Urteil des LSG Berlin-Brandenburg vom 26.07.2006

LSG Berlin-Brandenburg: sinn und zweck der norm, arbeitsentgelt, halbe rente, verwaltungsakt, sozialleistung, erlass, rückforderung, auszahlung, härte, bemessungsgrundlage

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Gericht:
Landessozialgericht
Berlin-Brandenburg 3.
Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
L 3 R 1350/06
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 96a Abs 1 S 2 Halbs 2 SGB 6
vom 19.02.2002, § 96a Abs 2
SGB 6 vom 19.02.2002, § 96a
Abs 3 S 3 SGB 6 vom
19.02.2002, § 48 Abs 1 S 2 Nr 3
SGB 10, § 18a Abs 3 S 1 SGB 4
Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung -
Hinzuverdienstgrenze - zweimaliges Überschreiten -
Vormonatsprinzip - Bemessungsgrundlage -
Verfassungsmäßigkeit
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 26. Juli 2006
aufgehoben. Der Bescheid der Beklagten vom 16. Juli 2003 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 18. November 2003 wird insoweit aufgehoben, als der
rentenbewilligende Bescheid vom 20. Dezember 2002 hinsichtlich des
Auszahlungsanspruchs für den Zeitraum vom 27. Januar 2003 bis zum 28. Februar 2003
aufgehoben worden ist.
Die Beklagte trägt die Kosten der Klägerin im Klage- und Berufungsverfahren.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist die Überzahlung von Rentenleistungen in Höhe von 675,51 Euro.
Der 1948 geborene und 2009 verstorbene Versicherte und Ehemann der Klägerin bezog
aufgrund Bescheides der Beklagten vom 20. Dezember 2002 rückwirkend ab dem 01.
März 2002 Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung. Die Anlage 19 zum
Rentenbescheid enthielt Hinweise und Berechnungen zu den Hinzuverdienstgrenzen.
Der monatliche Bruttorentenbetrag belief sich im Zeitraum vom 01. März 2002 bis zum
30. Juni 2002 auf 620,15 Euro und ab dem 01. Juli 2002 auf 633,52 Euro. Die
Nachzahlung für den Zeitraum vom 01. März 2002 bis zum 31. Januar 2003 betrug
6.915,24 Euro. Hiervon wurde ein von der Krankenkasse geltend gemachter
Erstattungsanspruch wegen Krankengeldzahlungen im Zeitraum vom 01. März 2002 bis
zum 25. November 2002 i. H. v. 5.542,61 Euro befriedigt.
Ab dem 27. Januar 2003 erhielt der Versicherte Arbeitslosengeld i. H. v. 303,38 Euro
wöchentlich bei einem wöchentlichen Bemessungsentgelt i. H. v. 780,36 Euro. Bei der
Antragstellung hatte der Versicherte den Bezug von Rente wegen teilweiser
Erwerbsminderung angegeben.
Die Beklagte errechnete daraufhin am 17. April 2003 eine Überzahlung für den Zeitraum
vom 27. Januar bis zum 31. Januar 2003 i. H. v. 93,90 Euro, für den Zeitraum vom 01.
Februar bis zum 30. April 2003 i. H. v. 1.746,63 Euro (ausgehend von einem monatlichen
Zahlbetrag i. H. v. 582, 21 Euro) und für den Zeitraum vom 01. Mai bis zum 31. Mai
2003 i. H. v. 582,21 Euro, insgesamt demnach 2.422,74 Euro.
Mit Schreiben vom 25. April 2003 hörte die Beklagte den Versicherten zur ihrer Absicht,
einen Bescheid zu erteilen, mit welchem der Rentenbescheid vom 20. Dezember 2002
mit Wirkung vom 27. Januar 2003 an gemäß § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 bis 4 Zehntes Buch
Sozialgesetzbuch (SGB X) hinsichtlich des Auszahlungsanspruchs aufgehoben und die
für Zeit vom 27. Januar 2003 bis zum 31. Mai 2003 überzahlten Rentenbeträge i. H. v.
2.422,74 Euro zurückgefordert werden sollte, an.
Eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit könne bei gleichzeitiger Ausübung einer
Beschäftigung in der jeweils maßgeblichen Höhe nur gezahlt werden, wenn das aus
dieser Beschäftigung erzielte Arbeitsentgelt sich im Rahmen der gesetzlich
vorgeschriebenen Hinzuverdienstgrenzen halte. Die Hinzuverdienstgrenze für eine Rente
wegen teilweiser Erwerbsminderung werde individuell anhand der Verdienste des letzten
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wegen teilweiser Erwerbsminderung werde individuell anhand der Verdienste des letzten
bzw. der letzten drei Kalenderjahre vor Rentenbeginn bestimmt. Sofern die individuelle
Hinzuverdienstgrenze für eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung überschritten
werde, komme die Zahlung einer Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung in Höhe der
Hälfte in Betracht (§ 96a Abs. 2 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch ). Die
maßgebende Hinzuverdienstgrenze sei auch dann zu beachten, wenn anstelle von
Arbeitsentgelt Anspruch auf bestimmte Sozialleistungen wie bspw. Arbeitslosengeld
bestehe. Für die Höhe des Hinzuverdienstes sei nicht die Sozialleistung selbst, sondern
das dieser Leistung zugrunde liegende Arbeitsentgelt maßgebend (§ 96a Abs. 3 Satz 3
SGB VI). Die jeweilige Hinzuverdienstgrenze dürfe zweimal im Laufe eines Kalenderjahres
bis zum Doppelten der für einen Monat geltenden Hinzuverdienstgrenze überschritten
werden. Im Rentenbescheid vom 20. Dezember 2002 sei der Versicherte darauf
hingewiesen worden, dass die Rente in verminderter Höhe geleistet werde oder kein
Anspruch auf Auszahlung bestehe, wenn die Hinzuverdienstgrenzen überschritten
würden und dass er verpflichtet sei, der Beklagten den Bezug von Sozialleistungen
unverzüglich mitzuteilen. Die Hinzuverdienstgrenzen ergäben sich aus der dem
Rentenbescheid vom 20. Dezember 2002 beiliegenden Berechnung. Nach den
Feststellungen der Beklagten erhalte er ab dem 27. Januar 2003 Arbeitslosengeld, dem
ein Bemessungsentgelt von monatlich 3.381,56 Euro zugrunde liege. Unter
Berücksichtigung dieser Entgeltsumme bestehe für die Zeit ab dem 27. Januar 2003 kein
Anspruch auf Auszahlung der Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, da alle
Hinzuverdienstgrenzen überschritten würden. Die Rücknahme solle vom 27. Januar 2003
an wirksam werden. Es sei auch beabsichtigt, die überzahlten Rentenbeträge i. H. v.
2.422,74 Euro zurückzufordern. Die laufende Rentenzahlung werde mit Ende Mai 2003
eingestellt.
