Urteil des LSG Bayern vom 24.07.2002

LSG Bayern: befreiung von der versicherungspflicht, mitarbeit, arbeitsentgelt, einkünfte, form, wohnung, taschengeld, pflege, begriff, lebensversicherung

Bayerisches Landessozialgericht
Urteil vom 24.07.2002 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht München S 30 LW 165/98
Bayerisches Landessozialgericht L 16 LW 20/00
I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 27.01.2000 wird zurückgewiesen. II.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. III. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Streitgegenstand ist die Befreiung von der Versicherungspflicht.
Der am 1960 geborene Kläger ist gelernter Sägewerker und seit 01.05.1997 Pächter einer landwirtschaftlichen Fläche
von ca. 28,00 ha, wovon der überwiegende Teil seinen Eltern gehört.
Mit Bescheid vom 18.02.1998 stellte die LAK Oberbayern seine Versicherungspflicht als Landwirt ab 01.05.1997 fest.
Am 26.02.1998 ging eine Bestätigung einer Steuerberatungsgesellschaft ein, dass der Kläger im Sägewerksbetrieb
des Vaters mitarbeitet und hierfür freie Kost und Unterkunft und gelegentliches Taschengeld erhält. Laut den eigenen
Angaben arbeitet er seit 1986 als selbstständiger Sägewerker ca. 40 bis 50 Stunden wöchentlich, während er für das
landwirtschaftliche Unternehmen wöchentlich ca. 20 bis 25 Stunden aufwendet. Die AOK bestätigte eine
versicherungspflichtige Beschäftigung beim Vater lediglich für die Zeit vom 01.06.1982 bis 31.12.1984.
Rentenversicherungsbeiträge werden seit 1986 ebenfalls nicht entrichtet. Die LAK lehnte den Befreiungsantrag des
Klägers am 21.04.1998 mit der Begründung ab, der Kläger erziele weder Arbeitsentgelt noch Arbeitseinkommen. Freie
Kost und Unterkunft sowie Taschengeld würden nur im Rahmen der Familienbindung gewährt.
Im Widerspruchsverfahren machte der Kläger geltend, mit seiner hauptberuflichen Tätigkeit im Sägewerk erwirtschafte
er freie Kost, Unterkunft, Krankenversicherung und private Rentenversicherung. Als 70-Jähriger könne der Vater nur in
geringem Umfang mithelfen. Ein schriftlicher Vertrag mit dem Vater existiere ebenso wenig wie eine
Gewerbeanmeldung.
Auf Befragen teilte das Finanzamt Rosenheim mit, dass der Vater die Sachbezüge nicht als Ausgaben geltend
gemacht hat. Der Kläger selbst ist steuerlich nicht erfasst.
Die LKK stellte am 07.05.1998 fest, dass der Kläger ab 01.05. 1997 gesetzlich kranken- und pflegeversichert sei.
Die LAK Oberbayern wies den Widerspruch am 24.09.1998 zurück. Die geltend gemachten Einkünfte seien weder
solche aus abhängiger Beschäftigung noch aus selbständiger Tätigkeit.
Mit der am 22.10.1998 erhobenen Klage machte der Kläger geltend, freie Kost und Wohnung stellten gemäß § 14
SGB IV Arbeitsentgelt dar. Wegen Überschreitens der Mindestgrenze des § 3 Abs.1 Ziffer I ALG stehe ihm ein
Befreiungsrecht zu. Das Sozialgericht München wies die Klage am 27.01.2000 mit der Begründung zurück, wegen
fehlender Lohnsteuerpflicht und fehlendem Korrelat zwischen Arbeitszeit und Entgelt sei die Arbeitnehmereigenschaft
zu verneinen. Das Motiv für die Mitarbeit im elterlichen Betrieb sei das Interesse, Substanz und Ertrag des später
dem Kläger zufallenden Sägewerksbetriebs zu stärken.
