Urteil des LSG Bayern vom 26.01.2011

LSG Bayern: grobe fahrlässigkeit, unrichtige angabe, merkblatt, verwaltungsakt, unterlassen, subjektiv, pflege, stadt, fehlerhaftigkeit, universität

Bayerisches Landessozialgericht
Urteil vom 26.01.2011 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Regensburg S 10 AS 8/10
Bayerisches Landessozialgericht L 16 AS 550/10
I. Auf die Berufung der Klägerin werden das Urteil des Sozialgerichts Regensburg vom 18.5.2010 unter Ziffer II und
der Bescheid der Beklagten vom 19.6.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7.12.2009 auch für den
Zeitraum vom 11.3.2006 bis zum 31.5.2008 aufgehoben.
II. Die Beklagte trägt die übrigen Kosten beider Rechtszüge der Klägerin.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist in der Berufungsinstanz die teilweise Rückforderung von Leistungen nach dem Zweiten
Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) in Höhe von insgesamt 6.284,18 EUR für den Zeitraum vom 11.3.2006 bis zum
31.5.2008 streitig.
Die 1950 geborene Klägerin bezieht seit dem 1.1.2005 zusammen mit ihrem Ehemann Leistungen nach dem SGB II
von der Beklagten. Sie holte im Jahr 2005 an einem Abendgymnasium das Abitur nach und immatrikulierte sich im
Herbst 2005 als Studentin der Philosophischen Fakultät der Universität A-Stadt. Gleichzeitig pflegte sie ihre Mutter
bis zu deren Tod am 30.7.2008.
Im streitigen Zeitraum bewilligte die Beklagte der Bedarfsgemeinschaft der Klägerin mit Bescheid vom 19.12.2005 in
der Fassung der Änderungsbescheide vom 27.6.2006 und 18.7.2006 für die Monate März und April 2006 Leistungen
nach dem SGB II. Mit Bescheid vom 27.6.2006 in der Fassung des Änderungsbescheids vom 18.7.2006 wurden der
Bedarfsgemeinschaft der Klägerin für den Zeitraum vom 1.6.bis 30.11.2006 Leistungen gewährt und mit Bescheid
vom 3.11.2006 für die Zeit vom 1.12.2006 bis zum 31.5.2007. Mit Bescheid vom 3.11.2006 in der Fassung der
Änderungsbescheide vom 2.6.2007 und vom 25.10.2007 wurden Leistungen für die Zeit vom 1.6.2007 bis 30.11.2007
erbracht und mit weiterem Bescheid vom 25.10.2007 Leistungen für den Zeitraum vom 1.12.2007 bis zum 31.5.2008.
Im Antrag auf Weiterbewilligung der Leistungen nach dem SGB II vom 9.9.2008, auf einem veränderten
Antragsformular, mit dem erstmals ausdrücklich nach einem Studium gefragt wurde, teilte die Klägerin der Beklagten
mit, dass sie seit dem Wintersemester 2005/2006 ein Magisterstudium aufgenommen habe. Daraufhin erließ die
Beklagte gegenüber dem Ehemann der Klägerin am 12.12.2008 einen Aufhebungs- und Erstattungsbescheid für den
Zeitraum vom 17.10.2005 bis zum 31.5.2008 und forderte einen Gesamtbetrag in Höhe von 13.259,87 EUR zurück.
Dieser Bescheid wurde im Widerspruchsverfahren aus formalen Gründen aufgehoben.
Mit streitgegenständlichen Bescheid vom 19.6.2009 erließ die Beklagte gegenüber der Klägerin einen Aufhebungs-
und Erstattungsbescheid für den Zeitraum vom 1.10.2005 bis zum 31.5.2008. Sie hob die oben aufgeführten
Bescheide teilweise auf und forderte, differenziert nach Monaten, Regelleistung und Kosten der Unterkunft insgesamt
8.290,22 EUR zurück. Die Klägerin habe nicht angegeben, dass sie bereits seit Oktober 2005 studiere. Sie sei ihrer
Pflicht zur Mitteilung wesentlicher Änderungen nach § 60 Abs. 1 S. 2 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I) nicht
nachgekommen. Sie habe somit zumindest grob fahrlässig nicht mitgeteilt, dass sie ein Studium aufgenommen habe.
