Urteil des LSG Berlin-Brandenburg vom 29.04.2008

LSG Berlin und Brandenburg: gebühr, verwaltungsverfahren, vorverfahren, post, ermessen, anmerkung, widerspruchsverfahren, vergütung, rechtsgrundlage, zitat

Landessozialgericht Berlin-Brandenburg
Beschluss vom 29.04.2008 (rechtskräftig)
Sozialgericht Berlin S 56 AL 59/06 PKH
Landessozialgericht Berlin-Brandenburg L 30 B 475/06 AL PKH
Die Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 18. September 2006 wird
zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch für das Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.
Gründe:
Die statthafte, fristgerecht eingelegte und damit insgesamt zulässige Beschwerde, §§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz
(SGG), der das Sozialgericht nicht abgeholfen hat (Nichtabhilfebeschluss vom 16. Oktober 2006), ist unbegründet. Zu
Recht hat das Sozialgericht den Antrag des Klägers auf Gewährung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung seines
Prozessbevollmächtigten abgelehnt.
Nach § 73 a Sozialgerichtsgesetz (SGG) in Verbindung mit § 114 Zivilprozessordnung (ZPO) erhält ein Beteiligter auf
Antrag Prozesskostenhilfe, wenn er nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der
Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung
hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.
Die Rechtsverfolgung des Klägers bietet jedoch keine hinreichende Aussicht auf Erfolg.
Eine Rechtsverfolgung ist nur dann hinreichend Erfolg versprechend, wenn das Gericht nach vorläufiger summarischer
Prüfung den Rechtsstandpunkt des Antragstellers zumindest für vertretbar und unter Berücksichtigung auch des
gegnerischen Vorbringens den Prozesserfolg für wahrscheinlich hält, wobei eine überwiegende Wahrscheinlichkeit
nicht erforderlich ist (BGH NJW 84, S. 1161). Maßgebend für die Beurteilung sind dabei die im Zeitpunkt der
Entscheidung des Gerichts vom Kläger noch gestellten Anträgen. Nach der gebotenen summarischen Überprüfung ist
jedoch nicht hinreichend wahrscheinlich, dass der Kläger im gerichtlichen Verfahren vor dem Sozialgericht mit seinem
Begehren, mit dem der Kläger (isolierte) Kosten für das Widerspruchsverfahren in Höhe von 348,00 EUR (280,00 EUR
- Geschäftsgebühr Nr. 2500 Vergütungsverzeichnis der Anlage 1 des zum 01. Juli 2004 in Kraft getretenen
Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (VV-RVG) - + 20,00 EUR - Entgelte für Post und Telekom Nr. 7002 VV-RVG - +
48,00 EUR - 16 v. H. Umsatzsteuer Nr. 7008 VV-RVG) bzw. nach dem Schriftsatz des Prozessbevollmächtigten des
Kläger vom 19. April 2006 hilfsweise "weitere" 301,60 EUR (240,00 EUR - Geschäftsgebühr Nr. 2500 VV-RVG - +
20,00 EUR - Entgelte für Post und Telekom Nr. 7002 VV-RVG - + 41,60 EUR -16 v.H. - Umsatzsteuer Nr. 7008 VV-
RVG) geltend macht, durchdringen wird.
Die erstattungsfähigen Gebühren und Auslagen (Vergütung) des Rechtsanwalts im Sinne von § 63 Abs. 2 SGB X, der
nur die gesetzlichen Gebühren erfasst (vgl. BSGE 78, 159, 161), bestimmen sich nach dem RVG. Dieses findet hier
Anwendung, weil der Auftrag zur Erledigung der Angelegenheit nach dem 01. Juli 2004, spätestens mit der Erteilung
der Prozessvollmacht vom 20. September 2005 (Bl. 374 der Leistungsakten der Beklagten) erteilt worden ist (§ 61
Abs. 1 S. 1 RVG). Nach § 3 Abs. 2 i. V. m. Abs. 1 S. 1 RVG entstehen für eine Tätigkeit außerhalb des
sozialgerichtlichen Verfahrens, sofern das Gerichtskostengesetz (GKG) keine Anwendung findet,
Betragsrahmengebühren und daher auch für das isolierte Vorverfahren zwischen Sozialleistungsempfängern und
Behörden. Da der Streit zwischen den Beteiligten über die Frage der Rechtmäßigkeit des Bezuges eines
Existenzgründungszuschusses in dem Zeitraum vom 30. März 2004 bis zum 29. Januar 2005 geführt worden ist, wäre
das sozialgerichtliche Verfahren für den Kläger als Leistungsempfänger kostenfrei gewesen (§ 183 S. 1 SGG). Nach §
2 Abs. 2 RVG bestimmt sich daher die Höhe der Vergütung nach dem Vergütungsverzeichnis (VV) der Anlage 1 zu
diesem Gesetz.
