Urteil des LSG Berlin-Brandenburg vom 19.06.2001

LSG Berlin-Brandenburg: arzneimittel, ausschluss, versorgung, verordnung, kompetenz, krankenkasse, krankenversicherung, vertragsarzt, wirtschaftlichkeit, rind

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Gericht:
Landessozialgericht
Berlin-Brandenburg 7.
Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
L 7 KA 20/07
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 27 Abs 1 SGB 5 vom
19.06.2001, § 34 Abs 3 S 1 SGB
5 vom 29.10.2001, § 34 Abs 3 S
2 SGB 5 vom 29.10.2001, § 34
Abs 3 S 4 SGB 5 vom
14.11.2003, § 92 Abs 1 S 1 SGB
5 vom 19.06.2001
Wirtschaftlichkeitsprüfung in der vertragsärztlichen Versorgung
- Arzneimittelregress wegen der Verordnung von Thym-Uvocal
Injektionslösung - Unzulässigkeit des Ausschlusses der
Erstattungsfähigkeit durch den Bundesausschuss der Ärzte und
Krankenkassen in den Arzneimittelrichtlinien vor dem 1.1.2004
Leitsatz
Der Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen war bis zum 31. Dezember 2003 nicht
hinreichend ermächtigt, ein Arzneimittel (hier: Thym-Uvocal als Organhydrolysat)
grundsätzlich in den nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 SGB V erlassenen Arzneimittelrichtlinien
von der Erstattungsfähigkeit auszuschließen.
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin werden das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 6.
Dezember 2006 sowie der Beschluss des Beklagten vom 3. November 2005
aufgehoben.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen
Kosten der Beigeladenen, die diese selbst tragen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin wendet sich gegen einen Arzneimittelregress in Höhe von 408,90 Euro
wegen der Verordnung von Thym-Uvocal-Injektionslösung.
Die klagende Gemeinschaftspraxis für „Nierenkrankheiten und Dialyse“ besteht aus
dem Internisten und Nephrologen Dr. S, dem Facharzt für Allgemeinmedizin Dr. H und
der Internistin H. P. In den Quartalen I, II und III/2002 verordneten diese dem an einer
Tumorerkrankung leidenden Patienten E, Versicherter der Beigeladenen zu 2), sechsmal
Thym-Uvocal als Injektionslösung (Einzelpreis: 72,50 Euro, abzüglich sechs Prozent
Apothekenrabatt, Gesamtaufwendungen der Beigeladenen zu 2): 408,90 Euro) zur
Therapie einer präterminalen bzw. terminalen Niereninsuffizienz, Vitaminverlust bei
Hämodialyse und Malassimilationssyndrom. Die arzneilich wirksamen Bestandteile
dieses Fertigarzneimittels sind niedermolekulare Thymuspeptide vom Rind;
Anwendungsgebiete sind unter anderem spezifische Immunstimulierung und
Zusatztherapie bei Tumoren und Präkanzerosen. Das Medikament war im Jahre 2002
ausweislich der Fachinformation (Stand Februar 2008) nach den gesetzlichen
Übergangsvorschriften zugelassen.
Am 17. Dezember 2002 beantrage die Beigeladene zu 2) u.a. im Hinblick auf diese
Verordnungen die Feststellung eines sonstigen Schadens; Thym-Uvocal sei als
Umstimmungsmittel bzw. Immunstimulans nicht zu Lasten einer gesetzlichen
Krankenkasse verordnungsfähig.
In ihrer Stellungnahme brachte die Klägerin vor, die Behandlung des Versicherten mit
Thym-Uvocal sei als palliative Maßnahme zwischen den Behandlungsetappen einer
Chemotherapie notwendig gewesen.
