Urteil des LSG Bayern vom 17.01.2011

LSG Bayern: meistbegünstigungsklausel, materielles recht, versorgung, vergütung, hauptsache, anpassung, krankenkasse, vollstreckung, grenzwert, patient

Bayerisches Landessozialgericht
Beschluss vom 17.01.2011 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht München S 39 KA 672/10 ER
Bayerisches Landessozialgericht L 12 KA 123/10 B ER
I. Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts München vom 3. Dezember 2010
wird zurückgewiesen. II. Der Antrag der Antragsgegnerin, den Antragsteller zu verpflichten, den durch Vollstreckung
beigetriebenen streitgegenständlichen Forderungsbetrag zurück zu zahlen, wird abgelehnt. III. Die Antragsgegnerin
trägt auch die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Gründe:
I.
Die Beteiligten stehen im Rahmen des Vertrages zur Durchführung einer hausarztzentrierten Versorgung gemäß § 73b
SGB V in der Fassung vom 3. September 2009 in vertraglichen Beziehungen. Die Antragsgegnerin wendet sich gegen
eine durch das Sozialgericht München am 3. Dezember 2010 erlassene einstweilige Anordnung, mit der sie
verpflichtet worden ist, zurückbehaltenes Honorar in Höhe von 37.851.631,66 EUR auszubezahlen. Der Antragsteller
hat zwischenzeitlich vollstreckt.
Gemäß des zwischen den Beteiligten geschlossenen hausarztzentrierten Versorgungsvertrages gemäß § 73b SGB V
i.d.F.v. 3. Sep. 2009 (AOKHzVV) ist die Antragsgegnerin nach Rechnungsstellung der hausärztlichen Honorare zur
Zahlung von drei monatlichen Abschlagszahlungen pro Quartal jeweils zum ersten Bankarbeitstag des Monats für den
Vormonat sowie zu einer Quartalsschlusszahlung an den Antragsteller verpflichtet. Die Schlusszahlung des Quartals
ist innerhalb von neunzehn Kalendertagen nach Eingang der vollständigen Rechnung auszuzahlen. Der Antragsteller
hat gegenüber der Antragsgegnerin die für das zweite Quartal 2010 fällige Schlusszahlungen in Höhe von
75.381.191,37 EUR mit Rechnung vom 27. August 2010 angefordert.
Die Antragsgegnerin verweigerte unter Hinweis auf die sog. Meistbegünstigungsklausel (§ 24 Abs.1 AOKHzVV) die
Zahlung eines Teilbetrages von EUR 37.851.631,66 mit der Begründung, dass zwischen den bayerischen
Betriebskrankenkassen und dem Antragsteller mittlerweile ebenfalls ein Vertrag gem. § 73b SGB V über die
hausarztzentrierte Versorgung (BayBKKHzVV) abgeschlossen worden sei, der einen Fallwert pro Patient von 76,00
EUR zum Inhalt habe. Auf Grund der vereinbarten Meistbegünstigungsklausel sei man berechtigt, den eigenen
Fallwert entsprechend herabzusetzen. Der Vertrag sei am 4. Januar 2010 abgeschlossen worden und zum 1. Januar
2010 in Kraft getreten. Verhandlungen hätten kein Ergebnis erbracht, so dass nunmehr eine Einbehaltung geboten
gewesen sei.
Mit dem am 28. September 2010 beim Sozialgericht München eingegangenen Antrag begehrte der Antragsteller, den
Antragsgegner im Wege des Erlasses einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, die Schlusszahlungen für das
erste und zweite Quartal 2010 ungekürzt auszubezahlen.
