Urteil des LSG Berlin-Brandenburg vom 31.10.2008

LSG Berlin-Brandenburg: krankenversicherung, zuschuss, wechsel der krankenkasse, verwaltungsakt, freiwillige versicherung, wiederkehrende leistung, ungerechtfertigte bereicherung, versicherungspflicht

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Gericht:
Landessozialgericht
Berlin-Brandenburg
22. Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
L 22 R 1957/08
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 48 Abs 1 S 1 SGB 10, § 106
SGB 6
Rücknahme eines begünstigenden Sozialleistungsbescheides:
Voraussetzungen der Rücknahme eines Zuschusses zu einer
freiwilligen Krankenversicherung eines Rentenbeziehers nach
Eintritt der gesetzlichen Versicherungspflicht; Eintritt der
gesetzlichen Versicherungspflicht als Änderung zugunsten des
Rentenbeziehers; Erstattung von Beiträgen als
Rücknahmegrund; Kennenmüssen einer durch Urteil des
Bundesverfassungsgerichts herbeigeführten geänderten
Rechtslage
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 31. Oktober
2008 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat der Klägerin auch die Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Aufhebung der Bewilligung von Zuschüssen zur Kranken-
und Pflegeversicherung für die Zeit vom 01. April 2002 bis 30. November 2004 und die
Erstattung dieser Zuschüsse in Höhe von 3.202,25 Euro.
Die Klägerin ist Alleinerbin der 1938 geborenen und zwischen dem 01. und 02. Mai 2009
verstorbenen U R (Versicherte), die zuletzt als Außendienstmitarbeiterin tätig war.
Die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (nachfolgend ebenfalls Beklagte
genannt) bewilligte der freiwillig in der gesetzlichen Krankenversicherung Versicherten
mit Bescheid vom 22. Januar 1999 ihren Anträgen entsprechend ab 01. Mai 1999
Altersrente für Schwerbehinderte, Berufsunfähige oder Erwerbsunfähige und einen
Zuschuss zur Pflegeversicherung. Der Bescheid enthält folgenden Hinweis: „Der
Anspruch auf Beitragszuschuss für die Pflegeversicherung entfällt bei Eintritt von
Versicherungspflicht in der Krankenversicherung sowie bei Eintritt von Beitragsfreiheit in
der Pflegeversicherung. Daher besteht die gesetzliche Verpflichtung, uns jede Änderung
des Kranken- und Pflegeversicherungsverhältnisses unverzüglich mitzuteilen.“
Außerdem wies die Beklagte darauf hin, dass die Versicherte über ihren Antrag auf
Zuschuss zur Krankenversicherung in Kürze weitere Nachricht erhalte.
Mit Bescheid vom 06. April 1999 berechnete die Beklagte die Altersrente wegen
Änderung des Krankenversicherungsverhältnisses ab 01. Mai 1999 neu und bewilligte
zugleich ab diesem Zeitpunkt einen Zuschuss zur Krankenversicherung. Der Bescheid
enthält den Hinweis, dass die im früheren Rentenbescheid gegebenen Hinweise zu
Mitteilungspflichten nach wie vor gelten.
Die Zuschüsse zur Kranken- und zur Pflegeversicherung setzte die Beklagte wie folgt
fest: Ab 01. Januar 2002 80,91 Euro und 12,51 Euro, insgesamt 93,42 Euro (Bescheid
vom 03. August 2001), ab 01. Juli 2002 80,91 Euro und 12,78 Euro, insgesamt 93,69
Euro (Rentenanpassungsmitteilung zum 01. Juli 2002), ab 01. Januar 2003 89,41 Euro
und 12,78 Euro, insgesamt 102,19 Euro (Bescheid vom 03. Januar 2003), ab 01. Juli 2003
89,41 Euro und 12,91 Euro, insgesamt 102,32 Euro (Rentenanpassungsmitteilung zum
01. Juli 2003) und ab 01. Januar 2004 99,46 Euro und 12,91 Euro, insgesamt 112,37 Euro
(Bescheid vom 14. Januar 2004). Mit Bescheid vom 08. März 2004 hob die Beklagte den
Bescheid über die Bewilligung des Zuschusses zur Pflegeversicherung ab 01. April 2004
auf und setzte den Zuschuss zur Krankenversicherung auf (weiter) 99,46 Euro fest.
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Nachdem die Krankenkasse der Versicherten Versicherungspflicht zur
Krankenversicherung ab 01. April 2002 festgestellt hatte, erstattete sie der Versicherten
am 08. Dezember 2004 die für April 2002 bis Oktober 2004 gezahlten Beiträge zur
freiwilligen Krankenversicherung und zur Pflegeversicherung; zugleich meldete sie der
Beklagten diese Änderung des Krankenversicherungsverhältnisses.
Mit Bescheid vom 11. Februar 2005 berechnete die Beklagte die Altersrente ab 01. April
2002 wegen der Änderung des Kranken- und Pflegeversicherungsverhältnisses neu.
Außerdem hob sie den bisherigen Bescheid über die Bewilligung bzw. Änderung des
Beitragszuschusses zur Kranken- und Pflegeversicherung mit Wirkung für die Zukunft ab
01. April 2005 auf. Sie gab Gelegenheit, sich zur Absicht, den bisherigen Bescheid ab 01.
April 2002 aufzuheben und die für die Zeit vom 01. April 2002 bis 31. März 2005
überzahlten Zuschüsse zur Kranken- und Pflegeversicherung in Höhe von 3.600,09 Euro,
zu äußern.
Die Versicherte machte geltend, den überzahlten Beitragszuschuss nicht in einer
Summe zurückzahlen zu können. Mit Bescheid vom 06. April 2005 hob die Beklagte den
Bescheid vom 06. April 1999 über die Bewilligung des Zuschusses zu den Aufwendungen
für die Krankenversicherung und die Pflegeversicherung nach § 48 Sozialgesetzbuch
Zehntes Buch (SGB X) ab 01. April 2002 auf und forderte Erstattung für die Zeit vom 01.