Mit Beschluss vom 22. April 2003 setzte der Prüfungsausschuss für die
Wirtschaftlichkeitsprüfung bei der Kassenärztlichen Vereinigung Berlin gegenüber der
Klägerin eine Schadensersatzverpflichtung für die Verordnungen von Thym-Uvocal in
Höhe von 408,90 Euro fest. Bei diesem Arzneimittel handele es sich um ein
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Höhe von 408,90 Euro fest. Bei diesem Arzneimittel handele es sich um ein
Zellulartherapeutikum und Organhydrolysat, welches nach Ziffer 17.1 m der
Arzneimittelrichtlinien nicht zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung
verordnungsfähig sei.
Mit ihrem hiergegen erhobenen Widerspruch machte die Klägerin geltend, die
Beigeladene zu 2) habe den Prüfantrag jedenfalls für die Verordnungen von Thym-Uvocal
in dem Monaten Januar bis April 2002 zu spät gestellt.
Mit Beschluss vom 3. November 2005 wies der Beschwerdeausschuss für die
Wirtschaftlichkeitsprüfung in der vertragsärztlichen Versorgung im Land Berlin den
Widerspruch zurück. Nach der Zulassungsinformation des Bundesinstitutes für
Arzneimittel und Medizinprodukte sei Thym-Uvocal ein Thymusdrüse-vom-Rind-
Hydrolysat, so dass es unter die Ausschlussregelung in Ziffer 17.1 m der
Arzneimittelrichtlinie falle.
Zur Begründung ihrer Klage hat die Klägerin ihr Vorbringen vertieft und außerdem
erklärt, der Bundesausschuss sei vor dem 1. Januar 2004 nicht befugt gewesen,
Arzneimittelgruppen in den Arzneimittelrichtlinien von der Leistungspflicht
auszuschließen.
Mit Urteil vom 6. Dezember 2006 hat das Sozialgericht B die Klage abgewiesen sowie die
Berufung zugelassen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Die Klage sei
fristgemäß erhoben, denn jedenfalls sei die Rechtbehelfsbelehrung des angefochtenen
Bescheides unzutreffend gewesen, so dass nicht die Monats- sondern die Jahresfrist
gelte; mit der Formulierung „Der Klageschrift und den Unterlagen sind Abschriften für die
Beteiligten (mindestens drei) beizufügen“ habe der Beklagte der Klägerin die
Rechtsverfolgung nämlich über Gebühr erschwert. Der Regressbescheid selbst sei
rechtmäßig. Auf die Versäumung einer Antragsfrist durch die Beigeladene zu 2) könne
die Klägerin sich nicht berufen. Die Verordnung von Thym-Uvocal habe gegen Ziffer 17.1
m der Arzneimittelrichtlinien verstoßen. Dass es sich bei Thym-Uvocal um ein
Organhydrolysat bzw. Zellulartherapeutikum handele, ergebe sich zweifelsfrei aus der
Auskunft des Gemeinsamen Bundesausschusses vom 10. April 2006. Demgegenüber
trete das von der Klägerin eingereichte Gutachten des Prof. Dr. U S in den Hintergrund,
das dieser für die Herstellerin des Arzneimittels gefertigt habe. Der Ausschluss von
Organhydrolysaten bzw. Zellulartherapeutika aus der Verordnungsfähigkeit sei auch
rechtmäßig, denn auch in seiner Fassung bis Ende des Jahres 2003 habe § 92 Abs. 1
Satz 1 SGB V insoweit eine hinreichende Ermächtigungsgrundlage enthalten. Die
Bedenken einiger Landessozialgerichte gegen eine ausreichende
Ermächtigungsgrundlage teile die Kammer nicht. „Richtlinien über die Gewährung für
eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche Versorgung der Versicherten“
hätten auch Aussagen über den Ausschluss bestimmter Arzneimittel enthalten dürfen,
deren therapeutischer Nutzen etwa fraglich sei, denn solche Arzneimittel seien weder
zweckmäßig noch wirtschaftlich. Aus § 34 SGB V ergebe sich nichts anderes; nicht allein
der Verordnungsgeber habe die Kompetenz, Arzneimittel von der Verordnungsfähigkeit
auszuschließen. In seinen Motiven zur Änderung der §§ 34 und 92 SGB V mit dem GKV-
Modernisierungsgesetz habe der Gesetzgeber eine Klarstellung und Präzisierung, nicht
aber eine Änderung der bisherigen Rechtslage herbeiführen wollen. Mit dieser Sichtweise
sei die Kammer auch im Einklang mit der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts im
Urteil vom 10. Mai 2005 (B 1 KR 25/03 R); die dort angenommene Unwirksamkeit des
Ausschlusses von Viagra und anderer Arzneimittel zur Behandlung der erektilen
Dysfunktion nach Ziffer 17.1 f der Arzneimittelrichtlinie habe darauf beruht, dass den
Bundesausschüssen die Kompetenz zur Definition einzelner Krankheiten bzw. deren
Behandlungsbedürftigkeit fehle. Im vorliegenden Fall gehe es aber nur um den
Ausschluss einzelner Arzneimittel unabhängig von den mit ihnen behandelten
Krankheiten.
