Urteil des LSG Bayern vom 28.07.2004

LSG Bayern: rente, erwerbsunfähigkeit, psychiatrische behandlung, berufsunfähigkeit, arbeitsmarkt, leistungsfähigkeit, verminderung, erwerbstätigkeit, gefährdung, arbeitsbedingungen

Bayerisches Landessozialgericht
Urteil vom 28.07.2004 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Augsburg S 1 RJ 400/96
Bayerisches Landessozialgericht L 16 RJ 351/00
I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 27. Januar 2000 wird zurückgewiesen. II. Dem
Kläger sind die außergerichtliche Kosten zu erstatten. III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist ein Anspruch des Klägers auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsunfähigkeit an Stelle einer Rente
wegen Berufsun- fähigkeit ab 18.05.1994.
Der 1957 geborene Kläger hat von 1972 bis 1975 den Beruf des Buchdruckers erlernt und war zuletzt von April 1977
bis zum Eintritt einer langfristigen Arbeitsunfähigkeit im April 1991 als Tiefdrucker versicherungspflichtig beschäftigt.
Anschließend bezog er Krankengeld und Arbeitslosengeld.
Am 21.05.1992 beantragte der Kläger die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsunfähigkeit. Nach ambulanter
Begutachtung des Klägers durch den Nervenarzt Dr. K. (Gutachten vom 23.12.1992) lehnte die Beklagte den Antrag
ab (Bescheid vom 05.03.1993). Beim Kläger lägen psychovegetative Beschwerden vor. Er sei aber noch in der Lage,
leichte bis mittelschwere Arbeiten als Facharbeiter oder in gleichwertiger Tätigkeit sowie auf dem allgemeinen
Arbeitsmarkt vollschichtig zu verrichten. Für den Fall, dass von der Berufsgenossenschaft (BG) das Vorliegen einer
Berufserkrankung anerkannt werde, werde über den Rentenantrag nochmals entschieden.
Dagegen erhob der Kläger Widerspruch. Bei ihm liege eine toxische Enzephalopathie vor, die durch ein
neurologisches Zu- satzgutachten zu klären sei. Er legte u.a. den Entlassungsbe- richt über stationäre psychiatrische
Behandlungen vom 02.09. bis 01.10.1993 und 12.10. bis 19.10.1993 vor. Nach Auswertung dieser Unterlagen und des
Entlassungsberichts über eine vom 05.04. bis 17.05.1994 wegen Verdachts auf toxische Lösungs- mittelintoxikation
und neurotisch-hypochondrischer Entwicklung durchgeführte stationäre medizinische Rehabilitationsmaßnahme kam
der Sozialmedizinische Dienst der Beklagten (Dr. K. , Stellungnahme vom 26.07.1994) zu dem Ergebnis, der Kläger
könne seine Tätigkeit als Tiefdrucker seit der stationären Behandlung vom September 1993 nur noch zweistündig
ausüben. Auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt seien ihm aber noch leichte körperliche Tätigkeiten in wechselnder
Körperhaltung ohne Schichtbedingungen, besonderen Zeitdruck oder Lösungsmittelexposition zumutbar.
Ein Angebot der Beklagten, dem Kläger im Anschluss an das bis 17.05.1994 gewährte Übergangsgeld Rente wegen
Berufsunfähigkeit auf Dauer zu gewähren, lehnte der Kläger ab. Er legte u.a. ein Gutachten des Dermatologen Dr. M.
vom 11.12.1994 vor, das dieser in einem Verfahren vor dem SG Augsburg (S 11 Vs 628/92) erstattet hatte, und
begehrte weiterhin Rente wegen Erwerbsun- fähigkeit.
Die Beklagte bewilligte dem Kläger Rente wegen Berufsunfähig- keit auf Dauer ab 18.05.1994 (Bescheid vom
28.02.1996 und wies den Widerspruch im Übrigen zurück (Widerspruchsbescheid vom 04.07.1996), nachdem der
Kläger eine nervenärztliche Begutachtung unter Hinweis auf die bisherige Verfahrensdauer abgelehnt hatte. Die
Beklagte wies darauf hin, dass die zuständige BG Druck und Papierverarbeitung die Anerkennung einer
Berufskrankheit mit Bescheid vom 12.08.1993 (bestandskräftig, vgl. Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts -
LSG - vom 21.09.2000 - L 3 U 177/00 -) abgelehnt habe und der Kläger nach den bisher vorliegenden ärztlichen
Unterlagen noch in der Lage sei, auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt unter betriebsüblichen Arbeitsbedingungen
vollschichtig tätig zu sein. Eine weitere Sachaufklärung sei nicht möglich, da der Kläger die dafür notwendige
nervenärztliche Untersuchung abgelehnt habe.