Gegen das am 10.04.2000 zugestellte Urteil legte der Kläger am 10.05.2000 Berufung ein. Seines Erachtens ist die
steuerrechtliche Behandlung nur ein Indiz gegen die Arbeitnehmereigenschaft; er sei in seiner Lebensgestaltung frei
und für keinen anderen Arbeitgeber tätig. Die Übergabe des Sägewerks an ihn stehe in Aussicht, ein genauer
Zeitpunkt könne aber nicht genannt werden. Wegen der Ungewissheit der möglichen Erbenstellung könne von keiner
familienhaften Mitarbeit ausgegangen werden. Er wehre sich auch gegen den Unsinn einer doppelten
Krankenversicherung.
Entsprechend der vorgelegten Bestätigungen entrichtete der Vater des Klägers ab 1997 monatlich über 640,00 DM an
Leistungen für die private Kranken-, Pflege- und Lebensversicherung des Klägers.
Ein am 14.05.2002 geschlossener widerruflicher Vergleich wurde vom Kläger am 26.06.2002 innerhalb der bis
30.06.2002 eingeräumten Widerrufsfrist widerrufen.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts München vom 27.01.2000 und den Bescheid der Beklagten vom 21.04.1998 in Gestalt
des Widerspruchsbescheids vom 24.09.1998 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, den Kläger von der
Versicherungspflicht zur landwirtschaftlichen Alterskasse zu befreien.
Die Beklagte beantragt
die Zurückweisung der Berufung.
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Inhalt der Beklagtenakten, der Klageakten des Sozialgerichts München
sowie die Berufungsakten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die statthafte, form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig, erweist sich jedoch als unbegründet. Das Urteil
des Sozialgerichts München vom 27.01.2000 ist ebenso wenig zu beanstanden wie der Bescheid der LAK Oberbayern
vom 21.04.1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 24.09.1998. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die
Befreiung von der Versicherungspflicht in der landwirtschaftlichen Alterssicherung.
Landwirte werden auf Antrag von der Versicherungspflicht befreit, solange sie regelmäßig Arbeitsentgelt,
Arbeitseinkommen, vergleichbares Einkommen oder Erwerbsersatzeinkommen beziehen, das ohne Berücksichtigung
des Arbeitseinkommens aus Land- und Forstwirtschaft ein Siebtel der Bezugsgröße überschreitet (§ 3 Abs.1 Ziffer 1
ALG). Angesichts der Bestandskraft des Feststellungsbescheids vom 18.02.1998 ist unstreitig, dass der Kläger als
Landwirt versicherungspflichtig ist. Nach dem Wortlaut des § 1 Abs.2 ALG hängt die Versicherungspflicht des Allein-
Unternehmers keinesfalls davon ab, dass er die landwirtschaftliche Tätigkeit hauptberuflich ausübt. Dieser Aspekt ist
auch für die Befreiung unmaßgeblich. Entscheidend ist vielmehr, ob die oben genannten Einkünfte erzielt werden. Aus
der Mitarbeit im Sägewerksbetrieb seines Vaters erzielt der Kläger weder Arbeitsentgelt noch Arbeitseinkommen, das
ein Befreiungsrecht begründet.
Arbeitsentgelt sind alle laufenden oder einmaligen Einnahmen aus einer Beschäftigung, gleichgültig ob ein
Rechtsanspruch auf die Einnahmen besteht, unter welcher Bezeichnung oder in welcher Form sie geleistet werden
und ob sie unmittelbar aus der Beschäftigung oder im Zusammenhang mit ihr erzielt werden (§ 14 Abs.1 SGB IV).
Beschäftigung ist die nichtselbstständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis (§ 7 Abs.1 SGB IV).
Grundsätzlich schließt die Tatsache der Verwandtschaft das Vorliegen eines Beschäftigungsverhältnisses nicht aus.