Gegen das ihr am 25. Januar 2007 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 21. Februar
2007 Berufung eingelegt. Sie bleibt bei ihrer Auffassung, dass es vor dem 1. Januar 2004
keine gesetzliche Ermächtigung für den Ausschluss bestimmter Arzneimittelgruppen in
den Arzneimittelrichtlinien gegeben habe und bezieht sich zur Begründung auf die
Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 10. Mai 2005 (B 1 KR 25/03 R).
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 6. Dezember 2006 sowie den Beschluss
des Beklagten vom 3. November 2005 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
Er hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend.
Die Beigeladenen haben keine Anträge gestellt.
Wegen des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird im Übrigen auf den
Inhalt der Gerichtsakte und des Verwaltungsvorgangs der Beklagten Bezug genommen,
die soweit wesentlich, Gegenstand der Erörterung in der mündlichen Verhandlung und
der Entscheidungsfindung waren.
Entscheidungsgründe
Die Berufung der Klägerin ist zulässig und begründet. Zu Unrecht hat das Sozialgericht
Berlin die Klage abgewiesen. Der von dem Beklagten verhängte Arzneimittelregress ist
rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten.
1. Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens ist allein der Bescheid des
Beschwerdeausschusses, nicht auch der Bescheid des Prüfungsausschusses (vgl.
Bundessozialgericht, Urteil vom 20. Oktober 2004, B 6 KA 65/03, zitiert nach juris, dort
Rdnr. 26.).
2. a) Rechtsgrundlage des angefochtenen Bescheides ist § 106 Abs. 2 und 3
Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) i.V.m. § 14 („Prüfung in besonderen Fällen /
sonstiger Schaden“) der zwischen der Beigeladenen zu 2) und den (Landes)Verbänden
der Krankenkassen im Land Berlin abgeschlossenen Prüfvereinbarung (PV) vom 10.
Januar 1994.
Nach § 106 Abs. 2 Satz 1 SGB V wird die Wirtschaftlichkeit der Versorgung geprüft durch
1. arztbezogene Prüfung ärztlicher und ärztlich verordneter Leistungen nach
Durchschnittswerten oder bei Überschreitung der Richtgrößen nach § 84 SGB V
(Auffälligkeitsprüfung),
2. arztbezogene Prüfung ärztlicher und ärztlich verordneter Leistungen auf der
Grundlage von arztbezogenen und versichertenbezogenen Stichproben, die mindestens
2 vom Hundert der Ärzte je Quartal umfassen (Zufälligkeitsprüfung).
Die Landesverbände der Krankenkassen und die Verbände der Ersatzkassen können
gemeinsam und einheitlich mit den Kassenärztlichen Vereinigungen über die in Satz 1
vorgesehenen Prüfungen hinaus andere arztbezogene Prüfungsarten vereinbaren (§ 106
Abs. 2 Satz 4, 1. Halbsatz SGB V). Nach Abs. 3 Sätze 1 und 3 dieser Vorschrift
vereinbaren die in Absatz 2 Satz 4 genannten Vertragspartner die Verfahren zur Prüfung
der Wirtschaftlichkeit nach Absatz 2 gemeinsam und einheitlich. In den Verträgen ist
auch festzulegen, unter welchen Voraussetzungen Einzelfallprüfungen durchgeführt und
pauschale Honorarkürzungen vorgenommen werden.