Zur Begründung wurde zusammengefasst vorgetragen, dass keine der tatbestandlichen Voraussetzungen der
vertraglichen Meistbegünstigungsklausel vorläge. Diese setze voraus, dass der Antragsteller einen
hausarztzentrierten Versorgungsvertrag mit einer anderen Krankenkasse abschließe, der darin vereinbarte Fallwert
aller vertraglichen Leistungen insgesamt niedriger sei als der nach dem AOKHzVV vereinbarte Fallwert und in beiden
Verträgen vergleichbare Vergütungstatbestände vorlägen. Der Antragsteller habe den Vertrag mit den bayerischen
Betriebskrankenkassen vom 4. Januar 2010 nicht "abgeschlossen". Der Vertragsinhalt sei durch die Schiedsperson
gemäß § 73b Abs. 4a SGB V bestimmt worden. Im Übrigen sei der Fallwert nicht "insgesamt niedriger". Die in den
BKK-Verträgen festgelegte Fallwertobergrenze von 76,00 EUR entspreche der unterschiedlichen, nämlich niedrigeren
Morbidität der Versicherten der Betriebskrankenkassen im Vergleich zu den Versicherten der Antragsgegnerin. Die
unterschiedliche Morbiditätsquote der Kassenarten, insbesondere die erhöhte Morbidität der AOK-Versicherten sei
ausdrücklich bei der Festsetzung des finanziellen Rahmens von der Schiedsperson beachtet worden. Anhand der
KM6-Statistik sei bei der Schiedsverhandlung festgestellt worden, dass die Morbiditätsstruktur der Ersatzkassen um
5 % und diejenige der Betriebskrankenkassen um 10 % günstiger sei als die der Antragsgegnerin. Die vorwiegend als
Pauschalen ausgestalteten Vergütungen seien bezogen auf den erforderlichen Leistungsumfang pro Patient somit
gleich hoch. Die Antragsgegnerin erhalte überdies einen Ausgleich durch den Morbiditätsrisikostrukturausgleich. Die
Meistbegünstigungsklausel solle die Vertragspartner vor einer Wettbewerbsverzerrung schützen. Eine
Wettbewerbsverzerrung finde auf Grund der vom Schiedsgericht angewandten morbiditätsbezogenen
Fallwertobergrenze gerade nicht statt. Im Übrigen liege keine Vergleichbarkeit der Vergütungen vor. Der BKK-Fallwert
sei erst zum dritten Quartal 2010 in Kraft getreten. Damit bestehe die behauptete Begünstigung schon aus diesem
Grund vor dem 1. Juli 2010 nicht. Erst mit der Festsetzung des BayBKKHzVV durch die Schiedsperson könnten
Patienten und Hausärzte an diesem Vertrag teilnehmen und dann das dort vereinbarte Honorar beanspruchen. § 59
SGB X sei überdies nicht erfüllt. Denn die Durchführung des HzV-Vertrages sei für die Antragsgegnerin auch nicht
angesichts der vom Gesetzgeber vorgesehenen Änderungen im Hinblick auf die Vergütung von hausarztzentrierten
Versorgungsverträgen unzumutbar geworden. Der Entwurf eines Gesetzes zur nachhaltigen und sozial ausgewogenen
Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung vom 17. September 2009 sehe einen Bestandschutz für
bestehende HzV-Verträge, auch soweit sie gekündigt seien, vor. Es sei darauf hinzuweisen, dass der Gesetzgeber in
diesem Entwurf zwischen abgeschlossenen und von einer Schiedsperson festgelegten Verträgen unterscheide. Dem
Verhalten der Antragsgegnerin, unter Ausnutzung ihrer Machtposition einen vermeintlichen Anspruch durchzusetzen,
sei Einhalt zu gebieten. Die vertragsärztliche Versorgung werde durch das Prinzip geprägt, Lücken in der
Patientenversorgung zu vermeiden, die dadurch entstünden, dass sich eine Vertragspartei eines
Abänderungsanspruches berühme und das vereinbarte Honorar kürze, ohne dass eine objektive und allseitig
verbindliche Entscheidung getroffen worden sei.