Ab Oktober 2005 habe sie keinen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II. Daher würden die Bescheide nach § 48
Abs. 1 S. 2 Nr. 2 und 3 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) i.V.m. § 40 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 SGB II sowie § 330
Abs. 2 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III) bzw. nach § 45 Abs. 1, Abs. 2 S. 3 Nr. 2 SGB X i.V.m. § 40 Abs. 1
S. 2 Nr. 1 SGB II sowie § 330 Abs. 2 SGB III aufgehoben.
Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin durch ihren Bevollmächtigten mit Schreiben vom 29.6.2009 Widerspruch
ein. Zur Widerspruchsbegründung wurde vorgetragen, dass sie keine falschen Angaben gemacht habe. Das
Antragsformular würde keine Frage enthalten, die auf den Zusammenhang der Bewilligung mit einem etwaigen
Studium hinweisen. Aus dem Formular habe sich die Erheblichkeit der Aufnahme eines Studiums für die
Leistungsbewilligung nicht erschlossen. Die Klägerin habe die Relevanz der Aufnahme eines Studiums und die
Möglichkeit einer Gewährung von Leistungen nach dem BAföG wegen ihres Alters nicht in Betracht gezogen. Den
Hinweis auf die Verpflichtung, Änderungen in ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen zu benennen, habe
sie stets in dem Sinne aufgefasst, dass eine Meldung zu erfolgen habe, wenn sich ihre Vermögensverhältnisse in
dem Sinne änderten, dass sie auf die Leistungen nach dem SGB II nicht mehr angewiesen sei. An die Möglichkeit
eines BAföG-Antrages habe sie nicht gedacht. Aus diesen Umständen ergebe sich, dass der Klägerin keine grobe
Fahrlässigkeit vorzuwerfen sei.
Mit Widerspruchsbescheid vom 7.12.2009 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Die Klägerin
sei unstreitig seit Oktober 2005 an der Universität A-Stadt immatrikuliert. Soweit in der Widerspruchsbegründung
vorgetragen worden sei, dass das Antragsformular keine Frage enthalte, die auf einen Zusammenhang der Bewilligung
von Leistungen nach dem SGB II mit einem etwaigen Studium hinweise, so sei festzuhalten, dass Änderungen in den
persönlichen Verhältnissen in jedem Fortzahlungsantrag anzugeben seien. Außerdem sei der Klägerin am 10.3.2006
das Merkblatt "SGB II" gegen Unterschrift ausgehändigt worden. In diesem Merkblatt sei nachzulesen, dass
Studenten in der Regel keine Leistungen erhalten würden.
Am 7.1.2010 hat die Klägerin durch ihren Bevollmächtigten Klage zum Sozialgericht Regensburg erhoben und
vorgetragenen, das sie die mangelnde Mitteilung der Aufnahme eines Studiums fahrlässig versäumt, sie jedoch
keinesfalls grob fahrlässig gehandelt habe. Die Klägerin habe keine falschen Angaben gemacht. Ihr habe es sich aus
den Antragsformularen nicht erschlossen, dass die Aufnahme eines Studiums für die Leistungsbewilligung von
Bedeutung sei. Sie habe das Studium erst im Alter von 55 Jahren aufgenommen und ihr Studium immer nur so lange
betreiben wollen, bis sie eine Arbeit gefunden hätte. Insbesondere sei ihr nicht wegen eines eventuell ausgehändigten
Merkblattes, das 72 Seiten umfasse, grob fahrlässiges Handeln vorzuwerfen, wenn sie eine Bemerkung eines solchen
Merkblattes nicht erkannt habe. Außerdem habe sie ihre Mutter gepflegt und sei schon aus diesem Grunde von ihrer
Arbeitsvermittlerin ab dem 4.4.2007 von der Arbeitssuche befreit gewesen.