Mit Bescheid vom 16. Juli 2003 hob die Beklagte den Bescheid vom 20. Dezember 2002
mit Wirkung für die Zeit vom 27. Januar 2003 an nach § 48 SGB X hinsichtlich der
Rentenhöhe auf und forderte die zu Unrecht erbrachten Leistungen i. H. v. 2.422,74 Euro
zurück. Die Rente werde ab dem 01. Juni 2003 nicht mehr geleistet. Die
Voraussetzungen für eine rückwirkende Bescheidaufhebung seien erfüllt, da der
Versicherte nach Erlass des Bescheides vom 20. Dezember 2002 Einkommen oder
Vermögen erzielt habe, das zum Wegfall oder zur Minderung der Leistung führe. Die
Aufhebung erfolge auch innerhalb eines Jahres seit Kenntnis aller die Aufhebung
rechtfertigender Tatsachen. Für den Fall der rückwirkenden Aufhebung fordere das
Gesetz eine eingeschränkte Ermessensprüfung. Nach der ständigen Rechtsprechung
des Bundessozialgerichts (BSG) bedeute das Wort „soll“ in § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X,
dass die Beklagte in der Regel den Verwaltungsakt rückwirkend aufheben müsse, in
atypischen Fällen nach ihrem Ermessen jedoch hiervon abweichen könne. Ein atypischer
Fall liege unter den gegebenen Umständen nicht vor, weil der Versicherte im Bescheid
vom 20. Dezember 2002 auf die Hinzuverdienstgrenzen und die Folgen des
Überschreitens der Hinzuverdienstgrenzen hingewiesen worden sei. Sofern er den
Betrag nicht in einer Summe zurückzahlen könne, sei beabsichtigt, in Anwendung des §
51 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I) 1.372,63 Euro gegen die dem
Versicherten zustehende Nachzahlung der Rente aufzurechnen. Hierzu erhalte er
Gelegenheit, sich zu äußern.
Mit seinem Widerspruch gegen den Bescheid vom 16. Juli 2003 machte der Kläger
geltend, für die Zeit vom 27. Januar 2003 bis zum 31. Mai 2003 dürfe die
Hinzuverdienstgrenze für zwei Monate bis zum Doppelten der Grenze überschritten
werden, so dass für einen Zeitraum von zwei vollen Monaten keine Überzahlung
eingetreten sei. Es werde um Korrektur der Rückforderung gebeten.
Dieser Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 18. November 2003
zurückgewiesen. Zur Begründung wurde ausgeführt, nach der Rechtsprechung des BSG
zu den §§ 34 Abs. 3 Nr. 1 und 96a Abs. 2 Nr. SGB VI sei das zweimalige Überschreiten
bis zum Doppelten der eigentlichen Hinzuverdienstgrenze unabhängig von der Ursache
des Mehrverdienstes zulässig. Bei gleichbleibendem monatlichem Einkommen,
insbesondere bei Sozialleistungen, sei jedoch ein unschädliches Überschreiten bis zum
Doppelten der maßgebenden Hinzuverdienstgrenze nicht zu prüfen. Eine Prüfung sei
insoweit nur vorzunehmen, wenn sich der regelmäßige Hinzuverdienst erhöhe (z. B.
durch Überstundenvergütung, Einmalzahlungen etc.). Nur unter dieser Voraussetzung
sei auch bereits beim erstmaligen Zusammentreffen von Rente mit Hinzuverdienst (z. B.
zum Rentenbeginn) ein unschädliches Überschreiten möglich. Soweit diese
Voraussetzung im Zeitpunkt des erstmaligen Zusammentreffens nicht gegeben sei,
richte sich die Einstufung, welche Teil-/Anteilsrente zu zahlen sei, nach der einfachen und
nicht nach der doppelten Hinzuverdienstgrenze. Für Bezieher von Sozialleistungen wie
den Versicherten ergebe sich in der Regel keine unschädliche
Überschreitungsmöglichkeit.
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Mit der hiergegen vor dem Sozialgericht Berlin (SG) erhobenen Klage hat der Versicherte
geltend gemacht, aus der neuen Entscheidung des BSG vom 31. Januar 2002 – B 13 RJ
33/01 R – ergebe sich, dass auch im Fall des Hinzuverdienstes nach § 96a SGB VI die
Hinzuverdienstgrenze in jedem Kalenderjahr zweimal bis zum Doppelten der
Höchstgrenze überschritten werden dürfe. Der Bezug von Arbeitslosengeld stehe schon
deshalb dem Erwerbseinkommen gleich, weil sich anderenfalls eine ungerechtfertigte
Ungleichbehandlung ergebe. Im Übrigen müsse bei der Bildung der
Hinzuverdienstgrenzen der Nettobetrag der Lohnersatzleistung maßgeblich sein, weil
sich ansonsten unerträgliche Wertungswidersprüche zum Hinzuverdienst bei
Erwerbseinkommen ergäben. Anderenfalls würde nicht berücksichtigt, dass die
Lohnersatzleistung gegenüber dem Arbeitsentgelt bereits abgesenkt sei. Bei einem
tatsächlichen Leistungsbezug von Arbeitslosengeld i. H. v. ca. 1.300 Euro monatlich sei
die Hinzuverdienstgrenze nicht überschritten.
Mit Bescheid vom 16. Februar 2005 hat die Beklagte dem Versicherten ab dem 01. März
2005 die Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung wieder in voller Höhe gewährt.
Das SG hat die Klage durch Urteil vom 26. Juli 2006 abgewiesen. Es sei nicht
rechtswidrig, dass die Beklagte den Rentenbewilligungsbescheid vom 20. Dezember
2002 hinsichtlich der Rentenhöhe bereits ab dem 27. Januar 2003, also ab dem
erstmaligen Zusammentreffen von Rente und Arbeitslosengeld, wegen Überschreitens
der Hinzuverdienstgrenzen aufgehoben habe. Entgegen der Auffassung des
Versicherten stehe dem die Regelung des § 96a Abs. 1 Satz 2 2. HS SGB VI nicht
entgegen. Denn diese Regelung bedeute nicht, dass auch in den Fällen, in denen das
Arbeitsentgelt ständig über der Hinzuverdienstgrenze liege, ein zweimaliges
Überschreiten der Hinzuverdienstgrenze pro Jahr unschädlich sei. Eine Nichteinhaltung
der Hinzuverdienstgrenze reiche nicht aus, diese müsse vielmehr überschritten werden.