Dagegen hat der Kläger am 09.07.1996 (Eingang beim Gericht) Klage zum SG erhoben und eine toxikologische
Begutachtung be- gehrt.
Das SG hat u.a. die Akten der Beklagten, des Arbeitsamtes Kemp- ten, der BG Druck und Papierverarbeitung, des
SG im dortigen Klageverfahren S 9 U 129/96 sowie des LSG im Berufungsverfahren L 15 Vs 77/95 mit einem
nervenärztlichen Gutachten der Sach- verständigen Dr. P. vom 12.11.1996 und ergänzender Stellungnahme vom
16.01.1997 beigezogen.
Nachdem der Kläger eine nervenärztliche Begutachtung mit der Begründung abgelehnt hatte, es liege bei ihm keine
psychia- trisch-neurologische Erkrankung vor (Schreiben vom 06.05.1998), hat das SG ein Gutachten des Internisten,
Nephrologen und Umweltmediziners Prof. Dr. H. vom 14.03.1999 eingeholt.
Prof. Dr. H. hat beim Kläger nach ambulanter Untersuchung die Diagnosen
- toxische Enzephalopathie, Großhirnrindenatrophie
- multifokale Perfusionsminderung der gesamten Hirnrinde
- Polyneuropathie
- zentrale Gleichgewichtstörungen
- schwere psychovegetative Veränderungen
- persistierende Verminderung der Immunabwehrlage (humoral und zellulär)
gestellt, wobei die Enzephalopathie und die Verminderung der Immunabwehrlage im Rentenverfahren noch nicht
berücksichtigt worden seien.
Die bereits 1992 nachgewiesene dauerhafte Schädigung der Immu- nität lasse eine regelmäßige Erwerbstätigkeit des
Klägers nicht mehr zu. Darüber hinaus könne er keine längeren Anmarschwege zur Arbeit zurücklegen und keine
Arbeiten verrichten, die mit Zeitdruck, Einzel- und Gruppenarbeit, Fließband- und Taktar- beit, Bücken, Wechsel- und
Nachtschicht, Kälte, Hitze, ständi- gen Temperaturschwankungen, Zugluft, Nässe, Staub, Gas, Dampf, Rauch und
Reizstoffen, Anforderungen an den Gleichgewichtssinn oder das Konzentrations- und Reaktionsvermögen sowie das
Um- stellungs- und Anpassungsvermögen verbunden seien. Auf Grund der Hirnatrophie und zentraler
Gleichgewichtstörungen könne er Tätigkeiten nur noch sitzend verrichten.
Der Sozialmedizinische Dienst der Beklagten (Dr. K. , Neurologe und Psychiater, Stellungnahme vom 07.07.1999) hat
dazu ausgeführt, dass sich trotz neuroradiologisch nachgewiesener Veränderungen an der Hirnsubstanz in Form einer
subkortikalen Enzephalopathie kein Hinweis auf eine schwerwiegende motorische, sensible bzw. sensomotorische
oder neuropsychologische Defizitsymptomatik ergeben habe, so dass der Kläger weiterhin vollschichtig leichte bis
mittelschwere Tätigkeiten ohne besondere Anforderungen an die nervliche Belastbarkeit und Konzentration verrichten
könne. Außerdem sei eine Gefährdung durch Kälte, Zugluft, Nässe und häufige Temperaturwechsel, häufiger
Publikumsverkehr und eine Exposition gegenüber organischen Lösungsmitteln zu vermeiden (prüfärztliche
Stellungnahme Dr. S. , Internist und Sozialmediziner, vom 20.08.1999).
Das SG hat sich der Leistungsbeurteilung des Sachverständigen Prof. Dr. H. angeschlossen und die Beklagte unter
Abänderung des Bescheides vom 05.03.1993 in der Fassung des Bescheides vom 28.02.1996 und in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 04.07. 1996 verpflichtet, dem Kläger ab 18.05.1994 Rente wegen Erwerbsunfähigkeit
an Stelle von Rente wegen Berufsunfähigkeit zu gewähren (Urteil vom 27.01.2000).
