Urteil des LSG Berlin-Brandenburg vom 08.12.2004

LSG Berlin-Brandenburg: umkehr der beweislast, gesetzliche vermutung, anerkennung, eintritt des versicherungsfalls, innere medizin, diabetes mellitus, medizinische untersuchung, infektionskrankheit

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Gericht:
Landessozialgericht
Berlin-Brandenburg 3.
Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
L 3 U 74/04
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 547 RVO, § 551 Abs 1 S 1 RVO,
Anl 1 Nr 1201 BKV, Anl 1 Nr
3101 BKV, Anl 1 Nr 3102 BKV
gesetzliche Unfallversicherung - Berufskrankheit - medizinische
Voraussetzung - Sjögren-Syndrom - Lupus erythemathodes -
Autoimmunkrankheit - mangelnde hygienische
Arbeitsbedingung - Verwaltungsangestellte im Krankenarchiv
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 08.
Dezember 2004 wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist die Gewährung von Entschädigungsleistungen wegen der Berufskrankheiten
(BKen) Nrn. 5101, 4301, 4302, 3101, 3102 und 1201 der Anlage zur
Berufskrankheitenverordnung (BKV).
Die 1954 geborene Klägerin war von 1982 bis zum 27. Januar 1997 als
Verwaltungsangestellte im Krankenaktenarchiv bei der Senatsverwaltung für Gesundheit
und Soziales B beschäftigt. In diesem Bereich war sie ab 1992 in der Abteilung III tätig,
die in der L Straße untergebracht war. Ab 1993 arbeitete sie in der B Straße.
Am 26. September 1996 erstattete die Klägerin bei der Beklagten eine
„Berufserkrankungsanzeige“. Sie gab an, während ihrer Tätigkeit in der
Krankenaktenverwaltung sowohl extrem unhygienischen Arbeitsverhältnissen als auch
gesundheitsgefährdenden Materialien ohne entsprechende Arbeitsschutzmaßnahmen
ausgesetzt gewesen zu sein. In der L Straße seien stark mikrobiell kontaminierter
Taubenkot und Taubenzeckenbefall im Gebäude und in den Lagerräumen festgestellt
worden. Es habe einen extremen pathogenen Spross- und Schimmelpilzbefall in den
Lagerräumen und unhygienische ungereinigte Arbeitsbedingungen während des
gesamten Zeitraumes dort gegeben. In der B Straße sei 1993 durch fehlerhafte
Handwerksausführung im Kellerbereich Asbest freigelegt worden. Es habe außerdem
1994/1995 einen extrem hohen Austritt von gesundheitsgefährdendem Kohlenmonoxid
durch zwei defekte Heizkessel mit CO-Werten zwischen 4.000 und 7.000 ppm (zulässiger
Grenzwert unter 1.000 ppm) über einen längeren Zeitraum gegeben. Außerdem habe
1996 ein Parasitenbefall, insbesondere durch Ratten, Flöhe und eine mikrobiologische
Verseuchung der Krankenakten durch mangelhafte Lagerbedingungen, bestanden. All
diese Vorgänge seien dem Arbeitgeber mehrfach mündlich und schriftlich mitgeteilt
worden. Prüfungen vor Ort mit Entscheidungen zur Abhilfe bzw. zur Unterstützung der
dort tätigen Mitarbeiter durch den Fachvorgesetzten hätten nur zögernd bzw. gar nicht
stattgefunden.
Ab März diesen Jahres habe sie beim Herausnehmen des Aktenmaterials aus den
Kartons mehrfach am Handgelenk und an den Unterarmen Stiche von nicht
erkennbaren Getieren wahrgenommen. Nach 10 bis 14 Tagen sei am Körper plötzlich ein
unspezifischer Juckreiz aufgetreten, der sich über Tage massiv auf die Gesichts- und
Kopfhaut verlagert habe. Hinzu gekommen seien Unwohlsein und Kopfschmerzen. Der
Hautarzt, den sie aufgesucht habe, habe ein unklares Hautexanthem festgestellt. Am
23. Mai 1996 seien der Ausschlag und der Juckreiz so unerträglich geworden, dass sie
sich habe krank melden müssen. Am darauf folgenden Pfingstwochenende sei es zu
einer Steigerung ihrer Beschwerden gekommen. Unter Einbeziehung ihres jetzige
Wissensstands sei für sie eindeutig, dass die Folgen ihrer gesundheitlichen
Beeinträchtigungen ausschließlich im Zusammenhang mit den seit langem
bestehenden, ungeschützten unhygienischen Arbeitsbedingungen und -umfeldern sowie
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bestehenden, ungeschützten unhygienischen Arbeitsbedingungen und -umfeldern sowie
mit der parasitären und mikrobiologischen Verseuchung der Arbeitsmaterialien stünden,
woraus ein schleichender gesundheitsschädigender Krankheitsprozess auf den
Organismus resultiere.
Nach einer am 16. Dezember 1996 durchgeführten Besichtigung der Arbeitsräume in
der B Straße führte der Technische Aufsichtsdienst (TAD) der Beklagten in einer
Stellungnahme vom 23. Dezember 1996 aus, die Klägerin habe während ihrer Tätigkeit
im Krankenaktenarchiv seit 1992 bis heute Kontakt zu Krankheitserregern von Ratten
und Tauben, Schimmelpilzen, Stäuben und zumindest kurzzeitig zu Kohlenmonoxid
gehabt. Der Stellungnahme beigefügt waren Schreiben des Facharztes für Innere
Medizin und Arbeitsmedizin Dr. M, Leitender Arzt der Gund S GmbH, vom 26. August
und 04. Oktober 1996 sowie ein Abschlussbericht über
Schädlingsbekämpfungsmaßnahmen im Archiv in der B Straße der B B e.G. vom 11.
