Urteil des LSG Berlin-Brandenburg vom 21.08.2006

LSG Berlin-Brandenburg: depression, angestellter, berufsunfähigkeit, befund, behinderung, krankheit, psychiatrie, verwaltungsverfahren, form, ausbildung

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Gericht:
Landessozialgericht
Berlin-Brandenburg 3.
Senat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
L 3 R 1407/06
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 43 Abs 1 SGB 6 vom
01.01.2001, § 43 Abs 2 SGB 6
vom 01.01.2001
Gesetzliche Rentenversicherung - Rente wegen
Erwerbsminderung - psychiatrische Gesundheitsstörung -
beginnende Polyneuropathie
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 21. August
2006 wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
I.
Streitig ist die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung.
Der 1950 geborene Kläger, der nach seinen Angaben im März 1976 eine Ausbildung zum
Radio- und Fernsehtechniker abschloss, ab April 1979 als technischer Angestellter der
Vergütungsgruppe V c bei der Senatsverwaltung für Jugend, Bildung und Sport B
arbeitete und seit 15. August 2001 arbeitsunfähig krank ist, stellte am 10. Februar 2003
bei der Beklagten einen Antrag auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung.
Zur Begründung gab er an, sich seit August 2001 wegen Depressionen und einer
psychogenen Angstneurose für erwerbsgemindert zu halten.
Zunächst lehnte die Beklagte den Antrag mit Bescheid vom 05. Mai 2003 wegen
fehlender Mitwirkung ab. Dagegen legte der Kläger Widerspruch ein und bezog sich zur
Begründung u.a. auf ein Attest der Allgemeinmedizinerin G vom 18. Juni 2003. Auf
Empfehlung des beratungsärztlichen Dienstes veranlasste die Beklagte daraufhin ein
Gutachten, das am 06. November 2003 von der Neurologin und Psychiaterin G erstattet
wurde und in dem sie zu dem Ergebnis kam, der Kläger leide an einer Panikstörung mit
Neigung zu Meideverhalten und einer zurzeit leichten depressiven Episode. Er sei
deshalb jedoch noch in der Lage, mittelschwere Arbeiten in allen Haltungsarten ohne
wesentlichen Zeitdruck und ohne Nachtschicht 6 Stunden und mehr täglich zu
verrichten.
Daraufhin lehnte die Beklagte den Rentenantrag mit Bescheid vom 04. Dezember 2003
ab. Mit dem dagegen eingelegten Widerspruch machte der Kläger geltend, wegen einer
schweren Depression und täglichen Panikattacken sowie schwersten Existenz- und
Lebensängsten voll erwerbsgemindert zu sein.
Die Beklagte zog Befundberichte der den Kläger behandelnden Ärzte, des Neurologen
und Psychiaters Dipl. med. W vom 24. Juni 2004, der Allgemeinmedizinerin G vom 15.
Juni 2004 und des Neurologen und Psychiaters L vom 02. Juli 2004, bei. Dann
beauftragte sie den Internisten Dr. K mit der Untersuchung und Begutachtung des
Klägers. Dr. K stellte in seinem Gutachten vom 07. Oktober 2004 fest, der Kläger leide
an einer Alkoholkrankheit, einem Leberparenchymschaden ohne Anhalt für eine
Synthesestörung und einem labilen Hypertonus, der zwar kontroll-, derzeit aber nicht
behandlungsbedürftig sei. Auf internistischem Fachgebiet bestünden demnach keine
Gesundheitsstörungen von gravierendem Einfluss auf das Leistungsvermögen im
Erwerbsleben. Zumutbar seien leichte bis mittelschwere Arbeiten in allen Haltungsarten
ohne quantitative Einschränkung. Dies gelte auch für die erlernte Tätigkeit eines Radio-
und Fernsehmechanikers sowie die gegenwärtig ausgeübte Tätigkeit einer Bürokraft.
