Urteil des LSG Berlin-Brandenburg vom 21.09.2010

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Landessozialgericht Berlin-Brandenburg
Urteil vom 21.09.2010 (rechtskräftig)
Sozialgericht Berlin S 99 AS 4856/06
Landessozialgericht Berlin-Brandenburg L 5 AS 2001/07
Auf die Berufung des Klägers wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 05. September 2007
aufgehoben. Der Bescheid vom 25. Oktober 2006 wird geändert.
Der Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger für die Zeit vom 01. Oktober 2005 bis zum 31. März 2006 weitere
Regelleistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in Höhe von 30 Euro monatlich zu gewähren.
Der Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten des Klägers zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist die Höhe der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch
(SGB II) für die Zeit von Oktober 2005 bis März 2006 und dabei der Abzug einer Energiekostenpauschale.
Der 1952 geborene alleinstehende Kläger bewohnt ein Zimmer in einem Wohnheim, in dem die Miete einschließlich
aller Nebenkosten in dem streitigen Zeitraum 11 Euro pro Tag betrug. Nach Auskunft des Vermieters wird der Kläger
mit sämtlicher Energie für Beleuchtung, zum Kochen, Waschen, Heizen, Kühlen usw. versorgt, deren Kosten durch
Entrichtung des Tagessatzes abgegolten sind. Auf den Antrag des Klägers vom 30. September 2005 gewährte der
Beklagte dem Kläger mit Bescheid vom 05. Oktober 2005 für die Zeit vom 01. Oktober 2005 bis zum 31. März 2006
eine monatliche Regelleistung von 315 Euro, jedoch keine Kosten der Unterkunft. Den Widerspruch des Klägers
hiergegen wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 16. Mai 2006 mit der Begründung zurück, Leistungen für
Kosten der Unterkunft würden "vorerst nicht bewilligt". Da der Kläger in einem Wohnheim untergebracht sei, sei von
dem Regelsatz eine Energiekostenpauschale in Höhe von 30 Euro monatlich abzuziehen.
Hiergegen hat der Kläger am 02. Juni 2006 Klage erhoben und u.a. die ungekürzte Auszahlung der Regelleistung
begehrt. Mit Änderungsbescheid vom 25. Oktober 2006 sind dem Kläger Leistungen zur Sicherung des
Lebensunterhalts für die Zeit vom 01. Oktober 2005 bis zum 31. März 2006 wie folgt bewilligt worden: für die Zeit vom
01. bis 31. Oktober 2005 in Höhe von 656 Euro, für die Zeit vom 01. bis 30. November 2005 in Höhe von 645 Euro, für
die Zeit vom 01. bis 31. Dezember 2005 in Höhe von 656 Euro, für die Zeit vom 01. bis 31. Januar 2006 in Höhe von
656 Euro, für die Zeit vom 01. bis 28. Februar 2006 in Höhe von 623 Euro und für die Zeit vom 01. bis 31. März 2006
in Höhe von 656 Euro. Dabei wurden monatlich die Regelleistung in Höhe von 345 Euro abzüglich einer
Energiekostenpauschale in Höhe von 30 Euro sowie Kosten der Unterkunft in Höhe von täglich 11 Euro multipliziert
mit der Zahl der Tage des jeweiligen Monats zugrunde gelegt.
Mit weiteren Bescheiden vom 25. Oktober 2006 hat der Beklagte dem Kläger für die Zeit vom 01. April bis 31. Oktober
2006 sowie für die Zeit vom 01. September 2006 bis zum 28. Februar 2007 Leistungen nach den gleichen
Grundsätzen gewährt.
Der Kläger hat seine Klage im Hinblick auf die vollständige Gewährung der Regelleistung aufrechterhalten, da er den
Energiekostenabzug nicht für gerechtfertigt hält. Mit Gerichtsbescheid vom 05. September 2007 hat das Sozialgericht
die Klage abgewiesen. Die angegriffenen Bescheide seien in der Fassung des Bescheides vom 25. Oktober 2006 als
rechtmäßig anzusehen. Gegenstand des Verfahrens sei dabei der Bewilligungsabschnitt Oktober 2005 bis März 2006.