November 1996. Außerdem lagen Vermerke der Senatsverwaltung vom 18. November
und 14. Dezember 1992 über die Besichtigung der Schädlingsbefallsituation im Gebäude
L Straße und der Bericht des B B für Z GesA vom 25. Juni 1996 mit dem Nachweis von
Arthropoden in den Lagerräumen des Krankenaktenarchivs in der B Straße vor. An
medizinischen Unterlagen waren ein Attest des Internisten und Rheumatologen Dr. H
vom 16. Juni 1997 mit der Diagnose des Verdachts auf eine nicht näher klassifizierbare
Kollagenose, diverse Laborbefunde sowie ein Bericht der Infektionsambulanz der
Medizinischen Poliklinik des V-Klinikums vom 11. Juni 1997, in dem u. a. eine
Infektionskrankheit ausgeschlossen und der Verdacht auf das Sjögren-Syndrom
geäußert wurde, beigezogen worden.
Zur Ermittlung des Sachverhalts hat die Beklagte die Klägerin durch den Facharzt für
Arbeitsmedizin Dr. B vom Institut für Arbeits- und Sozialhygiene untersuchen und
begutachten lassen. In seinen beratungsärztlichen Stellungnahmen vom 01. April 1997
und 20. August 1997 stellte der Gutachter fest, eine Krankheitsdiagnose als
Voraussetzung für die Anerkennung einer BK habe bisher für die gesundheitlichen
Beschwerden der Klägerin nicht abschließend gestellt werden können. Die
Hauterscheinungen an der Gesichtshaut um die Augen lasse keine Berufsdermatose
erkennen, so dass eine BK Nr. 5101 ausscheide. Eine obstruktive Atemwegserkrankung
einschließlich Rhinopathie liege nicht vor, so dass beispielsweise eine durch
Schimmelpilzsporen ausgelöste Erkrankung i. S. der BK Nr. 4301 ebenfalls nicht in
Betracht komme. Die allergologischen Hauttests, die bei der Klägerin durchgeführt
worden seien, hätten keine Sensibilisierung gegenüber atemtraktwirksamen Allergenen
nachgewiesen. Eine Erkrankung durch chronische Kohlenmonoxidvergiftung i. S. der BK
Nr. 1201 sei nicht zu erkennen. Eine Erkrankung durch Asbestfaserstaubeinwirkung i. S.
der BKen Nrn. 4103 bis 4105 scheide mit absoluter Sicherheit aus. Die von der Klägerin
verdächtigte Einwirkung von Krankheitserregern durch in den Krankenakten enthaltene
Blut- und Stuhlproben, die vom Mensch auf den Mensch übertragbar seien, sei nach
arbeitsmedizinischer Erfahrung und Kenntnis der Infektionsgefahr durch solche
Tätigkeiten auszuschließen. Deshalb bestehe auch kein Verdacht auf die BK Nr. 3101.
Der Nachweis einer Infektionskrankheit, die den Verdacht auf die BK Nr. 3102 begründen
könne, sei nach dem Bericht des V-Klinikums vom 11. Juni 1997 nicht erbracht.
Nach Einholung einer Stellungnahme der Landesgewerbeärztin Dr. R lehnte die Beklagte
mit Bescheid vom 06. April 1998 die Gewährung einer Entschädigung aus Anlass der
Haut-, Atemwegs- und Infektionskrankheit der Klägerin i. V. m. den Nummern 5101,
4301, 4302, 4103 - 4105, 3101 und 3102 der Anlage zur BKV ab. Nach dem Ergebnis der
medizinischen Ermittlungen liege keine BK vor. Es bestehe vielmehr der Verdacht auf
eine Autoimmunkrankheit, die jedoch keinen Verdacht auf eine BK darstelle.
Dagegen legte die Klägerin Widerspruch ein. Die Beklagte veranlasste zunächst
beratungsärztliche Stellungnahmen von Prof. Dr. S vom 30. April 1999 und 02. August
1999. Diese empfahl, den Widerspruch als unbegründet zurückzuweisen, weil es
hinsichtlich der geltend gemachten BKen nicht nur an dem Nachweis eines klinischen
Substrats, sondern vor allem an der eindeutigen beruflichen Einwirkung und der damit
verbundenen Schädigung fehle. Auf Beschluss des Rentenausschusses hin veranlasste
die Beklagte jedoch ein weiteres Gutachten, das am 08. Januar 2001 von dem Hautarzt
Prof. Dr. S erstattet wurde. Dieser kam zu der abschließenden Beurteilung, dass es bei
der Klägerin zweifelsohne durch die Exposition im beruflichen Milieu insbesondere in der
L Straße und dann in der B Straße zu Veränderungen an der Haut gekommen sei und
auch Allgemeinsymptome aufgetreten sein könnten. Dies stelle aber lediglich eine
vorübergehende Symptomatik ohne persistierende Symptome dar. Die Klägerin leide an
einer nicht berufsbedingten Autoimmunerkrankung in Gestalt eines systemischen Lupus
erythematodes.