April 2002 bis 31. März 2005 in Höhe von 3.600,09 Euro. In den tatsächlichen oder
rechtlichen Verhältnissen sei am 01. April 2002 mit dem Eintritt von Versicherungspflicht
in der gesetzlichen Krankenversicherung und/oder sozialen Pflegeversicherung eine
wesentliche Änderung eingetreten. Ab diesem Zeitpunkt seien die Voraussetzungen des
gezahlten Zuschusses zur Kranken- und Pflegeversicherung nicht mehr gegeben. Die
Aufhebung ab diesem Zeitpunkt sei statthaft, weil ein Tatbestand des § 48 Abs. 1 Satz 2
Nr. 2 oder Nr. 4 SGB X gegeben sei und die Fristen des § 48 Abs. 4 SGB X noch nicht
abgelaufen seien. Es seien keine Gründe vorgetragen worden, die der Aufhebung des
Bescheides für die Vergangenheit entgegenstehen könnten. Aufgrund der gegebenen
Informationen hätte die Versicherte erkennen müssen, dass durch den Wegfall der
freiwilligen/privaten Krankenversicherung der Anspruch auf die Zuschüsse zur Kranken-
und gegebenenfalls Pflegeversicherung nicht mehr bestehe. Die infolge der Aufhebung
des Bescheides zu Unrecht erbrachten Leistungen seien daher nach § 50 SGB X zu
erstatten.
Den dagegen eingelegten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom
15. November 2006 zurück.
Dagegen hat die Versicherte am 08. Dezember 2006 bei der Beklagten Klage erhoben,
die diese an das Sozialgericht Berlin weitergeleitet hat.
Die Versicherte ist der Ansicht gewesen, die Beklagte habe es unterlassen, sie
anzuhören und pflichtgemäßes Ermessen auszuüben. Dem Bescheid sei nicht zu
entnehmen, ob sich die Beklagte überhaupt der Ausübung pflichtgemäßen Ermessens
bewusst gewesen sei. Außerdem seien die Bescheide über die Bewilligung der
Zuschüsse nicht aufgehoben worden. Es sei nicht ausreichend, dass sich ein
entsprechender Verfügungssatz nur durch Auslegung feststellen lasse. Obwohl die
Beklagte bereits am 07. Dezember 2004 um den Sachverhalt gewusst habe, habe sie
den Erlass des Bescheides vom 06. April 2005 verschleppt, woraus eine Atypik des Falles
für die Rücknahme und Rückforderung folge. Im Übrigen habe sie auf den Bestand der
Bescheide über die Zuschüsse zur Kranken- und Pflegeversicherung vertraut.
Die Versicherte hat beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 06. April 2005 in der Fassung des
Widerspruchsbescheides vom 15. November 2006 aufzuheben.
Die Beklagte hat darauf hingewiesen, dass eine Anhörung im Bescheid vom 11. Februar
2005 erfolgt sei. Eine Aufhebung sei nur für den Bescheid vom 06. April 1999 zwingend
gewesen, weil mit diesem Bescheid erstmalig über die Bewilligung des Zuschusses zur
Kranken-/ Pflegeversicherung entschieden worden sei. Nach Aktenlage liege kein
atypischer Fall vor.
Mit Urteil vom 31. Oktober 2008 hat das Sozialgericht den Bescheid vom 06. April 2005
in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 15. November 2006 aufgehoben,
soweit die zu erstattenden Zuschüsse zur Kranken- und Pflegeversicherung auf mehr als
397,84 Euro festgesetzt werden. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen: Der
Aufhebungs- und Erstattungsbescheid sei teilweise rechtswidrig und verletze die
Versicherte in ihren Rechten. Für Zeiträume vor Dezember 2004 sei die Beklagte nicht
Versicherte in ihren Rechten. Für Zeiträume vor Dezember 2004 sei die Beklagte nicht
berechtigt gewesen, den Bescheid über die Gewährung von Zuschüssen zur freiwilligen
Kranken- und Pflegeversicherung aufzuheben und den überzahlten Betrag
zurückzufordern, da ein Fall des § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X nicht vorliege. Der
angefochtene Bescheid sei formal rechtmäßig, denn mit der Anlage 10 zum Bescheid
vom 11. Februar 2005 habe die Beklagte die Versicherte angehört. Der Bescheid sei
nicht wegen inhaltlicher Unbestimmtheit rechtswidrig. Die Beklagte habe den
ursprünglichen Rentenbescheid, mit dem der Zuschuss erstmalig gewährt worden sei,
aufgehoben. Die zwischenzeitlich erteilten Rentenbescheide gewährten das Recht auf
einen Beitragszuschuss nicht erneut, sondern schrieben dieses allein fort. Des Weiteren
fehle es auch deshalb nicht an der erforderlichen Bestimmtheit, da die Versicherte aus
dem Aufhebungsbescheid genau die betroffene Leistung, den Umfang der Aufhebung
und den betroffenen Zeitraum habe erkennen können. Eine wesentliche Änderung in den
tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen nach § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X sei
eingetreten. Bei Erlass des Bescheides vom 22. Januar 1999 sei die Versicherte freiwillig
in der gesetzlichen Krankenversicherung und der gesetzlichen Pflegeversicherung
versichert gewesen. Gemäß den §§ 106 Abs. 1, 106 a Abs. 1 SGB VI habe sie zu diesem
Zeitpunkt einen Anspruch auf einen Beitragszuschuss zu diesen Versicherungen gehabt.
Eine wesentliche Änderung gegenüber den Verhältnissen im Januar 1999 sei dadurch
eingetreten, dass die Versicherte seit dem 01. April 2002 in der Krankenversicherung der
Rentner und damit auch in der Pflegeversicherung gemäß §§ 5 Abs. 1 Nr. 11 SGB V, 20
Abs. 1 Nr. 11 SGB XI pflichtversichert gewesen sei. Durch den Eintritt einer
Pflichtversicherung in der Krankenversicherung der Rentner habe die freiwillige
Krankenversicherung gemäß § 191 Nr. 2 SGB V geendet. Damit sei kraft Gesetzes der
Anspruch auf einen Beitragszuschuss zu einer freiwilligen Versicherung weggefallen. Für
Zeiträume vor Dezember 2004 habe sich die Beklagte nicht auf die Vorschrift des § 48
Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 SGB X stützen können. Danach solle ein Verwaltungsakt mit Wirkung
vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit der Betroffene
gewusst oder nicht gewusst habe, weil er die erforderliche Sorgfalt in besonders
schwerem Maße verletzt habe, dass der sich aus dem Verwaltungsakt ergebende
Anspruch kraft Gesetzes zum Ruhen gekommen oder ganz oder teilweise weggefallen
sei. Der Anspruch auf den Beitragszuschuss nach den §§ 106, 106 a SGB VI sei zwar
zum 01. April 2002 kraft Gesetzes weggefallen. Die Nichtkenntnis des Wegfalls des
Beitragszuschusses habe für Zeiträume vor Dezember 2004 jedoch nicht auf einer
groben Fahrlässigkeit beruht. Eine solche liege nicht bereits dann vor, wenn der
Betroffene mit der Rechtswidrigkeit lediglich habe rechnen müssen oder diese habe
erkennen können. Vorausgesetzt werde vielmehr, dass er sie aufgrund einfachster und
ganz nahe liegender Überlegungen hätte erkennen können bzw. dass dasjenige
unbeachtet geblieben sei, was im gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen.