Anschließend veranlasste die Beklagte eine weitere Begutachtung, die durch die
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Anschließend veranlasste die Beklagte eine weitere Begutachtung, die durch die
Neurologin und Psychiaterin Dr. S am 25. September 2004 durchgeführt wurde. Die
Gutachterin diagnostizierte Angst und Depression gemischt, phobische Störung und
Alkoholmissbrauch. Gleichwohl sei der Kläger noch in der Lage, sowohl seine zuletzt
ausgeübte Tätigkeit als auch mittelschwere Arbeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt
vollschichtig zu verrichten. Die Wiederaufnahme einer Beschäftigung würde sich eher
stabilisierend auf die psychische Befindlichkeit ausüben. Die ambulanten
Behandlungsmaßnahmen seien noch nicht ausgeschöpft.
Im Hinblick auf das Ergebnis der medizinischen Ermittlungen wies die Beklagte den
Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 04. Januar 2005 zurück.
Dagegen hat der Kläger Klage vor dem Sozialgericht Berlin erhoben, mit der er sein Ziel,
die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung zu erreichen, weiterverfolgt hat. Er
könne wegen seiner schweren Depression weder seine letzte Beschäftigung als
technischer Angestellter noch andere wirtschaftlich verwertbare Tätigkeiten vollschichtig
verrichten. Zur Verschlimmerung seines psychischen Zustands habe der soziale Abstieg
beigetragen, der darin bestehe, dass er nunmehr „Hartz-IV“- Empfänger sei. Er habe
zwischenzeitlich die private Insolvenz angemeldet.
Das Sozialgericht hat zur Ermittlung des Sachverhalts weitere Befundberichte der den
Kläger behandelnden Ärzte beigezogen. Die Ärztin G, die allein den Kläger aktuell noch
behandelt, hat in ihrem Bericht vom 26. September 2005 eine gleichbleibende, z.T.
schwankende Befundlage bei dem Kläger bestätigt.
Dann ist die Ärztin für Psychiatrie G mit der Erstellung eines Gutachtens beauftragt
worden. In dem Gutachten vom 21. April 2006 ist sie zu dem Ergebnis gekommen, der
Kläger leide an einer leichten depressiven Episode, einer Panikstörung, einer
Alkoholabhängigkeit mit z.Zt. kontrolliertem Konsum und einer beginnenden
Polyneuropathie. Er könne noch mittelschwere bis schwere Arbeiten mit weiteren
qualitativen Einschränkungen mindestens 8 Stunden täglich verrichten.
Der Kläger hat sich dem Ergebnis der Begutachtung nicht anzuschließen vermocht und
hat einen Laborbefund vom 20. Juni 2006 vorgelegt.
Durch Urteil vom 21. August 2006 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen und zur
Begründung ausgeführt, der Kläger habe keinen Anspruch auf eine Rente wegen
Erwerbsminderung, wie sich aus dem eingeholten gerichtlichen Gutachten ergebe.
Danach sei das Leistungsvermögen des Klägers zwar eingeschränkt, so dass er keine
körperlich schweren Arbeiten mehr verrichten und auch nicht unter Zeitdruck, in
Nachtschicht und in festgelegtem Arbeitsrhythmus arbeiten könne. Tätigkeiten mit sehr
hohen Anforderungen an das Reaktionsvermögen seien ebenfalls nicht möglich.
Allerdings könne er noch leichte bis mittelschwere Arbeiten, die teilweise oder
überwiegend am Computer stattfänden und auch den Umgang mit Publikumsverkehr
beinhalteten, verrichten. Die Einschätzung der Sachverständigen werde nicht durch die
Ausführungen der behandelnden Ärzte und der Vorgutachter in Frage gestellt. Einzig
Frau G habe in ihrem Attest vom 18. Juni 2003 eine abweichend Einschränkung der
Leistungsfähigkeit abgegeben. Ihr Schluss auf eine Arbeitsunfähigkeit bzw. Aufhebung
des Leistungsvermögens beruhe auf der Diagnose einer schweren Depression, die nach
den überzeugenden Ausführungen der Sachverständigen angesichts der vorliegenden
psychopathologischen Symptomatik und unter Berücksichtigung der anamnestischen
Angaben gerade nicht vorliege. Der Kläger sei deshalb weder teilweise noch voll
erwerbsgemindert. Er sei auch nicht teilweise erwerbsgemindert bei Berufsunfähigkeit,
denn er könne seinen Beruf als technischer Angestellter noch in einem Umfang von
mindestens 6 Stunden täglich verrichten.