Ein Überschreiten i. S. d. § 96a SGB VI sei aber nur dann gegeben, wenn das
„Regelentgelt“ durch besondere zusätzliche Zahlungen überschritten werde, wobei es
dann auf die Gründe des Überschreitens nicht ankomme. Die Überschreitensregelung
des § 96a Abs. 1 Satz 2 2. HS SGB VI stehe somit unter der Voraussetzung, dass
überhaupt ein derartiges Überschreiten stattfindet. Sie sei von vornherein nicht auf
solche Versicherte anwendbar, die über solche Einkünfte verfügten, welche nicht in
unterschiedlicher Höhe einzelnen Kalendermonaten zugeordnet werden könnten oder
die einen gleich bleibenden Monatsverdienst oder gleichgestellte Bezüge hätten. In
diesem Fall ein zweimaliges Überschreiten der Hinzuverdienstgrenzen zu fingieren, sei
mit der gesetzlichen Regelung nicht in Einklang zu bringen. Das Gesetz regele
ausdrücklich nur die Möglichkeit des tatsächlichen Überschreitens der
Hinzuverdienstgrenzen. Werde die Hinzuverdienstgrenze - wie hier - in keinem
Kalendermonat eingehalten, sei der Hinzuverdienst von Anfang an rentenschädlich.
Darüber hinaus sei es auch nicht zu beanstanden, dass die Beklagte bei der Feststellung
des Hinzuverdienstes nach § 96a Abs. 3 SGB VI nicht das tatsächlich gezahlte
Arbeitslosengeld, sondern das diesem zugrunde liegende monatliche
Bemessungsentgelt berücksichtigt habe. Im Hinblick auf die bis Ende 2000 gültige
Fassung des § 43 Abs. 5 SGB VI sei lediglich für Zeiten des Bezugs einer nach 1998
beginnenden Rente wegen Berufsunfähigkeit von Januar 1999 bis Dezember 2000 bei
gleichzeitigem Bezug einer Sozialleistung mit Lohnersatzfunktion nur deren Geldwert
und nicht die Bemessungsgrundlage als erzielter Hinzuverdienst zu berücksichtigen. Ein
derartiger Fall liege hier aber nicht vor. Mit dem Wegfall des § 43 SGB VI a. F. ab Januar
2001 sei § 96a SGB VI insgesamt und damit auch dessen Absatz 3 anwendbar. Das
zugrunde liegende Bemessungsentgelt sei lediglich gegebenenfalls auf den
Höchstbetrag des im Fall der Erzielung von Arbeitsentgelt anrechenbaren
Hinzuverdienstes zu begrenzen. Ein Anspruch des Versicherten auf Berücksichtigung der
niedrigeren Hinzuverdienstgrenze bestehe daher nicht.
Mit der hiergegen eingelegten Berufung verfolgt der Versicherte, bzw. nach dessen Tod
die Klägerin als dessen Sonderrechtsnachfolgerin, das erstinstanzliche Klagebegehren
im Wesentlichen fort. Die vom Versicherten und der Klägerin vertretene
Rechtsauffassung zu § 96a SGB VI werde nicht nur vom Wortlaut der Vorschrift
„überschritten“ gedeckt, sondern auch vom Sinn und Zweck der Norm. Der
Gesetzgeber habe lediglich Sozialleistungen in unangemessener Höhe verhindern
wollen, wenn insoweit für den jeweiligen Bemessungsabschnitt gewisse
Hinzuverdienstgrenzen überschritten würden. Nach der neueren Rechtsprechung des
BSG komme es nicht darauf an, aus welchen Gründen die Hinzuverdienstgrenzen
überschritten würden, also insbesondere nicht darauf, ob auch für weitere
Kalendermonate des Jahres die Grenzen überschritten würde bzw. für wie viele
Kalendermonate. Auch der Begriff des Hinzuverdienstes gebe für die einschränkende
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Kalendermonate. Auch der Begriff des Hinzuverdienstes gebe für die einschränkende
Auslegung des SG nichts her. Würde bei der Anrechnung von Lohnersatzleistungen auf
den bezogenen Nettobetrag der Sozialleistungen abgestellt, hätte der Versicherte im
vorliegenden Fall die Hinzuverdienstgrenzen nicht überschritten. Es werde auf die
anhängigen Revisionsverfahren B 13 RJ 44/05 R und B 8 KN 4/06 R Bezug genommen.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 26. Juli 2006 und den Bescheid vom 16.
Juli 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. November 2003 insoweit
aufzuheben, als der Bescheid vom 20. Dezember 2002 mit Wirkung für die Zeit vor dem
01. März 2003 aufgehoben worden ist, so dass für die Zeit vom 27. Januar 2003 bis zum
28. Februar 2003 erbrachte Rentenleistungen nicht zurückzufordern sind.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die Berufung für unbegründet.
Die Beteiligten haben mit Schriftsätzen vom 11. September 2009 und 22. Oktober 2009
ihr Einverständnis mit einer Entscheidung des Senats nach § 124 Abs. 2
Sozialgerichtsgesetz (SGG) erteilt.
Zum übrigen Sach- und Streitstand wird auf die Gerichtsakte und die den Versicherten
betreffende Rentenakte der Beklagten verwiesen, die dem Senat vorlagen und
Gegenstand der Beratung waren.
Entscheidungsgründe
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin, über die der Senat im
Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheidet (§§
153 Abs. 1, 124 Abs. 2 SGG), ist zulässig und begründet.
Die Klage ist als Anfechtungsklage gemäß § 54 Abs. 1 SGG statthaft und zulässig. Die
Klägerin wendet sich mit ihrem Begehren (§ 123 SGG) gegen die Aufhebung des
rentenbewilligenden Bescheides der Beklagten vom 20. Dezember 2002 hinsichtlich der
Rentenhöhe für den Zeitraum vom 27. Januar bis zum 28. Februar 2003. Der Bescheid
der Beklagten vom 16. Juli 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.
November 2003 ist teilweise rechtswidrig, denn der Versicherte hatte einen Anspruch auf
Auszahlung der mit Bescheid vom 20. Dezember 2002 bewilligten Rente wegen
teilweiser Erwerbsminderung in voller Höhe während der Zeit vom 27. Januar 2003 bis
zum 28. Februar 2003. Die Rechtmäßigkeit der Aufhebung des rentenbewilligenden
Bescheides im Übrigen durch den angefochtenen Bescheid steht nicht im Streit.
Gemäß § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung mit Wirkung
für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen,
die bei seinem Erlass vorgelegen habe, eine wesentliche Änderung eintritt. Nach Satz 2
der Vorschrift soll der Verwaltungsakt mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der
Verhältnisse aufgehoben werden, soweit "... 3. nach Antragstellung oder Erlass des
Verwaltungsaktes Einkommen oder Vermögen erzielt worden ist, das zum Wegfall oder
zur Minderung des Anspruchs geführt haben würde". Nach Abs. 4 der Vorschrift gilt § 45
Abs. 4 Satz 2 SGB X entsprechend; danach muss die Behörde den Verwaltungsakt
innerhalb eines Jahres seit Kenntnis der Tatsachen, welche die Rücknahme eines
rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsakts für die Vergangenheit rechtfertigen,
zurücknehmen. Gemäß § 50 Abs. 1 Satz 1 SGB X sind, soweit ein Verwaltungsakt
aufgehoben worden ist, bereits erbrachte Leistungen zu erstatten.
