Urteil des LSG Berlin-Brandenburg vom 11.03.2009

LSG Berlin-Brandenburg: unbestimmter rechtsbegriff, vermieter, räumung, rechtfertigung, erwerbstätigkeit, link, auskunft, leistungsbezug, arbeitslosigkeit, aufteilung

1
2
3
Gericht:
Landessozialgericht
Berlin-Brandenburg
14. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
L 14 AS 618/09 B ER
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 22 Abs 5 SGB 2, § 86b SGG
Grundsicherung für Arbeitsuchende - Anspruch auf
Mietschuldenübernahme bei drohender Wohnungslosigkeit -
gemischt genutzte Wohnung
Leitsatz
Mietschuldenübernahme, drohende Wohnungslosigkeit, Rechtfertigung, einstweilige
Anordnung
Tenor
Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom
11. März 2009 wird zurückgewiesen.
Der Antragsgegner hat die außergerichtlichen Kosten des Antragstellers auch für das
Beschwerdeverfahren zu erstatten.
Gründe
Der Beschluss des Sozialgerichts erweist sich als zutreffend. Mit Recht hat es den
Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung entsprechend § 86b Abs. 2 des
Sozialgerichtsgesetzes – SGG - verpflichtet, 4.231,42 Euro als Darlehen für den
Antragsteller unmittelbar an dessen Vermieter, die Wohnungsbaugesellschaft Mitte
mbH, zu zahlen.
Der Anordnungsgrund folgt aus § 22 Abs. 5 des Sozialgesetzbuches, Zweites Buch (SGB
II). Nach dieser Vorschrift können – sofern Leistungen für Unterkunft und Heizung
erbracht werden – auch Schulden übernommen werden, soweit dies zur Sicherung der
Unterkunft oder zur Behebung einer vergleichbaren Notlage gerechtfertigt ist; sie sollen
übernommen werden, wenn dies gerechtfertigt und notwendig ist und sonst
Wohnungslosigkeit einzutreten droht.
Die Voraussetzungen dieser Vorschrift sind insoweit gegeben, als dem Antragsteller
Wohnungslosigkeit droht und die Übernahme von Schulden als geeignetes Mittel
erscheint, die Wohnungslosigkeit abzuwenden. Ohne ein Eingreifen des Antragsgegners
wird der Anspruchsteller wahrscheinlich seine bisherige Wohnung verlieren. Denn sein
Vermieter verfügt über einen Räumungstitel und hat angekündigt, von diesem auch
Gebrauch machen zu wollen. Nach Einschätzung des Senats ist glaubhaft geworden,
dass der Antragsteller bei einer Räumung keine Ersatzwohnung finden wird. Insoweit
bezieht sich der Senat auf die Auskunft des Bezirksamtes Mitte, Fachstelle für
Wohnungsnotfälle, vom 18. Mai 2009, wonach der Antragsteller wegen der aufgelaufenen
Mietschulden erfahrungsgemäß keine Chance habe, eine Wohnung auf dem freien
Wohnungsmarkt anzumieten. Aus dieser Auskunft ergibt sich weiter, dass auch auf dem
sog. geschützten Marktsegment zur Zeit keine Wohnung für den Antragsteller zur
Verfügung steht. Die Richtigkeit dieser Angabe ist vom Antragsgegner in seiner letzten
Stellungnahme vom 26. Mai 2009 nochmals bestätigt worden. Da auch nicht mit der
erforderlichen Sicherheit vorausgesagt werden kann, wann sich die Angebotslage auf
dem geschützten Marktsegment wieder ändern wird, ist jedenfalls gegenwärtig bei
Räumung des Antragstellers aus seiner bisherigen Wohnung der Eintritt von
Obdachlosigkeit zu besorgen. Die Wohnungslosigkeit kann trotz des bereits vorliegenden
Räumungstitels durch die Übernahme der Mietschulden in Höhe von 4.231,42 Euro noch
abgewendet werden, weil sich der Vermieter für diesen Fall durch Schreiben vom 20. Mai
2009 (nochmals) ausdrücklich bereit erklärt hat, den Räumungstitel herauszugeben und
das Mietverhältnis mit dem Antragsteller fortzusetzen. Für die Kosten der bereits
eingeleiteten Zwangsvollstreckung (vom Vermieter mit bis zu 50 Euro angegeben
worden) kann vom Antragsteller erwartet werden kann, sie aus eigenen Mitteln zu
erstatten.
4
5
6
7
erstatten.
Weiter erscheint die Übernahme der Mietschulden dem Senat – weil kein anderes Mittel
ersichtlich ist - nicht nur notwendig zur Abwendung der Wohnungslosigkeit, sondern
darüber hinaus auch gerechtfertigt im Sinne des § 22 Abs. 5 Satz 2 SGB II zu sein. Die
im Gesetz aufgestellte Voraussetzung einer Rechtfertigung der Schuldenübernahme ist
als unbestimmter Rechtsbegriff zu verstehen, in den auch Billigkeitserwägungen
einfließen können. Nicht gerechtfertigt ist eine Mietschuldenübernahme jedenfalls dann,
wenn die zu sichernde Wohnung nicht angemessen ist (Lang/Link in Eicher/Spellbrink,
SGB II, 2. Aufl. § 22 Rdnr. 109). Es wäre widersprüchlich, den Erhalt einer Wohnung zu
sichern, welche ein Anspruchssteller aus anderen Gründen auf Dauer nicht behalten
kann. Von Unangemessenheit kann für die vom Antragsteller bewohnte Wohnung nach
den Kriterien von Wohnungsgröße und Mietpreis indessen nicht die Rede sein. Die
Wohnfläche beträgt 44,69 m², die monatliche Warmmiete zur Zeit 378,- Euro und liegt
damit innerhalb des durch die Ausführungsvorschriften der Senatsverwaltung für
Integration, Arbeit und Soziales zur Gewährung von Leistungen gemäß § 22 SGB II und
§§ 29 und 34 SGB XII vom 10. Februar 2009 (AV-Wohnen) vorgegebenen Rahmens (vgl.