Hierauf gestützt vereinbarten die o.g. Vertragspartner auf Landesebene in § 14 PV
folgendes:
1. Der Prüfungsausschuss entscheidet auf Antrag einer Krankenkasse im Einzelfall
über einen Anspruch auf Schadensersatz, wenn der Vertragsarzt oder eine der
Personen, für die er haftet, bei Erfüllung der vertragsärztlichen Pflichten die nach
den Umständen erforderliche Sorgfalt außer acht gelassen hat. Unterschiedliche
vertragliche Regelungen (Bundesmantelvertrag, Arzt-/Ersatz-kassenvertrag)
finden Anwendung.
2. Der Antrag ist zu begründen und muss innerhalb einer Frist von 6 Monaten seit
Bekanntwerden des Sachverhalts beim Prüfungsausschuss vorliegen. Bei nicht
verordnungsfähigen Präparaten beginnt die Frist mit dem Eingang der sortierten
Rezepte bei der jeweiligen Krankenkasse. Die Krankenkasse muss dem Antrag
alle zur Beurteilung erforderlichen Unterlagen und die Nachweise zur
Schadenshöhe beifügen sowie die Höhe des Schadens benennen.
3. Hält die KV Berlin Regressansprüche gegen einen Vertragsarzt wegen der
Verordnung von Arznei-, Heil- oder Hilfsmitteln, die von der Versorgung
ausgeschlossen sind, für berechtigt, wird sie den Vertragsarzt entsprechend
informieren und den jeweiligen Schadensbetrag bei Einverständnis des
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informieren und den jeweiligen Schadensbetrag bei Einverständnis des
Vertragsarztes einbehalten und an die Krankenkasse abführen.
4. Der Antrag kann sich nur auf den Zeitraum der letzten, dem Antrag
vorausgegangenen 2 Kalenderjahre erstrecken.
5. Ein Antrag ist ausgeschlossen, wenn der vermutete Schadensbetrag DM 100,-
nicht übersteigt. Dies gilt nicht für Anträge betreffend ausgeschlossene Arznei-,
Heil- und Hilfsmittel gemäß gesetzlicher oder vertraglicher Regelungen.
b) Hieran gemessen hätte der Beklagte gegen die Klägerin wegen der Verordnung von
Thym-Uvocal keine Schadensersatzverpflichtung i.S.v. § 14 Abs. 1 PV festsetzen dürfen,
denn dieses Arzneimittel war bis einschließlich 31. Dezember 2003 zu Lasten der
Gesetzlichen Krankenversicherung verordnungsfähig.
aa) Der Verordnungsfähigkeit von Thym-Uvocal steht nicht entgegen, dass das
Medikament im Jahre 2002 nicht förmlich nach § 25 Abs. 1 Arzneimittelgesetz (AMG)
zugelassen war, sondern gemäß § 105 AMG nur als so genanntes Alt-Arzneimittel fiktiv
als zugelassen galt (vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 27. September 2005, B 1 KR
6/04 R, zitiert nach juris, dort Rdnr. 16; Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Urteil
vom 21. Dezember 2005, L 11 KA 104/04, zitiert nach juris, dort Rdnr. 16).
bb) Die Unzulässigkeit der Verordnung von Thym-Uvocal ergab sich auch nicht aus Ziffer
17.1 m der Arzneimittelrichtlinien (AMR) in der Fassung vom 30. September 1998 bis
zum 14. Juni 2004. Die Regelung der Ziffer 17.1 m AMR betrifft
„Verordnungseinschränkungen auf Grund §§ 2 Abs. 1 Satz 3, 12, 70 SGB V“, die damit
begründet werden, für die genannten Arzneimittel fehlten - von den ausdrücklich
geregelten Ausnahmen abgesehen - im allgemeinen die Voraussetzungen für die
Notwendigkeit einer entsprechenden Arzneimitteltherapie und/oder für deren
therapeutischen Nutzen. Unter den in Nr. 17.1 genannten Mitteln, die „nicht verordnet
werden dürfen“, werden unter Buchstabe m Zellulartherapeutika und Organhydrolysate
genannt.