(Erst) im Dezember 2004 habe die Krankenkasse der Versicherten mitgeteilt, dass eine
freiwillige Versicherung nicht mehr bestehe. Bis zu diesem Zeitpunkt habe die
Versicherte nicht gewusst, dass sie Pflichtmitglied in der Krankenversicherung der
Rentner gewesen sei und damit keinen Anspruch mehr auf einen Beitragszuschuss zur
freiwilligen Versicherung habe haben können. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG)
habe (zwar) in der Entscheidung vom 15. März 2000 (BVerfGE 102, 68) § 5 Abs. 1 Nr. 11
SGB V in der Fassung des Gesundheitsstrukturgesetzes von 1992 für mit dem
Grundgesetz unvereinbar erklärt und dem Gesetzgeber eingeräumt, bis zum 31. März
2002 eine verfassungsmäßige Regelung zu schaffen. Es habe gleichfalls angeordnet,
dass für den Fall, dass der Gesetzgeber die Verfassungswidrigkeit nicht bis zu diesem
Zeitpunkt beseitigt habe, sich der Zugang zur Krankenversicherung der Rentner ab dem
01. April 2002 nach § 5 Abs. 1 Nr. 11 SGB V in der Fassung des
Gesundheitsreformgesetzes vom 20. Dezember 1988 richte, wonach die
Vorversicherungszeit auch durch Zeiten der freiwilligen Mitgliedschaft erfüllt werden
könne. Dass sich aufgrund der Entscheidung des BVerfG zum 01. April 2002 eine
Pflichtversicherung ergeben habe, habe (jedoch) der Versicherten nicht bekannt sein
müssen. Da die Versicherte laufend freiwillige Beiträge entrichtet habe, habe sie bis zu
dem Zeitpunkt, zu dem sie von der Krankenkasse darüber informiert worden sei,
Pflichtmitglied in der Krankenversicherung der Rentner (und damit auch in der
Pflegeversicherung) zu sein, berechtigterweise davon ausgehen dürfen, freiwilliges
Mitglied der Krankenkasse zu sein und damit auch einen Anspruch auf den
Beitragszuschuss zu haben. Maßgebend für die Beurteilung der Bösgläubigkeit im Sinne
des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 SGB X sei der Zeitpunkt, an dem die Leistung empfangen
werde bzw. der Betreffende von der Auszahlung der Leistung Kenntnis erlange. Eine
Aufhebung könne regelmäßig erst ab dem Zeitpunkt erfolgen, ab dem die
Bösgläubigkeit vorliege, denn ansonsten hätte die Behörde die Möglichkeit, durch ein
nachgeschobenes Informationsschreiben über die Rechtslage jeden redlichen
Leistungsempfänger nachträglich bösgläubig zu machen. Dass aufgrund der
Rückzahlung durch die Krankenkasse im Dezember 2004 die Beitragszuschüsse bei der
Versicherten als finanzielle Mittel (wieder) vorhanden gewesen seien, reiche für eine
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Versicherten als finanzielle Mittel (wieder) vorhanden gewesen seien, reiche für eine
Aufhebung nach § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X nicht aus. Zwar ergebe sich dadurch bei ihr
ein Vermögensvorteil, der ungerechtfertigt sei und den sie auch bei Erhalt der
Rückerstattung hätte erkennen können. Jedoch stelle das Gesetz allein auf die
Gutgläubigkeit bei Empfang der Leistung ab und nicht darauf, ob das Vertrauen des
Leistungsempfängers in das Behalten dürfen des Zugeflossenen schutzwürdig sei.
Anders als § 45 Abs. 2 SGB X sehe das Gesetz bei § 48 Abs. 1 SGB X für die Rücknahme
eine Abwägung zwischen dem öffentlichen und privaten Interesse nicht vor. Ob ein
Widerruf der Bewilligung wegen Zweckverfehlung nach § 47 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SGB X in
Betracht komme, könne dahinstehen, denn es fehle jedenfalls eine danach erforderliche
Ermessensausübung im Bescheid vom 06. April 2005.
Gegen das ihr am 28. November 2008 zugestellte Urteil richtet sich die am 18.
Dezember 2008 eingelegte Berufung der Beklagten.
Sie meint, die Ausführungen des Sozialgerichts zum Nichtvorliegen der
Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 und 4 SGB X seien zwar nachvollziehbar.
Allerdings würden sie der besonderen Fallgestaltung nicht gerecht. Wäre die Zulässigkeit
der rückwirkenden Korrektur im Falle der rückwirkenden Beendigung einer Mitgliedschaft
durch die Krankenkasse allein nach dem Wortlaut des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 SGB X zu
prüfen, käme eine Aufhebung ab dem Zeitpunkt der Änderung in den Verhältnissen nie
in Betracht. Dies könne der Gesetzgeber vor allem deswegen nicht gewollt haben, weil
es dem Umstand nicht Rechnung trage, dass sich für den Rentenberechtigten ein Recht
auf Rückzahlung der freiwilligen Krankenversicherungsbeiträge ergebe. Insoweit bestehe
für diese besondere Fallkonstellation eine gewisse Regelungslücke, die dadurch
geschlossen werden könne, dass entweder im Rahmen des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 SGB
X bei rückwirkender Korrektur des Mitgliedschaftsverhältnisses auch das Wissen um die
rückwirkende Beendigung der freiwilligen Mitgliedschaft mit Rückwirkung wirken müsse
oder im Rahmen des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X durch eine weite Auslegung der
Begriffe Einkommen bzw. Vermögen auch der Zufluss der Erstattungsbeträge erfasst
werde.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 31. Oktober 2008 zu ändern und die Klage in
vollem Umfang abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes sowie des Vorbringens der
Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsakte
der Beklagten (), der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung ist unbegründet.