Gemäß Nr. 2500 VV RVG in der Fassung des Art. 3 Kostenrechtsmodernisierungsgesetz (KostRMoG) vom 05. Mai
2004 (BGBl. I 2004, 718) beträgt die Geschäftsgebühr in sozialrechtlichen Angelegenheiten, in denen im gerichtlichen
Verfahren die Betragsrahmengebühren entstehen, 40,- EUR bis 520,- EUR. Im Hinblick auf die Bemessung der
Gebühr ist zu berücksichtigen, dass eine Gebühr von mehr als 240,- EUR (sogenannte Schwellengebühr) nur gefordert
werden kann, wenn die Tätigkeit umfangreich oder schwierig war (amtliche Anmerkung zu Nr. 2500 VV RVG).
Einschränkend enthält das VV zu diesem Gebührentatbestand den Zusatz: Eine Gebühr von mehr als 240,00 EUR
kann nur gefordert werden, wenn die Tätigkeit umfangreich oder schwierig war.
Nach Nr. 2501 VV-RVG beträgt die Gebühr Nr. 2500 VV-RVG für das weitere, der Nachprüfung des Verwaltungsaktes
dienende Verwaltungsverfahren, sofern eine Tätigkeit in Verwaltungsverfahren vorausgegangen ist, 40,00 bis 260,00
EUR. Das VV enthält zu diesem Gebührentatbestand die Zusätze:
I. Bei der Bemessung der Gebühr ist nicht zu berücksichtigen, dass der Umfang der Tätigkeit infolge der Tätigkeit im
Verwaltungsverfahren geringer ist. II. Eine Gebühr von mehr als 120,00 EUR kann nur gefordert werden, wenn die
Tätigkeit umfangreich oder schwierig war.
Der Zusatz unter Ziffer I. trägt dem Umstand Rechnung, dass sich der ersparte Aufwand des
Prozessbevollmächtigten im Widerspruchsverfahren durch seine vorausgegangene Tätigkeit im Verwaltungsverfahren
bereits im niedrigeren Gebührenrahmen der Nr. 2501 VV-RVG niederschlägt und daher nicht mehr bei der Bemessung
zu berücksichtigen ist.
Bei Rahmengebühren bestimmt der Rechtsanwalt gemäß § 14 Abs. 1 S. 1 RVG die Gebühr im Einzelfall unter
Berücksichtigung aller Umstände, vor allem des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, der
Bedeutung der Angelegenheit sowie der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers, nach billigem
Ermessen. Die Vorschrift wird ergänzt durch die Zusätze zu den Nrn. 2500 und 2501 VV-RVG. Danach ist in
"durchschnittlichen" Fällen nach § 14 Abs. 1 S. 1 RVG die Mittelgebühr nur anzusetzen, wenn Umfang oder
Schwierigkeit über dem Durchschnitt liegen. Ist dies nicht der Fall, ist statt der Regelmittelgebühr die
"Schwellengebühr" von 240,00 EUR - bzw. 120,00 EUR bei Nr. 2501 VV-RVG - als billig im Sinne des § 14 Abs. 1
Satz 1 RVG anzusetzen (vgl. Hessisches LSG, Urteil vom 19. März 2008 – L 4 SB 51/07 – unter Bezugnahme auf
das LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 8. März 2006, Az.: L 4 SB 174/05, dieses unter Verweis auf die
Gesetzesbegründung zur wortgleichen Nr. 2400 VV-RVG BR-Drs. 830/03 S. 257 alles zitiert nach juris).
Ausgehend von diesen Grundsätzen besteht keine hinreichende Erfolgsaussicht der Klage dahingehend, dass für den
Prozessbevollmächtigten des Klägers höhere Gebühren als 162,40 EUR festzusetzen wären (120,00 EUR -
Geschäftsgebühr Nr. 2501 VV-RVG - + 20,00 EUR - Entgelte für Post und Telekom Nr. 7002 VV-RVG - + 22,40 EUR -
16 v. H. Umsatzsteuer Nr. 7008 VV-RVG). Die Angelegenheit war für ihn nicht schwierig und umfangreich, worauf
schon die Beklagte in ihren Verwaltungsentscheidungen und hierauf Bezug nehmend das Sozialgericht hingewiesen
hatten.