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Daraufhin wies die Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 07. Juni
2001 mit der Begründung zurück, nach dem Ergebnis der medizinischen Ermittlungen
stehe zweifelsfrei fest, dass bei der Klägerin i. S. d. Verursachung keine
Gesundheitsstörungen vorlägen, die ihrer Art nach von den Listenkrankheiten nach den
Nrn. 1201, 5101, 4301, 4302, 4103 – 4105, 3101 und 3102 erfasst würden. Die
tatsächlich auftretenden Beschwerden stünden nicht in einem rechtlich wesentlichen
Ursachenzusammenhang mit BK-Folgen.
Mit der dagegen bei dem Sozialgericht Berlin erhobenen Klage hat die Klägerin
bestritten, dass sie an einer berufsunabhängigen Autoimmunerkrankung leide. Die
Diagnose Sjögren-Syndrom sei für sich allein stehend nicht haltbar. Das Sjögren-
Syndrom unterteile sich in ein primäres und sekundäres Syndrom. Das primäre Sjögren-
Syndrom sei jedoch keine Autoimmunkrankheit, gegen ein sekundäres sprächen
verschiedene Blutwerte (sog. Titer). Eine Abklärung sei nicht erfolgt. Sie wisse bis heute
nicht, an welcher Krankheit sie leide. Ausführliche Untersuchungen würden von ihren
Ärzten aufgrund der damit verbundenen Kosten abgelehnt.
Das Sozialgericht hat zunächst Befundberichte von dem Arzt für Laboratoriumsmedizin
Prof. Dr. Dr. S vom 26. März 2003, der Direktorin der Klinik für Dermatologie und
Allergologie des V Klinikum S Dr. A vom 31. März 2003, des Facharztes für Lungen- und
Bronchialheilkunde, Allergologie, Umweltmedizin S vom 31. März 2003, der seinem
Befundbericht einen Heilverfahrensentlassungsbericht vom 17. Dezember 1998
beigefügt hat, und der Fachärzte für Dermatologie und Venerologie Dres. T u. a. vom 28.
März 2003 eingeholt.
Dann hat das Sozialgericht den Praktischen Arzt und Facharzt für Arbeitsmedizin und
Umweltmedizin Dr. W mit der Untersuchung und Begutachtung der Klägerin beauftragt.
In seinem Gutachten vom 23. Mai 2004 hat der Sachverständige festgestellt, die
Klägerin leide an Lupus erythematodes, sekundärem Sjögren-Syndrom, Anämie,
Arthralgien, WPW-Syndrom und beginnender Degeneration der Wirbelsäule. Keine dieser
Erkrankungen sei i. S. der erstmaligen Entstehung oder i. S. einer wesentlichen
Verschlimmerung eines berufsunabhängigen Leidens ursächlich auf die berufliche
Tätigkeit im Krankenaktenarchiv zurückzuführen. Die medizinischen Voraussetzungen
der geklagten BKen lägen nicht vor.
Gegen dieses Gutachten hat die Klägerin vielfältige Einwendungen erhoben und
medizinische und tatsächliche Ausführungen gemacht, wegen deren Einzelheiten auf
den Schriftsatz vom 28. August 2004 sowie die vorgelegten medizinischen Berichte und
Befunde Bezug genommen wird.
Durch Gerichtsbescheid vom 08. Dezember 2004 hat das Sozialgericht die Klage
abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, die bei der Klägerin vorliegenden Leiden
seien nicht i. S. einer erstmaligen Entstehung oder richtunggebenden Verschlimmerung
eines vorbestehenden Grundleidens auf eine versicherte Tätigkeit i. S. des § 9 Siebtes
Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) zurückzuführen. Sie leide vielmehr an einer
Autoimmunkrankheit, die ihre Ursache nicht in den verschiedenen Einwirkungen habe,
denen sie auf ihrem Arbeitsplatz im Krankenaktenarchiv der Senatsverwaltung in B-P
ausgesetzt gewesen sei. Bei der Klägerin lägen keine der in der Anlage zur BKV
bezeichneten Erkrankungen vor, so dass die Anerkennung und Entschädigung einer BK
ausscheide.
Die BK Nr. 5101 liege nicht vor, da die Klägerin nicht an schweren oder wiederholt
rückfälligen Hauterkrankungen leide, sondern an einem Autoimmungeschehen. Die
BKen Nrn. 4301 und 4302 seien nicht gegeben, weil bei der Klägerin nach den
gutachterlichen Feststellungen keine obstruktive Atemwegserkrankung bestehe. Die
Anerkennung einer asbestverursachten Erkrankung der Atemwege nach den Nrn. 4103
bis 4105 scheide bereits deshalb aus, da die Klägerin allenfalls kurzfristig im Rahmen von
Sanierungsarbeiten im Krankenaktenarchiv einer kaum messbaren Exposition
ausgesetzt gewesen sei. Eine BK nach Nr. 3101 liege nicht vor, da angesichts der
Verwaltungsarbeit der Klägerin nicht erkannt werden könne, dass sie durch ihre Arbeit im
Vergleich zur allgemeinen Bevölkerung einer erhöhten Infektionsgefahr ausgesetzt
gewesen sei. Die Anerkennung der BK Nr. 3102 scheide aus, weil Dr. W dargelegt habe,
dass spezifische und unspezifische Laborparameter eine Infektionskrankheit
ausschlössen. Diese hätten bei der Klägerin immer im Normbereich gelegen. Eine
Anerkennung der BK Nr. 1201 komme nicht in Betracht, weil Folgen einer relevanten
Kohlenmonoxidvergiftung wie Bewusstlosigkeit oder Krämpfe, Versagen der Muskelkraft,
Gefühls- und Bewegungsstörungen bei der Klägerin nach Aktenlage nicht vorgelegen
hätten.