Gegen das am 30. August 2006 zugestelltes Urteil richtet sich die am 28. September
2006 eingelegte Berufung des Klägers, mit der er geltend macht, ihm stehe eine Rente
wegen Erwerbsminderung zu, denn seine psychischen Probleme machten es ihm
unmöglich, eine wirtschaftlich sinnvolle Berufstätigkeit auszuüben.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 21. August 2006 aufzuheben und die
Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 04. Dezember 2003 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 04. Januar 2005 zu verurteilen, ihm ab 01. März 2003
Rente wegen voller, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung, hilfsweise wegen
teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend.
Mit gerichtlichen Schreiben vom 19. März und 11. April 2007 sind die Beteiligten zu der
beabsichtigten Entscheidung des Senats durch Beschluss gemäß § 153 Abs. 4
Sozialgerichtsgesetz (SGG) angehört worden.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der
Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen.
Entscheidungsgründe
II.
Der Senat konnte nach Anhörung der Beteiligten die Berufung gemäß § 153 Abs. 4 SGG
durch Beschluss zurückweisen, denn er hält sie einstimmig für unbegründet und eine
mündliche Verhandlung nicht für erforderlich.
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist zulässig aber
unbegründet. Ihm steht, wie das Sozialgericht zutreffend entschieden hat, eine Rente
wegen Erwerbsminderung nicht zu.
Der ab 01. März 2003 geltend gemachte Rentenanspruch richtet sich nach § 43 Abs. 1, 2
Sozialgesetzbuch VI (SGB VI) in der ab 01. Januar 2001 geltenden Fassung.
Danach haben Versicherte bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres Anspruch auf Rente
wegen Erwerbsminderung, wenn sie teilweise oder voll erwerbsgemindert sind.
Teilweise erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf
nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des
allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 6 Stunden täglich erwerbstätig zu sein (§ 43
Abs. 1 S. 2 SGB VI).
Voll erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht
absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen
Arbeitsmarktes mindestens 3 Stunden täglich erwerbstätig zu sein (§ 43 Abs. 2 S. 2 SGB
VI).
Nach § 43 Abs. 3 SGB VI ist nicht erwerbsgemindert, wer unter den üblichen
Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 6 Stunden täglich
erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.
Nach Auswertung der im Verwaltungs- und sozialgerichtlichen Verfahren erstellten
Gutachten, insbesondere der Ärztin für Psychiatrie G vom 21. April 2006, ist der Senat
davon überzeugt, dass der Kläger nicht voll oder teilweise erwerbsgemindert ist.
Nach den Feststellungen der gerichtlichen Sachverständigen leidet der Kläger an einer
leichten depressiven Episode, einer Panikstörung, Alkoholabhängigkeit und einer
beginnenden Polyneuropathie. Die Psychiaterin hat detailliert dargelegt, aus welchen
Gründen von einer nur leichten und nicht, wie die Allgemeinmedizinerin G bescheinigt,
schweren Depression auszugehen ist. Dem schließt sich der Senat an. Frau G hat weder
in dem Attest vom 18. Juni 2003 noch in dem Befundbericht vom 26. September 2005
einen so schwerwiegenden psychopathologischen Befund erhoben, dass dieser die
Diagnose einer schweren Depression rechtfertigt. Die Verwendung des
Diagnoseschlüssels 32.9 des ICD 10 durch die behandelnde Ärztin entspricht außerdem
nicht einer schweren Depression, vielmehr steht der Schlüssel für eine nicht näher
bezeichnete depressive Episode.