Der Beklagte habe zu Recht eine Energiekostenpauschale von 30 Euro vom Bedarf des Klägers abgesetzt, da die
Kosten für die Beleuchtung, Kochen und die Warmwasserbereitung bereits im Regelsatz enthalten seien, so dass
dieser Betrag, soweit er – wie in diesem Fall – in den vom Leistungsträger zu tragenden mietvertraglich vereinbarten
Kosten der Unterkunft enthalten sei, vom Regelsatz abzusetzen sei. Da der Kläger mit seiner Klage in weit
überwiegendem Ausmaß Erfolg habe, habe der Beklagte die außergerichtlichen Kosten des Klägers zu erstatten. Das
Sozialgericht hat die Berufung ausdrücklich zugelassen.
Gegen den ihm am 24. September 2007 zugestellten Gerichtsbescheid richtet sich die am 22. Oktober 2007
eingegangene "Beschwerde" des Klägers. Der Gerichtsbescheid sei nicht akzeptabel; die ihm seit Oktober 2005
zustehenden Leistungen würden nicht vollständig ausgezahlt.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin aufzuheben, den Bescheid vom 25. Oktober 2006 zu ändern und den
Beklagten zu verpflichten, ihm für die Zeit vom 01. Oktober 2005 bis 31. März 2006 monatlich weitere 30 EUR
Regelleistung zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Nach dem für die Jobcenter verbindlichen Rundschreiben I Nr. 7/2003 der Senatsverwaltung für Gesundheit, Soziales
und Verbraucherschutz vom 03. Juni 2003 setze sich die Pauschale von 30 Euro aus einem Warmwasseranteil von 9
Euro, einem Stromanteil von 14,30 Euro und einem Gasanteil bei Kochfeuerung von 6,70 Euro zusammen. Die
diesbezüglichen Weisungen seien auch nach dem Urteil des Bundessozialgerichts –BSG- vom 27. Februar 2008 – B
14/11 b AS 15/07 - , juris bis 2006 nicht geändert worden.
Zum weiteren Vorbringen der Beteiligten und zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte
und der beigezogenen Verwaltungsakte des Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Der Senat konnte in der Sache entscheiden, obwohl der Kläger zum Termin nicht erschienen ist, denn der Kläger ist
auf diese Möglichkeit mit der Ladung hingewiesen worden (§ 110 Sozialgerichtsgesetz –SGG-).
Die Berufung des Klägers ist zulässig. Der Wert des Beschwerdegegenstandes betrifft zwar nur 180 Euro (30 Euro im
Monat für 6 Monate), so dass die Berufung nach § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Satz 2 SGG nicht zulässig wäre. Das
Sozialgericht hat die Berufung – für das Berufungsgericht bindend – jedoch ausdrücklich zugelassen (§ 144 Abs. 3
SGG). Sie ist in der Frist des § 151 Abs. 1 SGG eingelegt und hat in der Sache Erfolg. Entgegen der Auffassung des
Sozialgerichts hat der Kläger Anspruch auf eine ungekürzte Auszahlung der Regelleistung.
Streitgegenstand ist die Gewährung von Leistungen nach dem SGB II für die Monate Oktober 2005 bis März 2006 und
damit der Bescheid vom 05. Oktober 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. Mai 2006 in der
Fassung des Änderungsbescheides vom 25. Oktober 2006, der diesen Zeitraum betrifft und die vorangegangenen
Bescheide vollständig aufhebt. Die weiteren Bescheide vom 25. Oktober 2006, die Folgezeiträume betreffen, sind
nicht Gegenstand des Verfahrens nach § 96 SGG geworden, wie das Sozialgericht zu Recht erkannt hat, da sie die
durch die streitgegenständlichen Bescheide bewilligten Leistungen für die Monate Oktober 2005 bis März 2006 nicht
abändern. Eine analoge Anwendung des § 96 SGG auf Bescheide, die nachfolgende Bewilligungszeiträume betreffen,
kommt grundsätzlich nicht in Betracht (BSG Urteil vom 27. Februar 2008 – B 14/7 b AS 64/06 R - , juris).