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Gegen den Gerichtsbescheid richtet sich die Berufung der Klägerin, mit der sie geltend
macht, die Beweisführung sei in ihrem Fall in unzureichendem Maße durchgeführt bzw.
die Beweise seien falsch gewürdigt worden. Ihre Einwände und Nachweise seien
unberücksichtigt geblieben, es seien ausschließlich die Begutachtungen der Ärzte
gewürdigt worden. Es sei unberücksichtigt geblieben, dass aufgrund der komplexen
Sachlage eine fachliche Begutachtung und spezielle medizinische Untersuchung durch
einen Arbeitsmediziner der Fachrichtung Hygienik, Immunologie etc. wesentlich früher
hätte durchgeführt werden müssen, was bislang nicht geschehen sei. Es gebe keinen
eindeutigen Nachweis für die Diagnose eines systemischen Lupus erythematodes, was
neue medizinische Daten belegten. Der Verdacht des Autoimmundefekts und die
anderen Krankheitsbilder seien nicht einmal ansatzweise ausreichend von der Beklagten
untersucht worden. Diese habe das Verfahren unnötig verschleppt und keine
fachspezifischen und ausreichenden Abklärungen und Untersuchungen zu den streitigen
BKen gemäß § 20 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) im Rahmen der
Amtsermittlungspflicht durchgeführt.
Im Termin zur Erörterung des Sachverhalts am 05. Juli 2007 hat die Klägerin die
Berufung, soweit sie sich gegen die Ablehnung der Gewährung von
Entschädigungsleistungen wegen der BKen Nrn. 4103, 4104 und 4105 gerichtet hat,
zurückgenommen.
Im Übrigen beantragt sie,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 08. Dezember 2004 und den
Bescheid vom 06. April 1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07. Juni
2001 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr Entschädigungsleistungen wegen
der Berufskrankheiten Nrn. 5101, 4301, 4302, 3101, 3102 und 1201 der Anlage zur
Berufskrankheitenverordnung zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der
Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen.
Der Senat konnte den Rechtsstreit gemäß § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) mit
Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheiden.
Entscheidungsgründe
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin ist zulässig aber
unbegründet. Ihr steht, wie das Sozialgericht zutreffend entschieden hat, kein Anspruch
auf Gewährung von Entschädigungsleistungen wegen der BKen Nrn. 5101, 4301, 4302,
3101, 3102 und 1201 der Anlage zur BKV zu.
Der von der Klägerin am 26. September 1996 erhobene Anspruch auf
Entschädigungsleistungen richtet sich nach den Vorschriften der
Reichsversicherungsordnung (RVO), da der Eintritt des Versicherungsfalls vor dem 01.
Januar 1997 geltend gemacht wird (§ 212 SGB VII).
Gemäß § 547 RVO gewährt der Träger der Unfallversicherung nach Eintritt eines
Arbeitsunfalls Entschädigungsleistungen, die dann im Einzelnen aufgeführt werden.
Nach § 551 Abs. 1 Satz 1 RVO gilt als Arbeitsunfall auch eine BK. BKen sind - nur - die
Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des
Bundesrates bezeichnet und die ein Versicherter bei einer der in den §§ 539, 540 und
543 bis 545 genannten Tätigkeiten erleidet.
Die Bundesregierung wird ermächtigt, in der Rechtsverordnung solche Krankheiten zu
bezeichnen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch
besondere Einwirkungen verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre
Arbeit in erheblich höherem Grade als die übliche Bevölkerung ausgesetzt sind; sie kann
bestimmen, dass die Krankheit nur dann BKen sind, wenn sie durch die Arbeit in
bestimmten Unternehmen verursacht worden sind (§ 551 Abs. 1 Satz 2 und 3 RVO).
Für die Anerkennung und Entschädigung der geltend gemachten BKen müssen also die
in der Anlage zu den entsprechenden BKen genannten Voraussetzungen erfüllt sein.
Nach ihrem Vorbringen begehrt die Klägerin die Anerkennung folgender BKen:
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1. Erkrankungen durch Kohlenmonoxid (BK Nr. 1201),
2. Infektionskrankheiten, wenn der Versicherte im Gesundheitsdienst, in der
Wohlfahrtspflege oder in einem Laboratorium tätig oder durch eine andere Tätigkeit der
Infektionsgefahr in ähnlichem Maße besonders ausgesetzt war (BK Nr. 3101),
3. von Tieren auf Menschen übertragbare Krankheiten (BK Nr. 3102),
4. durch allergisierende Stoffe verursachte obstruktive Atemwegserkrankungen
(einschließlich Rhinopathie), die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die
für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit
ursächlich waren oder sein können (BK Nr. 4301),
5. durch chemisch-irritativ oder toxisch wirkende Stoffe verursachte obstruktive
Atemwegserkrankungen, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die
für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit
ursächlich waren oder sein können (BK Nr. 4302) und
6. schwere oder wiederholt rückfällige Hauterkrankungen, die zur Unterlassung aller
Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das
Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können (BK Nr. 5101).