Diesem Antrag ist die Antragsgegnerin mit der Begründung entgegengetreten, dass die Meistbegünstigungsklausel
des § 24 AOKHzVV zu einer Reduzierung des vertraglichen Vergütungsanspruches führen müsse. Die
Meistbegünstigungsklausel sei geschaffen worden, um Überzahlungen im Selektivvertragssystem zu Lasten der
Solidargemeinschaft der gesetzlichen Versicherten zu unterbinden und die Einhaltung des Wirtschaftlichkeitsgebotes
durch die gesetzlichen Krankenkassen sicherzustellen. Dies umso mehr, als die Antragsgegnerin die erste Kasse
gewesen sei, die mit dem Antragsteller einen entsprechenden Vertrag abgeschlossen habe. Zu dieser Zeit habe sich
noch kein "Preis" gebildet gehabt. Der Betrag von 37.851.631,66 EUR errechne sich aus dem für das erste Quartal
2010 geltend gemachten Gesamthonorar des Antragstellers von 201.879.274,12 EUR bzw. 209.185.649,41 EUR für
das zweite Quartal 2010. In Relation zur Zahl der eingeschriebenen Versicherten ließen sich für die Vorquartale unter
Berücksichtigung zulässiger Rückrechnungen durchschnittliche Fallwerte von 83,55 EUR (1/2010) bzw. 83,81 EUR
(2/2010) ermitteln. Bezogen auf den neuen Grenzwert von 76,00 EUR aus dem BayBKKHzVV ergebe sich für das
erste Quartal 2010 ein Betrag von 18.350.962,25 EUR und für das zweite Quartal 2010 ein Betrag von 19.500.669,41
EUR, deren Zahlung der Antragsteller zu Unrecht begehre. § 24 AOKHzVV sei auch für im Schiedsverfahren zu
Stande gekommene HzV-Verträge anwendbar. Entsprechend der Regelung in § 123 Abs.2 SGB V sei die Bestimmung
durch die Schiedsperson Vertragsabschluss. Schon der Wortlaut des § 24 AOKHzVV spreche gegen die Relevanz der
Ausführungen zur Morbiditätsstruktur der eigenen Versicherten. Es fänden sich keine Anhaltspunkte dafür, dass sich
unterschiedliche Morbiditätsstrukturen auf die Anwendung der Meistbegünstigungsklausel auswirken sollten. Bei
beiden Verträgen handele es sich um Vollversorgungsverträge mit überdies gleicher Vergütungsstruktur. Die
Vertragsklausel bezwecke, der Antragsgegnerin den gleichen Preis einzuräumen, wenn der Antragsteller einer anderen
Kasse einen günstigeren Fallwert einräume oder ein solcher durch die Schiedsperson eingeräumt werde.
Mit Beschluss vom 3. Dezember 2010 verpflichtete das Sozialgericht München die Antragsgegnerin im Wege der
einstweiligen Anordnung, an den Antragsteller den von der am 15. September 2010 im Rahmen des Vertrages zur
Durchführung einer hausarztzentrierten Versorgung gemäß § 73b SGB V in der Fassung vom 3. September 2009
fälligen Schlusszahlung für das zweite Quartal 2010 einbehaltenen Kürzungsbetrag in Höhe von insgesamt EUR
37.851.631,66 auszuzahlen durch Zahlung auf das Konto der HÄVG, Hausärztliche Vertragsgemeinschaft eG ( ...).
Gleichzeitig wurden der Antragsgegnerin die Kosten des Antragsverfahrens auferlegt.
Zur Begründung führte das Sozialgericht aus, dass ein Anordnungsanspruch vorliege, da die Hauptsacheklage des
Antragstellers offensichtlich zulässig und begründet sei. Nach § 10 Abs.6 BayBKKHzVV trete der dort vereinbarte
Fallwert erst ab 1. Juli 2010 in Kraft. Die durch die Honorarminderung zu befürchtenden Nachteile für den Antragsteller
und in der Folge für die teilnehmenden Hausärzte und Patienten ließen auch einen Anordnungsgrund annehmen. Ein
anderes Ergebnis würde dazu führen, dass die Antragsgegnerin die Auszahlung vertraglich vereinbarter
Vergütungsanteile rechtswidrig blockieren könne.
Gegen diesen Beschluss hat die Antragsgegnerin Beschwerde zum Bayerischen Landessozialgericht eingelegt.
Daneben hat sie einen Antrag auf Aussetzung der Vollstreckung der Regelungsanordnung gem. § 199 Abs. 2 SGG
gestellt (L 12 KA 124/10 ER), der durch Beschluss vom 4. Januar 2011 abgelehnt worden ist.
Die Antragsgegnerin trägt zusammengefasst vor, dass § 24 Abs. 1 AOKHzVV ausdrücklich auf den Abschluss und
nicht auf das In-Kraft-Treten oder die Umsetzung abstelle. Man habe den Vertrag wegen grob vertragswidrigem
Verhalten des Antragstellers zum 31. Dez. 2010 gekündigt. Dieser habe die teilnehmenden Hausärzte dazu
aufgefordert, das Kollektivvertragssystem durch kollektive Abgabe von Zulassungsverzichtserklärungen zu verlassen,
um "Tarifhoheit" zu erreichen und mittels der entstehenden Versorgungsdefizite eine günstigere Vergütung zu
erzwingen. Der Teilnahme am Selektivvertrag wäre damit ebenfalls der Boden entzogen. Infolge der Kündigung drohe
der Verlust der Ansprüche, weil die Antragstellerin die Zahlungen an die Hausärzte verteile und weitere Zahlungen
aufgrund des AOKHzVV nicht geschuldet würden.