Die Beklagte durfte den Bescheid über die Bewilligung der Rente wegen teilweiser
Erwerbsminderung vom 20. Dezember 2002 gemäß § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X
grundsätzlich mit Wirkung für die Vergangenheit zurücknehmen, weil er nachträglich
rechtswidrig geworden war. Nach Erlass des genannten Verwaltungsakts hat der
Versicherte Einkommen erzielt. Als Einkommen gilt auch der Bezug von - wie hier -
Arbeitslosengeld. Es handelt sich dabei um reales und kein fiktives Einkommen, auch
wenn es nicht in seiner konkreten Höhe, sondern (nach § 96a Abs. 3 Satz 3 SGB VI) in
Höhe des dieser Leistung zu Grunde liegenden Arbeitsentgelts (hier also des
Bemessungsentgelts nach § 131 Sozialgesetzbuch Drittes Buch )
berücksichtigt wird. Das Arbeitslosengeld wurde dem Versicherten ab dem 27. Januar
2003 gewährt, sodass der letztgenannte Zeitpunkt als Beginn der Änderung der
Verhältnisse anzusehen ist (§ 48 Abs. 1 Satz 3 SGB X). Der ursprüngliche
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Verhältnisse anzusehen ist (§ 48 Abs. 1 Satz 3 SGB X). Der ursprüngliche
Bewilligungsbescheid der Beklagten ist nachträglich wegen des Zusammentreffens von
Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung und Arbeitslosengeld insoweit rechtswidrig
geworden, als auf die Rente Arbeitslosengeld in Höhe der Bemessungsgrundlage
anzurechnen war mit der Folge des Wegfalls der Rente.
Der Aufhebung und Rückforderung steht nicht der Grundsatz entgegen, dass das
Aufhebungsrecht im Rahmen des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X auf die Höhe der
nachträglich bewilligten Sozialleistung beschränkt ist (vgl. Urteile des BSG vom 31.
Januar 2008 – B 13 R 23/07 R -, zitiert nach Juris m. w. N.; vom 23. März 1995 - 13 RJ
39/94 -, in SozR 3-1300 § 48 Nr. 37 m. w. N.) . Denn das Arbeitslosengeld überstieg den
Betrag der Rente bei weitem.
Nach § 96a Abs. 1 SGB VI in der hier ab dem 01. Januar 2002 maßgeblichen Fassung
wird eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit nur geleistet, wenn das für
denselben Zeitraum erzielte Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen aus einer
Beschäftigung oder selbständigen Tätigkeit die in Abs. 2 genannten, auf einen Monat
bezogenen Beträge nicht übersteigt, wobei ein zweimaliges Überschreiten um jeweils
einen Betrag bis zur Höhe der Hinzuverdienstgrenze nach Abs. 2 im Laufe eines
Kalenderjahrs außer Betracht bleibt. Die Höhe der Hinzuverdienstgrenze ist in Abs. 2 der
Vorschrift geregelt. Nach Abs. 3 der Vorschrift stehen bei der Feststellung eines
Hinzuverdienstes, der neben einer Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung erzielt wird,
dem Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen gleich der Bezug u. a. der in § 18a Abs. 3
Satz 1 des Vierten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB IV) genannten Sozialleistung. Als
Erwerbsersatzeinkommen ist dort u. a. auch das Arbeitslosengeld aufgeführt. Nach
§ 96a Abs. 3 Satz 3 SGB VI ist als Hinzuverdienst das der Sozialleistung zu Grunde
liegende monatliche Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen zu berücksichtigen.
Vorliegend war die Rente des Versicherten gemäß § 96a Abs. 2 und 3 SGB VI wegen
Zusammentreffens mit Hinzuverdienst nicht zu zahlen, weil für die Zeit ab Bezug des
Hinzuverdienstes am 27. Januar 2003 (bis zum 28. Februar 2005; vgl. den Bescheid vom
16. Februar 2005) der zulässige Hinzuverdienst überschritten worden ist. Die monatliche
Hinzuverdienstgrenze betrug bei der Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung für die
Zeit ab dem 01. Januar 2003 (vgl. die Anlage 19 zum Bescheid vom 20. Dezember 2002)
maximal 2.859,10 Euro; diese hat der Versicherte auf Grund Bezugs von
Arbeitslosengeld in Höhe eines Bemessungsentgelts von € 780,36 Euro wöchentlich
(entspricht 3.381,56 Euro monatlich) überschritten. Somit errechneten sich überzahlte
Beträge für den Zeitraum vom 27. Januar bis zum 31. Januar 2003 i. H. v. 93,90 Euro, für
den Zeitraum vom 01. Februar bis zum 30. April 2003 i. H. v. 1.746,63 Euro und für den
Zeitraum vom 01. Mai bis zum 31. Mai 2003 i. H. v. 582,21 Euro, insgesamt demnach
2.422,74 Euro. Diese Berechnung ist unter den Beteiligten nicht streitig.
Der angegriffene Bescheid der Beklagten ist nicht wegen fehlerhafter
Ermessensausübung rechtswidrig. Das Wort "soll" in Abs. 1 Satz 2 des § 48 SGB X
bedeutet, dass der Leistungsträger in der Regel den Verwaltungsakt rückwirkend
aufheben muss, er jedoch in atypischen Fällen nach seinem Ermessen hiervon
abweichen kann (stRspr, vgl. auch BSG vom 05. Oktober 2006 - B 10 EG 6/04 R - in SozR
4-1300 § 48 Nr. 8) . Die Frage, ob ein atypischer Fall vorliegt, ist als
Rechtsvoraussetzung im Rechtsstreit von den Gerichten zu überprüfen und zu
entscheiden (ebenfalls stRspr, BSGE 69, 233, 237 = SozR 3-5870 § 20 Nr. 3; SozR 3-
1300 § 48 Nr. 42; SozR 3-1300 § 48 Nr. 37; jeweils m. w. N.). Ob ein atypischer Fall
vorliegt, hängt maßgeblich von den Umständen des Einzelfalls ab (BSG SozR 1300 § 48
Nr. 44). Es kommt darauf an, ob der Einzelfall auf Grund seiner besonderen Umstände
von dem Regelfall der Tatbestände nach Abs. 1 Satz 2, die die Aufhebung des
Verwaltungsakts für die Vergangenheit gerade rechtfertigen, signifikant abweicht und die
vorgesehene Rechtsfolge für den Betroffenen eine unverhältnismäßige Härte darstellen
würde. Dabei ist die Frage, ob ein atypischer Fall vorliegt oder nicht, nicht losgelöst
davon zu beurteilen, welcher der in den Nrn. 1 bis 4 vorausgesetzten Tatbestände erfüllt
ist (BSG SozR 1300 § 48 Nr. 53 S 149). Zu berücksichtigen ist auch die Frage, ob die
Rückerstattung nach Lage des Falls eine Härte bedeutet, die den Leistungsbezieher in
untypischer Weise stärker belastet als den hierdurch im Normalfall Betroffenen (vgl.
