Urteil des LSG Berlin-Brandenburg vom 14.03.2006

LSG Berlin und Brandenburg: arbeitsunfähigkeit, krankengeld, arbeitslosigkeit, krankenversicherung, arbeitsmarkt, beendigung, mitgliedschaft, krankheit, versicherungsverhältnis, fortdauer

Landessozialgericht Berlin-Brandenburg
Urteil vom 14.03.2006 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Berlin S 87 KR 849/99
Landessozialgericht Berlin-Brandenburg L 9 KR 112/03
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 14. Juli 2003 aufgehoben. Die Klage wird
abgewiesen. Kosten sind im gesamten Verfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Klägerin für die Zeit vom 22. Februar bis zum 27. August 1999 weiteres
Krankengeld zu gewähren ist.
Die im Jahre 1961 geborene Klägerin war vor dem hier streitbefangenen Zeitraum als Frisörin abhängig beschäftigt
und bei der Beklagten gegen Krankheit pflichtversichert. Der letzte tatsächliche Arbeitstag war der 21. März 1998, das
Beschäftigungsverhältnis endete durch fristgemäße Arbeitgeberkündigung mit Ablauf des 30. Juni 1998.
In der Zeit vom 23. März bis zum 13. Mai 1998 war die Klägerin entsprechend der Bescheinigung ihrer behandelnden
Fachärztin für Chirurgie Lochmann wegen einer Sehnenscheidenentzündung links arbeitsunfähig erkrankt. Für die
anschließende Zeit ab dem 14. Mai 1998 bescheinigte die Ärztin eine Epikondylitis links. Als letzten Tag der
Arbeitsunfähigkeit gab sie den 14. Juni 1998 an. Die Klägerin erhielt bis zum 3. Mai 1998 Entgeltfortzahlung und für
die Zeit vom 4. Mai bis zum 14. Juni 1998 Krankengeld durch die Beklagte. Im Hinblick auf die Beendigung des
Arbeitsverhältnisses meldete sich die Klägerin arbeitslos und bezog vom 1. Juli bis zum 1. September 1998
Arbeitslosengeld von der Bundesanstalt für Arbeit.
Nachdem der nunmehr behandelnde Arzt Noack für die Zeit ab dem 1. September 1998 Arbeitsunfähigkeit wegen
eines vertebragenen Schmerzsyndroms bescheinigt hatte, bezog die Klägerin vom 2. September bis zum 13. Oktober
1998 Arbeitslosengeld wegen Arbeitsunfähigkeit und vom 14. Oktober 1998 bis zum 21. Februar 1999 Krankengeld
von der Beklagten. Nachdem zunächst ein Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung Berlin-
Brandenburg e. V. (MDK) vom 6. November 1998 fortbestehende Arbeitsunfähigkeit bestätigt hatte, bescheinigte der
MDK in einem Kurzgutachten vom 15. Februar 1999 Arbeitsfähigkeit ab dem 22. Februar 1999. Mit Bescheid vom 26.
Februar 1999 lehnte die Beklagte die Gewährung von Krankengeld über den 21. Februar 1999 hinaus mit der
Begründung ab, die Klägerin sei ab dem 22. Februar 1999 für körperliche leichte bis mittelschwere Tätigkeiten auf
dem allgemeinen Arbeitsmarkt einsetzbar. Gestützt auf eine weitere Begutachtung des MDK mit Untersuchung der
Klägerin am 14. Juni 1999 wies die Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 3. September 1999
zurück.
Mit ihrer fristgemäß zum Sozialgericht Berlin erhobenen Klage hat die Klägerin ihr Ziel weiter verfolgt, auch über den
21. Februar 1999 hinaus Krankengeld zu erhalten. Zur weiteren Aufklärung des Sachverhaltes hat das Sozialgericht
Befundberichte der behandelnden Ärzte Noack (vom 12. Mai 2000) und Lochmann (vom 24. Oktober 2001) eingeholt.
Ferner hat auf richterliche Beweisanordnung der Facharzt für Orthopädie Franke am 19. Oktober 2000 ein
medizinisches Sachverständigengutachten nach Aktenlage erstattet, in dem er zu der Einschätzung gelangt ist, die
Klägerin sei auch nach dem 21. Februar 1999 nicht in der Lage gewesen, einer Tätigkeit in ihrem Beruf als Frisörin
nachzugehen. Leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt hätte die Klägerin aber ausüben können.
Durch Urteil vom 14. Juli 2003 hat das Sozialgericht die angefochtenen Bescheide der Beklagten aufgehoben und die
Beklagte verurteilt, der Klägerin für die Zeit vom 22. Februar bis zum 27. August 1999 Krankengeld zu gewähren: für
die Beurteilung der Arbeitsunfähigkeit der Klägerin sei auch für die Zeit nach dem 21. Februar 1999 auf deren letzte
Beschäftigung als Frisörin abzustellen. Dies ergebe sich vor dem Hintergrund der Rechtssprechung des
Bundessozialgerichts (BSG), wonach der Berufschutz erst dann entfalle, wenn bei Eintritt der Arbeitsunfähigkeit der
Versicherte seit dem Verlust des Arbeitsplatzes mehr als 6 Monate als Arbeitsloser krankenversichert gewesen sei.