Die Antragsgegnerin beantragt, unter Aufhebung des Beschlusses des Sozialgerichts München vom 3. Dezember
2010 den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abzulehnen sowie die von der Antragsstellerin aufgrund der
betriebenen Vollstreckung aus dem Beschluss des Sozialgerichts München geleistete Zahlung in Höhe von
37.892.804,38 EUR zurückzugewähren.
Der Antragsteller beantragt sinngemäß, die Beschwerde zurückzuweisen.
Der Senat hat im Hinblick auf die Eilbedürftigkeit keine Beschwerdeerwiderung angefordert.
Für die weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der beigezogenen Verfahrensakte des Sozialgerichts München sowie
auf die Akten des Bayerischen Landessozialgerichts zum Beschwerde- und Vollstreckungsaussetzungsverfahren
Bezug genommen.
II.
Die zulässige Beschwerde erweist sich als nicht begründet. Zu Recht hat das Sozialgericht München die beantragte
Regelungsanordnung erlassen. Damit ist die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des
Sozialgerichts München vom 3. Dezember 2010 zurückzuweisen. Damit war auch ihr im Beschwerdeverfahren
gestellter Antrag auf Rückzahlung des streitigen Betrages, den die Antragstellerin zwischenzeitlich durch
Vollstreckung erlangen konnte, abzulehnen.
Nach § 86b Abs. 2 Satz 1 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug
auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands
die Verwirklichung eines Rechtes vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (sog. Sicherungsanordnung).
Gemäß § 86b Abs.2 Satz 2 SGG sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in
Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile
nötig erscheint (sog. Regelungsanordnung). Vorliegend handelt es sich um eine Regelungsanordnung, weil die
Antragstellerin mit der einstweiligen Anordnung etwas begehrt, was sie noch nicht hat. Eine solche
Regelungsanordnung setzt sowohl einen Anordnungsanspruch (materielles Recht, für das einstweiliger Rechtsschutz
geltend gemacht wird) als auch einen Anordnungsgrund (Notwendigkeit einer vorläufigen Regelung, weil ein Abwarten
auf eine Entscheidung in der Hauptsache nicht zuzumuten ist) voraus, wobei zwischen Anordnungsanspruch und
Anordnungsgrund eine Wechselbeziehung besteht. An das Vorliegen eines Anordnungsgrundes sind dann weniger
strenge Anforderungen zu stellen, wenn bei summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage das Obsiegen in der
Hauptsache sehr wahrscheinlich ist. Wäre hingegen die Hauptsacheklage offensichtlich unzulässig oder mit hoher
Wahrscheinlichkeit unbegründet, wäre wegen fehlenden Anordnungsanspruchs der Erlass einer einstweiligen
Anordnung abzulehnen. Sind die Erfolgsaussichten in der Hauptsache offen, kommt dem Anordnungsgrund
entscheidende Bedeutung zu. In diesem Fall ist unter der Berücksichtigung der wechselseitigen Interessen zu prüfen,
ob es zumutbar ist, die Hauptsacheentscheidung abzuwarten.
Im vorliegenden Fall geht der Senat bei der allein gebotenen summarischen Prüfung davon aus, dass ein
Zahlungsanspruch des Antragstellers auf die Schlusszahlung für das zweite Quartal in voller Höhe besteht, weil sich
die vertraglich geschuldete Vergütung in den ersten beiden Quartalen des Jahres 2010 nicht auf Grund des § 24 Abs.1
des Vertrages zur hausarztzentrierten Versorgung gemäß § 73b SGB V in der Fassung vom 3. September 2009
(AOKHzVV) reduziert hat.
