Urteil des LSG Berlin-Brandenburg vom 24.07.2002

LSG Berlin und Brandenburg: innere medizin, erwerbsunfähigkeit, erlass, anhörung, rechtliches gehör, berufsunfähigkeit, stützkorsett, widerspruchsverfahren, mangel, verwaltungsakt

Landessozialgericht Berlin-Brandenburg
Urteil vom 24.07.2002 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Cottbus S 6 KN 82/00
Landessozialgericht Berlin-Brandenburg L 3 KN 24/01
Auf die Berufung der Klägerin werden das Urteil des Sozialgerichts Cottbus vom 14. Mai 2001 und der Bescheid vom
17. Dezember 1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05. Juni 2000 aufgehoben. Die Beklagte hat der
Klägerin die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits zu erstatten. Die Revision wird nicht
zugelassen.
Tatbestand:
Die Klägerin wendet sich gegen die Entziehung ihrer ab 10. März 1995 bewilligten Rente wegen Erwerbsunfähigkeit.
Die im ... 1961 geborene Klägerin, die angelernte Gartenbaufacharbeiterin ( Ausbildung von Oktober 1979 bis April
1980) ist, seit 1986 Reinigungsarbeiten verrichtet hat und zuletzt von Juni 1992 bis Dezember 1994 als Kauenwärterin
erwerbstätig war, bezog aufgrund ihres Antrages vom 23. November 1994 Rente wegen Erwerbsunfähigkeit; Bescheid
vom 02. April 1996, wegen dessen Einzelheiten auf Bl. 82 bis 114 der Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen
wird.
Zur medizinischen Grundlage der Bewilligung von Rente wegen Erwerbsunfähigkeit wurde u.a. der ärztliche
Entlassungsbericht der Klinik B. vom 30. März 1995 (Februar 1995 bis März 1995) mit den Entlassungsdiagnosen:
Postlaminektomiesyndrom beidseits; Zustand nach Bandscheibenprolaps L5/S 1 1991; Zervicobrachialsyndrom;
Hüftdysplasie, Urolithiasis links gemacht. Zum Leistungsvermögen wurde hier angeführt, die Klägerin könne körperlich
leichte Arbeiten in wechselnden Körperhaltungen vollschichtig verrichten. Zusätzliche Funktionseinschränkungen
bestünden für häufiges Heben, Tragen und Bewegen von Lasten (ohne mechanische Hilfsmittel), häufiges Bücken,
überwiegend einseitige Körperhaltung sowie für Arbeiten mit besonderen Zeitdruck.
Die Beklagte berücksichtigte ferner das Gutachten des Facharztes für Innere Medizin Dr. E. des sozialmedizinischen
Dienstes der Beklagten vom 27. Februar 1996. Dieser Arzt führte die Diagnosen auf:
"1. Inzwischen therapieresistentes chronisches Schmerzsyndrom nach Bandscheibenprolaps-Op. L5/S1 (1991).
Klinisch und nach dem Röntgen-CT-Befund vom 27.07.1993 (Anlage 2) ist ein Postlaminektomiesyndrom in L5/S1
gesichert.
2. Zunehmend therapieresistentes oberes und unteres Zervikalsyndrom bei stärkerer Spondylarthrose im Bereich der
mittleren und der distalen HWS. Die migräneartigen Zephalgien der Versicherten können durchaus im Sinne einer
Migraine cervicale gedeutet werden.
3. Einlaufende Hüftdysplasie - Coxarthrose rechts.
4. Gesicherte Nierensteindiathese links. Zur Zeit kein Hinweis für eine eingeschränkte Nierenfunktion oder für eine
Neigung zu aszendierenden Harnwegsinfekten.
5. Einlaufende Ischurie, deren Genese noch geklärt werden muß. Ein urologisches Leiden wird in nächster Zeit durch
eine Harnblasenspiegelung bewiesen oder ausgeschlossen werden. Der behandelnde Orthopäde denkt u.a. an die
Möglichkeit eines einlaufenden Kaudasyndroms.
6. Bei gesicherter Cholecysttolithiasis haben sich Gallenkoliken ohne Ikterus manifestiert. Am 17.04.1996 ist die
stationäre Aufnahme der Begutachteten in das Klinikum Forst geplant. Dort wird eine Cholezystektomie erfolgen.
7. Blande Struma diffusa I. bis II. Grades, die derzeit mit Hormonsubstitution behandelt wird."
Er beschrieb das Gehvermögen der Klägerin als einen vorsichtigen, tastenden Gang, wobei eine Fußheberschwäche
links per Distanz schon auffalle, und bewertete das Leistungsvermögen folgendermaßen:Die Klägerin sei ab dem25.
August 1993 (letzte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung) zu keiner gewinnbringenden Arbeit von wirtschaftlichem Wert
noch fähig. Bei ihr bestehe ein absolut therapieresistentes chronisches Schmerzsyndrom. Weder der behandelnde
Orthopäde noch durch die Reha-Kur in Bad B. habe die schnelle Progredienz des Schmerzsyndroms aufhalten
können. Weitere wesentliche Bedeutung habe das therapieresistente obere und untere Zervikalsyndrom mit Migraine
cervikale gehabt. Insgesamt sei die Prognose des Postlaminektomiesyndroms schlecht. Es bestünde eine
Fußheberschwäche links. Auch an die Möglichkeit einer einlaufenden Beteiligung des Harnblasenregulationszentrums
des unteren Rückenmarks müsse bereits gedacht werden. Die Prognose bliebe ungünstig. Dr. E. ging wegen des
Postlaminektomiesyndroms von einem aufgehobenen Leistungsvermögen von Dauer aus, empfahl aber eine
Nachuntersuchung im Februar 1998.