(1) Der Senat kann unterstellen, dass es sich bei Thym-Uvocal um ein Organhydrolysat
im Sinne der genannten Bestimmung handelt; die Ausführungen im erstinstanzlichen
Urteil sind insoweit nicht zu beanstanden und durften sich entscheidend auf die
Stellungnahme des Gemeinsamen Bundesausschusses vom 10. April 2006 stützen.
(2) Jedenfalls war der Bundesausschuss bis zum 31. Dezember 2003 nicht hinreichend
ermächtigt, ein Arzneimittel grundsätzlich in den nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 SGB V
erlassenen Richtlinien auszuschließen; Ziffer 17.1 m AMR war daher unwirksam (ebenso:
Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 21. Dezember 2005, a.a.O. Rdnr.
19 ff.). Die anders lautende Auffassung im hier angefochtenen erstinstanzlichen Urteil
überzeugt den Senat nicht.
Die Befugnis zum Ausschluss bestimmter Arzneimittel aus der Verordnungsfähigkeit war
in dem vor dem 1. Januar 2004 geltenden Recht in § 34 Abs. 3 SGB V ausdrücklich nur
dem Verordnungsgeber eingeräumt. § 34 Abs. 3 Satz 1 SGB V ermächtigt das
Bundesministerium für Gesundheit, unwirtschaftliche Arzneimittel durch Verordnung von
der Versorgung nach § 31 SGB V auszuschließen. Als unwirtschaftlich anzusehen sind
nach Satz 2 a.a.O. unter anderem Arzneimittel, deren Wirkung wegen der Vielzahl der
enthaltenen Wirkstoffe nicht mit ausreichender Sicherheit beurteilt werden können oder
deren therapeutischer Nutzen nicht nachgewiesen ist. Demgegenüber sah § 92 Abs. 1
Satz 1 SGB V in der bis 31. Dezember 2003 geltenden Fassung nur allgemein vor, dass
der Bundesausschuss Regelungen zur Sicherung einer wirtschaftlichen Versorgung
treffen könne. Durch das GKV-Modernisierungsgesetz vom 14. November 2003 ist mit
Wirkung vom 1. Januar 2004 zum Einen in § 92 Abs. 1 Satz 1 SGB V ein Halbsatz 3
eingefügt worden, der nunmehr ausdrücklich den Gemeinsamen Bundesausschuss auch
zum Ausschluss von Leistungen ermächtigt, wenn nach dem allgemein anerkannten
Stand der medizinischen Erkenntnisse der diagnostische oder therapeutische Nutzen,
die medizinische Notwendigkeit oder die Wirtschaftlichkeit nicht nachgewiesen sind. Zum
Anderen ist § 34 Abs. 3 SGB V durch eine Regelung (Satz 3) ergänzt worden, wonach die
Kompetenz des Gemeinsamen Bundesausschuss subsidiär neben der des
Verordnungsgebers besteht. Der Senat sieht hierin eine Rechtsänderung im Sinne der
(erstmaligen) Ermächtigung des Gemeinsamen Bundesausschusses zur Erstellung einer
„Negativliste“ im Rahmen der Arzneimittelrichtlinie und nicht nur eine „Klarstellung“ des
Gesetzgebers.