BSGE 74, 287, 294 = SozR 3-1300 § 48 Nr. 33 m. w. N.). Das Vorliegen eines atypischen
Falles ist hier nicht erkennbar und wird von Klägerseite auch nicht geltend gemacht. Die
Beklagte hat im Übrigen die Einjahresfrist des § 48 Abs. 4 i. V. m. § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB
X gewahrt.
Die Rückforderung scheitert entgegen der Ansicht der Klägerin nicht daran, dass die
Neufeststellung der Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung mit der Anrechnung des
Hinzuverdienstes rechtswidrig wäre, weil die Anrechnung von Arbeitslosengeld nach §
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Hinzuverdienstes rechtswidrig wäre, weil die Anrechnung von Arbeitslosengeld nach §
96a Abs. 3 Satz 1 SGB VI überhaupt bzw. hinsichtlich der Höhe auf der Grundlage des
Bemessungsentgelts nach § 96a Abs. 3 Satz 3 SGB VI gegen die Verfassung verstieße.
Die Anrechnung des Erwerbsersatzeinkommens, hier von Arbeitslosengeld, ist als solche
nicht verfassungswidrig. Der aus § 96a SGB VI folgende „Übersicherungseinwand"
verstößt weder gegen Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG noch gegen Art. 3 Abs. 1 GG
(Bundesverfassungsgericht Nichtannahmebeschluss vom 14. Juni 2007 - 1
BvR 154/05 -, in NVwZ-RR 2007, 685; BSG vom 06. Februar 2007 - B 8 KN 3/06 R -, in
SozR 4-2600 § 96a Nr. 9 m. w. N.). Darüber hinaus verstößt die Zugrundelegung des
Bemessungsentgeltes nach § 96a Abs. 3 Satz 3 SGB VI nach der obergerichtlichen
Rechtsprechung, der sich der Senat nach eigener Prüfung anschließt, weder gegen Art.
14 des Grundgesetzes (GG) noch gegen Art. 3 Abs. 1 GG (vgl. hierzu die Entscheidungen
des BSG vom 26. Juni 2008 – B 13/4 R 49/07 R -, in SozR 4-2600 § 96a Nr. 11; vom 31.
Januar 2008 – B 13 R 23/07 R -, zitiert nach Juris; vom 21. August 2003 – B 13 RJ 44/05 R -
, zitiert nach Juris; vom 20. November 2003 – B 13 RJ 43/02 R -, in SozR 4-2600 § 96a Nr.
3; vom 30. Januar 2002 - B 5 RJ 6/01 R -, zitiert nach Juris; Urteil des Hessischen LSG vom
11. Juli 2008 – L 5 R 144/07 -, zitiert nach Juris, Beschluss des LSG Berlin-Brandenburg
vom 09. Oktober 2009 – L 4 R 678/06 -, zitiert nach www.sozialgerichtsbarkeit.de).
Die Klägerin kann sich jedoch hinsichtlich der Zeit vom 27. Januar 2003 bis zum 28.
Februar 2003 auf die Vergünstigung des § 96a Abs. 1 Satz 2 2. HS SGB VI berufen. Der
Versicherte hatte entgegen der Ansicht der Beklagten in dieser Zeit trotz
Überschreitens der Hinzuverdienstgrenzen des § 96a Abs. 2 SGB VI einen Anspruch auf
Auszahlung der Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung in voller Höhe.
Zwar lag der Verdienst – d. h. das Arbeitslosengeld - des Versicherten von Beginn an ab
dem 27. Januar 2003 gleichmäßig und durchgehend oberhalb der höchsten
Hinzuverdienstgrenze. Das BSG hat auch entschieden, dass bei gleich bleibendem
Verdienst die Geltendmachung des § 96 Abs. 1 Satz 2 2. HS SGB VI ausgeschlossen sei
(vgl. die Urteile des BSG vom 06. Februar 2007 – B 8 KN 3/06 R -, in SozR 4-2600 § 96a
Nr. 9; vom 26. Juni 2008 – B 13 R 119/07 R -, zitiert nach Juris, zur gleich lautenden
Regelung des § 34 Abs. 2 Satz 2 2. HS SGB VI).
Das vom Gesetz eingeräumte Recht, zweimal im Kalenderjahr die für die jeweilige Rente
maßgebliche Hinzuverdienstgrenze bis zum Doppelten dieser Grenze überschreiten zu
dürfen, sei im Hinblick auf diejenigen Versicherten geschaffen worden, die neben der
Rente Hinzuverdienstmöglichkeiten durch monatlich abzurechnende Arbeitsentgelte
oder Arbeitseinkommen wahrnehmen wollen und können, wie insgesamt die Regelung
über die Hinzuverdienstgrenzen von einer Gegenüberstellung der monatlich erzielten
Arbeitsentgelte oder Arbeitseinkommen mit der monatlich einzuhaltenden
Hinzuverdienstgrenze ausgehe (vgl. Urteil des BSG vom 03. Mai 2005 - B 13 RJ 8/04 R -,
in SozR 4-2600 § 96a Nr. 7).
Jedoch hat das BSG ausdrücklich nicht entschieden, was für die Anfangszeit einer
längeren Periode gleich bleibend erhöhten Verdienstes gilt (vgl. Urteile des BSG vom 06.
Februar 2007 – B 8 KN 3/06 R -, a. a. O.; vom 26. Juni 2008 – B 13/4 R 49/07 -, a. a. O.;
vom 26. Juni 2008 – B 13 R 119/07 R -, a. a. O.; Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen L 8
(3) R 270/07 -, zitiert nach Juris).
Nach der Verwaltungspraxis der Rentenversicherungsträger (vgl. Cirsovius,
„Hinzuverdienstgrenzen bei Bezug von Erwerbsminderungsrenten“, in ZFSH/SGB 2007,
648, 649), richtet sich die Prüfung, ob ein (privilegiertes) Überschreiten der
Hinzuverdienstgrenzen nach § 96a Abs. 1 Satz 2 2. HS (bzw. § 34 Abs. 2 Satz 2 2. HS)
SGB VI vorliegt, grundsätzlich nach der im Vormonat eingehaltenen
Hinzuverdienstgrenze (sog. Vormonatsprinzip). Dieses Vormonatsprinzip werde bei
einem Beschäftigungsverhältnis mit regelmäßigem Hinzuverdienst als ein geeigneter,
(verwaltungs-)praktikabler und dem Gesetzeszweck entsprechender Prüfungsmaßstab
zur Feststellung eines (privilegierten) Überschreitens i. S. d. § 96a Abs. 1 Satz 2 2. HS
SGB VI angesehen (vgl. Urteil des BSG vom 26. Juni 2008 – B 13 R 119/07 R -, a. a. O.).