Im April 1997 befragte die Beklagte die Klägerin, ob in ihren Verhältnissen eine Änderung eingetreten sei: Die Klägerin
gab ihre behandelnden Ärzte an und legte u.a. dar, dass eine wesentliche Besserung oder Wiederherstellung der
Erwerbsfähigkeit nicht eingetreten sei.
Der Facharzt für Innere Medizin Dr. Sch. des sozialmedizinischen Dienstes der Beklagten gelangte in seinem
Gutachten vom 08. Mai 1998 unter Berücksichtigung u.a. der Epikrise des Krankenhauses Forst vom 09. Mai 1996
bei der Klägerin nunmehr zu den Diagnosen:
"1. Schmerzsyndrom nach OP (Hemilaminektomie) wegen eines mediolinkslateralen Bandscheibenprolaps L5/S 1 am
25.04.1991.
2. Zervikales Schmerzsyndrom bei muskulären Dysbalancen mit geringgradigem (altersentsprechenden)
degenerativen Veränderungen im Sinne einer Spondylarthrose und Spondylosis deformans.
3. Gering ausgeprägte Hüftdysplasie rechts ohne Funktionsdefizite.
4. Struma diffusa - gering ausgeprägt - ohne klinische Zeichen einer Überfunktion.
5. Zustand nach Cholezystektomie am 18.04.1996 - komplikationsloser postoperativer Verlauf."
Er führte zur Bewertung des Leistungsvermögens aus: Das noch im Februar 1996 bestehende absolut
therapieresistente chronische Schmerzsyndrom habe eine deutliche Besserung erfahren. Die schmerzfreie
Wegstrecke betrage ca. 1.000 Meter, die die Klägerin ein- bis zweimal wöchentlich ohne Gehstützen zurücklegen
könne. Die Gehstütze benutze sie nur noch zeitweilig zur Sicherheit. Sie fahre ca. 3 bis 4 Kilometer Fahrrad. Diese
Strecke lege sie ein- bis zweimal wöchentlich offensichtlich im Rahmen eines Trainingsprogrammes zurück. Ein
verordnetes Stützkorsett trage sie nicht ständig, sondern nur bei vorausgehender längerer Belastung (meist nur
halbtags). Das Gangbild sei ohne Unterarmgehstützen leicht hinkend, kein Steppergang. Die im Vorgutachten
angeführte Hypaesthesie sei nur noch geringfügig nachweisbar und offenbar ebenfalls rückläufig. Nach Dr. Sch. ist die
Klägerin zwar nicht in der Lage, mittelschwere oder schwere körperliche Arbeiten zu verrichten. Sie könne aber noch
leichte körperliche Belastungen vollschichtig in wechselnder Körperhaltung ausüben, wobei Gelegenheit zur Wahl
zwischen Sitzen, Stehen und Gehen gegeben werden müsse. Zusätzliche Funktionseinschränkungen bestünden für
Heben, Tragen und Bewegen von Lasten (ohne mechanische Hilfsmittel), häufiges Bücken, häufiges Stehen oder
Klettern, ohne überwiegend einseitige Körperhaltung. Sie könne im Bergbau als Postbearbeiterin einfacher Aufgaben,
Schreibkraft für einfache Arbeiten, Verwaltungshilfskraft im technischen Bereich sowie als Telefonistin erwerbstätig
sein; außerhalb des Bergbaus als Hilfsarbeiterin in Büros aller Tarifbereiche; Aufsicht in Ausstellungen und Museen;
Pförtnerin; Telefonistin sowie Postbearbeiterin.
Die Beklagte gab der Klägerin durch Formschreiben vom 11. Juni 1998 Gelegenheit zur Stellungnahme zur
beabsichtigten Rentenentziehung. In das Formschreiben war lediglich maschinenschriftlich eingefügt:
" ...Ihr Gesundheitszustand (habe sich) deutlich gebessert ... Die Besserung ist daran zu sehen, dass nunmehr eine
schmerzfreie Gehstrecke von ca. 1.000 Meter ein- bis zweimal wöchentlich ohne Gehstütze bewältigt werden kann,
Radfahren von 3 bis 4 Kilometer ein- bis zweimal wöchentlich möglich ist, ein Stützkorsett nicht mehr ganztägig
getragen werden muss."
Die Klägerin wies mit Schreiben vom Juli 1998 darauf hin, dass sie nicht schmerzfrei Laufen und Fahrrad fahren
könne. Sie laufe auch nur mit Gehstützen. Ein Stützkorsett trage sie ganztägig. Sie verwies (erneut) auf ihre
behandelnden Ärzte, den Orthopäden B. und die Fachärztin für Allgemeinmedizin E ...