Der Kläger sei seit September 1993 aus medizinischen Gründen erwerbsunfähig im Sinne des § 44 Abs.2 Satz 1
1.Halbsatz Sech- stes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) in der bis zum 31.12.2000 geltenden Fassung (a.F.). Das
Leistungsvermögen des Klägers werde insbesondere durch eine dauerhafte Schädigung der Immunität, eine
Hirnatrophie und zentrale Gleichgewichtsstörungen sowohl in qualitativer als auch in quantitativer Hinsicht erheblich
eingeschränkt. Diese Gesundheitsstörungen hätten bei der Leistungsbeurteilung im Verwaltungsverfahren noch keine
ausreichende Berücksichtigung gefunden.
Gegen das ihr am 08.06.2000 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 16.06.2000 (Eingang bei Gericht) Berufung zum
LSG eingelegt. Bei der Urteilsfindung sei eine vom Internisten und Sozialmediziner Dr. S. bereits am 25.05.1999
abgegebene Stellungnahme nicht hinreichend berücksichtigt und keine ergänzende Stellungnahme des
Sachverständigen Prof. Dr. H. eingeholt worden. Eine zeitliche Einschränkung des Leistungsvermögens sei nicht
begründet.
In der Stellungnahme vom 25.05.1999 wird ausgeführt, der beim Kläger bestehende Antikörpermangel schließe
lediglich Tätigkei- ten mit erhöhter Infektionsgefahr aus, insbesondere Tätigkeiten unter Gefährdung durch Kälte,
Zugluft, Nässe, häufigen Tempera- turwechsel oder mit häufigem Publikumsverkehr. Ansonsten leide der Versicherte
hauptsächlich unter einem bis in die achtziger Jahre zurückverfolgenden Komplex vielfältiger Symptome, der
schwerpunktmäßig dem neurologisch-psychiatrischen Fachgebiet zuzuordnen sei.
Das LSG hat zu den von Dr. S. erhobenen Einwendungen eine ergänzende Stellungnahme des Sachverständigen
Prof. Dr. H. vom 19.03.2001 eingeholt und den Kläger durch den Neurologen Prof. Dr. B. (Gutachten vom 10.06.2003)
ambulant begutachten lassen. Dieser hat folgende Diagnosen gestellt:
- leichte Polyneuropathie ohne aktuelle Reizempfindungs- und Gefühlstörungen, Lähmungen oder
Muskelverschmächtigungen
- kernspintomographisch beschriebene kortikale Hirnatrophie.
Die Gebrauchsfähigkeit der Extremitäten werde durch die leichte sensible Polyneuropathie nicht nennenswert
beeinflusst. Nerven- ärztlich entscheidend seien seelische Krankheitserscheinungen, die sich in die Zeit vor 1993
zurückverfolgen ließen, sich seither nicht entscheidend verändert hätten und eine berufliche Betätigung auf dem
allgemeinen Arbeitsmarkt praktisch unmöglich machten. Nach der Länge der Zeit, in der der Kläger keiner
Berufstätigkeit nachgegangen sei, und bei der Art seiner seelischen Störung sei es unwahrscheinlich, dass er sich
noch auf andere Erwerbstätigkeiten umstellen könne. Gegebenenfalls komme eine fachpsychiatrische Begutachtung
in Frage.
Eine ambulante fachpsychiatrische Begutachtung hat der Kläger abgelehnt. In einem auf Veranlassung des Senats
nach Aktenlage erstellten Gutachten vom 18.03.2004 (mit ergänzender Stellung- nahme vom 24.05.2004) ist die
Psychiaterin Dr. P. zu dem Ergebnis gekommen, der Kläger leide bereits seit 1992 an einer krankheitswertigen
psychosomatischen Störung, die mit überwiegender Wahrscheinlichkeit bereits ab September 1993 (Beginn einer
stationären psychiatrischen Behandlung) so ausgeprägt gewesen sei, dass sie vom Kläger nicht ausreichend
überwunden werden konnte. Er sei seitdem aus psychiatrischer Sicht für eine geregelte Tätigkeit des allgemeinen
Arbeitsmarktes nicht mehr belastbar gewesen.
Der Sozialmedizinische Dienst der Beklagten (Stellungnahme der Psychiaterin Dr. W. vom 16.04.2004) hat dieser
Leistungseinschätzung widersprochen.
Die Beklagte beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 27.01.2000 aufzuheben und die Klage gegen den
Bescheid vom 05.03.1993 in der Fassung des Bescheides vom 28.02.1996 und in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 04.07.1996 abzuwei- sen.
Der Kläger beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Der Senat hat die Akten der Beklagten, des SG (S 1 Ar 508/95 und S 1 RJ 400/96) sowie des LSG (L 15 Vs 77/95
und L 3 U 177/00) beigezogen. Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die beigezogenen Akten und die
Berufungsakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG -), aber nicht
be- gründet.