Die Prüfung des Hinzuverdienstes habe nach dem Wortlaut des Gesetzes monatlich zu
erfolgen. Ausgangspunkt für die Prüfung eines Überschreitens i. S. d. § 96a Abs. 1 Satz 2
2. HS SGB VI sei danach, dass der gesamte in einem Monat erzielte Hinzuverdienst der
einfachen monatlichen Hinzuverdienstgrenze gegenüberzustellen sei
(„Kalendermonatsprinzip", stRspr, Urteile des BSG vom 03. Mai 2005 - B 13 RJ 8/04 -, a.
a. O.; vom 06. Februar 2007 – B 8 KN 3/06 R -, a. a. O.) . Die Hinzuverdienstgrenze als
eine auf den Kalendermonat bezogene Größe dürfe im Laufe eines jeden Kalenderjahres
rentenunschädlich zweimal bis zur Höhe des Betrags, welcher der Hinzuverdienstgrenze
entspricht, überschritten werden.
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Die Prüfung, ob der Versicherte mit dem erzielten Arbeitsentgelt die
Hinzuverdienstgrenze überschreite, sei ausgehend von der Regel, Hinzuverdienst und
Hinzuverdienstgrenze jeweils „Monat für Monat" gegenüberzustellen, chronologisch
vorzunehmen. Ob ein Überschreiten vorliege, sei an der zuvor, d. h. der im Vormonat,
eingehaltenen Hinzuverdienstgrenze zu beurteilen. Werde die Hinzuverdienstgrenze des
Vormonats eingehalten, sei die Rente vom Rentenversicherungsträger ohne weiteres in
der dieser Hinzuverdienstgrenze zugeordneten Höhe zu leisten. Der Rentenanspruch
bleibe so lange unverändert, bis sich der Hinzuverdienst ändere. Werde hierdurch die
bislang maßgebende (d. h. die im Vormonat noch eingehaltene) Hinzuverdienstgrenze
überschritten, sei weiter zu prüfen, ob ein sog. privilegiertes Überschreiten vorliege. Dies
setze voraus, dass der Hinzuverdienst innerhalb des Doppelten dieser
Hinzuverdienstgrenze liege; es sei zweimal innerhalb eines Kalenderjahres zulässig (§
96a Abs. 1 Satz 2 2. HS SGB VI).
Prüfungsmaßstab für die Feststellung eines Überschreitens im Monat Januar 2003 wäre
danach die im Vormonat – Dezember 2002 - noch eingehaltene Hinzuverdienstgrenze.
Für Februar 2003 wäre entsprechend auf Januar 2003 abzustellen. Da der Versicherte
jedoch im Dezember 2002 gar keinen Hinzuverdienst erzielt hat, würde die eben
beschriebene Anwendung des Vormonatsprinzips dazu führen, dass die Privilegierung
des § 96a Abs. 1 Satz 2 2. HS SGB VI nicht geltend gemacht und somit der
Auszahlungsanspruch für die Zeit vom 27. Januar bis zum 31. Januar 2003 entfiele. Da
im Januar 2003 sämtliche Hinzuverdienstgrenzen überschritten wurde, könnte auch im
Februar 2003 die Privilegierung nicht geltend gemacht werden.
Damit wären von vornherein Bezieher von Sozialleistungen mit Lohnersatzwirkung von
der Privilegierung des § 96a Abs. 1 Satz 2 2. HS SGB VI ausgeschlossen, denn sie
können nicht mit einem schwankenden Verdienst rechnen. Ihnen stehen auch keine
Gestaltungsmöglichkeiten bzgl. der Höhe der Leistung offen außer dem Verzicht auf die
Leistung, was angesichts des niedrigen Niveaus von Renten wegen teilweiser
Erwerbsminderung weder realistisch noch zumutbar ist. Es ist aber nicht ersichtlich nach
dem Gesetzeswortlaut, dass § 96a Abs. 1 Satz 2 2. HS SGB VI auf Arbeitnehmer
beschränkt sein soll. Zudem ergeben sich bei einer derartigen Auslegung des § 96a Abs.
1 Satz 2 2. HS SGB VI verfassungsrechtliche Bedenken im Hinblick auf das
Gleichbehandlungsgebot des Art. 3 Abs. 1 GG.
Die hierzu existierende Kasuistik in der Praxis der Rentenversicherungsträger mit ihrem
komplexen Regel-Ausnahme-Geflecht findet kaum einen Hinweis im Gesetzeswortlaut
(vgl. hierzu Cirsovius, „Hinzuverdienstgrenzen bei Bezug von
Erwerbsminderungsrenten“, a. a. O.). Erst recht ist nicht ersichtlich, dass das von der
Beklagten befürwortete Regel-Ausnahme-Geflecht den gesetzgeberischen
Zielvorstellungen Rechnung trägt. Vielmehr sprechen diese für eine Privilegierung auch
solcher Monate mit Überschreitungen, denen Monate ohne Hinzuverdienst
vorausgegangen sind.
Der Sinn und Zweck des zweimaligen Überschreitensrechts ist im Ausgangspunkt darin
zu sehen, bei zweimal jährlichen, kurzfristigen Änderungen des Arbeitsentgeltes die
eigentlich erforderlichen Rentenminderungen zu vermeiden (Urteil des BSG vom 06.
Februar 2007 – B 8 KN 3/06 R -, a. a. O.). In diese Hinsicht deutet auch der Hinweis in der
Gesetzesbegründung, dass die Privilegierung „den Bedürfnissen der Praxis" Rechnung
trage (vgl. BT-Drs. 11/4124, S. 161).
Dieser Ansatz kann im Ergebnis in zweifacher Hinsicht verstanden werden: Zum einen
könnte der Gesetzgeber den mit der Feststellung einer Überschreitung einer
Hinzuverdienstgrenze und einer daraus folgenden (Teil-)Rückforderung der
Rentenzahlung verbundenen Verwaltungsaufwand - ungeachtet der damit
einhergehende Mindereinnahmen für den Rentenversicherungsträger - für entbehrlich
erachtet haben, soweit es sich um die ersten beiden Überschreitungen in einem
Kalenderjahr handelt. Ob ein solcher Legitimationsansatz sich als verfassungsrechtlich
tragfähig erweist, kann im vorliegenden Zusammenhang offen bleiben.