Durch Bescheid vom 17. Dezember 1998 entzog die Beklagte die Bewilligung von Rente wegen Erwerbsunfähigkeit ab
01. Januar 1999. Es liege auch keine Berufsunfähigkeit vor, weil sie nach dem Gutachten vom 08. Mai 1998 wieder in
der Lage sei, Tätigkeiten in gewisser Regelmäßigkeit auszuüben. Des Weiteren verweise sie auf die Anhörung vom
Juni 1998. Die im Anhörungsverfahren genannten Befunde seien bis heute weder von ihr noch von den behandelnden
Ärzten zugereicht worden, so dass sie (Beklagte) sich keine neuen Erkenntnisse habe verschaffen können, die sie
(Beklagte) von einer Entziehung absehen ließen. Ab 1999 habe die Klägerin einen Anspruch auf Rente für Bergleute
wegen verminderter Erwerbsfähigkeit im Bergbau.
Am 29. Dezember 1998 und 14. Januar 1999 gingen bei der Beklagten die Befundberichte der Fachärzte für
Allgemeinmedizin E. und des Orthopäden B. ein. Wegen der Einzelheiten wird auf Bl. 40 bis 42 des ärztlichen Teils
der Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen.
Die Klägerin hat am 27. Dezember 1998 Widerspruch eingelegt und eine Überprüfung der Entscheidung auf der
Grundlage aktueller medizinischer Befunde begehrt.
Im August 1999 gelangte ein Reha-Entlassungsbericht vom 28. Juli 1999 zu den Verwaltungsakten der Beklagten. Die
Diagnosen lauteten: Zustand nach interlaminärer Fensterung, Sequestektomie und Nukleotomie bei NPP LWK 5/SWK
1 rechts im April 1999.
Die Klägerin sei noch vier Wochen nach Entlassung arbeitsunfähig. Danach sei sie in vollem Umfang in der Lage,
leichte körperliche Tätigkeiten in wechselnder Körperhaltung und überwiegend im Sitzen mit bandscheibengerechtem
Stuhl vollschichtig zu verrichten. Sie habe das Heben und Tragen von schweren Lasten und Körperzwangshaltungen
und ständiges Bücken zu vermeiden. Zum Rehabilitationsergebnis wird festgestellt:
" ...Bei der Abschlussuntersuchung gibt die Patientin an, sich allgemein erschlagen zu fühlen, die Schmerzen wären
erträglicher geworden, es besteht noch ein Restziehen im re. Oberschenkel. Die mögliche schmerzfreie Gehstrecke
beträgt ca. 200 m.
Die Patientin klagt noch über unkontrollierten Harnabgang. Die Miktionsbeschwerden sind schwächer als vor der OP
geworden ..."
Der Orthopäde Dr. L., Orthopädischen Klinik im C.-T.-Klinikum C., untersuchte die Klägerin am 22. Dezember 1999.
Er stellte im Gutachten vom 28. Dezember 1999 die Diagnosen:
"Rezidivierendes lumbales Schmerzsyndrom, Postnukleotomiesyndrom
nach Prolapsentfernung L5/S1 links 1991 und L5/S1 rechts 28.04.1999, mittelgradige Funktionseinschränkung der
LWS, zur Zeit leichtes Pseudoradikulärsyndrom rechts, Gangstörung
zervicales Schmerzsyndrom mit geringer Funktionseinschränkung der HWS. altersgerechter unauffälliger
Röntgenbefund, kein Radikulärsyndrom"
Das Leistungsvermögen der Klägerin sei nach zweimaliger Bandscheibenoperation eingeschränkt, weswegen sie
schwere und mittelschwere Hebe- und Tragearbeiten nicht mehr regelmäßig ausüben solle. Eine Tätigkeit mit häufiger
Rumpfbeugung solle ebenfalls vermieden werden. Eine endgültige Aussage zu der Frage der Erwerbs-
/Berufsunfähigkeit habe sich aber nicht treffen lassen, weil deutliche Widersprüche zwischen objektivem klinischem
Befund sowie Röntgenbefund und den angegebenen Beschwerden der Klägerin sowie der demonstrierten Gangstörung
vorlägen. Dr. L. empfahl u.a. eine neurologisch-psychiatrische Zusatzbegutachtung.
Der Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. W. legte in seinem Gutachten vom 29. Februar 2000 dar, es bestehe
kein Anhalt für eine krankheitswertige psychopathologische Symptomatik. Die orthopädischen Leiden stünden im
Vordergrund, wozu er auf das Gutachten des Dr. L. verweise.
Die Fachärztin für Allgemeinmedizin K. des sozialmedizinischen Dienstes der Beklagten ist sodann im März 2000
aufgrund des Gutachten des Dr. L. zu dem Ergebnis gelangt, dass die Klägerin noch ein Leistungsvermögen für
einfache und leichte Tätigkeiten in vollschichtiger Arbeitszeit habe. Dem Widerspruch sei aus sozialmedizinischer
Sicht nicht abzuhelfen.
Zum Reha-Entlassungsbericht, den Befundberichten der Ärzte E. und B., den Gutachten der Ärzte Dres. L. und W.,
dem Ergebnis der Allgemeinmedizinerin K. hörte die Beklagte die Klägerin vor Erlass des Widerspruchsbescheides
nicht mehr an.