Gegenstand des Verfahrens ist der Bescheid der Beklagten vom 05.03.1993 in der Fassung des Bescheides vom
28.02.1996 und in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04.07.1996, mit dem es die Beklagte (zuletzt)
abgelehnt hat, dem Kläger ab 18.05. 1994 an Stelle einer Rente wegen Berufsunfähigkeit eine Rente wegen
Erwerbsunfähigkeit zu gewähren. Das SG hat der dagegen erhobenen Klage mit Urteil vom 27.01.2000 zu Recht
stattgegeben. Der Kläger hat Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsunfähigkeit ab 18.05.1994.
Der Anspruch des Klägers richtet sich nach den Vorschriften des SGB VI a.F., da er den zu Grunde liegenden Antrag
vor dem 03.04.2001 gestellt hat und Rente (auch) für Zeiten vor dem 01.01.2001 begehrt (§ 300 Abs.2 SGB VI i.V.m.
§ 26 Abs.3 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch - SGB X -).
Nach § 44 Abs.1 SGB VI alter Fassung haben Versicherte bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres Anspruch auf
Rente wegen Er- werbsunfähigkeit, wenn sie
1. erwerbsunfähig sind,
2. in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsunfähig- keit drei Jahre Pflichtbeitragszeiten haben und
3. vor Eintritt der Erwerbsunfähigkeit die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.
Der Kläger bezieht seit 18.05.1994 Rente wegen Berufsunfähigkeit und erfüllt sowohl die Wartezeit als auch die
besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit. Der Kläger ist auch
erwerbsunfähig im Sinne der Vorschrift.
Erwerbsunfähig sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Be- hinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind,
eine Er- werbstätigkeit in gewisser Regelmäßigkeit auszuüben oder Ar- beitsentgelt oder Arbeitseinkommen zu
erzielen, das ein Siebtel der monatlichen Bezugsgröße (in der Zeit vom 01.04.1999 bis 31.12.2000: monatlich 630,00
DM) übersteigt (§ 44 Abs.2 Satz 1 SGB VI alte Fassung). Diese Voraussetzungen sind beim Kläger im streitigen
Zeitraum erfüllt, da er nach Ansicht der Sachverständigen Dr. P. bereits seit September 1993 nicht mehr in der Lage
ist, einer regelmäßigen Erwerbstätigkeit unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes
nachzugehen.
Eine so weitreichende Einschränkung des Leistungsvermögens ergibt sich nicht bereits aufgrund der von Prof. Dr. H.
genannten Diagnosen einer Schädigung des Immunsystems, einer Hirnrindenatrophie und zentraler
Gleichgewichtstörungen. Die Beklagte hat zu Recht darauf hingewiesen, dass eine Schädigung des Immunsystems
allein zunächst nur die Infektions- und damit Erkrankungsgefahr des Betroffenen erhöht, jedoch nach Aktenlage beim
Kläger bereits seit Jahren keine schweren Infektionserkrankungen mehr aufgetreten sind, sodass bei entsprechendem
Schutz vor krankheitsauslösenden Einflüssen wie Kälte, Nässe, Temperaturschwankungen und Publikumsverkehr
eine vollschichtige Leistungsfähigkeit des Klägers nicht ausgeschlossen erscheint. Es gibt weder Nachweise dafür,
dass die körperliche Leistungsfähigkeit des Klägers durch wiederkehrende schwere Infekte dauerhaft wesentlich
gemindert wäre, noch dafür, dass unter üblichen Arbeitsbedingungen mit häufigen, für Arbeitgeber unzumutbaren
Arbeitsunfähigkeitszeiten zu rechnen wäre. Die angegebenen zentralen Gleichgewichtstörungen beeinträchtigen weder
die Fähigkeit des Klägers zur Ausübung sitzender Tätigkeiten noch seine Wegefähigkeit. Aus der apparativ
verifizierten Hirnrindenatrophie allein lassen sich keine Rückschlüsse auf kognitive oder mentale Defizite des Klägers
ziehen, die eine vollschichtige Berufstätigkeit grundsätzlich ausschließen würden. Auch das neurologische Gutachten
des Sachverständigen Prof. Dr. B. hat auf diesem Fachgebiet keine Befunde erbracht, die eine vollschichtige
Leistungsfähigkeit des Klägers ausschließen. Die einzig neurologisch feststellbare Erkrankung einer leichten
sensiblen Polyneuropathie beeinträchtigt nach überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen die
Gebrauchsfähigkeit der Extremitäten beim Kläger nicht nennenswert.