Die Klägerin sei jedoch erst 2 Monate als Arbeitslose versichert gewesen, als die Arbeitsunfähigkeit am 2. September
1998 eingetreten sei. Im Übrigen spreche vieles dafür, dass die Arbeitsunfähigkeit durchgehend seit dem noch
bestehenden Beschäftigungsverhältnis der Klägerin als Frisörin bestanden habe und auch vor diesem Hintergrund die
Klägerin Berufsschutz als Frisörin besitzen müsse. Als Frisörin hätte sie aber auch nach dem 21. Februar 1999 nicht
tätig sein können.
Gegen dieses ihr am 7. August 2003 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 27. August 2003 Berufung zum
Landessozialgericht eingelegt. Es gebe keine medizinisch begründeten Hinweise darauf, dass die Klägerin
durchgehend seit dem Bestehen ihres Arbeitsverhältnisses arbeitsunfähig gewesen sei. Im Übrigen entfalle der
Berufsschutz von Arbeitslosen immer dann, wenn die Arbeitslosigkeit länger als 6 Monate bestanden habe.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 14. Juli 2003 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend. Abgesehen davon, dass die Arbeitsunfähigkeit durchgehend
seit dem damals noch bestehenden Beschäftigungsverhältnis als Frisörin bestanden habe, sei der Maßstab für die
nach nur 2 Monaten Arbeitslosigkeit eingetretene Arbeitsunfähigkeit nicht die Tätigkeit auf dem allgemeinen
Arbeitsmarkt, sondern die Tätigkeit als Frisörin.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf die zwischen den
Beteiligten gewechselten Schriftsätze sowie die Verwaltungsakten der Beklagten, die dem Senat bei seiner
Entscheidung vorgelegen haben.
Entscheidungsgründe:
Eine Entscheidung im schriftlichen Verfahren konnte durch den Berichterstatter ergehen, weil sich die Beteiligten mit
einer solchen Entscheidungsform gemäß §§ 124 Abs. 2, 155 Abs. 3 und 4 Sozialgerichtsgesetzt (SGG) einverstanden
erklärt haben.
Die Berufung der Beklagten ist zulässig und auch begründet. Das Urteil des Sozialgerichts war aufzuheben, die Klage
war abzuweisen, denn die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind rechtmäßig, der Klägerin steht für die Zeit
nach dem 21. Februar 1999 kein Krankengeldanspruch gegen die Beklagte zu.
Gemäß § 44 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch/Fünftes Buch (SGB V) haben Versicherte Anspruch auf Krankengeld,
wenn die Krankheit sie arbeitsunfähig macht. Gemäß § 46 Satz 1 Nr. 2 SGB V entsteht der Anspruch von dem Tag
an, der auf den Tag der ärztlichen Feststellung der Arbeitsunfähigkeit folgt. Vor diesem Hintergrund entstand der hier
streitbefangene Anspruch der Klägerin auf Krankengeld am 2. September 1998 nach ärztlicher Feststellung durch den
Arzt Noack. Zu diesem Zeitpunkt war die Klägerin – was zwischen den Beteiligten nicht im Streit steht –
arbeitsunfähig, diese Arbeitsunfähigkeit endete aber jedenfalls spätestens am 21. Februar 1999. Denn danach war die
Klägerin nicht mehr arbeitsunfähig im Sinne der gesetzlichen Krankenversicherung. Der Maßstab für die
Arbeitsunfähigkeit ergibt sich allein aus dem Umfang des Versicherungsschutzes im jeweils konkret bestehenden
Versicherungsverhältnis (BSG, Urteil vom 22. März 2005, B 1 KR 22/04 R, SGb 2005, Seite 516). Dies ist hier die
Versicherung der Klägerin in der Krankenversicherung der Arbeitslosen. Hingegen ist die Versicherung aufgrund ihrer
früheren Beschäftigung als Frisörin für die Beurteilung ihrer Arbeitsunfähigkeit ohne Bedeutung. Denn die Klägerin
hatte keinen Anspruch auf Krankengeld, als sie Ende Juni 1998 aus ihrer letzten Beschäftigung ausschied. Denn
insoweit war die Arbeitsunfähigkeit nicht ärztlich festgestellt wurde, die Voraussetzungen des § 46 Satz 1 Nr. 2 SGB
V lagen nicht vor. Der Anspruch der Klägerin auf Krankengeld entstand erst, als sie während eines die
Krankenversicherung der Arbeitlosen begründenden Arbeitslosengeld-Bezuges erkrankte und die Arbeitsunfähigkeit
durch den Arzt Noack ärztlich festgestellt wurde. Insoweit unterscheidet sich die vorliegende Situation maßgeblich
von den Fällen, in denen die zum Krankengeld-Bezug führende krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit des später
Arbeitslosen noch während eines bestehenden Beschäftigungsverhältnisses eintrat und die Krankengeldgewährung
noch vor Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses begann. Die zuletzt ausgeübte Tätigkeit bleibt nach dem
Verlust des Arbeitsplatzes nämlich nur dann für die Beurteilung der Arbeitsunfähigkeit maßgebend, wenn der
Versicherte bereits bei Ausscheiden aus dem Beschäftigungsverhältnis im Krankengeldbezug stand (BSG a. a. O. m.