3.2.1 Abs. 2 der AV-Wohnen).
Die vom Antragsgegner vorgebrachten Einwände sind nicht geeignet, die Rechtfertigung
einer Schuldenübernahme in Frage zu stellen. Die mit der Beschwerde vorgelegte
Wirtschaftlichkeitsberechnung berücksichtigt nicht, dass im Falle einer Räumung
Aufwendungen für eine Notunterbringung des Antragstellers erforderlich werden
könnten, die den Umfang der regelmäßig zu übernehmenden Miete übersteigen würden.
Im Übrigen sind nach den AV-Wohnen zwar „grundsätzlich (…) auch“
Wirtschaftlichkeitsaspekte bei der Ausübung des Ermessens in Bezug auf eine
Mietschuldensübernahme zu berücksichtigen (9.2 Abs. 2 AV-Wohnen), ohne dass aber
an irgendeiner Stelle deutlich werden würde, dass es allein auf die Wirtschaftlichkeit
ankommen soll. Vielmehr wird die Übernahme von Mietschulden bei drohender
Räumung im Regelfall als notwendig angesehen (9.2 Abs. 3 Satz 1 iVm Satz 3 und 4 [ee]
AV-Wohnen). Auch der Umstand, dass der Antragsteller seine Wohnung (auch) zur
Ausübung einer selbständigen Erwerbstätigkeit benutzt, führt nicht dazu, dass eine
Mietschuldensübernahme als nicht gerechtfertigt erscheint. Zwar soll durch die
Übernahme von Mietschulden nach § 22 Abs. 5 SGB II nur Wohnraum erhalten und nicht
ein gewerbliches Mietverhältnis zur Fortsetzung einer selbständigen Erwerbstätigkeit
gesichert werden. Im Falle des Antragstellers ist die gewerbliche Nutzung der
angemieteten Wohnung aber nicht von der zu Wohnzwecken zu trennen, da schon nach
den räumlichen Voraussetzungen keine Möglichkeit zur Aufteilung des Mietverhältnisses
in einen gewerblichen Teil und einen zu Wohnzwecken besteht.
Bedenken hinsichtlich der Rechtfertigung der Mietschuldenübernahme hat der Senat
lediglich im Hinblick darauf, dass der Ursprung der Schulden nicht näher aufgeklärt ist.
Trotz mehrmaliger Nachfrage hat sich der Antragsteller nicht gehalten gesehen, im
Einzelnen darzulegen, aufgrund welcher Umstände er in der Vergangenheit die
geschuldete Miete nicht regelmäßig an seinen Vermieter gezahlt hat. Der gegebene
Hinweis auf eine eingetretene Arbeitslosigkeit verfängt deswegen nicht, weil
Mietschulden – ausweislich des vom Vermieter vorgelegten Kontenspiegels - etwa auch
in der Zeit von August bis September 2007 angewachsen sind, in der sich der
Antragsteller – ausweislich des Bewilligungsbescheides vom 5. April 2007 - bereits im
Leistungsbezug des Antragsgegners befunden hat. Diese Bedenken sind indessen nicht
gewichtig genug, um dem Erlass einer einstweiligen Anordnung entgegen zu stehen. Der
gesetzlichen Vorgabe ist nicht zu entnehmen, dass nur derjenige einen Anspruch auf
Mietschuldenübernahme haben soll, der unverschuldet in eine Situation geraten ist, in
der ihm der Verlust der Wohnung droht. Dagegen spricht, dass das Gesetz die
Abwendung von Wohnungslosigkeit als Ziel in den Vordergrund stellt und in den meisten
Fällen, in denen eine Kündigung oder Räumung wegen Mietrückständen droht, ein
Fehlverhalten des Betroffenen zu dem Entstehen der Situation beigetragen haben
dürfte. Zugunsten des Antragstellers ist auch zu berücksichtigen, dass er sich in der
Vergangenheit zeitweise bemüht hat, seine jedenfalls seit dem Jahr 2004 bestehenden
Mietschulden zurückzuführen.
Ist demnach das Vorliegen der Voraussetzungen des § 22 Abs. 5 Satz 2 SGB II
glaubhaft, ist auch vom Bestehen eines Anordnungsgrundes auszugehen, weil unter
diesen Voraussetzungen Mietschulden übernommen werden sollen. Zusätzliche
Gesichtspunkte, die ausnahmsweise gegen die – nach dem Gesetz als Regelfall
vorgesehene - Übernahme der Mietschulden sprechen würden, sind weder ersichtlich
noch vorgetragen. Der Anordnungsanspruch ergibt sich dann daraus, dass weiteres
Zuwarten die Gefahr des Einleitens der Zwangsräumung durch den Vermieter mit sich
bringen würde, womit vollendete Tatsachen geschaffen wären, die nicht mehr im
8
9
10
bringen würde, womit vollendete Tatsachen geschaffen wären, die nicht mehr im
Nachhinein rückgängig gemacht werden könnten.
Nach alledem konnte die Beschwerde des Antragsgegners keinen Erfolg haben.
Die Entscheidung über die Kosten ergeht entsprechend § 193 SGG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Datenschutzerklärung Kontakt Impressum