Streitgegenständlich sind nicht die Kosten der Unterkunft für die Zeit von Oktober 2005 bis März 2006, die von dem
Beklagten in voller Höhe übernommen worden sind, sondern allein die Regelleistung zur Sicherung des
Lebensunterhalts in diesem Zeitraum. Zwar sind bei einem Streit um höhere Leistungen grundsätzlich alle
Anspruchsvoraussetzungen dem Grunde und der Höhe nach zu prüfen (BSG, Urteil vom 25. Juni 2008 – B 11 b AS
35/06 R – a.a.O.). Ein Bescheid kann im Einzelfall jedoch mehrere abtrennbare Verfügungen enthalten, und um eine
derartige abtrennbare Verfügung handelt es sich bei dem für die Kosten der Unterkunft und Heizung nach § 22 SGB II
bewilligten Betrag (vgl. im Einzelnen BSG SozR 4-4200 § 22 Nr. 1, Rdnr. 19, 22). Der Kläger konnte daher den
Streitgegenstand auf die Regelleistung begrenzen und hat dies ausdrücklich getan.
Der Kläger hat Anspruch auf die volle Regelleistung in Höhe von 345 Euro monatlich. Zu Unrecht sind sowohl der
Beklagte als auch das Sozialgericht davon ausgegangen, dass ihm die Regelleistung in Höhe von 30 Euro monatlich
zu kürzen ist. Leistungen nach dem SGB II erhalten gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II in der Fassung des Vierten
Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 24. Dezember 2003 (BGBl. I 2954) Personen, die das
15. Lebensjahr vollendet und das 65. Lebensjahr noch nicht vollendet haben (Nr. 1), die erwerbsfähig (Nr. 2) und
hilfebedürftig (Nr. 3) sind und ihren gewöhnlichen Aufenthaltsort in der Bundesrepublik Deutschland haben (Nr. 4).
Diese Voraussetzungen liegen im Fall des Klägers unzweifelhaft vor. Der Anspruch auf Alg II setzt sich aus der
Regelleistung (§ 20 SGB II) und den nach § 22 SGB II zu berücksichtigenden – hier nicht streitigen – Leistungen für
Unterkunft und Heizung zusammen. Die monatliche Regelleistung beträgt für allein stehende Personen in dem hier
streitigen Zeitraum 345 Euro (§ 20 Abs. 2 Satz 1 SGB II). Nach dem Leistungssystem des SGB II ist eine
abweichende Festlegung der Regelleistung grundsätzlich nicht vorgesehen. Dies gilt sowohl zu Gunsten ais auch zu
Lasten des Hilfeempfängers (BSG Urteil vom 18. Juni 2008 –B 14 AS 22/07 R-; Urteil vom 16. Dezember 2008 –B 4
AS 9/08-, beide in juris). Die Regelleistung umfasst insbesondere Ernährung, Kleidung, Körperpflege, Hausrat,
Haushaltsenergie, ohne die auf die Heizung entfallenden Anteile, Bedarfe des täglichen Lebens sowie im vertretbarem
Umfang auch Beziehungen zur Umwelt und eine Teilnahme am kulturellen Leben. Wie das BSG u. a. mit Urteil vom
27. Februar 2008 (B 14/11 b AS 15/07 R – juris) ausgeführt hat, umfasst die Position der Haushaltsenergie u. a.
Stromverbrauch, Kochenergie, Beleuchtung und Warmwasserbereitung. Weil diese Kosten aus der Regelleistung zu
bestreiten sind, kann dem Kläger die Regelleistung nicht um eine Energiekostenpauschale gekürzt werden. Ein Abzug
wäre nur bei den Kosten der Unterkunft möglich gewesen. Das BSG (a. a. O.) hat hierzu überzeugend ausgeführt,
dass derartige in der Regelleistung enthaltenen Kosten nicht zusätzlich als Bestandteil der Kosten der Unterkunft
übernommen werden können, um zu vermeiden , dass doppelt Leistungen gewährt werden. Die Kosten der Unterkunft,
die im Fall des Klägers im streitigen Zeitraum in voller Höhe gewährt worden sind, sind jedoch nicht Streitgegenstand.
Abgesehen davon wäre auch der von dem Beklagten vorgenommene Abzug von 30 Euro monatlich zu hoch. Nach
dem genannten Urteil des BSG vom 27. Februar 2008 (a.a.O.), das der Senat für überzeugend hält und dem er
deshalb folgen würde, käme allenfalls ein Abzug von monatlich 20,74 Euro in Betracht. Nähere Ausführungen
erübrigen sich jedoch an dieser Stelle.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen hierfür nach § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.