Urteil des LSG Berlin-Brandenburg vom 11.01.2011

LSG Berlin und Brandenburg: einreise, anerkennung, bundesamt, zukunft, verbindlichkeit, anhörung, zivilprozessordnung, hauptsache, beschränkung, behörde

Landessozialgericht Berlin-Brandenburg
Beschluss vom 11.01.2011 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Berlin S 51 AY 116/10 ER Berlin
Landessozialgericht Berlin-Brandenburg L 23 AY 10/10 B ER
Die Beschwerden gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 15. Oktober 20010 werden zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch für die Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.
Gründe:
I.
Der Antragsteller ist ein 1974 geborener p Volkszugehöriger, der im Jahre 1993 in die Bundesrepublik Deutschland
eingereist und einen Asylantrag gestellt hat, der im Jahre 1993 als offensichtlich unbegründet abgelehnt worden ist.
Seither wird er geduldet. Gegenüber dem Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge hat er am 01.
Dezember 1993 angegeben, dass er beschlossen habe, den L zu verlassen, weil er unter der "Bestialität I" zu leiden
habe. Er gehöre zur A F und sei von der Organisation Revolutionsrat verfolgt worden. Er sei nach B gekommen und
möchte, dass entsprechend seinem Asylantrag entschieden werde. Er möchte auch, dass ihm dann eine finanzielle
Unterstützung gewährt werde, da er aufgrund seiner Verletzungen nicht arbeiten könne.
Dem Antragsteller sind bereits mit Bescheid vom 22. Februar 2000 lediglich Leistungen unter Anwendung des § 1 a
Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) gewährt worden. Ein Widerspruch gegen diesen Bescheid ist den
Verwaltungsakten nicht zu entnehmen und auch nicht vorgetragen. Mit Schreiben vom 30. März 2000 ist lediglich eine
Neubescheidung angeregt worden.
Ein Überprüfungsantrag vom 14. April 2010, gerichtet auf Überprüfung der Bescheide ab 01. April 2006, wurde mit
Bescheid vom 05. Juli 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07. September 2010 zurückgewiesen.
Mit Widerspruchsbescheid vom 30. Juli 2010 wurde der Widerspruch gegen den Bescheid vom 11. März 2010
zurückgewiesen, mit dem dem Antragsteller auch weiterhin Leistungen nach § 1 a AsylbLG gewährt worden sind.
Hiergegen hat der Kläger am 02. September 2010 beim Sozialgericht Berlin Klage erhoben und zugleich einen Antrag
auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gestellt. Diesen Antrag hat das Sozialgericht mit Beschluss vom 15.
Oktober 2010 zurückgewiesen. Der Antragsteller sei in die Bundesrepublik Deutschland eingereist, um im Sinne von §
1 a Nr. 1 AsylbLG Leistungen nach diesem Gesetz zu erhalten. Gegen den seiner Prozessbevollmächtigten am 22.
Oktober 2010 zugestellten Beschluss hat der Antragsteller am 22. November 2010 Beschwerde erhoben, mit der er
weiterhin Leistungen gemäß § 2 AsylbLG, hilfsweise ungekürzte Leistungen nach § 3 AsylbLG begehrt. Zugleich
wendet sich der Antragsteller gegen die Ablehnung von Prozesskostenhilfe durch das Sozialgericht.
Der Senat hat die den Antragsteller betreffenden Verwaltungsakten, Ausländerakten sowie die Akten des
Verwaltungsgerichts Berlin beigezogen.
II.
Die zulässigen Beschwerden des Antragstellers sind unbegründet. Das Sozialgericht hat zutreffend angenommen,
dass der Antragsteller einen Anordnungsanspruch auf Grundleistungen nach § 3 AsylbLG nicht glaubhaft gemacht
hat. Aus diesem Grunde kommt auch nicht die Verpflichtung des Antragsgegners zur Gewährung von Leistungen
nach § 2 AsylbLG in Betracht, weshalb die Beschwerde des Antragstellers zurückzuweisen war.
Der Antragsgegner hat dem Antragsteller mit Bescheid vom 22. Februar 2000 bestandskräftig Leistungen unter
Berücksichtigung des § 1 a AsylbLG gewährt. Damit hat der Antragsgegner eine dauerhafte Regelung hinsichtlich der
dem Antragsteller zu gewährenden Leistungen getroffen. Solange dieser Bescheid nicht im Wege eines
Überprüfungsantrages aufgehoben worden ist, steht er einer darüber hinausgehenden Leistungsgewährung entgegen.