Die BKen Nrn. 4301, 4302 und 5101 enthalten als zusätzliches tätigkeitsbezogenes
Merkmal noch die Aufgabe aller gefährdenden Tätigkeiten, d.h. die Erkrankung muss den
Zwang zur Unterlassung aller gefährdenden Tätigkeiten herbeigeführt haben und als
Konsequenz aus diesem Zwang muss die Aufgabe der Tätigkeit auch erfolgt sein (so
BSG SozR 3 - 5670 Anlage 1 Nr. 2108 Nr. 2).
Die Anerkennung im konkreten Einzelfall setzt voraus, dass die schädigende Einwirkung
ihre rechtlich wesentliche Ursache in der versicherten Tätigkeit haben muss
(haftungsbegründende Kausalität) und die schädigende Einwirkung die
Gesundheitsstörung verursacht hat (haftungsausfüllende Kausalität). Hierbei reicht
sowohl bei der haftungsbegründenden wie auch bei der haftungsausfüllenden Kausalität
die Wahrscheinlichkeit des Ursachenzusammenhangs aus, d.h. nach vernünftiger
Abwägung aller Umstände müssen die auf die berufliche Verursachung der Krankheit
deutenden Faktoren so stark überwiegen, dass darauf die Entscheidung gestützt werden
kann (vgl. BSG SozR 2200 § 548 Nr. 38). Die Krankheit, die versicherte Tätigkeit und die
durch sie bedingten schädigenden Einwirkungen einschließlich deren Art und Ausmaß
müssen dagegen i. S. des Vollbeweises, d. h. mit an Sicherheit grenzender
Wahrscheinlichkeit, nachgewiesen werden.
Zur Überzeugung des Senats sind die Voraussetzungen für die von der Klägerin geltend
gemachten BKen nicht erfüllt. Dies ergibt sich aus dem Gutachten des gerichtlichen
Sachverständigen Dr. W, vom 23. Mai 2004, das im Wesentlichen mit den im
Verwaltungsverfahren erstatteten beratungsärztlichen Stellungnahmen von Dr. B vom
01. April 1997 und 20. August 1997 und Prof. Dr. S vom 30. April 1999 und 02. August
1999 sowie dem Gutachten von Prof. Dr. S vom 08. Januar 2001 übereinstimmt.
Danach liegen die Voraussetzungen der BK Nr. 1201 nicht vor. Die Gifteinwirkung des
Kohlenmonoxids beruht auf seiner starken Affinität zum Hämoglobin. Es resultiert eine
Störung des Sauerstofftransports, bis zur inneren Erstickung führend. Symptome der
Vergiftung richten sich weitgehend nach dem jeweiligen Ausmaß des Sauerstoffmangels
und werden in erster Linie durch eine Beeinflussung des Gehirns und des Herzmuskels
hervorgerufen. Von plötzlicher Bewusstlosigkeit und rasch eintretendem Tod bei
hochakuter Erkrankung bis zu uncharakteristischen zentralen Erscheinungen bei
chronischer Exposition gibt es vielgestaltige Krankheitsbilder. Dazu gehören
insbesondere: Epilepsie, Geruchsstörung, Zeugungsunfähigkeit, Augenerkrankung, Hör-
und Gleichgewichtsstörung, Herzerkrankung, Diabetes mellitus und Schilddrüsenunter-
und -überfunktion (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und
Berufskrankheit, 7. Auflage 2003, Anmerkung 21.6). Keines dieser Krankheitsbilder ist
bei der Klägerin festgestellt bzw. auch nur annähernd beschrieben worden.
Zwar hat die Klägerin Ergebnisse der Messungen von Kohlenmonoxid im Abgasstrom der
Verbrennungsanlage vorgelegt, jedoch können daraus, wie Dr. W ausgeführt hat, keine
Rückschlüsse auf die Konzentration in der Luft am Arbeitsplatz gezogen werden.
Außerdem fehlten Nachweise der Kohlenmonoxidkonzentration im Blut der Klägerin. Der
Sachverständige, der gleichwohl eine ausreichende Kohlenmonoxidexposition bei der
Klägerin unterstellt hat, hat jedoch keine Einwirkung i. S. der BKV weder als akute noch
als chronische Folge einer Exposition gegenüber Kohlenmonoxid erkennen können.
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als chronische Folge einer Exposition gegenüber Kohlenmonoxid erkennen können.
Weder seien Bewusstlosigkeit oder Krämpfe bei einer hohen Dosis Kohlenmonoxid noch
das Versagen der Muskelkraft, Gefühls- und Bewegungsstörungen bei mittleren Dosen
bekannt. Da es sich bei Kohlenmonoxid um ein Gas handelt, das ausschließlich über die
Atemwege in den Blutkreislauf gelangt, müssten auch bei weiteren Beschäftigten, wie
hier im Krankenaktenarchiv, Symptome aufgetreten sein, die auf eine
Kohlenmonoxidvergiftung schließen lassen könnten (so Mehrtens/Brandenburg, Die
Berufskrankheitenverordnung, M 1201 IV S. 3). Dies ist aber nicht der Fall. Der Senat hat
aufgrund dieser Erwägungen keine Bedenken, der Feststellung des gerichtlichen
Sachverständigen, Erkrankungen durch Kohlenmonoxid i. S. der BK Nr. 1201 lägen nicht
vor, zu folgen.
Eine Anerkennung und Entschädigung der BKen Nrn. 3101 und 3102 kommt ebenfalls
nicht in Betracht.