Das Sozialgericht hat den Bescheid vom 06. April 2005 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 15. November 2006 zu Recht bezogen auf den Zeitraum
vom 01. April 2002 bis 30. November 2004 mit einem Erstattungsbetrag von 3.202,25
Euro aufgehoben, denn dieser Bescheid ist rechtswidrig und verletzte die Versicherte in
ihren Rechten. Die Voraussetzungen einer Aufhebung nach § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X
liegen nicht vor, so dass auch keine Erstattung nach § 50 Abs. 1 Satz 1 SGB X verlangt
werden kann.
Die Klägerin ist mit dem Tod der Versicherten sachlegitimiert geworden. Mangels
Sonderrechtsnachfolge (§ 56 Abs. 1 SGB I) finden die allgemeinen Regelungen über die
Rechtsnachfolge statt (vgl. auch § 58 Satz 1 SGB I). Nach dem Erbschein des
Amtsgerichts Schöneberg vom 29. September 2009 ist die Klägerin Alleinerbin der
Versicherten geworden und haftet daher für die Nachlassverbindlichkeiten (§ 1967 Abs. 1
Bürgerliches Gesetzbuch – BGB), also insbesondere für die vom Erblasser herrührenden
Schulden (§ 1967 Abs. 2 BGB), denn mit dem Tod einer Person (Erbfall) geht deren
Vermögen (Erbschaft) als Ganzes auf eine oder mehrere andere Personen (Erben) über
(§ 1922 Abs. 1 BGB).
Der Bescheid vom 06. April 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.
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Der Bescheid vom 06. April 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.
November 2006 findet seine Rechtsgrundlage in § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X, dessen
Voraussetzungen erfüllt sind, wie das Sozialgericht zutreffend ausgeführt hat.
Nach § 106 Abs. 1 SGB VI in der Fassung der Bekanntmachung vom 19. Februar 2002
(BGBl I 2002, 754) galt: Rentenbezieher, die freiwillig in der gesetzlichen
Krankenversicherung oder bei einem Krankenversicherungsunternehmen, das der
deutschen Aufsicht unterliegt, versichert sind, erhalten zu ihrer Rente einen Zuschuss zu
den Aufwendungen für die Krankenversicherung. Dies gilt nicht, wenn sie gleichzeitig in
der gesetzlichen Krankenversicherung pflichtversichert sind. § 106 a Abs. 1 SGB VI in der
Fassung der Bekanntmachung vom 19. Februar 2002 (BGBl I 2002, 754), der zum 01.
April 2004 durch Gesetz vom 27. Dezember 2003 (BGBl I 2003, 3013) aufgehoben
wurde, bestimmte: Rentenbezieher, die in der gesetzlichen Krankenversicherung freiwillig
versichert oder nach den Vorschriften des SGB XI verpflichtet sind, bei einem privaten
Krankenversicherungsunternehmen einen Versicherungsvertrag zur Absicherung des
Risikos der Pflegebedürftigkeit abzuschließen und aufrechtzuerhalten, erhalten zu ihrer
Rente einen Zuschuss zu den Aufwendungen für die Pflegeversicherung. Mit dem Eintritt
und der Feststellung von Pflichtversicherung zur gesetzlichen Krankenversicherung und
damit zugleich in der sozialen Pflegeversicherung zum 01. April 2002 standen der bisher
in der gesetzlichen Krankenversicherung freiwillig Versicherten die von der Beklagten
bewilligten Zuschüsse zur Kranken- und Pflegeversicherung nicht mehr zu. Diese
wesentliche Änderung berechtigte die Beklagte grundsätzlich, die Bescheide über die
Gewährung dieser Zuschüsse aufzuheben. Es genügte hierbei, den Bescheid
aufzuheben, mit dem die erstmalige Zuerkennung eines solchen Zuschusses verfügt
wurde, denn bei einem einen Zuschuss bewilligenden Bescheid handelt es sich um einen
Verwaltungsakt mit Dauerwirkung, durch den ein solcher Zuschuss als regelmäßig
wiederkehrende Leistung bewilligt wird (Bundessozialgericht – BSG, Urteil vom 20.
Februar 1986 – 4a RJ 93/84, zitiert nach juris; BSG, Urteil vom 09. Juni 1988 – 4 RA 9/88,
abgedruckt in SozR 1300 § 48 Nr. 47 = BSGE 63, 224). Nachfolgende Anpassungen der
Höhe des Zuschusses nach § 106 Abs. 2 Sätze 1 und 2 SGB VI in der Fassung der
Bekanntmachung vom 19. Februar 2002 (BGBl I 2002, 754) und der Änderung zum 01.
Januar 2004 durch Gesetz vom 27. Dezember 2003 (BGBl I 2003, 3013) und § 106 a Abs.
2 Satz 1 SGB VI in der Neufassung der Bekanntmachung vom 19. Februar 2002 (BGBl I
2002, 754), wonach für Rentenbezieher, die freiwillig in der gesetzlichen
Rentenversicherung versichert waren, der monatliche Zuschuss in Höhe des halben
Betrages geleistet wurde, der sich aus der Anwendung des durchschnittlichen
allgemeinen Beitragssatzes der Krankenkassen bzw. des allgemeinen Beitragssatzes
ihrer Krankenkasse bei entsprechender Anwendung des § 247 Abs. 1 SGB V auf den
Zahlbetrag der Rente ergab, sowie der monatliche Zuschuss zur Pflegeversicherung in
Höhe des Betrages geleistet wurde, den der Träger der Rentenversicherung als
Pflegeversicherungsbeitrag für Rentenbezieher zu tragen hatte, resultierend aus einem
Wechsel der Krankenkasse oder aus Beitragssatzänderungen in der gesetzlichen
Kranken- und sozialen Pflegeversicherung, durch entsprechende Bescheide der
Beklagten berühren den Anspruch auf den Zuschuss dem Grunde nach nicht, denn mit
ihnen wird (regelmäßig) keine (erneute) Regelung dazu getroffen (siehe zur
vergleichbaren Rechtslage bei Rentenanpassungsmitteilungen: BSG, Urteil vom 23. März
1999 – B 4 RA 41/98 R, abgedruckt in SozR 3-1300 § 31 Nr. 13; vgl. auch BSG, Urteil 24.