Die Beklagte hat das Merkblatt der Bundesagentur für Arbeit "Arbeitslosengeld II/Sozial-geld", das der Klägerin
anlässlich des Abschlusses einer Eingliederungsvereinbarung am 10.3.2006 ausgehändigt wurde, vorgelegt. In
diesem Merkblatt ist unter Nr. 4.1 "Wer hat Anspruch auf Arbeitslosengeld II" ausgeführt, dass auch Auszubildende,
Teilnehmer an einer berufsvorbereitenden Bildungsmaßnahme, Schüler ab der 10. Klasse und Studenten in der Regel
keine Leistungen erhalten.
Mit Urteil vom 18.5.2007 hat das Sozialgericht Regensburg den Bescheid der Beklagten vom 23.6.2009 in der
Fassung des Widerspruchsbescheides vom 7.12.2009 aufgehoben, soweit er die für die Zeit vom 1.10.2005 bis zum
10.3.2006 erteilten Leistungsbescheide aufhebt und die in diesem Zeitraum entstandene Überzahlung zurückfordert.
Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Das Sozialgericht hat ausgeführt, dass die Leistungsbewilligung ab der
Aufnahme des Studiums der Klägerin, also ab dem 17.10.2005 nach § 7 Abs. 5 SGB II rechtswidrig gewesen sei, da
der Ausschlusstatbestand eingreife. Es kam jedoch zu der Auffassung, dass der Klägerin in der Anfangsphase ihres
Studiums eine grob fahrlässige Verletzung von Mitteilungspflichten nicht vorgeworfen werden könne. Bis zum
Abschluss der Eingliederungsvereinbarung am 10.3.2006, unter Übergabe des Merkblattes, sei von einem
schutzwürdigen Vertrauen der Klägerin im Sinne des § 45 Abs. 2 S. 2 SGB X auszugehen. Ab dem 11.3.2006 sei
jedoch der Tatbestand der grob fahrlässigen Unkenntnis der Rechtswidrigkeit der Bewilligungsbescheide erfüllt. Bei
Missachtung eindeutiger Hinweise in einem Merkblatt, wie es vorliegend gegeben sei, sei im Regelfall grobe
Fahrlässigkeit anzunehmen.
Am 20.7.2010 hat die Klägerin durch ihren Bevollmächtigten Berufung zum Bayerischen Landessozialgericht
eingelegt. Mit der Berufung hat sie im Wesentlichen weiterhin geltend gemacht, dass sie die Mitteilung nicht grob
fahrlässig unterlassen habe. Sie habe das Studium nur neben der Pflege ihrer Mutter betrieben und sei nicht davon
ausgegangen, dass das Studium sie an der Aufnahme einer Arbeit hindern würde. Sie habe durch ihr Studium keine
Möglichkeit, eine Erwerbstätigkeit aufzunehmen, ausgelassen. Aufgrund dieser Betrachtungsweise habe sie auch
nicht grob fahrlässig gehandelt, da ihr der Gedanke, dass sie Arbeitslosengeld II zu Unrecht bezogen habe, aufgrund
ihrer besonderen Lebenssituation vollständig fern gelegen habe.
Die Beklagte hat zur Berufungserwiderung auf die Ausführungen des erstinstanzlichen Urteils Bezug genommen.
Der Senat hat durch Beschluss vom 26.1.2011 den Tenor des Urteils des Sozialgerichts Regensburg berichtigt und
das Einverständnis der Beteiligten zu einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren nach § 124 Abs. 2
Sozialgerichtsgesetz (SGG) eingeholt.
Der Bevollmächtigte der Klägerin beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Regensburg vom 18.5.2010 abzuändern und
den Bescheid der Beklagten vom 19.6.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7.12.2009 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten sowie auf die
Gerichtsakten beider Rechtszüge Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die gemäß §§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig und
begründet. Der Senat konnte im schriftlichen Verfahren nach § 124 Abs. 2 SGG entscheiden, da die Beteiligten ihre
Zustimmung hierzu erteilt haben.
Das angefochtene Urteil des Sozialgerichts Regensburg und der Aufhebungs- und Erstattungsbescheid der Beklagten
vom 19.6.2009 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 17.12.2009 sind für den hier streitgegenständlichen
Zeitraum vom 11.3.2006 bis zum 31.5.2008 aufzuheben.