Es ist bereits fraglich, ob, wie dies die BK Nr. 3101 erfordert, die Tätigkeit der Klägerin im
Krankenaktenarchiv einer Tätigkeit im Gesundheitsdienst, der Wohlfahrtspflege oder in
einem Laboratorium zuzurechnen ist bzw. ob sie durch ihre Arbeit der Infektionsgefahr in
ähnlichem Maße besonders ausgesetzt war wie bei einer Tätigkeit im Gesundheitsdienst,
in der Wohlfahrtspflege oder in einem Laboratorium.
Der Begriff des Gesundheitsdienstes erfasst alle Tätigkeiten und Einrichtungen, bei
denen die Sorge um die Gesundheit den Hauptzweck bildet und nicht als nur nebenher
erzielte Begleiterscheinung anzusehen ist (Mehrtens/Brandenburg, a. a. O. M 3101 Anm.
2). Eine Einbeziehung von Verwaltungsangestellten anderer Einrichtungen als der
geschlossenen Gesundheitsfürsorge (Krankenhäuser, Heil- und Pflegeanstalten)
widerspricht der Absicht des Gesetzgebers, den Anwendungsbereich der BK Nr. 3101
einschränkend auszulegen (Mehrtens/Brandenburg, a. a. O. M 3101 Anm. 2.2). Danach
war die Klägerin in der exponierten Zeit nicht im Gesundheitsdienst tätig, sondern hat
ausschließlich Verwaltungsarbeiten verrichtet, ohne dabei notwendig Kontakt mit
infizierten Menschen zu haben. Dass ihr Arbeitsplatz bei der Senatsverwaltung für
Gesundheit und Soziales B ressortierte, ist dabei unerheblich. Die Klägerin arbeitete
außerdem nicht in einem Laboratorium. Ihre Arbeit ist letztlich auch nicht der
Wohlfahrtspflege zuzurechnen, denn dies setzt die unmittelbare Betreuung von
gesundheitlich, sittlich oder wirtschaftlich gefährdeten Menschen voraus. Wenn wie bei
einer Verwaltungstätigkeit - wie sie von der Klägerin ausgeübt wurde - die unmittelbare
Betreuung nicht im Vordergrund steht, handelt es sich nicht um eine Tätigkeit in der
Wohlfahrtspflege (Mehrtens/Brandenburg, a. a. O. M 3101 Anm. 3 und 4).
Ob die Klägerin durch ihre Tätigkeit im Krankenaktenarchiv mit seinen unhygienischen
Verhältnissen der Infektionsgefahr in einem ähnlichen Maße ausgesetzt war wie im
Gesundheitsdienst, der Wohlfahrtspflege oder in einem Laboratorium, kann dahinstehen,
denn es ist nicht nachgewiesen, dass sie an einer Infektionskrankheit i. S. der BK Nr.
3101 leidet. Es ist bei ihr außerdem keine Erkrankung, die von Tieren auf Menschen
übertragen wird (BK Nr. 3102), festgestellt worden.
Als Infektion wird das Eindringen von Krankheitserregern in den menschlichen Körper und
deren dort erfolgende Vermehrung mit oder ohne Auftreten von Krankheitszeichen
bezeichnet. Im weiteren Verlauf werden Abwehrmechanismen des Immunsystems in
einer für jeden Erreger typischen Art wirksam. Treten dabei Krankheitssymptome auf
oder bleibt die vollständige Antikörperbildung aus, tritt - bei Vorliegen der weiteren
Voraussetzungen - der Versicherungsfall ein. Infektionserkrankungen werden nach den
verursachenden Erregern eingeteilt. Dies sind Bakterien, Viren, Protozoen (Einzeller),
Rickettsien, Pilze, Würmer und Spirochäten (Schönberger/Mehrtens/Valentin a. a. O.,
Anmerkung 9).
Eine solche Infektionskrankheit ist bei der Klägerin nicht festgestellt worden. Der frühe
Verdacht auf eine Borreliose, wie ihn auch die Fachärzte für Dermatologie und
Venerologie Dres. T u. a. in ihrem Befundbericht vom 28. März 2003 äußern, hat sich
nicht bestätigt, denn bereits aus dem Bericht der Infektionsambulanz der Medizinischen
Poliklinik des V Klinikums vom 11. Juni 1997 ergibt sich, dass eine Borreliose sicher
ausgeschlossen werden konnte, da der Befund eindeutig negativ war. Für eine parasitäre
Erkrankung ergab sich bei fehlender Eosinophilie und normalem IgE kein Hinweis. Die
Klägerin hat zwar über Stiche in die Haut und Juckreiz berichtet, die Stiche und Bisse von
Insekten vermuten lassen, es fehlt aber, wie Prof. Dr. S ausgeführt hat, an
persistierenden Symptomen. Es ist bisher von keinem Arzt eine Infektionskrankheit
diagnostiziert worden, die durch ein Tier übertragen wird. Durch die vielfachen
Blutuntersuchungen bei der Klägerin ist kein entsprechender Krankheitserreger
nachwiesen worden.
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Die Anerkennung der BKen Nrn. 4301 und 4302 scheidet ebenfalls aus. Beide BKen
setzen eine obstruktive Atemwegserkrankung voraus, die bei der Klägerin jedoch nicht
vorliegt. Dr. W ist nach Auswertung der vorliegenden Lungenfunktionsuntersuchungen zu
dem Ergebnis gekommen, dass eine Obstruktion nicht besteht. Die letzte
Lungenfunktionsprüfung im Oktober 2002 war unauffällig. Auch Dr. B und Prof. Dr. S
haben keine Obstruktion bei der Klägerin, die auch nicht über asthmatische
Beschwerden geklagt habe, feststellen können. Dr. B hat darüber hinaus, ebenfalls in
Übereinstimmung mit Dr. W, ausgeführt, dass durch die Hauttests keine Sensibilisierung
gegenüber atemwirksamen Allergenen nachgewiesen seien. Anhaltspunkte dafür, dass
die Klägerin an einer Rhinopathie leidet, wie sie für die Anerkennung der BK Nr. 4301
ausreicht, liegen ebenfalls nicht vor.