Januar 1995 – 8 RKn 11/93, abgedruckt in SozR 3-1300 § 50 Nr. 17 = BSGE 75, 291).
Beschränkt sich mithin deren Verfügungssatz auf die Veränderung der Zuschusshöhe,
erledigen sich diese Bescheide nach Aufhebung des den Zuschuss dem Grunde nach
bewilligenden (Erst)Bescheides damit auf andere Weise (§ 39 Abs. 2 SGB X).
Mit Bescheid vom 06. April 2005 hob die Beklagte den Bescheid vom 06. April 1999 auf.
Mit letztgenanntem Bescheid bewilligte die Beklagte allerdings dem Grunde nach
erstmalig lediglich einen Zuschuss zur Krankenversicherung. Hingegen erfolgte die dem
Grunde nach erstmalige Bewilligung eines Zuschusses zur Pflegeversicherung durch
Bescheid vom 22. Januar 1999. Ob es zutrifft, wie das Sozialgericht – in Unkenntnis des
Inhalts der Bescheide vom 22. Januar 1999 und 06. April 1999, denn diese Bescheide
lagen ihm nicht vor, – meint, es fehle dem Bescheid vom 06. April 2005 nicht an der
erforderlichen Bestimmtheit, da nach Aufhebung des „ursprünglichen
Rentenbescheides, mit dem der Zuschuss erstmalig gewährt“ (Bescheid vom 22. Januar
1999) worden sei, die Versicherte aus dem Aufhebungsbescheid genau die betroffene
Leistung, den Umfang der Aufhebung und den betroffenen Zeitraum habe erkennen
können, ob also der Bescheid vom 06. April 2005 einer Auslegung dahingehend
zugänglich ist, dass auch der Bescheid vom 22. Januar 1999 bezüglich der Bewilligung
des Zuschusses zur Pflegeversicherung aufgehoben wird, lässt der Senat offen.
Jedenfalls liegen die Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X nicht vor.
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Nach dieser Vorschrift gilt: Der Verwaltungsakt soll mit Wirkung vom Zeitpunkt dr
Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit
1. die Änderung zugunsten des Betroffenen erfolgt,
2. der Betroffene einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung
wesentlicher für ihn nachteiliger Änderungen der Verhältnisse vorsätzlich oder grob
fahrlässig nicht nachgekommen ist,
3. nach Antragstellung oder Erlass des Verwaltungsaktes Einkommen oder Vermögen
erzielt worden ist, das zum Wegfall oder zur Minderung des Anspruchs geführt haben
würde, oder
4. der Betroffene wusste oder nicht wusste, weil er die erforderliche Sorgfalt in besonders
schwerem Maße verletzt hat, dass der sich aus dem Verwaltungsakt ergebende
Anspruch kraft Gesetzes zum Ruhen gekommen oder ganz oder teilweise weggefallen
ist.
Eine Änderung zugunsten der Versicherten ist nicht erfolgt.
Der Eintritt von Pflichtversicherung in der gesetzlichen Kranken- und sozialen
Pflegeversicherung bewirkte zwar, dass die Versicherte nicht mehr wie als freiwillig
Kranken- und Pflegeversicherte die Beiträge allein (§ 250 Abs. 2 SGB V, § 59 Abs. 4 Satz
1 SGB XI), sondern nur anteilig in Höhe von ca. der Hälfte der Beiträge (§ 249 a SGB V, §
59 Abs. 1 SGB XI in der bis zum 31. März 2004 geltenden Fassung) zu tragen hatte. Dies
stellt jedoch keine Änderung im Sinne des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB X dar. Dies wäre
nur der Fall, wenn der infolge der Änderung zu erlassende Verwaltungsakt
(Verfügungssatz) im Vergleich zu dem Verfügungssatz, der wegen der Änderung
aufzuheben ist, die Versicherte im Sinne des § 45 Abs. 1 SGB X begünstigte, das heißt
ihr einen rechtlichen Vorteil brächte (BSG, Urteil vom 09. Juni 1988 – 4/1 RA 57/87,
abgedruckt in SozR 2200 § 1255 a Nr. 19). Ein solcher rechtlicher Vorteil scheidet aus,
denn infolge der Änderung, dem Eintritt von Pflichtversicherung in der gesetzlichen
Kranken- und sozialen Pflegeversicherung, ist der Verfügungssatz über die Bewilligung
entsprechender Zuschüsse in vollem Umfang aufzuheben.
Die Versicherte hat auch keine Pflicht zur Mitteilung wesentlicher Änderungen verletzt.
Die Beendigung der freiwilligen Kranken- und sozialen Pflegeversicherung durch den
Eintritt einer entsprechenden Pflichtversicherung konnte die Versicherte der Beklagten
nicht vor dem 08. Dezember 2004 mitteilen, denn erst zu diesem Zeitpunkt erhielt sie
selbst Kenntnis über diesen Sachverhalt.
Die Versicherte hat auch nach Erlass der Bescheide über die bewilligenden Zuschüsse
kein Einkommen oder Vermögen erzielt, das zum Wegfall des Anspruches geführt haben
würde.
Es bedürfte zwar nicht der von der Beklagten angeregten weiten Auslegung der Begriffe
Einkommen bzw. Vermögen, um den Zufluss der Erstattungsbeträge der Krankenkasse
unter diese Begriffe zu fassen. Zu ihnen rechnen jegliche geldwerten Einnahmen, die die
Finanzlage des Betroffenen tatsächlich verbessern (vgl. Schütze in von Wulffen, SGB X,
Kommentar, 6. Auflage, § 48 Rdnr. 25; Waschull in LPK-SGB X, 2. Auflage, § 48 Rdnr. 65;
Rüfner in Wannagat, Sozialgesetzbuch, SGB X/1, 76. Lieferung, § 48 Rdnr. 53;
Freischmidt in Hauck/Noftz, SGB X, K § 48 Rdnr. 19; Gregarek in Jahn, SGB X, 208.