Die internistischen Leiden in Form eines Leberparenchymschadens und eines
Hypertonus wirken sich nach den Ausführungen des im Verwaltungsverfahren gehörten
Internisten Dr. K nicht wesentlich leistungsmindernd aus. Auch die psychiatrischen
Gesundheitsstörungen schränken den Kläger nicht so ein, dass ihm eine Erwerbstätigkeit
für mindestens 6 Stunden täglich nicht zuzumuten wäre. Die gerichtliche
Sachverständige hat für den Senat nachvollziehbar und schlüssig dargelegt, dass diese
Gesundheitsstörungen kein quantitativ aufgehobenes Leistungsvermögen bedingen. Der
Kläger ist vielmehr noch in der Lage, mindestens 6 Stunden täglich zumindest
mittelschwere Arbeiten zu verrichten. Dabei sind jedoch qualitative Einschränkungen zu
beachten. Ausgeschlossen sind Arbeiten in festgelegtem Arbeitsrhythmus, unter
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beachten. Ausgeschlossen sind Arbeiten in festgelegtem Arbeitsrhythmus, unter
Zeitdruck und in Nachtschicht. Die Gesundheitsstörungen beeinträchtigen nicht seine
Fähigkeit, - auch schwierige - geistige Arbeiten entsprechend der beruflichen Ausbildung
zu verrichten. Zwar ist nicht auszuschließen, dass das Reaktionsvermögen wegen der
psychischen Störung reduziert ist. Die Auffassungsgabe, die Lern- und Merkfähigkeit,
das Gedächtnis, die Konzentrationsfähigkeit und die Entschluss- und
Verantwortungsfähigkeit sind ebenso wenig reduziert wie die Anpassungs- und
Umstellungsfähigkeit. Arbeiten überwiegend am Computer und mit Publikumsverkehr
hat die Sachverständige ausdrücklich für möglich gehalten. Besonderheiten für den Weg
zur Arbeitsstelle sind nicht zu berücksichtigen, denn eine schwerwiegende Einschränkung
seines Bewegungsspielraums durch die von ihm empfundenen Ängste ist - auch nach
den eigenen Schilderungen seines Alltagslebens - nicht festzustellen. Es besteht deshalb
Wegefähigkeit.
Der Senat hat keine Bedenken, dieser Leistungseinschätzung zu folgen. Sie ist
nachvollziehbar begründet und stimmt im Wesentlichen mit der Beurteilung den im
Verwaltungsverfahren tätig gewordenen Neurologinnen und Psychiaterinnen G in dem
Gutachten vom 06. November 2003 und Dr. S in dem Gutachten vom 25. September
2004 überein.
Der Kläger hat keinen Sachverhalt vorgetragen, der den Senat veranlassen müsste,
weitere Ermittlungen von Amts wegen durchzuführen. Er meint zwar, glaubhaft gemacht
zu haben, aus welchen Gründen er nicht in der Lage sei, eine Erwerbstätigkeit
aufzunehmen, und dies indiziere die tatsächliche Schwere seiner seelischen Erkrankung.
Auf die Beschwerdeschilderung des Klägers, die mit der Schilderung seines
strukturierten und wenig beeinträchtigten Alltags nur schwer zu vereinbaren ist, kommt
es nicht allein an. Sachverständige G hat bei der Beurteilung seines
Leistungsvermögens ausdrücklich berücksichtigt, dass der Kläger die Einschränkungen
durch die depressive Störung als massiv erlebe, obwohl nach dem erhobenen Befund
nur eine leichte depressive Störung diagnostiziert werden könne. Sie hat ausgeführt,
dass die psychischen Störungen behandelbar seien durch eine Kombination
medikamentöser und psychotherapeutischer Mittel.
Nach alledem hat der Senat keine Zweifel daran, dass der Kläger noch in der Lage ist,
mindestens 6 Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Damit ist er nicht voll oder teilweise
erwerbsgemindert.
Dem Kläger steht auch keine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei
Berufsunfähigkeit gemäß § 240 SGB VI zu, denn es ist nach den gutachterlichen
Feststellungen nicht zweifelhaft, dass er seine bisherige Tätigkeit, die zuletzt in einer
reinen Bürotätigkeit bestanden hat, mindestens 6 Stunden täglich verrichten kann.
Die Berufung war deshalb zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
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