Urteil des LSG Berlin-Brandenburg vom 19.12.2007

LSG Berlin-Brandenburg: stationäre behandlung, hauptsache, erlass, klinik, park, zustand, behinderung, link, sammlung, quelle

1
2
3
Gericht:
Landessozialgericht
Berlin-Brandenburg
11. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
L 11 B 232/08 SB
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Norm:
§ 193 SGG
Kostenentscheidung eines Streits um Schwerbehinderung nach
Erledigung der Hauptsache bei offenem Verfahrensausgang
Tenor
Die Beschwerde des Beklagten gegen den Beschluss des Sozialgerichts vom 19.
Dezember 2007 wird zurückgewiesen.
Der Beklagte hat der Klägerin die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu erstatten.
Gründe
Der Beklagte hatte bei der Klägerin im Jahr 2001 zunächst mit Bescheid vom 30. Juli
2001 einen Grad der Behinderung (GdB) nach dem Schwerbehindertengesetz (SchwbG)
von 40 festgestellt. Im Mai 2002 bzw. Juli 2004 gestellte Anträge auf Verschlimmerung
der Leiden wurden mit Bescheid vom 18. November 2002 und 24. Mai 2005
zurückgewiesen. Einen erneuten, am 5. Oktober 2005 gestellten,
Verschlimmerungsantrag wies der Beklagte mit Bescheid vom 30. November 2005
zurück. Auf den Widerspruch der Klägerin ließ der Beklagte eine Begutachtung der
Klägerin von Dr. B vornehmen. Dieser stellte in seinem Gutachten vom 8. Februar 2006
folgende Behinderungen fest und bewertete sie mit den in den Klammern stehenden
Einzel-GdB: Zustand nach zweimaliger Bandscheibenoperation L 4 – S 1 bei
Spinalkanalstenose und anhaltenden Wurzelreizerscheinungen (30), wiederholt
operierter Meniskusschaden beider Kniegelenke (20). Er schlug einen Gesamt-GdB von
40 vor. Daraufhin wies die Beklagte den Widerspruch mit Bescheid vom 27. Februar 2006
zurück.
Mit der am 9. März 2006 beim Sozialgericht Berlin erhobenen Klage verfolgte die
Klägerin ihr Begehren weiter. Das Sozialgericht zog Entlassungsberichte wegen der
stationären Behandlungen der Klägerin im Zusammenhang mit ihrem Knieleiden bei.
Dies waren: Die Entlassungsberichte der Park-Klinik W vom 29. September 2006 über
stationäre Behandlungen vom 27. Mai bis 29. Juni 2006 und 27. September bis 28.
September 2006 sowie der Entlassungsbericht des A-V-Klinikums vom 14. November
2006 über die stationäre Behandlung vom 8. November 2006 bis 15. November 2006.
Nach Einholung eines Befundberichts des behandelnden Chirurgen Dr. L vom 15. Mai
2007 holte das Sozialgericht ein Sachverständigengutachten ein, das von dem
Orthopäden Dr. M am 19. Juni 2007 erstattet wurde. Aufgrund einer Stellungnahme der
Ärztin für Allgemein- und Gefäßchirurgie H vom 13. August 2007 erkannte der Beklagte
mit Bescheid vom 23. August 2007 bei der Klägerin eine Funktionsbehinderung des
rechten Kniegelenks an und erhöhte den Gesamt-GdB ab Juni 2007 auf 50. Daraufhin
erklärte die Klägerin mit Schriftsatz vom 6. September 2007 in Übereinstimmung mit
dem Beklagten (Schriftsatz vom 28. August 2007) den Rechtsstreit in der Hauptsache
für erledigt und beantragte, dem Beklagten die Kosten aufzuerlegen. Dem Kostenantrag
hielt der Beklagte entgegen, die Anhebung des Grades der Behinderung basiere auf
einer im Laufe des Klageverfahrens eingetretenen Verschlimmerung des
Gesundheitszustandes der Klägerin.
Durch Beschluss vom 19. Dezember 2007 hat das Sozialgericht dem Beklagten die
Hälfte der notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin auferlegt. Zur
Begründung hat es ausgeführt, der gerichtliche Sachverständige Dr. M habe in seinem
Gutachten auf die Frage, ab wann die Verschlechterung der
Kniegelenksfunktionsbeeinträchtigungen eingetreten sei, nur vage geantwortet. Es sei
jedoch unwahrscheinlich, dass die Verschlechterung plötzlich im Juni 2007 eingetreten
sei. Da insoweit der Verfahrensausgang offen sei und im Kostenverfahren Ermittlungen
nicht mehr stattfänden, rechtfertige sich eine Kostenteilung.
4
5
6
7
8
9
Gegen diesen am 21. Dezember 2007 zugestellten Beschluss richtet sich die am 16.
Januar 2008 erhobene Beschwerde, mit der der Beklagte die Aufhebung des
Kostenbeschlusses beantragt hat. Der im Lauf des Klageverfahrens ergangene Bescheid
basiere auf den Feststellungen des gerichtlichen Sachverständigen Dr. M und der
versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 13. August 2007. Danach ergebe sich aus
den vorliegenden Messdaten zur Beugung und Streckung des rechten Kniegelenks, dass
im September 2006 noch keine relevante Funktionsbeeinträchtigung vorgelegen habe.