Ergänzungslieferung, § 48 Rdnr. 46). Gleichfalls wäre es unbedenklich, als Zeitpunkt der
Änderung der tatsächlichen Verhältnisse den Beginn des Erstattungszeitraumes, ab
dem die Krankenkasse der Versicherten die Beiträge zur freiwilligen Kranken- und zur
sozialen Pflegeversicherung, nämlich ab April 2002 bis Oktober 2004, erstattete,
anzusehen. Nach § 48 Abs. 1 Satz 3 SGB X gilt als Zeitpunkt der Änderung der
Verhältnisse in Fällen, in denen Einkommen oder Vermögen auf einen zurückliegenden
Zeitraum aufgrund der besonderen Teile dieses Gesetzbuches anzurechnen ist, der
Beginn des Anrechnungszeitraums. Eine entsprechende Anwendung dieser Vorschrift
erscheint sachgerecht, denn die Beträge, die von der Krankenkasse erstattet wurden,
wurden für diesen Zeitraum gezahlt (vgl. auch das von der Beklagten genannte Urteil
des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 21. September 2005 – L 28 AL
109/04, zitiert nach juris). Allerdings ist damit noch nicht der Tatbestand des § 48 Abs. 1
Satz 2 Nr. 3 SGB X (vollständig) erfüllt. Nach dieser Regelung muss das Einkommen
oder Vermögen (gerade) zum u. a. Wegfall des Anspruchs geführt haben. Es bedarf also
der Kausalität zwischen dem Erwerb des Einkommens bzw. Vermögens und dem Wegfall
des Anspruches. Daran fehlt es. Nicht die der Versicherten gezahlten
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des Anspruches. Daran fehlt es. Nicht die der Versicherten gezahlten
Erstattungsbeträge, sondern der Eintritt und die Feststellung von Versicherungspflicht
zur Kranken- und sozialen Pflegeversicherung bewirkten den Wegfall der Ansprüche auf
Zuschüsse zur Kranken- und Pflegeversicherung, in deren Folge überhaupt erst
Erstattungsbeträge der Krankenkasse entstanden und an die Versicherte gezahlt
wurden.
Entgegen der Ansicht der Beklagten kann auf das Tatbestandsmerkmal der
Ursächlichkeit nicht verzichtet werden. Es wäre nicht nachvollziehbar und nicht
sachgerecht, auch solches Einkommen und Vermögen zu erfassen, das für das
Bestehen oder Nichtbestehen des Anspruches ohne jegliche Relevanz ist. Aus dem
Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 21. September 2005 – L 28 AL
109/04 folgt nichts anderes. Maßgebend für die Aufhebung des bewilligenden
Verwaltungsaktes mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse an war in
jenem Fall, dass der dortige Kläger seiner Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn
nachteiliger Änderungen der Verhältnisse vorsätzlich nicht nachgekommen war.
Der Versicherten fällt auch eine rechtlich erhebliche Sorgfaltspflichtverletzung, die dazu
geführt hat, dass sie keine Kenntnis vom Wegfall der Ansprüche auf die Zuschüsse zur
Kranken- und Pflegeversicherung hatte, vor dem 08. Dezember 2004 nicht zur Last.
Der Senat folgt dem Sozialgericht insoweit aus den Gründen der angefochtenen
Entscheidung. Es entspricht, soweit ersichtlich, einer weitgehend einhelligen Auffassung
in Literatur und Rechtsprechung, dass die Kenntnis oder die grob fahrlässige Unkenntnis
vom Wegfall des Anspruches in dem Zeitpunkt bestanden haben muss, in dem der
Empfänger Kenntnis von der Auszahlung oder Weiterleitung erhalten hat, wobei der
Begünstigte eines Verwaltungsaktes grundsätzlich nicht verpflichtet ist, die
Rechtsentwicklung zu beobachten. Veränderungen durch einschneidende Gesetze –
jedenfalls wenn die Gesetzesänderungen vorbereitend öffentlich bekannt gemacht
worden sind (so als obiter dictum: BSG, Urteil vom 04. Juli 1989 – 9 RVs 3/88, abgedruckt
in SozR 1300 § 48 Nr. 57 = BSGE 65, 185) - können jedoch zurechenbar sein (Schütze in
von Wulffen, a.a.O., § 48 Rdnr. 28; Waschull in LPK-SGB X, a.a.O., § 48 Rdnrn. 71 und 72;
jeweils unter Hinweis auf BSG, Urteil vom 15. Februar 1979 – 7 RAr 63/77, abgedruckt in
SozR 4100 § 152 Nr. 8; Rüfner in Wannagat, a.a.O., § 48 Rdnr. 58; Freischmidt in
Hauck/Noftz, a.a.O., K § 48 Rdnr. 21; Gregarek in Jahn, SGB X, a.a.O., Rdnrn. 54 und 55,
der wohl in Abweichung der dort zitierten Rechtsprechung des BSG im Urteil vom 04. Juli
1989 – 9 RVs 3/88 wegen des Grundsatzes der formellen Publizität auch eine Pflicht zur
Kenntnisnahme der Gesetze und daran anknüpfend Bösgläubigkeit bei entsprechender
Pflichtverletzung annimmt). Ob letztgenannter Ansicht zu folgen ist, bedarf keiner
Entscheidung, denn in jedem Fall ist Voraussetzung, dass der Betroffene aufgrund
einfachster und ganz nahe liegender Überlegungen hätte erkennen können, dass nach
dem Gesetz der Anspruch weggefallen ist. Dies ist vorliegend nicht der Fall. Maßgebend
für den Eintritt von Pflichtversicherung zur Kranken- und sozialen Pflegeversicherung war
kein Gesetz im formellen Sinne. Vielmehr beruhte diese Änderung auf der vom
Sozialgericht genannten Entscheidung des BVerfG, der (allein) wegen § 31 Abs. 2 Satz 1
in Verbindung mit § 13 Nr. 11 Bundesverfassungsgerichtsgesetz (BVerfGG)
Gesetzeskraft zukam, so dass deswegen die Entscheidungsformel im Bundesgesetzblatt
zu veröffentlichen war (§ 31 Abs. 2 Satz 3 BVerfGG). Aufgrund dieser
Entscheidungsformel konnte von der Versicherten in ihrer beruflichen Stellung als
Außendienstmitarbeiterin nicht erwartet werden, dass sie die daraus resultierenden
Rechtsfolgen zu erkennen in der Lage war. Tritt das Wissen oder Wissen müssen erst
nachträglich ein, so kommt eine Aufhebung erst nach diesem Zeitpunkt in Betracht (so
auch Kommentar der gesetzlichen Rentenversicherung - KomGRV -, 58.