Verwaltungstechnische Gründe können die Verschiedenbehandlung vergleichbarer
Sachverhalte durch den Gesetzgeber nur unter der Voraussetzung rechtfertigen, dass
bei einer Gleichbehandlung erhebliche verwaltungstechnische Schwierigkeiten
entstünden, die nicht durch einfachere, die Betroffenen weniger belastende Regelungen
behoben werden könnten (BVerfG, Beschluss vom 08. Oktober 1991 - 1 BvL 50/86 - E
84, 348). Es dürfte kaum nachvollziehbar sein, dass die Vornahme einer Rentenkürzung
auch für die ersten zwei Kalendermonate mit einer Überschreitung des zulässigen
Hinzuverdienstes mit „erheblichen" verwaltungstechnischen Schwierigkeiten verbunden
wäre. Sie dürfte vielmehr ebenso problemlos möglich sein, wie die ohnehin nach den
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wäre. Sie dürfte vielmehr ebenso problemlos möglich sein, wie die ohnehin nach den
gesetzlichen Vorgaben ab dem dritten Kalendermonat mit einer Überschreitung der
einfachen Hinzuverdienstgrenze und in den ersten beiden Kalendermonaten mit einer
Überschreitung der doppelten Hinzuverdienstgrenze vorzunehmenden (Teil-
)Aufhebungen der Rentenbewilligungsbescheide.
Im Ergebnis kommt es für die Entscheidung im vorliegenden Fall auf die angesprochenen
Legitimationserwägungen jedoch schon deshalb nicht entscheidend an, weil auch unter
Zugrundelegung einer Interpretation des Gesetzeszweckes im angesprochenen Sinne
nichts dafür spricht, als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal einen Hinzuverdienst im
Vormonat zu fordern: Die mit einem Verzicht auf eine Rentenkürzung ggfs. in Betracht
kommende Vereinfachung im Verwaltungsablauf wird nicht dadurch tangiert, ob im
jeweiligen Vormonat ein Hinzuverdienst erzielt worden ist.
Der Ansatz, dass bei zweimal jährlichen, kurzfristigen Änderungen des Arbeitsentgelts
die eigentlich erforderlichen Rentenminderungen vermieden werden sollen, kann ferner
zum Ausdruck bringen, dass eine entsprechende Überschreitung vom Gesetzgeber noch
als quantitativ geringfügig bewertet worden ist und dass er vor diesem Hintergrund eine
Rentenkürzung in den privilegierten Fällen als unangemessene Härte angesehen hat. Ob
bei einem solchen Ansatz der Gesetzgeber im Ergebnis unter Einbeziehung der
verfassungsrechtlichen Vorgaben des Art. 3 Abs. 1 GG die Wertung getroffen hat, dass
im Jahresverlauf eine Überschreitung der monatlichen Hinzuverdienstgrenze bis zum
14fachen zulässig ist, ehe eine Rentenkürzung als verhältnismäßig anzusehen ist, kann
vorliegend offen bleiben. Jedenfalls wird auch eine so verstandene Hinnehmbarkeit einer
Überschreitung der Hinzuverdienstgrenze nicht dadurch berührt, dass im jeweiligen
Vormonat ein Hinzuverdienst gänzlich gefehlt hat. Die Nichterzielung eines
Hinzuverdienstes im Vormonat spricht sogar eher für als gegen die
Unverhältnismäßigkeit einer Rentenkürzung im darauf folgenden Monat.
Aus dem Vorstehenden ergibt sich zugleich, dass es auch an einem sachlich
gerechtfertigten Grund im Sinne des Art. 3 Abs. 1 GG für die von der Beklagten
befürwortete Ungleichbehandlung des Überschreitens der Hinzuverdienste in
Abhängigkeit von der Erzielung eines Hinzuverdienstes (unterhalb der Grenze) im
jeweiligen Vormonat fehlt. Einem Versicherten, der während des ganzen Jahres sich
monatlich 300 Euro hinzuverdient und während der Urlaubsmonate Juli und August
aufgrund des dann erhöhten Vertretungsbedarfs monatlich weitere 300 Euro (dann
insgesamt also monatlich 600 Euro) erzielt, will die Beklagte die Rente in voller Höhe bei
einem Jahreshinzuverdienst von 4.200 Euro belassen. Einem Versicherten, der lediglich
in den Urlaubsmonaten Juli und August eine mit monatlich 600 Euro bezahlte
Aushilfstätigkeit erlangen kann und dessen Jahreshinzuverdienst sich damit lediglich auf
1.200 Euro beläuft, will sie hingegen die Rente anteilig kürzen (vgl. hierzu Cirsovius,
„Hinzuverdienstgrenzen bei Bezug von Erwerbsminderungsrenten“, a. a. O.). Für eine
am Gerechtigkeitsgedanken orientierte Betrachtungsweise (BVerfG, Beschluss vom 23.
Mai 2006 - 1 BvR 1484/99 - E 115, 381) weisen die tatsächlichen Ungleichheiten keine
Relevanz in dem Sinne auf, dass eine Benachteiligung des einen Hinzuverdienst lediglich
während zweier Monate erzielenden Versicherten in Betracht kommen würde.
Einer Heranziehung der privilegierenden Vorschrift des § 96a Abs. 1 Satz 2 2. HS SGB VI
im Monat Februar 2003 und damit im zweiten Monat des Kalenderjahres 2004, in dem
der Kläger die einfache (nicht jedoch die doppelte) Hinzuverdienstgrenze überschritten
hat, steht auch nicht entgegen, dass bereits im vorausgegangenen Monat Januar 2003
die Hinzuverdienstgrenze überschritten worden ist.
Der 13. Senat des BSG vertritt die Auffassung, dass die Frage, ob ein Überschreiten
vorliegt, an der zuvor, d.h. an der im jeweiligen, Vormonat eingehaltenen
Hinzuverdienstgrenze zu beurteilen ist. Wird die Hinzuverdienstgrenze des Vormonats
eingehalten, ist die Rente vom Rentenversicherungsträger ohne weiteres in der dieser
Hinzuverdienstgrenze zugeordneten Höhe zu leisten (vgl. Urteil vom 26. Juni 2008 - B 13
R 119/07 R -, a. a. O.). Auch der 8. Senat des BSG vertritt im Grundsatz dieses
„Vormonatsprinzip", lässt aber ausdrücklich offen, ob nicht möglicherweise etwas
anderes gilt, wenn der Verdienst lediglich in zwei aufeinanderfolgenden Monaten dieselbe
Hinzuverdienstgrenze übersteigt und danach wieder darunter absinkt (vgl. Urteil vom 06.
Februar 2007 - B 8 KN 3/06 R -, a. a. O.). In einer weiteren Entscheidung des 13. Senats
vom 26. Juni 2006 (- B 13/4 R 49/07 R -, a. a. O.) hat dieser im Rahmen der Begründung
angedeutet, dass die von der Beklagten in jenem Verfahren für die ersten zwei Monate
des Bezugs von Arbeitslosengeld angewandte Privilegierung nach § 96a Abs. 1 Satz 2 2.