w. N.). Der Maßstab für die Beurteilung der Arbeitsunfähigkeit ergibt sich in diesen Fällen auch nach Beendigung des
Beschäftigungsverhältnisses aus der Mitgliedschaft des Versicherten aufgrund seiner früheren
versicherungspflichtigen Beschäftigung gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 1 SGB V. Diese Mitgliedschaft wird durch den Bezug
des Krankengeldes gemäß § 192 Abs. 1 Nr. 2 SGB V aufrecht erhalten. Die spätere Arbeitslosmeldung hat hierauf
keinen Einfluss, zumal die Zuerkennung eines Anspruches auf Krankengeld den Anspruch auf Arbeitslosengeld zum
Ruhen bringt (§ 142 Abs. 1 Nr. 2 SGB III). Hingegen richtet sich in der Krankenversicherung der Arbeitslosen der
Maßstab für die Beurteilung der Arbeitsunfähigkeit des Versicherten nach dem Ende des 6. Monats seiner
Arbeitslosigkeit auch dann nach den Zumutbarkeitskriterien des SGB III, wenn er bereits während der ersten sechs
Monate arbeitsunfähig wurde und er sodann über diese Zeit hinaus Krankengeld bezog (BSG a. a. O.).
Nach diesen Kriterien war die Klägerin nach dem 21. Februar 1999 nicht arbeitsunfähig. Zwar hatte ihre
Arbeitsunfähigkeit während der ersten sechs Monate der Arbeitslosigkeit begonnen, doch ab dem 1. Februar 1999 war
die sechsmonatige Dauer der Arbeitslosigkeit bereits überschritten. Der Maßstab für die Arbeitsunfähigkeit
entsprechend den Zumutbarkeitskriterien des SGB III bezog sich darauf, dass die Klägerin an den Erfordernissen des
allgemeinen Arbeitsmarktes zu messen war. Hieran gemessen war sie wiederum nicht arbeitsunfähig, denn sie
konnte, was sich auch aus dem Gutachten des Dr. Franke vom 19. Oktober 2000 ergibt, auf dem allgemeinen
Arbeitsmarkt zumindest für leichte Tätigkeiten vollschichtig eingesetzt werden.
Soweit das Sozialgericht erwogen hat, die Arbeitsunfähigkeit der Klägerin habe durchgehend schon seit dem damals
noch bestehenden Beschäftigungsverhältnis vorgelegen, kann dies nicht zu einer anderen Einschätzung führen. Nach
den oben genannten Maßstäben kommt es nicht auf die durchgehende Fortdauer der Arbeitsunfähigkeit an, sondern
auf den durchgehenden Bezug von Krankengeld. Dieser bestand aber nicht und konnte auch schon deswegen nicht
bestehen, weil eine ärztliche Feststellung der Arbeitsunfähigkeit nach § 46 Satz 1 Nr. 2 SGB V für die Zeit nach dem
14. Juni 1998 nicht mehr vorlag. Insoweit kommt es rechtlich nicht darauf an, ob die Arbeitsunfähigkeit tatsächlich
seit dem Beschäftigungsverhältnis durchgehend bestanden hat. Denn aus dem Umstand, dass nicht bereits zu einem
früheren Zeitpunkt eine Feststellung der an sich schon seit längerem bestehenden Arbeitsunfähigkeit erfolgt ist, kann
ein Versicherter keine Ansprüche herleiten (BSG a. a. O.).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Auch nach Ausübung billigen Ermessens und unter Berücksichtigung
des klägerischen Schriftsatzes vom 8. März 2006 sah der Senat keine Veranlassung, der Klägerin einen Anspruch auf
Kostenerstattung gegen die Beklagte zuzubilligen, denn die Beklagte hat rechtmäßige Bescheide erteilt und auch
sonst keinen unnötigen Anlass zur Klageerhebung oder zur Berufungseinlegung gegeben. Die Tatsache, dass das
Sozialgericht – noch vor Ergehen der oben genannten Rechtsprechung des BSG – der Klage stattgegeben hat, stellt
keinen der Beklagten zurechenbaren Umstand dar.
Die Revision war nicht zuzulassen, Zulassungsgründe nach § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.