Wie der Senat bereits entschieden hat, sind Leistungen nach dem AsylbLG keine rentengleichen Dauerleistungen,
sondern Hilfen in einer bestimmten Notsituation (vgl. zu den Leistungen nach dem Bundessozialhilfegesetz (BSHG):
Bundesverwaltungsgericht BVerwG , Urteil vom 30. November 1966, V C 29.66, BVerwGE 25, 307; Urteil vom 15.
November 1967, V C 71.67, BVerwGE 28, 216). Leistungen werden grundsätzlich in Abhängigkeit von der
Bedarfssituation nur für die nächstliegende Zeit bewilligt. Dies gilt auch für Leistungen nach dem AsylbLG.
Grundsätzlich entscheidet daher der Träger der Leistungen nach dem AsylbLG in zulässiger Weise über den
nächstliegenden Zahlungszeitraum. Die Einstellung oder Verringerung der Hilfe stellt daher in der Regel auch keinen
Widerruf, keine Rücknahme oder Aufhebung eines fortwirkenden (Dauer )Bewilligungsbescheides dar, sondern die
Versagung einer weiteren Bewilligung für die Zukunft. Ebenso wie der Grundsatz der Nothilfeleistung negativen
Vorabentscheidungen für den zukünftigen Leitungsbezug mit Dauerwirkung über den nächstliegenden
Zahlungszeitraum hinaus nicht entgegensteht (BVerwG, Urteil vom 14. Juli 1998, 5 C 2/97), galt auch schon für die
Leistungsgewährung nach dem BSHG, dass der Sozialhilfeträger nicht gehindert ist, einen Sozialhilfefall auch für
einen längeren Zeitraum zu regeln (BVerwG, Urteil vom 19. Januar 1972, V C 10.71, BVerwGE 39, 261, 265, BVerwG,
Urteil vom 26. September 1991, 5 C 14/87). Trifft der Sozialhilfeträger in einem Sozialhilfefall eine Regelung zur Höhe
der Leistungen nicht für den nächstliegenden Zeitraum, sondern darüber hinaus für einen längeren Zeitraum, muss
sich der Sozialhilfeträger daran festhalten lassen. Änderungen greifen dann in eine zuerkannte (Dauerleistung) ein. Die
Vornahme von Änderungen im Leistungsbezug hat dann nach den weiteren Regeln des Sozialverwaltungsverfahrens
über die Aufhebung eine Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung (§§ 44 ff., 48 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch SGB X )
zu erfolgen.
Der Antragsgegner hat im vorliegenden Fall dem Antragsteller mit Verwaltungsakt vom 22. Februar 2000 Leistungen
nach dem AsylbLG nicht nur für den nächstliegenden Zeitraum, sondern für einen nicht näher bestimmten Zeitraum
gewährt. Der Tatsache, dass der Antragsgegner in der Folgezeit keine weiteren ausdrücklichen Bescheide zur
Leistungshöhe erlassen hat, vielmehr die Leistungen tatsächlich erbracht hat, spricht dafür, dass er mit dem Bescheid
vom 22. Februar 2000 die Leistungsberechtigung des Antragstellers auch für die Zukunft regeln wollte.
Wie der Antragsgegner an eine (positive) Leistungsbewilligung gebunden ist (vgl. dazu Beschluss des Senats vom 29.
Januar 2009, L 23 B 26/08 AY ER), führt die (negative) Beschränkung des Leistungsanspruchs mit bestandskräftigem
Bescheid nach § 1 a AsylbLG ebenfall zu einer Verbindlichkeit der getroffenen Regelungen, die nur im Wege der
Regeln des Sozialverwaltungsverfahrens über die Aufhebung eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung abgeändert
werden kann. Eine solche Abänderungsentscheidung liegt nicht vor.
Nur ergänzend weist der Senat darauf hin, dass das Sozialgericht auch zutreffend entschieden hat, dass der
Gewährung der begehrten Leistungen die Vorschrift des § 1 a AsylbLG entgegensteht. Nach dieser Vorschrift erhalten
Leistungsberechtigte und ihre Familienangehörigen Leistungen nach dem AsylbLG nur in dem Umfang, der nach den
Umständen unabweisbar geboten ist, wenn sie sich in den Geltungsbereich dieses Gesetzes begeben haben, um
Leistungen nach diesem Gesetz zu erhalten (§ 1 a Nr. 1 AsylbLG) bzw. bei denen aus von ihnen zu vertretenden
Gründen aufenthaltsbeendende Maßnahmen nicht vollzogen werden können (§ 1 a Nr. 2 AsylbLG). Das Sozialgericht
hat die Voraussetzungen des § 1 a Nr. 1 AsylbLG zu Recht als gegeben angesehen. Sie liegen vor, wenn ein finaler
Zusammenhang zwischen dem Einreiseentschluss und der Inanspruchnahme der Leistungen besteht. Dieser
Zusammenhang besteht nicht nur dann, wenn der Wille, die Leistungen zu erhalten, der einzige Einreisegrund ist.