Auch bei der Beschäftigung von Kindern des Betriebsinhabers kommt es darauf an, ob nach den gesamten
Umständen des Einzelfalls ein Beschäftigungsverhältnis mit Entgeltzahlung vorliegt oder nur Mithilfe auf Grund der
Familienzugehörigkeit ohne Eingliederung in den Betrieb und ohne Gewährung von Arbeitsentgelt (für mitarbeitende
Familienangehörige in der Landwirtschaft BSGE 17, 1 ff.). In Abgrenzung zur lediglich familienhaften Mithilfe setzt ein
entgeltliches Beschäftigungsverhältnis neben der Eingliederung des Beschäftigten in den Betrieb und dem ggf.
abgeschwächten Weisungsrecht des Arbeitgebers voraus, dass der Beschäftigte ein Entgelt erhält, das einen
angemessenen Gegenwert für die geleistete Arbeit darstellt, mithin über einen freien Unterhalt, ein Taschengeld oder
eine Anerkennung für Gefälligkeiten hinausgeht. Weitere Abgrenzungskriterien sind nach höchstrichterlicher
Rechtsprechung betreffend das gesamte Sozialversicherungsrecht, ob ein schriftlicher Arbeitsvertrag abgeschlossen
worden ist, ob das gezahlte Entgelt der Lohnsteuerpflicht unterliegt, als Betriebsausgabe verbucht und dem
Angehörigen zur freien Verfügung ausgezahlt wird, und schließlich, ob der Angehörige eine fremde Arbeitskraft ersetzt
(BSG vom 27.06.2000 in SozR 3-2200 § 548 Nr.37). Unter Zugrundelegung dieser Grundsätze kann von keinem
echten Beschäftigungsverhältnis zwischen dem Kläger und seinem Vater ausgegangen werden, vielmehr handelt es
sich dabei um familienhafte Mitarbeit.
Hierfür spricht insbesondere, dass der Kläger keinen angemessenen Gegenwert für seine 40 Stunden wöchentlich
umfassende Mitarbeit erhält. Die Summe der von ihm genannten Leistungen in Form von Kost, Unterkunft, Beiträgen
für Kranken-, Pflege- und Lebensversicherung ergibt mit ca. 1.400,00 DM 1997 einen Stundenlohn von 8,75 DM. Für
die Leistung eines gelernten Sägewerkers ist dies zweifellos inadäquat. Hinzu kommt, dass kein schriftlicher
Arbeitsvertrag abgeschlossen wurde, und die Leistungen des Vaters weder als Betriebsausgabe verbucht noch an den
Kläger zur freien Verfügung ausgezahlt werden. Auch wird vom Vater keine Lohnsteuer abgeführt.
Der Kläger erzielt auch kein befreiungsrelevantes Arbeitseinkommen. Arbeitseinkommen ist der nach den allgemeinen
Gewinnermittlungsvorschriften des Einkommensteuerrechts ermittelte Gewinn aus einer selbstständigen Tätigkeit.
Einkommen ist als Arbeitseinkommen zu werten, wenn es als solches nach dem Einkommensteuerrecht zu bewerten
ist (§ 15 Abs.1 SGB IV). Der Kläger, der nicht zur Einkommensteuer veranlagt wird, kann keinen Gewinn im Sinne
des § 15 Abs.1 Satz 1 vorweisen. In Betracht käme allenfalls, wie von den Steuerberatern vorgetragen, der geldwerte
Vorteil in Form von Kost und Wohnung. Die Übernahme der Beiträge zur Kranken-, Pflege- und Lebensversicherung
ist kein Arbeitseinkommen im Sinne des Einkommensteuerrechts. Es handelt sich dabei um Sonderausgaben (§ 10
Abs.1 Ziffer 2a und b EStG), die einkunftsmindernd zu berücksichtigen sind. "Einkommen" ist der um die
Sonderausgaben verminderte Gesamtbetrag der Einkünfte (§ 2 Abs.4 EStG). Die Bewertung von Unterkunft und
Verpflegung als Arbeitseinkommen scheitert jedoch daran, dass der Kläger mangels Kapitaleinsatz und
Unternehmerrisiko im Sägewerksbetrieb seines Vaters nicht wie ein Selbstständiger tätig sein kann. Er arbeitet
ausschließlich im Betrieb des Vaters mit, sodass er keinen anderen Auftraggeber hat. Hinzu kommt, dass der
Zusammenhang zwischen der Gewährung von Unterkunft und Kost mit der Mitarbeit im Sägewerk äußerst fraglich
erscheint. Dass ein Landwirt von seinem ledigen Kind, das auf dem elterlichen Anwesen wohnt und die
landwirtschaftlichen Flächen plus Hoffläche gepachtet hat, Miete und Kostgeld fordert, ist äußerst ungewöhnlich. Es
liegt im Interesse des Verpächters, dass der Pächter in unmittelbarer Nähe des Hofs wohnt, so dass der
Zusammenhang zwischen der Mitarbeit im Sägewerk und den Leistungen des Vaters konstruiert erscheint. Der Vater
setzt die Sachbezüge auch nicht als Ausgaben ab.