Zwar waren die Bescheide vom 19.12.2005, 24.6.2006, 18.7.2006, 27.6.2006, 18.7.2006, 3.11.2006, 2.6.2007 sowie
25.10.2007 nach § 45 Abs. 1 SGB X rechtswidrig, da die Klägerin gemäß § 7 Abs. 5 Satz 1 SGB II vom Bezug der
Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen ist, weil das von ihr betriebene Studium im Rahmen des BAföG dem
Grunde nach förderungsfähig war. Dies ist zwischen den Beteiligten unstreitig (vgl. zur Prüfung, ob eine Ausbildung
dem Grunde nach förderungsfähig ist, BSG vom 12.08.2010 Az.: B 14 AS 24/09 R). Allerdings hat die Klägerin ihre
Mitteilungspflichten nach § 45 Abs. 2 S.3 Nr.2 SGB X nicht grob fahrlässig verletzt.
Rechtsgrundlage für die Aufhebung dieser Bewilligungsbescheide für den Zeitraum vom 11.3. 2006 bis zum 31.5.2008
ist § 40 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 und Abs. 2 SGB II i.V.m. § 330 Abs. 2 SGB III, § 45 Abs. 1, Abs. 2 S. 3 Nr. 2 SGB X.
Hiernach darf ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat,
auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit unter den Einschränkungen der Abs.
2 bis 4 zurückgenommen werden, soweit er rechtswidrig ist. Nach Abs. 2 dieser Vorschrift darf ein rechtswidrig
begünstigender Verwaltungsakt nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des
Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer
Rücknahme schutzwürdig ist. Das Vertrauen ist in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte erbrachte
Leistungen verbraucht und eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren
Nachteilen rückgängig machen kann. Auf Vertrauen kann sich der Begünstigte nach § 45 Abs. 2 S. 3 Nr. 2 SGB X
nicht berufen, soweit der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die er vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher
Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat. Nach § 45 Abs. 4 SGB X kann der Verwaltungsakt nur in Fällen
von Abs. 2 S. 3 Abs. 3 S. 2 mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Die Behörde muss dies
innerhalb eines Jahres seit Kenntnis der Tatsachen tun, welche die Rücknahme eines rechtswidrig begünstigenden
Verwaltungsaktes für die Vergangenheit rechtfertigen.
Die o.g. Bescheide der Beklagten waren von Anfang an rechtswidrig, da die Klägerin nach § 7 Abs. 5 SGB II vom
Bezug der Leistungen nach dem SGB II ab dem Beginn ihres Studiums im Oktober 2005 ausgeschlossen ist.
Die Bescheide sind jedoch nicht aufzuheben, da die Klägerin sich auf Vertrauen in den Bestand der Verwaltungsakte
berufen kann, weil gemäß § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X der Verwaltungsakt auf Angaben beruhte, die sie lediglich
einfach fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat bzw. unterlassen hat. Unrichtig
in diesem Sinne ist auch das passive Verschweigen von Umständen, die nach § 60 SGB I anzugeben sind (vgl.
Schütze in von Wulffen, SGB X, 7. Aufl. 2010 § 45 Rn. 49). Das Verschweigen kann insbesondere dann als unrichtige
Angabe angesehen werden, wenn die Umstände für die fragliche Leistung rechtlich erheblich waren und dies dem
Betroffenen auch bekannt war bzw. sein musste (BSG SozR 3-5425 § 25 Nr. 15). Es muss darüber hinaus kausal für
die Fehlerhaftigkeit des Verwaltungsaktes sein und die Fehlerhaftigkeit muss vorwerfbar sein. Vorwerfbar sind
vorsätzlich oder grob fahrlässig falsche Angaben bzw. Nicht-Angaben. Hierbei ist auf die persönliche
Einsichtsfähigkeit des Begünstigten, also auch auf einen subjektiven Sorgfaltsmaßstab abzustellen.