Der langjährige Krankheitsverlauf hat beim Kläger jedoch nach den ausführlichen Darlegungen der Sachverständigen
Dr. P. zu einer krankheitswertigen psychosomatischen Störung geführt, die spätestens im September 1993
(Aufnahme in eine stationäre psychiatrische Behandlung) so ausgeprägt war, dass sie vom Kläger nicht mehr
überwunden werden konnte. Unabhängig von der Frage, welche Schwere die organischen Erkrankungen des Klägers
objektiv aufweisen und welche objektivierbaren Leis-tungseinbußen sich hieraus ergeben, war jedenfalls der Kläger
selbst nach den Ausführungen der Sachverständigen unverrückbar davon überzeugt, schwer organisch erkrankt zu
sein und spätestens seit September 1993 nicht mehr in der Lage, regelmäßig an einem Arbeitsplatz zu erscheinen
und hier eine wie auch immer geartete wettbewerbsfähige Arbeitsleistung zu erbringen. Eine Besserung ist auf Grund
des langjährigen Krankheitsverlaufs nicht zu erwarten.
Die dagegen von der Beklagten erhobenen Einwände, die auf ein psychisches Krankheitsbild gestützte
sozialmedizinische Leis-tungsbeurteilung des neurologischen Gutachters Prof. Dr. B. sei nicht überzeugend und für
die von Dr. P. getroffene Leistungsbeurteilung, die sich u.a. auf die von der Sachverständigen in anderem
Zusammenhang (Schwerbehindertenverfahren) im November 1996 gutachtlich erhobenen Befunde stützt, lägen keine
ausreichenden objektivierbaren Befunde vor, sie beruhe im Wesentlichen auf subjektiven Beschwerdeäußerungen des
Klägers, hat die Sachverständige in ihrer eingehenden Stellungnahme vom 24.05.2004 ausführlich und überzeugend
widerlegt. Sie hat dargelegt, dass für die diagnostische Gruppe der Somatisierungsstörungen fehlende Angst- und
Depressionssymptome, hartnäckige Attribution an somatische Ursachen und eine lange Anamnese mit erfolglosen
medizinischen Interventionen, chronische Schmerzsyndrome und Fehlen bedeutsamer Lebensereignisse bei
Symptombeginn kennzeichnend sind und per Definition das wesentliche Kriterium gerade die beim Kläger
festzustellende Überzeugung des Betroffenen von der körperlichen Erkrankung ist, während krankheitswertige
Auffälligkeiten im körperlichen oder psychopathologischen Bereich häufig nicht vorliegen. Diagnosestellung und
Leistungseinschätzung stützen sich dabei auf die in den beigezogenen Akten dokumentierte langjährige
Leidensgeschichte des Klägers und die von der Sachverständigen selbst im November 1996 - wenn auch in anderem
Zusammenhang - erhobenen Befunde unter Berücksichtigung der bereits bis Anfang der neunziger Jahre
durchgeführten umfangreichen, jedoch erfolglosen Behandlungsmaßnahmen. Die danach mögliche
Längsschnittbeobachtung bietet eine ausreichende Grundlage für die getroffene Beurteilung.
Dr. P. hat auch zu Recht darauf hingewiesen, dass zu Beginn der stationären psychiatrischen Behandlung 1993
bereits eine mehr als zehnjährige Krankheitsgeschichte mit entsprechend schwerem Chronifizierungsgrad als
Grundlage einer psychosomatischen Störung vorlag. Ebenso ist ihr darin zuzustimmen, dass die zahlreichen
Behandlungsversuche, denen sich der Kläger über viele Jahre unterzogen hat, unter Berücksichtigung des
unverkennbar bestehenden Leidensdrucks nicht Ausdruck eines chronifizierten Rentenwunsches, sondern eines
psychiatrischen Krankheitsbildes sind. Dr. P. führt in ihrer Stellungnahme aus, dass die Bestimmung des
maßgebenden Zeitpunkts schwierig ist, doch ist der Senat unter Berücksichtigung der von ihr aufgezeigten
Krankheitsentwicklung der Überzeugung, dass der psychiatrische Behandlungsversuch 1993 Ausdruck einer bereits
damals bestehenden erheblichen psychischen Beeinträchtigung des Klägers ist. Da den Akten keine
zwischenzeitliche wesentliche Verschlechterung des Zustandsbildes entnommen werden kann, hat der Senat keinen
Zweifel daran, dass beim Kläger spätestens seit diesem Zeitpunkt Erwerbsunfähigkeit vorliegt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs.2 Nr. 1 und 2 SGG), liegen nicht vor.