Der Kläger arbeitet im Betrieb des Vaters nahezu unentgeltlich in Erwartung einer späteren Übernahme des Betriebs
mit. Zutreffend schreibt das Sozialgericht, Motiv des Klägers sei das völlig plausible Interesse, Substanz und Ertrag
des irgendwann einmal ihm zufallenden Sägewerkbetriebs zu stärken. Dies liegt im gemeinsamen Interesse der
gesamten Familie, sodass die Arbeitsleistung des Klägers als familienhafte Mithilfe zu qualifizieren ist.
Die daraus fließenden Leistungen des Vaters können nicht als "vergleichbare Einkünfte" im Sinne des § 3 Abs.1 Ziffer
1 ALG gewertet werden. Die Gesetzgebungsmaterialien zu § 3 Abs.1 ALG geben zum Begriff "vergleichbares
Einkommen" keinen näheren Aufschluss. Wie das Bundessozialgericht festgestellt hat (Entscheidung vom
02.12.1999 Az.: B 10 LW 6/99 R), wurde mit der Bestimmung des maßgeblichen Einkommens der Regelungsgehalt
des früheren § 3c Abs.2 GAL fast wörtlich übernommen. Zu dieser Norm heißt es in der Begründung zum
Gesetzentwurf, vergleichbare Einkommen seien z.B. Bezüge aus einem öffentlich-rechtlichen Amtsverhältnis (z.B.
der Minister und parlamentarischen Staatssekretäre), Entschädigungen für Abgeordnete, vom Arbeitgeber gezahlte
Überbrückungsgelder und Vorruhestandsgelder (3. ASEG, Stellungnahme zu den Art.1, 2, 4 und 6 bis 10,
herausgegeben vom Gesamtverband der landwirtschaftlichen Alterskassen, S.106). Nur derartiges Einkommen ist
dem Arbeitsentgelt oder dem Arbeitseinkommen von seiner Funktion her und seiner rechtlichen Ausgestaltung
vergleichbar (siehe auch Kommentar Hauck/ Haines zum SGB IV, § 18a Rdnr.34). Typisch ist für diese, dass sie
Verdienstausfall adäquat ersetzen. Das geschieht vorliegend in keiner Weise.
Zu berücksichtigen ist, dass § 3 Abs.1 Ziffer 1 ALG auch von mitarbeitenden Familienangehörigen in Anspruch
genommen werden kann. Diese hat der Gesetzgeber gemäß § 1 Abs.8 ALG allein auf Grund ihrer hauptberuflichen
Tätigkeit im Unternehmen der Landwirtschaft für versicherungspflichtig gehalten. Die Zielrichtung des Gesetzes,
diesen Personenkreis in die landwirtschaftliche Alterssicherung einzubeziehen, würde verfehlt, wollte man ein
Befreiungsrecht schon bei der üblichen Gewährung von freier Kost und Wohnung bejahen. Es würde Sinn und Zweck
der gesetzlichen Regelung widersprechen, die vom Begriff des Arbeitsentgelts zu trennenden Leistungen aus
familienhafter Mithilfe über den Begriff des vergleichbaren Einkommens wieder zu privilegieren.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Nachdem zur Berücksichtigung von Einkünften aus familienhafter Mitarbeit bei der Befreiung weder zum GAL noch
zum ALG höchstrichterliche Rechtsprechung vorliegt, ist wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Streitsache die
Revision zuzulassen.