Ergänzungslieferung, § 48 SGB X Rdnr. 5.4). Die oben genannte Rechtsprechung des
BSG (Urteile vom 20. Februar 1986 – 4a RJ 93/84 und vom 09. Juni 1988 – 4 RA 9/88) zu
den Voraussetzungen der Entziehung eines Beitragszuschusses zur freiwilligen
Krankenversicherung setzt ebenfalls voraus, dass der Betroffene bei Auszahlung dieser
Zuschusses wusste oder nur infolge grober Fahrlässigkeit nicht wusste, dass der
Anspruch darauf entfallen ist. Diese Regelung ist Ausdruck des allgemeinen
Rechtsgedankens des Verbotes des Rechtsmissbrauches, wonach sich niemand auf eine
formale Rechtsposition berufen darf, wenn er deren materielle Unrechtmäßigkeit kennt
(Gregarek in Jahn, SGB X, a.a.O., § 48 Rdnr. 53).
Dem Tatbestandsmerkmal der so genannten Bösgläubigkeit in § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4
SGB X kommt maßgebliche Bedeutung zu, wie der Gesetzgebungsverlauf zeigt.
Während der Gesetzentwurf der Bundesregierung (Bundestagsdrucksache 8/2034 S. 15
zu § 46 SGB X – Entwurf) vorsah, dass „4. der sich aus dem Verwaltungsakt ergebende
Anspruch kraft Gesetzes zum Ruhen gekommen oder ganz oder teilweise weggefallen
ist.“, erhielt diese Vorschrift durch Beschlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit und
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ist.“, erhielt diese Vorschrift durch Beschlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit und
Sozialordnung (Bundestags-Drucksache 8/4022, S. 31) den Wortlaut, dass „4. der
Betroffene wusste oder nicht wusste, weil er die erforderliche Sorgfalt in besonders
schwerem Maße verletzt hat, dass der sich aus dem Verwaltungsakt ergebende
Anspruch kraft Gesetzes zum Ruhen gekommen oder ganz oder teilweise weggefallen
ist.“ Nach der Begründung (S. 83) sollte mit dieser Änderung eine Anpassung an die
Änderung in § 43 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X-Entwurf (als Gesetz § 45 SGB X) erfolgen.
Das von der Beklagten vorgelegte Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts vom 01.
Februar 2008 – L 4 R 470/06 steht mit der dargelegten Gesetzeslage nicht in Einklang.
Nach diesem Urteil komme es nicht darauf an, ob der Kläger in der Zeit vom 01. Juli
2002 bis zum Erhalt des Schreibens seiner Krankenkasse vom 27. Januar 2003
bösgläubig gewesen sei, oder ob ihm für diesen Zeitraum eine Sorgfaltspflichtverletzung
vorzuhalten sei. Einen ungerechtfertigten rechtlichen und wirtschaftlichen Vorteil habe
der Kläger im Verhältnis zur Beklagten nämlich erst gehabt, als seine Krankenkasse das
dort bestehende Beitragsguthaben mit rückständigen Beiträgen zur gesetzlichen
Krankenversicherung verrechnet und das übrige Guthaben erstattet habe. Daher
komme es auch nicht darauf an, ob dem Kläger ein etwaiges Verschulden seiner
Krankenkasse zuzurechnen sei. Denn erst durch die Erstattung am 25. Februar 2003 sei
der Kläger (wieder) in den Genuss von ursprünglich von der Beklagten gewährten
Beitragszuschüssen gekommen, für die kein Rechtsgrund mehr bestanden habe, was er
im Zeitpunkt der Erstattung seitens der Krankenkasse auch gewusst habe.
Diesem Urteil ist nicht zu folgen. Zum einen war der dortige Kläger und war die hiesige
Versicherte nicht „(wieder) in den Genuss von ursprünglich von der Beklagten gewährten
Beitragszuschüssen gekommen“; vielmehr trat diese Wirkung mit deren Bewilligung und
Auszahlung ein und dauerte ununterbrochen fort. Mit der Zahlung der Beiträge zur
gesetzlichen Kranken- und sozialen Pflegeversicherung unter Verwendung der von der
Beklagten gewährten Beitragszuschüssen verblieb der dortige Kläger und die hiesige
Versicherte im Genuss dieser Beitragszuschüsse, denn deren Rechtsposition wurde
durch die Beitragszahlung unter Verwendung der Zuschüsse nicht geschmälert. Mit dem
Eintritt und der Feststellung von Versicherungspflicht (und nicht erst mit der sich daran
anknüpfenden Erstattung der Beiträge seitens der Krankenkasse) trat allerdings beim
dortigen Kläger und der hiesigen Versicherten ein ungerechtfertigter rechtlicher und
wirtschaftlicher Vorteil ein. Eine solche dem materiellen Recht widersprechende
Bereicherung liegt allen Tatbestandsalternativen des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nrn. 2 bis 4 SGB
X zugrunde. Das Gesetz lässt eine solche Bereicherung aber zur Aufhebung eines eine
Leistung bewilligenden Bescheides noch nicht genügen. Es stellt in den Fällen des § 48
Abs. 1 Satz 2 Nrn. 2 und 4 SGB X zusätzlich auf ein treuwidriges Verhalten des
Bereicherungsempfängers ab. Im Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts wird
dieses Merkmal für unwesentlich gehalten, ohne dass eine Begründung dafür gegeben
wird, weswegen es darauf entgegen dem Wortlaut nicht ankommen soll.
Die Beklagte räumt ein, dass die Versicherte zum Zeitpunkt des Wirksamwerdens der
Änderung der Verhältnisse am 01. April 2002 die Rechtswidrigkeit des die Zuschüsse
bewilligenden Bescheides weder gekannt habe noch hätte erkennen können. Sie meint,
es bestehe für die vorliegende besondere Fallkonstellation eine gewisse Regelungslücke.