§ 24 Abs.1 AOKHzVV lautet:
"Sollte der BHÄV mit einer anderen Krankenkasse für den Geltungsbereich Bayern einen hausarztzentrierten
Versorgungsvertrag gemäß § 73b SGB V abschließen und der darin vereinbarte Fallwert (alle vertraglichen Leistungen
ohne die Einzelleistungen "Tätigkeiten zu Unzeit") insgesamt niedriger sein als der in Anlage 10 vereinbarte Fallwert,
so findet der günstigere Fallwert auf diesen Vertrag ebenfalls Anwendung. Die Vertragspartner sind sich darüber einig,
dass diese Meistbegünstigungsklausel nur für vergleichbare Vergütungstatbestände gelten kann." Die Worte
"insgesamt" und "Anlage 10" sind drucktechnisch hervorgehoben.
In Anlage 10 AOKHzVV findet sich unter Ziffer VIII. eine mit den Worten "Eventuelle Vergütungsanpassung" betitelte
Regelung folgenden Inhalts:
"AOK und BHÄV sind sich einig, dass der finanzielle Rahmen von 80,09 EUR (durchschnittliche direkte Vergütung
des Arztes pro eingeschriebenen Versicherten/Patient und Quartal) für die Leistungen aus diesem HzV-Vertrag nicht
überschritten werden soll.
Wird nach Eingang einer Quartalsabrechnung von AOK und BHÄV festgestellt, dass dieser Finanzrahmen von 80,09
EUR um mehr als 5 % überschritten wird (entspricht mehr als 84,09 EUR, "Grenzwert"), so wird im Folgequartal unter
Berücksichtigung der Fallzahlentwicklung im hausärztlichen Bereich bezogen auf das jeweilige Vorjahresquartal die
Besondere Betreuungspauschale soweit angepasst, dass der Grenzwert von 84,09 EUR erreicht wird."
Im Übrigen enthalten weder der Vertragstext des AOKHzVV noch dessen Anlage 10 eine Regelung, die die Vergütung
des Arztes auf ein Fallwertbudget von 84,09 EUR begrenzt oder die an den Antragsteller zur Verteilung an die
teilnehmenden Ärzte geleistete Gesamtvergütung auf eine entsprechende Vergütungsobergrenze limitiert.
Die Überschreitung des Fallgrenzwertes von 84,09 EUR -bezogen auf alle abgerechneten Behandlungsfälle- löst somit
keine unmittelbare Begrenzung des Vergütungsanspruchs des teilnehmenden Arztes oder des Antragstellers und auch
keinen Honorarkürzungsanspruch aus, sondern beinhaltet nur eine Pflicht zur Anpassung der
Vergütungsvereinbarungen durch Verminderung der "Besonderen Betreuungspauschale" auf ein Niveau, das in der
Zukunft eine Einhaltung des Grenzwertes erwarten lässt.
Löst man nun, die Erfüllung der Tatbestandsvoraussetzungen der Meistbegünstigungsklausel des § 24 Abs.1
AOKHzVV zunächst unterstellend, die dort vorgesehene Rechtsfolge der "Anwendung des günstigeren Fallwerts" (des
anderen Vertrags) auf diesen Vertrag (= AOKHzVV) aus, ergibt sich keine unmittelbare Honorarminderung. Denn zieht
man tatsächlich den in § 10 Abs.9 des Vertrages zur hausarztzentrierten Versorgung gemäß § 73b SGB V vom
4.1.2010 mit den Betriebskrankenkassen in Bayern (BayBKKHzVV) festgelegten Fallwert von 76,00 EUR heran und
setzt diesen an Stelle des Grenzwertes der Ziffer VIII Anlage 10 AOKHzVV von 84,09 EUR, folgt daraus -ab
Feststellung der Überschreitung nach Eingang der Quartalabrechnung- nur eine vertragliche Pflicht zur Anpassung
einer Gebührenordnungsposition mit Wirkung für das Folgequartal. Eine Anpassung setzt ein Handeln der
Vertragsparteien durch einvernehmliche, ggf. mit Hilfe der Schiedsperson festgesetzte Vertragsänderung voraus. Die
Umsetzung erfordert eine Berücksichtigung der Fallzahlentwicklung und mehrere Rechenschritte. Ein unmittelbares
Absinken des Honorars - quasi ein automatisches "sich anpassen" der Höhe der Betreuungspauschale der Anlage 3 -
ist nicht Inhalt der Ziff. VIII Anlage 10 AOKHzVV. Die Meistbegünstigungsklausel des § 24 Abs. 1 AOKHzVV vermag
einen Anspruch auf Zustimmung zu einer Vertragänderung nicht zu einem Recht auf einseitige Honorarherabsetzung
umzuformen.