Der Beklagte dürfe daher nicht mit Kosten belastet werden.
Die noch vor Inkrafttreten des – die Beschwerde gegen Kostengrundentscheidungen
nach § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ausschließenden – Gesetzes zur Änderung des
SGG und des Arbeitsgerichtsgesetzes vom 26. März 2008 am 16. Januar 2008
eingegangene Beschwerde ist gemäß § 172 SGG alter Fassung zulässig, aber
unbegründet.
Nach § 193 Abs. 1 Satz 3 SGG entscheidet das Gericht auf Antrag durch Beschluss, ob
und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben, wenn das
Verfahren – so wie hier – anders als durch Urteil beendet wird. Hierbei hat es unter
Beachtung aller Umstände des Einzelfalls nach billigem Ermessen zu entscheiden. Im
Rahmen dieser unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes zu
treffenden Billigkeitsentscheidung sind sowohl die Erfolgsaussichten des
Rechtsschutzbegehrens als auch die Gründe für die Klageerhebung und Erledigung zu
prüfen (Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl. 2008, § 193 RdNr. 13
ff). Ergibt sich eine Änderung der Sach- oder Rechtslage zugunsten des Klägers erst
während des Rechtsstreits, kann eine teilweise Kostenerstattung in Betracht kommen.
An diesen Grundsätzen gemessen, ist die vom Sozialgericht getroffene Entscheidung
nicht zu beanstanden. Denn es lässt sich dem Gutachten von Dr. M nicht eindeutig
entnehmen, ab welchem Zeitpunkt es zu einer Verschlimmerung der
Funktionsbeeinträchtigungen des rechten Kniegelenks der Klägerin gekommen ist, die zu
einer Erhöhung des Gesamt-GdB von 40 auf 50 geführt hat. Der gerichtliche
Sachverständige vermerkte nach Untersuchung der Klägerin im Juni 2007 Messwerte der
Beugung/Streckung des rechten Kniegelenks von 80 - 20 – 0. Ferner hat er ausgeführt,
„die genannten Funktionsbeeinträchtigungen bestehen nach Aussage der Klägerin seit
mehreren Jahren. Der festgestellte Zustand besteht also seit Oktober 2005. Aufgrund
der weiteren Knie-Operation (Knorpeltransplantation) von November 2006 ist es zu einer
Befundverschlechterung mit Bewegungseinschränkung im rechten Kniegelenk
gekommen.“ Ausgehend von diesen Feststellungen ist es nicht ausgeschlossen, dass
eine Verschlimmerung der Leiden der Klägerin, die zu einer Erhöhung des Gesamt-GdB
geführt hat, bereits vor Erlass des Widerspruchsbescheides eingetreten ist. Hierfür
sprechen auch die Angaben des die Klägerin behandelnden Orthopäden Dr. L. Dieser hat
das Bewegungsausmaß für Beugung und Streckung des rechten Kniegelenks am 27.
Januar 2006 mit 100-30-0 angegeben. Diesen Feststellungen stehen zwar die Angaben
von Dr. B vom 8. Februar 2006 von 0/0/130 entgegen. Jedoch geht der Arzt von einer
schmerzhaften Beugung und Streckung aus. Auch kann – entgegen der Ansicht des
Beklagten - den Entlassungsberichten der Park-Klinik W nicht entnommen werden, dass
im September 2006 lediglich eine nicht relevante Bewegungseinschränkung des rechten
Kniegelenks vorlag. Medizinische Unterlagen, aufgrund derer eindeutig festgestellt
werden kann, wann die entscheidende Verschlimmerung des Gesundheitszustandes der
Klägerin eingetreten ist, liegen nicht vor. Da es dem Gericht nach Erledigung der
Hauptsache verwehrt ist, weitere Ermittlungen anzustellen (vgl. Leitherer in Meyer-
Ladewig/Keller/Leitherer, a.a.O., RdNr. 13 d), erscheint es angemessen, dem Beklagten
die Hälfte der außergerichtlichen Kosten der Klägerin aufzuerlegen. Dies entspricht auch
dem Grundsatz, dass eine Erledigung nach Beweisaufnahme selbst im Falle des
sofortigen Anerkenntnisses den Sozialleistungsträger nicht von der Erstattungspflicht
befreit (vgl. Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, a.a.O., RdNr. 13, m.w.N.),
jedenfalls dann, wenn die Beweisaufnahme ergeben hat, dass der Bescheid bei seinem
Erlass rechtswidrig war. Diese Frage ist nach den Ausführungen der Ärzte L und B offen
geblieben.
Die Kostenentscheidung im Beschwerdeverfahren beruht auf einer entsprechenden
Anwendung § 193 Abs. 1 iVm Abs. 4 SGG.
Der Beschluss kann nicht mit der Beschwerde zum Bundessozialgericht angefochten
werden, § 177 SGG.
Datenschutzerklärung Kontakt Impressum