (dort: 16. Mai 1976) bis zur Aufnahme des zeitlich
nächstmöglichen Hochschulstudiums (01. Oktober 1976) gerade als eine generell
unvermeidbare und schul-organisatorisch bedingte typische Zwischenzeit zwischen zwei
anrechenbaren Ausbildungszeiten angesehen, auf die der dortige Kläger keinen Einfluss
gehabt hat. Die Entscheidung des LSG Nordrhein-Westfalen, in der es um die
Anrechnung einer Zwischenzeit zwischen der Ablegung der Abiturprüfung am 26. Mai
1979 und der Aufnahme des Studiums am 01. Oktober 1979 ging, ist durch das Urteil
des BSG vom 10. Februar 2005 (B 4 RA 26/04 R), welches die Beklagte über den
entschiedenen Einzelfall hinaus nicht anwenden möchte, gerade aus den oben
dargelegten Gründen bestätigt worden.
Weiter ist aus der jüngsten Entscheidung des BSG (Urteil vom 17. April 2007, B 5 R 62/06
R, in juris), durch die das Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 23. Juni 2006 (L 14 R
54/05, in juris), welches die Zeit zwischen der Beendigung eines unmittelbar nach dem
Ende der Schulausbildung absolvierten Freiwilligen Sozialen Jahres (FSJ) und der
Aufnahme eines Fachhochschulstudiums wegen der gesellschaftlichen Bedeutung des
FSJ rentenrechtlich als Übergangszeit beurteilt hatte, aufgehoben wurde, nichts
Abweichendes entnehmen. Dort wurde – ohne dass es für den zu entscheidenden Fall
darauf angekommen wäre - ein Überschreiten der „Vier-Monats-Frist“ bei Vorliegen
besonderer Umstände, etwa unter Berücksichtigung der Dauer der „üblichen“ Schul-
und Semesterferien, als unschädlich angesehen. Schließlich bestätigt auch das von der
Beklagten zitierte Urteil des LSG Baden-Württemberg vom 29. Juni 2006 (L 10 R
3634/05) grundsätzlich die Auffassung, dass eine längere - über vier Monate
hinausgehende - Unterbrechung unschädlich ist, wenn die Ausbildungspause zwischen
Schulabschluss und Beginn der Ausbildung auf abstrakten ausbildungsorganisatorischen
Maßnahmen der Ausbildungsträger beruht und der Ausbildungswillige seine Ausbildung
zum nächstmöglichen Termin aufnimmt. Im dortigen Fall handelte es sich jedoch um
eine aus individuellen Umständen bei der Klägerin bedingte zeitliche Lücke von mehr als
acht Monaten, weil diese vor Aufnahme ihrer Ausbildung ein Pflegepraktikum zu machen
hatte, welches nicht den Tatbestand einer Ausbildungs-Anrechnungszeit erfüllte, und
außerdem das 18. Lebensjahr vor Beginn ihrer Ausbildung vollendet haben musste.
25
26
27
28
Der Rechtsprechung lässt sich also – entgegen der Auffassung der Beklagten - das
Erfordernis einer starren Zeitgrenze gerade nicht entnehmen. Sie folgt auch nicht aus
der in diesem Zusammenhang in Bezug genommenen Regelung im BKGG. Zwar spricht
§ 2 Abs. 2 Satz 4 BKGG davon, dass zwischen Abitur und Aufnahme des Studiums kein
längerer Zeitraum als vier Monate liegen dürfe. Da aber schulorganisatorische Gründe
es bedingen können, dass der Schulabschluss nicht in den Monat Juni, sondern – wie hier
- in frühere Monate fällt, hat das BSG in seinen Urteilen vom 10. Februar 2005 (a. a. O.),
aber bereits auch schon in seinem Urteil vom 01. Februar 1995 (13 RJ 5/94, SozR 3-2600
§ 58 Nr. 3) darauf hingewiesen, dass der – ursprünglich in Anlehnung an § 2 BKGG
vorgegebene - zeitliche Rahmen von bis zu vier Monaten lediglich als „Anhalt“ für den
Umfang des bei typisierender Betrachtungsweise auszugleichenden
rentenversicherungsrechtlichen Nachteils gedient habe. Der Gesetzgeber habe jedoch -
wie sich aus den Materialien zum BKGG ergebe - gewollt, dass der unvermeidliche
Zeitraum zwischen Abitur und Studium immer als Ausbildungszeit gelten solle. Hierbei
sei er jedoch rechtsirrig davon ausgegangen, dass das Schulverhältnis mit dem
Schuljahr (regelmäßig im Monat Juni eines Jahres) ende, so dass bis zur
nächstmöglichen Gelegenheit zur Aufnahme eines Studiums zum Wintersemester
(regelmäßig am 01. Oktober eines Jahres) ein Zeitraum von regelmäßig drei bis vier
Monaten liege.
Die Zeit zwischen der Ablegung der Abiturprüfung am 17. April 1975 und der Aufnahme
des Jurastudiums am 01. Oktober 1975 ist daher als Tatbestand einer Ausbildungs-
Anrechnungszeit nach § 58 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4, § 149 Abs. 5 SGB VI vorzumerken.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 SGG liegen in Anbetracht der
zitierten, diese Entscheidung stützenden Rechtsprechung des BSG nicht vor.
Datenschutzerklärung Kontakt Impressum