Die Beklagte wies den Widerspruch als unbegründet zurück; Widerspruchsbescheid vom 05. Juni 2000, wegen
dessen Einzelheiten auf Bl. 229 bis 232 der Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen wird. Die Klägerin sei weder
berufs- noch erwerbsunfähig. Sie sei im Mai 1998 ambulant untersucht und begutachtet worden. Es seien alle von ihr
vorgebrachten Klagen berücksichtigt und hinreichend gewürdigt worden. Die festgestellten Befunde seien von den
Ärzten bei der Gutachtenerstattung ausgewertet worden. Unter Berücksichtigung aller erhobenen Befunde und der
darin zum Ausdruck gebrachten Einschränkungen der Erwerbsfähigkeit würde die Klägerin wieder für fähig gehalten,
als Hilfsarbeiterin in Büros aller Tarifbereiche, z.B. als Pförtnerin oder Postbearbeiterin tätig sein zu können. Sie sei
wieder in der Lage, schmerzfreie Gehstrecken von 1.000 m zurückzulegen. Sie werde auch wieder für fähig erachtet,
leichte körperliche Tätigkeiten vollschichtig auszuüben. Da sie in ihrem Hauptberuf als Kauenwartin der 3.
Berufsgruppe der Arbeiterberufe zuzuordnen sei, sei eine Benennung von Verweisungstätigkeiten nicht erforderlich.
Die Klägerin hat hiergegen am 22. Juni 2000 Klage vor dem Sozialgericht Cottbus erhoben. Sie sei nicht in der Lage,
die Verweisungstätigkeiten, die die Beklagte benannt habe, auszuüben.
Das Sozialgericht Cottbus hat Befundberichte der Ärzte Dr. B. (November 2000), des Facharztes für Neurochirurgie
Dr. H. sowie ein Gutachten des Chirurgen und Sozialmediziners Dr. B. als Sachverständigen vom 26. Februar 2001
zum Verfahren beigezogen. Der Sachverständige ist nach ambulanter Untersuchung der Klägerin am 23. Februar 2001
zu den Diagnosen gelangt:
"Minimale, das Altersmaß nicht überschreitende, degenerative Veränderungen im Bereich der Halswirbelsäule mit
Neigung zu cervicalen muskulären Verspannungszuständen. Zustand nach zweimaliger lumbaler
Bandscheibenoperation in der Etage L5/S1 links wie rechts mit verbleibenden schmerzhaften
Bewegungseinschränkungen. Verbleibende leichte Sensibilitätsstörungen an der Außenseite beider Unterschenkel und
an der Außenseite beider Füße."
Diese Gesundheitsstörungen ließen es noch zu, dass die Klägerin leichte körperliche Arbeiten in wechselnden
Körperhaltungen bei Vermeidung von Zwangshaltungen (Bücken, Hocken oder Knien; Steigen auf Leitern und
Gerüsten) verrichten könne. Zu vermeiden habe sie Arbeiten im Freien ohne Witterungsschutz. Tätigkeiten bei
Witterungsschutz seien möglich, überwiegend sollten sie jedoch in geschlossenen Räumen erfolgen. Sie könne
Arbeiten mit Anforderung an Reaktionsfähigkeit, Übersicht, Aufmerksamkeit, Verantwortungsbewusstsein,
Zuverlässigkeit in Wechselschicht, auch in Nachtschicht und unter Zeitdruck, wie Akkordarbeiten, ausüben. Auch
seien ihr Arbeiten mit Publikumsverkehr möglich. Sie habe keine weiteren Arbeitspausen oder Arbeitsunterbrechungen
als betriebsübliche Pausen einzuhalten. Sie könne öffentliche Verkehrsmittel benutzen und auch ein eigenes
Kraftfahrzeug steuern. Sie sei in der Lage, viermal arbeitstäglich die Fußwege von 500 Metern und mehr
zusammenhängend in zumutbarer Zeit zurückzulegen. Sie könne vollschichtig unter den im Betrieb in der Regel
üblichen Arbeitsbedingungen erwerbstätig sein. Wegen der weiteren Einzelheiten des Gutachtens Dr. B. wird auf Bl.
42 bis 69 der Gerichtsakten verwiesen.
Das Sozialgericht Cottbus hat im Wesentlichen aus den Gründen des Gutachtens des Dr. B. die Klage abgewiesen;
Urteil vom 14. Mai2001, wegen dessen Einzelheiten auf Bl. 78 bis 84 der Gerichtsakten verwiesen wird.
Gegen das am 31. Mai 2001 zugestellte Urteil hat die Klägerin am Montag, 02. Juli 2001, Berufungeingelegt und ihr
Begehren weiter verfolgt.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Cottbus vom 14. Mai 2001 und den Bescheid der Beklagten vom 17. Dezember 1998 in
der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05. Juni 2000 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beteiligten haben nach Erörterung der Sach- und Rechtslage einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung
zugestimmt.
Wegen der weiteren Einzelheiten zum Vorbringen der Beteiligten und wegen des Verfahrens wird auf die
Gerichtsakten, die beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten (VSNR: ...) Bezug genommen. Die Akten haben
vorgelegen und sind Gegenstand der Beratung gewesen.