Letztlich ist bei der Klägerin auch keine Entschädigung der BK Nr. 5101 möglich. Zu den
Hautkrankheiten i. S. dieser BK zählen vor allem Kontaktekzeme, von untergeordneter
Bedeutung sind außerdem die berufliche Akne, die Urticaria und der Krätzemilbenbefall
(vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin a. a. O. Anmerkung 11.3). Eine Hautkrankheit ist
allerdings von keinem der Sachverständigen und auch nicht von den die Klägerin
behandelnden Ärzten festgestellt worden. Die Hautärzte Dres. T u. a. führen ebenso wie
der Internist und Rheumatologe Dr. H und die gehörten Sachverständigen und Gutachter
die Beschwerden der Klägerin auf eine Autoimmunkrankheit zurück. Prof. Dr. S hat in
seinem Gutachten die Auffassung vertreten, die Klägerin leide an einem systemischen
Lupus erythematodes, während Dr. W einen Lupus erythematodes und ein sekundäres
Sjögren-Syndrom diagnostiziert hat. Dagegen wird in dem Bericht der
Rheumasprechstunde des I-Krankenhauses vom 24. Dezember 2001 der Verdacht auf
ein primäres Sjögren-Syndrom mit geringer entzündlicher Aktivität geäußert. Auch in
dem Bericht der Rheumaambulanz der Medizinischen Klinik und Poliklinik des
Universitätsklinikums B-F vom 18. April 2002 wird von einem primären Sjögren-Syndrom
(anamnestisch) berichtet. Es kann letztlich dahinstehen, ob nun ein primäres Sjögren-
Syndrom oder ein sekundäres mit Lupus erythematodes vorliegt. Es ist zwar hilfreich,
eine konkurrierende Ursache für die geklagten Leiden festzustellen, notwendig ist dies
für die Feststellung einer BK aber nicht. Außerdem handelt es sich - entgegen der
Auffassung der Klägerin - bei beiden Ausformungen des Sjögren-Syndroms um
Autoimmunerkrankungen. Wie die Gewerbeärztin Dr. R in ihrer Stellungnahme vom 30.
Januar 1998 erklärt hat, werden bei Autoimmunerkrankungen krankhafte Abwehrstoffe
nicht gegen eingedrungene Keime, sondern gegen körpereigenes Gewebe gebildet.
Dabei handelt es sich nicht um BKen i. S. d. BKV. Wie die Medizinische Klinik mit
Schwerpunkt Rheumatologie und Klinische Immunologie der C auf ihrer Internetseite,
Stand 20. September 2007, ausführt, findet sich das Sjögren-Syndrom als chronisch-
progressive Autoimmunerkrankung der exokrinen Drüsen neben seiner primären Form
auch als sekundäre Erkrankung bei einer Vielzahl weiterer Autoimmunerkrankungen.
Dazu zählen z. B. die rheumatoide Arthritis, der systemische Lupus erythematodes, die
progressive systemische Sklerodermie und deren Überlappungssyndrome, aber auch
Patienten mit primär biliärer Zirrhose und autoimmuner Hepatitis, multipler Sklerose,
Myasthenia gravis, autoimmuner Thyreoiditis u. a.
Soweit die Klägerin geltend macht, die Beklagte habe gegen den
Amtsermittlungsgrundsatz gemäß § 20 SGB X verstoßen, vermag der Senat diese
Auffassung nicht zu teilen. Denn aus den Akten ist ersichtlich, dass durch den TAD
bereits am 16. Dezember 1996, also kurze Zeit nach Erstattung der
„Berufserkrankungsanzeige“ der Klägerin, eine Begehung der Arbeitsräume in der B
Straße stattfand. Dass sich zu diesem Zeitpunkt die Büroräume bereits in einem
sauberen Zustand befanden, kann der Beklagten nicht angelastet werden. Im Übrigen
ist nie bestritten worden, und das ergibt sich auch eindeutig aus dem Bericht des TAD
vom 23. Dezember 1996, dass die Klägerin und ihre Arbeitskollegen unter teilweise
unwürdigen unhygienischen Bedingungen gearbeitet haben. Selbst unterstellt, die
Beklagte hätte ihre Amtsermittlungspflicht verletzt, resultiert daraus kein Anspruch der
Klägerin auf Entschädigung der geltend gemachten BKen. Die Ermittlungen des
Sozialgerichts haben das medizinische Ergebnis der Ermittlungen der Beklagten
bestätigt mit der Folge, dass bei der Klägerin keine BKen festzustellen sind.
Anhaltspunkte für weitere Ermittlungen sind dem Senat nicht ersichtlich.