Davon abgesehen setzt § 24 Abs. 1 AOKHzVV die Wirksamkeit des niedrigeren Fallwertes durch Zustandekommen
eines Vertrages und zusätzlich sein Inkrafttreten voraus. Nach Ansicht des Senats haben die Vertragspartner den Fall
der zeitlichen Divergenz des Abschlusses des günstigeren HzV-Vertrags sowie dessen Inkrafttreten bzw. des
Inkrafttretens des niedrigeren Fallwertes nicht ausdrücklich geregelt. Die Lücke war im Lichte des Vertragsinhaltes
und der Ratio der Vereinbarung durch ergänzende Vertragsauslegung anhand des hypothetischen Parteiwillens zu
schließen.
Sinn und Zweck des § 24 Abs.2 AOKHzVV besteht, worauf auch die Antragsgegnerin hinweist, darin, vor
Wettbewerbsverzerrungen zu schützen, die entstehen, wenn eine konkurrierende Krankenkasse einen insgesamt
günstigeren Preis als die Antragsgegnerin eingeräumt erhält. Meistbegünstigung meint damit Gleichstellung mit dem
durch die Antragstellerin meistbegünstigten Konkurrenten. Verzerrend wirkt sich dies im Kassenwettbewerb aber erst
dann aus, sobald die konkurrierende Krankenkasse die gleichen Leistungen zu dem günstigeren Preis beziehen kann.
Dies bedeutet, dass nach der Ratio der Regelung die Gleichstellung erst dann ausgelöst wird, wenn die günstigeren
Vergütungspflichten zugunsten des Konkurrenten wirken, mithin die selektivvertragliche Vergütungspflicht in Kraft
getreten ist.
Hinzu tritt, dass der Charakter der Selektivvertrages erkennbar darauf gerichtet ist, fortlaufend zu erbringende
hausärztliche Leistungen zu vergüten, wobei dem Antragsteller die Aufgabe zugedacht ist, die erhaltene
Gesamtvergütung - insoweit einer Abrechnungsstelle gleich - zeitnah und grundsätzlich vollständig an die
teilnehmenden Hausärzte auszukehren. Mit dieser Zuweisung der gegenseitig übernommenen Aufgaben lässt sich ein
Wille zur zeitlich rückanknüpfenden Honorarabsenkung und auch eine Pflicht zur rückanknüpfenden Anpassung des
bereits ausgekehrten Honorars nur dann annehmen, wenn sich eine solche Pflicht ohne jeden Zweifel ergibt. Dies ist
vorliegend nicht der Fall.
Wie das Sozialgericht zutreffend ausgeführt hat, kommen die konkurrierenden Kassen nicht vor dem 1. Juli 2010 in
den Genuss des niedrigeren Fallwertes.
Zwar ist der HzV- Vertrag mit den bayerischen Betriebskrankenkassen zum 4. Januar 2010 abgeschlossen worden.
Die festsetzende Schiedsperson ist Vertragshelfer im Sinne des § 317 BGB. Die Festsetzung ist damit
Vertragsabschluss. Auch ist der Vertrag gem. § 16 Abs. 1 BayBKKHzVV bereits zum 1. Januar 2010 in Kraft gesetzt
worden. Die Regelung gilt aber ausdrücklich unbeschadet des nachfolgenden Absatzes 2. § 16 Abs.2 BayBKKHzVV
regelt sodann, dass die Anlage 3 erst am 1. Juli 2010 in Kraft tritt. Auch die Pflichten gemäß den §§ 10 bis 14 gelten
erst vom 1. Juli 2010 an.
Der von der Antragsgegnerin herangezogene Fallwert von 76,00 EUR/ Behandlungsfall ist in § 10 Abs.9
BayBKKHzVV verfasst. Im Übrigen lässt § 10 Abs.5 BayBKKHzVV die Vergütungsverpflichtungen der
Betriebskrankenkassen erst ab dem Zeitpunkt entstehen, ab dem mit der zuständigen Kassenärztlichen Vereinigung
eine Bereinigungsregelung nach § 73b Abs.7 SGB V zu diesem HzV-Vertrag getroffen wurde oder das zuständige
Schiedsamt den zu bereinigenden Behandlungsbedarf festgelegt hat, wonach die Krankenkasse vor ihrer
Zahlungsverpflichtung gegenüber der Kassenärztlichen Vereinigung durch diesen HzV-Vertrag insoweit befreit ist. Ob
dies geschehen ist, ist dem Senat nicht bekannt. Damit ist dieser Fallwert zumindest nicht vor dem 1. Juli 2010
wirksam geworden.