Beruht die Einreise des Ausländers auf verschiedenen Motiven, wird das Erfordernis des finalen Zusammenhangs
auch erfüllt, wenn der Zweck der Inanspruchnahme von Leistungen für den Einreiseentschluss von prägender
Bedeutung gewesen ist. Dies bedeutet, dass die Möglichkeit, auf Leistungen nach dem AsylbLG angewiesen zu sein,
für den Einreiseentschluss des Ausländers, sei es allein oder neben anderen Gründen, in besonderer Weise
bedeutsam gewesen sein muss. Die nur in das Wissen des Ausländers gestellten Gründe für seine Einreise muss
dieser benennen und widerspruchsfrei sowie substanzreich darlegen, um der Behörde und auch dem Gericht die
Möglichkeit zu geben zu prüfen, ob der Tatbestand des § 1 a Nr. 1 AsylbLG erfüllt ist (vgl. BVerwG, vom 04. Juni
1992 V C 22.87 BVerwGE 90, 212 zu § 120 BSHG; OVG Berlin, Beschluss vom 12. November 1999, FEVS 51, 267).
Ausgehend von diesen Grundsätzen hat der Antragsteller andere prägende Gründe für die Einreise als die
Inanspruchnahme öffentlicher Mittel nicht substantiiert dargetan. Die Gründe, die der Antragsteller bei seiner Anhörung
gegenüber dem Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge am 01. Dezember 1993 angegeben hat,
deuten auf eine nahezu ausschließlich mit einer Verbesserung des Lebensstandards verbundene Motivation zur
Einreise in die Bundesrepublik Deutschland. Einen anderen Grund, nämlich einen asylrelevanten Grund, hat der
Antragsteller, wie auch der Entscheidung des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 06.
Dezember 1993 zu entnehmen ist, nicht schlüssig vorgetragen. Sein Vortrag zu anderen Gründen war unsubstantiiert,
in sich widersprüchlich und nicht nachvollziehbar. Dem Antragsteller ist es damit nicht gelungen, die nur in sein
Wissen gestellten anderen Gründe für die Einreise zu benennen und widerspruchsfrei sowie substanzreich dazulegen,
um damit andere prägende Motive als die des § 1 a Nr. 1 AsylbLG hier als gegeben erachten zu können. Dass er hier
eine finanzielle Unterstützung erwartete, hat er ausdrücklich erklärt.
Damit stände seinem Begehren bereits die Vorschrift des § 1 a Nr. 1 AsylbLG entgegen.
Das Verhalten des Antragstellers, wie es sich aus den beigezogenen Ausländerakten ergibt, deutet weiterhin darauf
hin, dass bei ihm auch die Voraussetzungen des § 1 a Nr. 2 AsylbLG vorliegen; von einem intensiven und
zielstrebigen Betreiben der Passbeschaffung kann keine Rede sein. Bemühungen des Antragstellers, ein für die
Durchführung aufenthaltsbeendender Maßnahmen ausreichendes Laissez-Passer zu erlangen (vgl. dazu OVG Berlin-
Brandenburg, vom 14. September 2010 OVG 3 B 2.08 ), der auf Antrag sowohl l Staatsangehörigen als auch p
Flüchtlingen aus dem L ausgestellt wird, ohne dass ein deutscher Aufenthaltstitel vorliegt und in Aussicht gestellte
wurde (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 30. November 2005, L 15 B 1006/05 AY ER) sind der
Ausländerakte ebenfalls nicht zu entnehmen.
Einen Anordnungsanspruch auf höhere Leistungen, als die nach den Umständen unabweisbar gebotenen, hat der
Antragsteller damit nicht glaubhaft gemacht.
Mangels Erfolgsaussichten in der Hauptsache war auch die Ablehnung von Prozesskostenhilfe durch das
Sozialgericht nicht zu beanstanden. Die Entscheidung zur Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren beruht
auf § 73 a Sozialgerichtsgesetz (SGG) i. V. m. § 114 ff. Zivilprozessordnung (ZPO).
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG und auf § 73 a Abs. 1 Satz 1
SGG i. V. m. § 127 Abs. 4 ZPO.
Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde zum Bundessozialgericht (BSG) anfechtbar (§ 177 SGG).