HS SGB VI nicht beanstandet werde.
Mit der von ihm gemachten Einschränkung dürfte der 8. Senat des BSG zunächst im
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Mit der von ihm gemachten Einschränkung dürfte der 8. Senat des BSG zunächst im
Ergebnis selbst von der des Weiteren in dem o. g. Urteil vertretenen Auffassung
abrücken, wonach von einem „Überschreiten" (als höchstens zweimalige Ausnahme zu
dem der gesetzlichen Konzeption zu Grunde liegenden Regelfall des gleichmäßig unter
einer Grenze liegenden Verdienstes) schon begrifflich nur gesprochen werden könne,
wenn sich der Hinzuverdienst über die im jeweiligen Vormonat eingehaltene
Hinzuverdienstgrenze hinaus erhöht. Nach dem allgemeinen Sprachgebrauch besagt
das Verb „überschreiten" nur, dass man sich nicht an das Festgelegte hält, sondern
darüber hinausgeht (vgl. Duden, Das große Wörterbuch der deutschen Sprache, Band 7,
2. Aufl. 1995, S. 3502). Es trifft keine Aussage dazu, ob das Festgelegte zuvor
eingehalten worden ist. Ein Autofahrer, der bei Beginn der Ortsdurchfahrt nicht
abbremst, sondern weiter mit 80 km/h fährt, „überschreitet" die Geschwindigkeitsgrenze
auch dann, wenn er sie dort noch nie eingehalten hat.
Aus dem Wortlaut des § 96a Abs. 1 Satz 2 Halbs. 2 SGB VI lässt sich daher nicht
„begrifflich" ableiten, dass die Privilegierung nur in Anspruch genommen werden kann,
wenn sich der Hinzuverdienst über die im jeweiligen Vormonat eingehaltene
Hinzuverdienstgrenze hinaus erhöht. Es würde sich bei einem solchen
Gesetzesverständnis vielmehr um eine teleologische Reduktion handeln, wobei jedoch
jedenfalls bezogen auf Fallgestaltungen der vorliegenden Art nicht ersichtlich ist, dass
der Gesetzeszweck eine entsprechende Einschränkung fordert.
Es ist kein sachlicher Grund dafür ersichtlich, dass ein Versicherter, der bei einem
gewöhnlichen monatlichen Hinzuverdienst von 300 Euro in den Monaten Juli und August
durch Überstunden einen monatlichen Hinzuverdienst von 500 Euro erzielt, im Monat
August (in Anwendung des sog. Vormonatsprinzips) eine Rentenkürzung erfahren soll,
wohingegen eine solche Rentenkürzung unterbleiben soll, wenn die beiden Monate mit
Überstunden nicht unmittelbar aufeinander gefolgt wären, sondern wenn zwischen ihnen
jedenfalls ein Monat mit einem die Hinzuverdienstgrenze nicht überschreitenden
Hinzuverdienst gelegen hätte (etwa Überstunden im Juli und September statt
Überstunden im Juli und August). Keiner der bereits im Einzelnen dargelegten in Betracht
kommenden gesetzgeberischen Ziele spricht für eine solche Differenzierung; einer
entsprechenden Ungleichbehandlung würde damit auch ein sachlicher Grund im Sinne
des Art. 3 Abs. 1 GG fehlen.
Insbesondere ist eine solche Differenzierung auch nicht erforderlich, um die Transparenz
der jeweils maßgeblichen Hinzuverdienstgrenzen zu wahren. Die
Rentenversicherungsträger und die Versicherten müssen nach der Rechtsprechung des
BSG (vgl. Urteil vom 26. Juni 2008 - B 13 R 119/07 R -, a. a. O.) im Hinblick auf die
möglicherweise erheblichen Rechtsfolgen die Möglichkeit haben, stets sofort überprüfen
zu können, ob bei einer Änderung des Hinzuverdienstes die bislang maßgebliche
Hinzuverdienstgrenze überschritten wird. Dies setze voraus, dass bereits im jeweiligen
Kalendermonat feststeht, welche Hinzuverdienstgrenze (als Vergleichsmaßstab)
heranzuziehen ist. Hieran anknüpfend werden die Rentenversicherungsträger sogar als
verpflichtet angesehen, die jeweiligen Hinzuverdienstgrenzen genau zu benennen, damit
es der Versicherte in der Hand hat, eine geringe Überschreitung der jeweiligen Grenze
zu vermeiden, indem er diese bei der Gestaltung des Arbeitsverhältnisses (Urteil des
BSG vom 06. Februar 2007 - B 8 KN 3/06 R -, a. a. O.) oder bei der Ausübung seiner
selbständigen Tätigkeit - soweit möglich - berücksichtigt.
Die strikte Anwendung eines Vormonatsprinzips erleichtert aber nicht den Überblick über
die im jeweiligen Monat maßgebliche Hinzuverdienstgrenze, sondern erschwert diesen.
Das Prinzip hat letztlich nur eine weitere (durch Gesetzeswortlaut und -zweck nicht
vorgegebene) Einschränkung für die Inanspruchnahme der Privilegierung des § 96a Abs.
1 Satz 2 2. HS SGB VI zur Folge.
Dementsprechend kann dahingestellt bleiben, ob unter Zugrundelegung der
gegenteiligen Rechtsauffassung die gebotene „genaue Benennung" der
Hinzuverdienstgrenzen durch den Rentenversicherungsträger auch eine - im
vorliegenden Fall fehlende - Belehrung über das Vormonatsprinzip erfordern würde und
welche Rechtsfolgen ggfs. aus einem solchen Belehrungsmangel zu ziehen wären.
Mit einem für den Zeitraum vom 27. Januar bis zum 31. Januar 2003 anteiligen
Hinzuverdienst i. H. v. 780,36 Euro sowie einem monatlichen Hinzuverdienst von
3.381,56 Euro im Februar 2003 hat der Kläger zwar die „einfache" Hinzuverdienstgrenze
von 2.293,93 Euro für die Vollrente bzw. 2.859,10 Euro für die halbe Rente überschritten.
Da er diese Grenze jedoch um weniger als die jeweilige Hinzuverdienstgrenze von
2.293,93 bzw. 2.859,10 Euro überschritten hat und da es sich bei den Monaten Januar
und Februar 2003 um die ersten beiden Monate im Jahr 2003 mit einer solchen
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und Februar 2003 um die ersten beiden Monate im Jahr 2003 mit einer solchen
Überschreitung gehandelt hat, hatte die Überschreitung aufgrund der erläuterten
Privilegierung des § 96a Abs. 1 Satz 2 2. HS SGB VI außer Betracht zu bleiben
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG)
zugelassen.
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