Entscheidungsgründe:
Das Gericht hat ohne mündliche Verhandlung entscheiden können, weil die Beteiligten dem zugestimmt haben; §§
153 Abs.1, 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Die zulässige Berufung ist begründet. Das Sozialgericht Cottbus hat die zulässige (Anfechtungs-)Klage zu Unrecht
abgewiesen. Die angefochtenen Verwaltungsentscheidungen der Beklagten (Bescheid vom 17. Dezember 1998 in der
Fassung des Widerspruchsbescheides vom 05. Juni 2000) sind rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren
Rechten.
Bei Anfechtungsklagen ist (nur) die Rechtmäßig-/Rechtswidrigkeit der Verwaltungsentscheidungen (§ 54 Abs. 1 SGG)
zum Zeitpunkt der letzten Tatsachenfeststellung (vgl. Meyer-Ladewig, SGG, 7. Aufl., zu § 54 Rnr. 32) zu prüfen.
Die angefochtenen Rentenentziehungsentscheidungen der Beklagten sind danach rechtswidrig, weil sie formelle
Mängel aufweisen. Die Klägerin ist weder vor Erlass des Rentenentziehungsbescheides noch vor Erlass des
Widerspruchsbescheides ausreichend angehört worden; § 24 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X). Die
Bescheide sind auch nicht ausreichend begründet worden; § 35 SGB X.
Rechtsgrundlage für eine Rentenentziehung wegen einer gesundheitlichen Besserung der Versicherten ist § 48 Abs. 1
Satz 1 SGB X. Danach ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung auch nach Eintritt der Unanfechtbarkeit mit Wirkung
für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen (und rechtlichen) Verhältnissen, die bei seinem Erlass
vorlagen, eine wesentliche Änderung eingetreten ist. Maßgebend ist damit der Leidenszustand, der zum Zeitpunkt der
letzten bindenden Entscheidung objektiv bestanden hat; (BSG SozR 3870 § 4 Nr. 3; BSGE 65, 301, 302 = SozR 1300
§ 48 Nr. 60). Dieser ist zu vergleichen mit dem Leidenszustand zum Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung,
mithin dem der Widerspruchsentscheidung.
Vor Erlass einer derartigen Rentenentziehung haben die Versicherungsträger die Versicherten anzuhören; § 24 SGB
X. Diese Vorschrift bestimmt in Abs. 1: Bevor ein Verwaltungsakt erlassen wird, der in Rechte eines Beteiligten
eingreift, ist diesem Gelegenheit zu geben, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern.
Entscheidungserhebliche Tatsachen sind alle (Haupt-)Tatsachen, auf welche die Behörde den Verfügungssatz
zumindest auch gestützt hat oder auf die es nach ihrer materiell-rechtlichen Ansicht objektiv ankommt (BSGE 69,
247, 252 = SozR 3 – 1300 § 24 Nr. 4). Sind z.B. ärztliche Gutachten eingeholt worden, so ist den Beteiligten
Gelegenheit zu geben, sich zu diesen Gutachten zu äußern (BSGE 46, 57, 58 = SozR 1200 § 34 Nr. 3; BSG SozR
1200 § 34 Nrn. 9, 12; SozR 1300 § 24 Nrn. 2, 4). Dabei braucht nicht dem Betroffenen von vornherein das Gutachten
oder die ärztliche Auskunft (z.B. Befundbericht) abschriftlich übersandt werden (BSG SozR 1200 § 34 Nr. 1; SozR 3-
1300 § 24 Nr. 15). Es reicht nach der Rechtsprechung des BSG aus, die für die Entscheidung erheblichen Tatsachen
aus dem Gutachten zusammengefasst anzuführen (BSG, Urteil vom 01. Dezember 1982 – 4 RJ 45/82; in: Meso B 20
a/193).
Nach den den Senat überzeugenden Grundsätzen der Rechtsprechung des BSG richtet sich auch hier die Beurteilung,
ob die Klägerin iSd § 24 SGB X angehört worden ist. Eine rechtsfehlerfreie Anhörung ist jedoch zu verneinen. Die mit
Formschreiben vom 11. Juni 1998 mit maschinenschriftlichen Zusätzen vorgenommene Anhörung genügt den o.a.
rechtlichen Anforderungen nicht. Die Klägerin ist dabei (nur) für eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit nach § 44
Sozialgesetzbuch 6. Buch (SGB VI) zu unerheblichen Tatsachen bezogen auf die Wegefähigkeit angehört worden. Ob
eine schmerzfreie Gehstrecke von ca. 1.000 Meter ein- bis zweimal wöchentlich ohne Gehstütze bewältigt werden
kann, Radfahren von 3 bis 4 Kilometer ein- bis zweimal wöchentlich möglich ist oder ein Stützkorsett nicht mehr
ganztägig getragen werden muss, ist für einen Anspruch auf eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit gänzlich
unerheblich.
Nach § 44 Abs. 2 SGB VI in der bis zum 31. Dezember 2000 geltenden Fassung (a.F.) wird eine Rente wegen
Erwerbsunfähigkeit – neben weiteren Voraussetzungen – gewährt, wenn die Versicherten wegen Krankheit oder
Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, eine Erwerbstätigkeit in gewisser Regelmäßigkeit auszuüben
oder Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen erzielen, das ein Siebtel der monatlichen Bezugsgröße übersteigt.