Käme die Antragsgegnerin bereits vor Inkrafttreten des niedrigeren Fallwerts, etwa ab Festsetzung des
Vertragsinhaltes durch die Schiedsperson in den Genuss der Begünstigung, bedeutete dies keinen Anspruch auf
Gleichstellung mit dem meistbegünstigten Konkurrenten, sondern einen Anspruch auf Besserstellung.
Mithin vermag der begünstigende Fallwert des § 10 Abs. 9 BayBKKHzVVV von EUR 76 den Grenzwert der Anlage 10
von EUR 84,09 -vorbehaltlich der erfolgten Bereinigung des BayBKKHzVV - frühestens ab dem 1. Juli 2010 zu
ersetzen. Damit könnte nach Eingang der Quartalsabrechnung des dritten Quartals die Überschreitung des
Zielkorridors (76 EUR zzgl. 5 % = 79,80 EUR) festzustellen sein, was dann die vertragliche Anpassung mit Wirkung
ab dem Folgequartal auslöst. Im Falle der Nichteinigung hat diese durch die Schiedsperson zu erfolgen (vgl. § 19
AOKHzVV). Bis dahin besteht für Honorareinbehalte kein Raum (ausführlich dazu: Beschluss des Senats vom 3. Juli
2009, L 12 KA 33/09 B ER, juris).
Soweit die Antragsgegnerin vorträgt, der Antragsgegner habe gröblich Vertragspflichten und Vertragstreuepflichten
verletzt, ändert dies nichts. Denn bis zu einer Vertragsbeendigung bleibt die Antragsgegnerin an die eingegangenen
vertraglichen Pflichten gebunden.
Nach alldem ist das Bestehen eines Anordnungsanspruchs überwiegend wahrscheinlich. Die Antragsgegnerin war zur
einseitigen Honorarkürzung nicht berechtigt. Damit kann dahingestellt bleiben, ob der Fallwert des § 10 Abs.9
BayBKKHzVV "insgesamt niedriger" ist und einen "vergleichbaren Vergütungstatbestand" im Sinne des § 24 Abs.1
AOKHzVV darstellt.
Mithin ließe sich am Bestehen eines Anordnungsanspruches nur dann zweifeln, wenn der zwischen den Beteiligten
geschlossene öffentlich-rechtliche Vertrag gem. § 73b SGB V wegen qualifizierter Rechtsverstöße nichtig wäre und
daraus ein Nichtschulden der Vergütung folgen würde. Dafür ergibt sich bei summarischer Prüfung kein ausreichender
Anhalt.
Angesichts der überwiegenden Wahrscheinlichkeit des Bestehens eines Anordnungsanspruches sind an das
Bestehen eines Anordnungsgrundes nur geringe Anforderungen zu stellen. Daher ist dem Interesse des Antragstellers
an einer störungsfreien Sicherstellung der Patientenversorgung auch im Rahmen des Selektivvertragsystems Vorrang
einzuräumen gegenüber dem Interesse der Antragsgegnerin, im Falle eines Obsiegens in der Hauptsache die
Rückforderungsansprüche durchsetzen zu können. Angesichts der Evidenz des Anordnungsanspruchs ist
hinzunehmen, dass die Durchsetzung einer Rückforderung infolge der Auskehrung der gezahlten Vergütungen und
aufgrund der behaupteten Beendigung des Vertrages erschwert sein könnte.
Aus diesen Gründen war die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts München vom
3. Dezember 2010 zurückzuweisen. Damit war auch ihr im Beschwerdeverfahren gestellter Antrag auf Rückzahlung
der zwischenzeitlich vollstreckten Forderung abzulehnen.
Die Antragsgegnerin hat auch die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen (§ 197a SGG in entsprechender
Anwendung i.V.m. § 154 Abs.1 VwGO).
Der Beschluss ist nicht anfechtbar (§177 SGG).