Für eine weitergehende Erstattungspflicht des Beklagten ist keine Rechtsgrundlage ersichtlich. Nach den Regelungen
des § 63 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 SGB X sind durch den Beklagten lediglich die Kosten des Vorverfahrens zu
erstatten. Entstehen dem Betroffenen schon bei Durchführung des dem Vorverfahren vorausgehenden
Verwaltungsverfahrens Kosten, so sind diese nicht zu erstatten, soweit nicht spezielle Regelungen wie z. B. § 65 a
Sozialgesetzbuch, Erstes Buch – SGB I - dies vorsehen. Dies gilt selbst dann, wenn einem Antrag des Betroffenen
ganz oder teilweise entsprochen wird (BSGE 55, 92, 93). Eine derartige spezielle Regelung, wonach Kosten des
Verwaltungsverfahrens zu erstatten wären, liegt hier nicht vor. In § 17 Nr. 1 RVG ist - im Unterschied zur früheren
Vorschrift des § 119 BRAGO - ausdrücklich geregelt, dass es sich beim Verwaltungsverfahren und dem Vorverfahren
um verschiedene Angelegenheiten handelt. Eine Erstattung der im Verwaltungsverfahren angefallenen Gebühr nach
Nr. 2500 VV-RVG, wie sie der Prozessbevollmächtigte geltend macht, ist daher nicht möglich, denn er war schon im
Anhörungsverfahren für den Kläger mit Schriftsatz vom 31. August 2005 tätig geworden, was zur Folge hat, dass
"nur" die Kosten nach der Nr. 2501 VV-RVG festzusetzen waren. Eine Regelungslücke, die Anlass zu einer
erweiternden Auslegung gibt, und wonach der Beklagte verpflichtet wäre, eine höhere Gebühr zu erstatten, als dies in
Nr. 2501 VV-RVG für das Vorverfahren bei vorangegangener anwaltlicher Tätigkeit im Verwaltungsverfahren
vorgesehen ist, ist nicht ersichtlich. Aus § 63 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 SGB X, §§ 17, 2 RVG i.V.m. Nr. 2501 VV-
RVG geht gerade nicht hervor, dass der Gesetzgeber beabsichtigte, einen Antragsteller, der seinen Anwalt bereits im
Rahmen des Antragsverfahrens eingeschaltet hatte, hinsichtlich der Höhe der zu erstattenden Gebühr mit einem
Antragsteller, der seinen Anwalt erst im Vorverfahren hinzuzieht, gleichzustellen. Eine Benachteiligung des
Betroffenen ist nicht ersichtlich, da die im Verwaltungsverfahren entstandene Gebühr nach Nr. 2500 VV-RVG wie
oben dargelegt generell nicht erstattungsfähig ist, die im Vorverfahren anfallende niedrigere Gebühr nach Nr. 2501 VV-
RVG dem Betroffenen vom Rechtsträger aber in vollem Umfang erstattet wird (so schon überzeugend das Hessisches
LSG a. a. O.).
Schließlich ergibt sich hier nichts anderes daraus, dass der Prozessbevollmächtigte des Klägers in einem
Aufhebungs- und Erstattungsverfahren tätig geworden war. Zwar nimmt das vom Prozessbevollmächtigten angeführte
Zitat von Madert (in: Gerold/Schmidt u. a., RVG, Kommentar, 16. Aufl.) im Schriftsatz vom 19. April 2006 Bezug auf "
Bewilligung von Leistungen der Sozialversicherung oder sonstigen Sozialleistungen ". Hieraus ergibt sich aber keine
andere Beurteilung, denn die amtliche Anmerkung zu Nr. 2500 VV-RVG nimmt gerade Bezug auf "sozialrechtliche
Angelegenheiten ". Damit sind allein nach dem Wortlaut auch Aufhebungs- und Erstattungsverfahren schon mit
umfasst. Die einem derartigen Verfahren vorangegangene Verwaltungstätigkeit i. S. d. der Nr. 2501 VV-RVG stellt
insoweit regelmäßig das Anhörungsverfahren nach § 24 Sozialgesetzbuch 10. Buch (SGB X) dar, in der der
Prozessbevollmächtigte des Kläger zuerst tätig geworden war.
Im Ergebnis offen bleiben konnte im Hinblick auf § 14 Abs. 1 Satz 1 RVG ("Bei Rahmengebühren bestimmt der
Rechtsanwalt die Gebühr im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände, vor allem des Umfangs und der
Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, der Bedeutung der Angelegenheit sowie der Einkommens- und
Vermögensverhältnisse des Auftraggebers, nach billigem Ermessen "), ob der Prozessbevollmächtigte aus anderen
Gesichtspunkten einen höheren Gebührenanspruch hat. Jedenfalls hat er keine weiteren Gebührenposten geltend
gemacht als nach den Nrn. 2500, 2501, 7002 und 7008 VV-RVG.
Der Kostenausspruch folgt aus § 73 a SGG i. V. m. § 127 Abs. 4 ZPO und hat deklaratorische Bedeutung.
Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde angefochten werden (§ 177 SGG).