Erwerbsunfähigkeit wird u.a. für den Fall bejaht, wenn die Versicherten trotz einer vollschichtigen Leistungsfähigkeit
eine Wegestrecke von 500 m nicht innerhalb von 20 Minuten viermal am Tag bewältigen können (BSG SozR 3-2200 §
1247 Nr. 10). Diese Rechtsprechung macht hinreichend deutlich, was entscheidungserhebliche Tatsache iSd § 24
SGB X sein kann und zeigt zugleich auf, dass es nicht auf ein- oder zweimalig "wöchentlich" zu bewältigende
schmerzfreie Gehstrecke von 1.000 Metern oder Fahrradfahren von 3 bis 4 Kilometern ankommen kann. Es kommt im
Übrigen auch nicht darauf an, ob ein Stützkorsett nicht mehr ganztägig getragen wird.
Medizinische Grundlage der Bewilligung von Rente wegen Erwerbsunfähigkeit war ein absolut therapieresistentes
chronisches Schmerzsyndrom (1996) nach den Feststellungen des Facharztes für Innere Medizin Dr. E ... Aufgrund
dessen war das Leistungsvermögen gänzlich aufgehoben. Die Klägerin konnte keine Arbeit von wirtschaftlichen Wert
mehr leisten. Wenn aber mindestens seit August 1998 eine gesundheitliche Besserung bei der Klägerin – die auch der
Senat erkennt und die für eine Rentenentziehung spricht – eingetreten ist, weil das einst absolut therapieresistente
chronische Schmerzsyndrom sich gebessert hatte, dann wäre es die Pflicht der Beklagten nach § 24 SGB X
gewesen, die Besserung der bis dahin festgestellten Erkrankung und damit auch des Leistungsvermögens
darzulegen. Nach Dr. Sch. hat die Klägerin wieder leichte körperliche Belastungen vollschichtig in wechselnden
Körperhaltungen unter dem von ihm benannten weiteren Funktionseinschränkungen ausüben können. Die wesentliche
entscheidungserhebliche Tatsache ist mithin die Besserung des chronischen Schmerzsyndroms und die sich daraus
ergebenden Auswirkungen auf die Leistungsfähigkeit. Hierzu wäre die Klägerin anzuhören gewesen.
Der Mangel der nicht rechtsfehlerfreien Anhörung kann auch nicht unbeachtlich iSd § 24 Abs. 2 SGB X bleiben. Von
der Anhörung konnte nicht nach § 24 Abs. 2 Nrn. 1 bis 7 SGB X abgesehen werden, weil diese Voraussetzungen
allesamt nicht vorliegen.
Er ist auch nicht unbeachtlich im Sinne von § 41 Abs. 1 Nr. 3 SGB X. Danach ist eine Verletzung von Verfahrens-
oder Formvorschriften, die nicht den Verwaltungsakt nach § 40 SGB X nichtig macht, unbeachtlich, wenn die
erforderliche Anhörung eines Beteiligten nachgeholt wird. Die Beklagte hat auch im Widerspruchsverfahren die
Klägerin nicht ausreichend angehört. Zu Lasten der Beklagten können deswegen die ansonsten anzuwendenden
Grundsätze der überzeugenden Rechtsprechung des BSG (vgl. BSG SozR 1200 § 34 Nrn. 1,7) zur Heilung von
Anhörungsmängeln keine Anwendung finden.
Die Beklagte hat im Widerspruchsverfahren wiederum der Klägerin keine Gelegenheit gegeben, sich zu neuen
entscheidungserheblichen Tatsachen im Sinne des § 24 SGB X zu äußern, obwohl es hier um so mehr geboten
gewesen wäre, um den vorausgegangenen Mangel des Verwaltungsverfahrens zu heilen.
Die Beklagte hatte bereits mit der Einleitung des Überprüfungsverfahrens im April 1996 und nach Antwort auf das
Formschreiben vom 11. Juni 1998 davon Kenntnis, dass die Klägerin ihre behandelnden Ärzte B. und E. angegeben
hatte, um von ihnen neue medizinische Erkenntnisse in eine Rentenentziehungentscheidung mit einzubeziehen.
Obwohl die Beklagte darum gewusst hatte, erließ sie den Bescheid vom 17. Dezember 1998. Erst im Anschluss
daran sind zum ärztlichen Teil der Verwaltungsakten die Befundberichte der behandelnden Ärzte der Klägerin E.
(Eingang: 29. Dezember 1998) und B. (Eingang: 14. Januar 1999) gelangt. Der Beklagten lagen zudem der Reha-
Entlassungsbericht vom Juli 1999 sowie die von ihr eingeholten Gutachten der Dres. L. und W. vor Erlass des
Widerspruchsbescheides vor.
Der vom Senat für zutreffend erachteten Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ist zu entnehmen, dass vor
Erlass von Verwaltungsentscheidungen das wesentliche Ergebnis von u.a. Befundberichten den Versicherten
mitzuteilen ist (vgl. u.a. BSG, Urteil vom 28. April 1999 - B 9 SB 5/98 R.). Der Klägerin ist nicht bekannt gegeben
worden, dass nunmehr – vor Erlass des Widerspruchsbescheides – neue medizinische Erkenntnisse aus
Befundberichten der behandelnden Ärzte der Klägerin (B. und E.), dem Reha-Entlassungsbericht vom 28. Juli 1999,
den Gutachten der Dres. L. und W. und der sozialmedizinischen Stellungnahme der Fachärztin K. vorgelegen haben.