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Die Frage, ob auch nach dem bis zum 31. Dezember 2003 geltenden Recht der (frühere)
Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen neben dem Verordnungsgeber die
Kompetenz besaß, Arzneimittel in Richtlinien auszuschließen, war in der Literatur
umstritten (siehe Nachweise bei Knispel, NZS 2000, 441, 442). Der 8. Senat des
Bundessozialgerichts hatte sie im Urteil vom 30. September 1999 (B 8 KN 9/98 KR R)
noch offen gelassen. Seine Entscheidung, die die Unwirksamkeit der früheren
Ausschlussregelung der Ziffer 17.1 f AMR für Arzneimittel zur Behandlung der erektilen
Dysfunktion betraf, beruhte darauf, dass der Bundesausschuss nicht ermächtigt sei, den
Begriff „Krankheit“ in § 27 Abs. 1 SGB V hinsichtlich seines Inhalts und seiner Grenzen
selbst zu bestimmen und im Rahmen der Richtlinien die Behandlung bestimmter
Krankheiten oder Krankheitssymptome zu Lasten der Gesetzlichen Krankenversicherung
gänzlich auszuschließen. Für Heilmittel hatte der 1. Senat des Bundessozialgerichts
allerdings im Urteil vom 16. September 1999 (B 1 KR 9/97 R) entschieden, dass § 34
Abs. 3 SGB V für die Anordnung von Leistungsverboten bei Heilmitteln eine
abschließende Regelung treffe. In seinen Entscheidungen vom 10. Mai 2005 (B 1 KR
25/03 R und B 1 KR 28/04 R) zum Ausschluss von Medikamenten zur Behandlung der
erektilen Dysfunktion knüpft der 1. Senat nunmehr an diese Rechtsprechung an und
stützt die Unwirksamkeit der früheren Ausschlussregelung der Ziffer 17.1 f AMR auch
darauf, dass die Kompetenz zum Ausschluss von Arzneimitteln aus der Leistungspflicht
dem Gesetz- bzw. Verordnungsgeber vorbehalten war. Ausdrücklich und
entscheidungstragend führt das Bundessozialgericht insoweit aus, der Bundesausschuss
habe nicht die Kompetenz besessen, in den AMR einen verbindlichen Ausschluss
bestimmter Gruppen von Arzneimitteln aus der Leistungspflicht der Gesetzlichen
Krankenversicherung zu regeln (B 1 KR 25/03 R, zitiert nach juris, dort Rdnr. 24). Soweit
die Gesetzesbegründung von einer „Klarstellung“ spricht (BT-Drucksache 15/1525, S.
87) sieht das Bundessozialgericht zu Recht die jetzt erfolgte Regelung nicht als eine
solche, sondern als Änderung der Rechtslage an. „Vorwirkungen“ könne die
Neuregelung nicht entfalten.
Nichts anderes ergibt sich aus dem vom Vorsitzenden des Beklagten in der mündlichen
Verhandlung vor dem Senat angeführten Urteil des Bundessozialgerichts vom 31. Mai
2006 (B 6 KA 13/05 R). Dort hatte der 6. Senat des Bundessozialgericht über die
Rechtmäßigkeit von Therapiehinweisen des Gemeinsamen Bundesausschusses nach §
92 Abs. 2 SGB V zu entscheiden („Clopidogrel“) und stellte klar (Rdnr. 47), dass
Hersteller der von Therapiehinweisen betroffenen Arzneimittel nicht von der Teilhabe an
der Versorgung der Versicherten der GKV ausgeschlossen seien; die
Verordnungsfähigkeit des fraglichen Wirkstoffs und betroffener Arzneimittel im Rahmen
der vertragsärztlichen Versorgung sei durch (bloße) Therapiehinweise nicht betroffen.
Nach alledem ist der Arzneimittelregress für die Verordnungen von Thym-Uvocal im
Jahre 2002 zu Unrecht erfolgt, so dass das erstinstanzliche Urteil aufzuheben und der
Klage stattzugeben war.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197 a Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) i.V.m.
§§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 3 der Verwaltungsgerichtsordnung.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs. 2 SGG).
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