Es liegen im Fall der Klägerin auch nicht die Voraussetzungen für die Umkehr der
Beweislast vor. Auch im sozialgerichtlichen Verfahren gilt der Grundsatz, dass jeder im
Rahmen des anzuwendenden materiellen Rechts die Beweislast für die Tatsachen trägt,
die den von ihm geltend gemachten Anspruch begründen (Leitherer in Meyer-
Ladewig/Keller/Leitherer, SGG 8. Auflage 2005, § 103 Rdnr. 19a). Die Klägerin trägt also
den Nachteil der Nichterweislichkeit der von ihr behaupteten Tatsachen, nämlich das
Vorliegen bestimmter Erkrankungen i. S. der jeweiligen BKen sowie der
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Vorliegen bestimmter Erkrankungen i. S. der jeweiligen BKen sowie der
haftungsbegründenden und haftungsausfüllenden Kausalität.
Nach dem Grundsatz der Umkehr der Beweislast muss sich derjenige, der durch
schuldhaftes Handeln oder Unterlassen eine an sich mögliche Beweisführung vereitelt
hat, sich ggfs. so behandeln lassen, als sei die Beweisführung gelungen. Hat ein
pflichtwidriges Verhalten des Versicherungsträgers den beweisbelasteten Versicherten in
eine Beweisnot gebracht, kann der Tatrichter dieses Verhalten als einen für die Wahrheit
des Vorbringens des Versicherten entsprechenden Umstand berücksichtigen und daraus
im Rahmen der freien Beweiswürdigung den Schluss ziehen, dass der Beweis geführt ist
(so Beschluss des BSG v. 13. Sept. 2005 - B 2 U 365/04 B - m. w. N.). Wie bereits oben
ausgeführt, ist der Beklagten aber eine mangelnde Aufklärung des Sachverhalts nicht
vorzuwerfen. Die Klägerin verkennt nach wie vor, dass der geltend gemachte Anspruch
nicht deshalb abgelehnt worden ist, weil die arbeitstechnischen Voraussetzungen, die bei
jeder BK geprüft werden müssen, fehlen, sondern weil die medizinischen
Voraussetzungen der geltend gemachten BKen nicht erfüllt sind. Dass ihr Arbeitgeber
möglicherweise zu spät auf ihre vielfältigen Beschwerden reagiert und die
Arbeitsbedingungen gebessert hat, kann der Beklagten nicht vorgeworfen werden.
Letztlich kann sich die Klägerin auch nicht darauf berufen, den Anscheinsbeweis für das
Vorliegen der von ihr geltend gemachten BKen erbracht zu haben. Bei dem Beweis des
ersten Anscheins handelt es sich um eine Tatsachenvermutung. Das sind auf der
Lebenserfahrung beruhende Schlüsse, dass gewisse typische Sachverhalte bestimmte
Folgen auslösen oder das umgekehrt bestimmte Folgen auf einen typischen
Geschehensablauf hindeuten. Der Anscheinsbeweis setzt also einen Sachverhalt voraus,
der nach der Lebenserfahrung regelmäßig auf einen bestimmten Verlauf hinweist und
rechtfertigt, besondere Umstände des Einzelfalls in ihrer Bedeutung zurücktreten zu
lassen. Der Anscheinsbeweis ermöglicht damit bei so genannten typischen
Geschehensabläufen, von einer festgestellten Ursache auf einen bestimmten Erfolg oder
von einem festgestellten Erfolg auf eine bestimmte Ursache zu schließen (Meyer-
Ladewig, a. a. O., § 128 Rdnr. 9, 9a m. w. N.). Diese Voraussetzungen sind jedoch nicht
erfüllt. Es kann dahinstehen, ob es den Erfahrungssatz gibt, dass die unhygienischen
Arbeitsbedingungen, unter denen die Klägerin tätig war, typischerweise zu obstruktiven
Atemwegserkrankungen, Hauterkrankungen, Kohlenmonoxidvergiftungen und
Infektionskrankheiten führen. Denn ein solcher Erfahrungssatz wäre durch die
Ermittlungen der Beklagten und des Sozialgerichts erschüttert worden. Die
medizinischen Ermittlungen haben eindeutig ergeben, dass die Klägerin weder an einer
Hautkrankheit, noch an einer obstruktiven Atemwegserkrankung, einer
Kohlenmonoxidvergiftung oder/und einer Infektionskrankheit bzw. an einer von Tier zu
Mensch übertragbaren Krankheit leidet. Das haben auch die vielfältigen medizinischen
Berichte und Befunde ergeben, die die Klägerin vorgelegt hat. Selbst bei ungeklärter
Ursache einer Erkrankung führt der erforderliche Beweis der alternativen körpereigenen
Kausalfaktoren nicht zu einer Umkehr der Beweislast, weil aus dem Vorliegen einer
bestimmten Einwirkung nicht automatisch im Sinne eines Anscheinsbeweises auf die
berufliche Verursachung einer Erkrankung geschlossen werden kann (vgl. Urteil des BSG
vom 07. Sept. 2004 - B 2 U 34/03 R -).
Auch die Vorschrift des § 9 Abs. 3 SGB VII führt, soweit sie wegen der Geltung der RVO
überhaupt anwendbar ist, nicht zu der begehrten Anerkennung der BKen, denn sie setzt
u. a. die Erkrankung an einer Listenkrankheit der BKV voraus, um dann die -
widerlegbare - gesetzliche Vermutung zugunsten des erforderlichen
Kausalzusammenhangs aufzustellen. Bei der Klägerin liegen aber bereits nicht die
Listenkrankheiten der begehrten BKen vor, so dass eine gesetzliche Vermutung des
Ursachenzusammenhangs nicht in Betracht kommt.
Nach alledem war die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
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