Dies insgesamt wäre jedoch erforderlich gewesen, damit sich die Klägerin zur Ausschöpfung ihres Rechtes auf
rechtliches Gehör - auch während des Widerspruchsverfahrens - noch weitere Tatsachenkenntnis hätte verschaffen
können (vgl. hierzu BSG SozR 1300 § 24 Nr. 4) anstelle sie zur Klageerhebung zu drängen. Aufgrund einer derartigen
Mitteilung soll der Betroffene in die Lage versetzt werden, ob er sogleich dazu Stellung nehmen will, inwieweit sich
sein Gesundheitszustand gegenüber den Verhältnissen bei Erlass des früheren Bescheides tatsächlich gebessert hat
oder ob er zunächst den Befundbericht anfordern soll, um sodann - gegebenenfalls mit Hilfe eines Arztes-
sachgerechte Einwendungen zu erheben. Dem ist die Beklagte vor Erlass des Widerspruchsbescheides auch nicht
nachgekommen. Das Erfordernis der dargelegten Anhörung gilt auch für das Widerspruchsverfahren (vgl. BSG SozR
3-1300 § 24 Nr. 14), um den Versicherten zunächst gerichtlichen Rechtsschutz vermeiden zu helfen. Der
Versicherungsträger - hier die Beklagte - gelänge andernfalls zu einem Erkenntnisvorsprung, zumindest über einen
medizinischen Sachverhalt, den der Versicherte – hier die Klägerin – erst während der im Anschluss nach
Bekanntgabe des Widerspruchsbescheides laufenden Rechtsmittelfrist einholen und in einem gerichtlichen Verfahren
zur Überprüfung stellen kann. Zwar ist das sozialgerichtliche Verfahren für die Versicherten weiterhin
gerichtskostenfrei (§ 183 SGG). Bedienen sich die Versicherten – wie hier – eines Prozessbevollmächtigten, besteht
die Gefahr bei einem prozessualen Unterliegen die Kosten des Bevollmächtigten tragen zu müssen. Eine Heilung im
Sinne von § 41 SGB X kann nur dann eintreten, wenn der Widerspruchsbescheid selbst rechtlich nicht weitergehend
zu beanstanden ist. Das ist aber hier – wie dargelegt – nicht der Fall.
Die Rentenentziehungsbescheid vom 17. Dezember 1998 ist ferner nicht ausreichend begründet worden; § 35 Abs. 1,
2 SGB X.
Die Begründung eines Verwaltungsaktes soll den davon betroffenen Staatsbürger in die Lage versetzen, die
Entscheidung einer Behörde zu verstehen und die Überprüfung der dem Verwaltungsakt zu Grunde liegenden
tatsächlichen und rechtlichen Erwägungen zu ermöglichen. Dieser rechtsstaatliche Grundsatz hat bei der
Rentenentziehung ein besonderes Gewicht. Eine Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung bildet schon nach
ihrer Zielsetzung im Allgemeinen die Lebensgrundlage des Versicherten. Sie tritt regelmäßig an die Stelle des ganz
oder teilweise weggefallenen Erwerbseinkommens. Die Entziehung der Rente setzt voraus, dass der Versicherte
wieder in hinreichendem Umfang erwerbsfähig ist. Dieser Zustand befähigt ihn, eine Erwerbstätigkeit auszuüben,
durch deren Ertrag er seinen Lebensunterhalt bestreiten kann. Durch das Rechtsinstitut der Rentenentziehung bringt
das Gesetz zum Ausdruck, dass die Solidargemeinschaft dem Versicherten ein solches Tun auch zumutet. Der
Versicherte steht damit vor der Notwendigkeit, seine bisherige auf dem Renteneinkommen ruhende Lebensführung
von Grund auf umzustellen. Aus dieser Sicht beinhaltet die Rentenentziehung einen nachhaltigen Eingriff in die
persönliche Lebenssphäre des Versicherten, der die Begründung des Bescheides auch Rechnung tragen muss; vgl.
Urteil des Bundessozialgerichts vom 24. Juni 1982 - 4 RJ 37/81 = SozR § 1286 Nr. 12. Diesen überzeugenden
Ausführungen folgt der Senat.
Die im Bescheid vom 17. Dezember 1998 angeführte Begründung für die Rentenentziehung genügt diesen
Anforderungen nicht. Der Rentenentziehungsbescheid nimmt lediglich Bezug auf das Gutachten vom 08. Mai 1998,
ohne dass aus den Verwaltungsakten der Beklagten oder aus dem ärztlichen Teil der Verwaltungsakten ersichtlich
wird, dass der Inhalt des Gutachtens der Klägerin in vollem Umfang bekannt gemacht worden ist; (vgl. i.d.S. BSG,
Urteil v. 25. März 1999 - B 9 SB 14/97 R zum Befundbericht), verweist auf die Anhörung vom 11. Juni 1998 und
erklärt, die Klägerin sei wieder in der Lage, Tätigkeiten in gewisser Regelmäßigkeit ausüben zu können. Dies
rechtfertige einen Entzug der Rente wegen Erwerbsunfähigkeit.
Dem Bescheid fehlen insoweit Angaben dazu, in welchem Umfang die Klägerin noch für leistungsfähig erachtet wird.