Allerdings benennt sie gleichfalls keine Gründe, die es rechtfertigen könnten, diese Lücke
durch eine einschränkende Auslegung des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nrn. 2 bis 4 SGB X unter
Außerachtlassung insbesondere von Vertrauensschutzgründen auf Seiten des
Betroffenen zu schließen, also ausnahmsweise allein die ungerechtfertigte Bereicherung
ausreichen zu lassen. Es erschließt sich dem Senat nicht, weswegen Betroffene eines
Vertrauensschutzes nicht bedürfen oder nicht schutzwürdig sind, wenn, so die Ansicht
der Beklagten „zwei Entscheidungen der Verwaltung zusammentreffen, die so eng
miteinander verknüpft sind, dass die Entscheidung des einen Leistungsträgers zum
direkten Wegfall einer Leistung des anderen Leistungsträgers führt.“
Unabhängig davon vermag der Senat eine Regelungslücke nicht zu erkennen.
Eine besondere Fallgestaltung liegt nicht vor. Die Beendigung einer freiwilligen
Mitgliedschaft in der Krankenversicherung durch Eintritt einer Pflichtversicherung in der
Krankenversicherung stellt keinen besonderen Sachverhalt dar. Es ist auch nicht
ungewöhnlich, dass mangels - verschuldet oder unverschuldet - (ausreichender)
Ermittlungen einer Behörde ein Sachverhalt erst nachträglich hinsichtlich seiner
rechtlichen Wirkungen (zutreffend) erkannt wird und deswegen mit Rückwirkung
Rechtsfolgen durch Verwaltungsakte gesetzt werden. Schließlich stellt es keine
Besonderheit dar, dass bei einem solchen Sachverhalt Dritte, auch Behörden, betroffen
sein können. Es deutet nichts darauf hin, dass dem Gesetzgeber solche nicht unüblichen
Sachverhalte unbekannt geblieben sein sollten. Gleichwohl hat er bei Vorhandensein
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Sachverhalte unbekannt geblieben sein sollten. Gleichwohl hat er bei Vorhandensein
eines Vertrauensschutzes des Betroffenen diesem in § 48 Abs. 1 Satz 2 Nrn. 2 und 4
SGB X den Vorrang vor der Herstellung der objektiven Rechtslage für die Vergangenheit
eingeräumt.
Unter Berücksichtigung dessen erweist sich der Umstand, dass der Krankenkasse die
Pflichtversicherung der Versicherten in der gesetzlichen Kranken- und sozialen
Pflegeversicherung erst im Dezember 2004 bekannt wurde als ebenso wenig
außergewöhnlich wie die Tatsache, dass dadurch die Beklagte entgegen der wahren
Rechtslage Zuschüsse zur freiwilligen Kranken- und Pflegeversicherung erbrachte.
Es trifft auch nicht zu, wie die Beklagte meint, dass bei Beendigung einer freiwilligen
Mitgliedschaft in der gesetzlichen Krankenversicherung durch Eintritt einer
Pflichtversicherung eine rückwirkende Aufhebung eines Zuschuss bewilligenden
Bescheides der Beklagten nie in Betracht käme. Dies ist immer dann möglich, wenn die
Pflichtversicherung in der gesetzlichen Krankenversicherung dem Betroffenen gegenüber
zwar zeitnah festgestellt wurde oder ihm bereits vorher bekannt war, dieser Umstand
jedoch dem Rentenversicherungsträger vom Betroffenen oder der Krankenkasse erst
mit zeitlicher Verzögerung mitgeteilt wurde.
Der vorliegende Sachverhalt zeichnet sich wesentlich dadurch aus, dass es offensichtlich
die Krankenkasse trotz des oben genannten Urteils des BVerfG versäumte, bei ihren
vermeintlich freiwilligen Mitgliedern den Sachverhalt einer Pflichtversicherung zeitnah zu
prüfen. Ein solcher Sachverhalt rechtfertigt es nicht, den insbesondere in § 48 Abs. 1
Satz 2 Nr. 4 SGB X den Betroffenen eingeräumten Vertrauensschutz außer Acht zu
lassen.
Eine weitere Rechtsgrundlage, auf die sich die Beklagte stützen könnte, gibt es nicht.
Insbesondere scheidet § 47 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SGB X aus.
Danach kann ein rechtmäßiger begünstigender Verwaltungsakt, der eine Geld- oder
Sachleistung zur Erfüllung eines bestimmten Zweckes zuerkannt oder hierfür
Voraussetzung ist, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise
auch mit Wirkung für die Vergangenheit widerrufen werden, wenn die Leistung nicht,
nicht alsbald nach der Erbringung oder nicht mehr für den in dem Verwaltungsakt
bestimmten Zweck verwendet wird.
Unabhängig davon, dass die Beklagte das danach erforderliche Ermessen nicht
ausgeübt hat, was einer Umdeutung nach § 43 Abs. 1 SGB X bereits entgegenstehen
dürfte, fehlt es an der Zuerkennung zur Erfüllung eines bestimmten Zwecks. Dafür reicht
es nicht aus, dass lediglich die mit der Leistung nach dem Gesetz verfolgten Ziele – wie
vorliegend mit der Bezeichnung Beitragszuschuss zur Pflegeversicherung und
Beitragszuschuss zur Krankenversicherung – wiedergegeben werden. Vielmehr erfordert
eine Zuerkennung die Bestimmung, dass der Empfänger die Leistung nur zur Zahlung
seiner Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung verwenden darf (vgl. BSG, Urteil
vom 14. Dezember 2000 – B 11 AL 63/00 R, abgedruckt in SozR 3-1300 § 47 Nr. 1 =
BSGE 87, 219 zum Zuschuss zum Arbeitsentgelt nach § 33 Abs. 2
Schwerbehindertengesetz).
Die Berufung der Beklagten muss daher erfolglos bleiben.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) und
entspricht dem Ergebnis des Rechtsstreits.
Die Revision ist nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen hierfür (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1
und 2 SGG) nicht vorliegen. Der Senat folgt den oben genannten Urteilen des BSG.
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