Insbesondere hätte die Beklagte ihr - schon aus Anlass der Anhörung (s.o.) - so spätestens im Entziehungsbescheid
anzugeben gehabt, welche Art von Arbeiten (leichte, mittelschwere, schwere) sie mit welchen weiteren
Funktionseinschränkungen und in welchem zeitlichen Umfang noch verrichten kann. Wenn diese Begründung schon
erforderlich gewesen wäre, um der Klägerin hinreichend deutlich zu machen, dass sie keinen Anspruch mehr auf
Rente wegen Erwerbsunfähigkeit ab 01. Januar 1999 gehabt hat, so enthält der Rentenentziehungsbescheid überhaupt
keine Gründe mehr zu dem weiteren (für die Klägerin negativen) Verfügungssatz, dass ihr auch keine Rente wegen
Berufsunfähigkeit zustehe.
Die Beklagten konnte in dem Rentenentziehungsbescheid auch nicht auf eine Begründung verzichten; § 35 Abs. 2
SGB X. Die Voraussetzungen von § 35 Abs. 2 Nrn. 1 bis 5 SGB X liegen erkennbar nicht vor.
Der Mangel der Begründung ist auch nicht unbeachtlich im Sinne von § 41 Abs. 1 Nr. 2 SGBX. Danach ist eine
Verletzung von Verfahrens- oder Formvorschriften, die nicht den Verwaltungsakt nach § 40 SGB X nichtig macht,
unbeachtlich, wenn die erforderliche Begründung nachträglich gegeben wird. Der Mangel kann nicht unbeachtlich
bleiben, weil der Widerspruchsbescheid vom 05. Juni 2000 selbst rechtsfehlerhaft ist (s.o.) und deswegen eine
Heilung – obwohl in diesem eine Erklärung zur Verweisung der Klägerin auf den allgemeinen Arbeitsmarkt abgegeben
wird – nicht herbeiführt.
Darüber hinaus trägt die medizinische Sachermittlung zum Abschluss des Widerspruchsverfahren das Ergebnis der
Rentenentziehung nicht und zeigt damit einen weiteren Mangel auch des Widerspruchsbescheides in der Begründung
auf. Für die Beklagte war noch gar keine endgültige Aussage zur Frage der Erwerbs-/Berufsunfähigkeit zu diesem
Zeitpunkt getroffen worden, obwohl die Fachärztin für Allgemeinmedizin K. des sozialmedizinischen Dienstes im März
2000 unter Bezugnahme des Gutachtens des Dr. L. solches festgestellt hatte. Dr. L. hatte nämlich in seinem
Gutachten im Dezember 1999 darauf hingewiesen, dass eine endgültige Aussage zu der Frage der Erwerbs-
/Berufsunfähigkeit sich wegen deutlicher Widersprüche zwischen objektiven klinischem Befund sowie Röntgenbefund
und den angegebenen Beschwerden der Klägerin sowie der demonstrierten Gangstörung habe gar nicht treffen lassen.
Wie die Ärztin K. zu ihrer Meinung unter Bezugnahme auf Dr. L. gelangt ist, kann der Senat nicht nachvollziehen.
Denn auch Dr. W. hat (nur) erklärt, dass ein Anhalt für eine krankheitswertige psychopathologische Symptomatik
bestehe. Damit war aber die noch von Dr. L. aufgeworfene Frage, Widerspruch zwischen objektiven klinischem
Befund sowie Röntgenbefund und den angegebenen Beschwerden der Klägerin, weiterhin offen. Wenn die Beklagte
schon eine derartige Sachermittlung in der Regel ausreichen lässt für die Versagung von Anträgen zu Renten wegen
verminderter Erwerbsfähigkeit, so kann sie sich im Rentenentziehungsverfahren damit nicht begnügen.
Eine Verpflichtung zur Aussetzung des Verfahrens nach § 114 Abs. 2 SGG (in der Fassung des 4. Euro-
Einführungsgesetzes vom 21. Dezember 2000 (BGBl. I S. 1983) mit Inkrafttreten zum 01. Januar 2001 )kommt
vorliegend nicht in Betracht. Nach dieser Vorschrift kann das Gericht auf Antrag das Verfahren zur Heilung u.a. von
Verfahrensfehlern aussetzen, soweit dies im Sinne der Verfahrenskonzentration sachdienlich ist. § 114 Abs. 2 Satz 2
SGG erfasst den vorliegenden Fall für das laufende (Gerichts-)Verfahren zeitlich nicht. Die Klägerin hatte bei
Inkrafttreten der Vorschrift am 01. Januar 2001 bereits einen Aufhebungsanspruch allein wegen der Verfahrensfehler
der fehlenden Anhörungen bzw. nicht ausreichenden Begründungen, in den anderenfalls belastend eingegriffen würde
(vgl. BSG, Urteil v. 12. Juni 2001 - B 4 RA 37/00 R). Die das Widerspruchsverfahren beendende Entscheidung datiert
nämlich vom 05. Juni 2000.
Nach alledem hat die Berufung der Klägerin Erfolg.
Die Entscheidung über die Kosten erfolgt aus § 193 Abs. 1 SGG.
Die Revision ist nicht zuzulassen gewesen, weil die Voraussetzungen nach § 160 Abs. 2 Nrn. 1, 2 SGG nicht
vorgelegen haben.