Bei der Prüfung, ob im Einzelfall grobe Fahrlässigkeit vorgelegen hat, ist davon auszugehen, dass nur derjenige grob
fahrlässig handelt, der die erforderliche Sorgfalt in ungewöhnlich großem Maße verletzt und unbeachtet lässt, was im
gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen (so BSGE 42, 184, 187: schlechthin unentschuldbare
Pflichtverletzung). Bei der Beurteilung, ob ein grob fahrlässiges Handeln oder Unterlassen vorliegt, kommt es auf die
persönliche Urteils- und Kritikfähigkeit, das Einsichtsvermögen und Verhalten des Leistungsempfängers sowie auf die
besonderen Umstände des Falles an. Grobe Fahrlässigkeit setzt hiernach eine Sorgfaltspflichtverletzung
ungewöhnlich hohen Ausmaßes, d. h. eine besonders grobe und auch subjektiv schlechthin unentschuldbare
Pflichtverletzung voraus, die das gewöhnliche Maß der Fahrlässigkeit erheblich übersteigt. Subjektiv schlechthin
unentschuldbar ist ein Verhalten, wenn schon einfachste, ganz naheliegende Überlegungen nicht angestellt werden,
wenn nicht beachtet wird, was im gegebenen Fall jedem einleuchten muss. Diese Kriterien sind zur Bestimmung des
Begriffs der groben Fahrlässigkeit heranzuziehen. Hierbei ist das Maß der Fahrlässigkeit, insbesondere nach der
persönlichen Urteils- und Kritikfähigkeit, dem Einsichtsvermögen des Beteiligten sowie den besonderen Umständen
des Falles zu beurteilen (vgl. BSG aaO.).
Grobe Fahrlässigkeit hinsichtlich der unterlassenen Angabe ist der Klägerin daher nur vorzuwerfen, wenn es ihr ohne
jede weitere Überlegung klar war bzw. sein konnte, dass sie die Aufnahme eines Studiums dem Beklagten anzeigen
musste, weil es für ihren Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II erheblich ist (vgl. BSGE 42, 184, 186 f = SozR
4100 § 152 Nr. 3).
Maßgeblich ist somit, dass die Klägerin bei einer Parallelwertung in der Laiensphäre in der Lage gewesen wäre, zu
erkennen, dass sie die Aufnahme eines Studiums anzugeben hatte. Eine rechtliche Subsumtion war von ihr nicht
gefordert. Der Senat teilt die Auffassung des Sozialgerichts, dass eine grobe Fahrlässigkeit bis zum Zeitpunkt der
Aushändigung des Merkblatts, am 10.3.2006 nicht bestanden hat. Für den Senat ergibt sich jedoch aufgrund des
persönlichen Eindrucks der Klägerin und aufgrund der vorliegenden objektiven Umstände, die sich aus der
Lebenssituation der Klägerin resultieren, dass sie auch für den Zeitraum nach Aushändigung des Merkblattes die
Mitteilung nicht grob fahrlässig unterlassen hat. In diesem Merkblatt werden zwar abstrakt die Voraussetzungen der
Leistungsansprüche nach dem SGB II erläutert, es lässt sich auch entnehmen, dass die Aufnahme eines Studiums
für den Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II Bedeutung hat. Eine eindeutige Aussage, dass der
Leistungsanspruch entfällt, enthält das Merkblatt aber nicht. Im Regelfall ist die Missachtung eindeutiger Hinweise in
einem Merkblatt über den Leistungsbezug von gesetzlichen Transferleistungen grob fahrlässig. Allerdings ist auch zu
berücksichtigen, auf welche Weise die Beklagte in ihren Antragsformularen nach dem Sachverhalt fragt. Insbesondere
im Hinblick darauf, ob der Klägerin, aufgrund der Fragestellung der Beklagten, bewusst war, dass sie die Aufnahme
ihres Studiums mitzuteilen hat. Aufgrund der Lebenssituationen der Klägerin, des Sonderfalls , der ungenügenden
Nachfrage in den Antragsformularen -die offensichtlich zu einer Veränderung der Antragsformulare geführt hat- und
aufgrund der Angaben der Klägerin in der mündlichen Verhandlung ergibt sich, dass sie die Aufnahme ihres Studiums
nicht grob fahrlässig verschwiegen hat. Sie hat bei konkreter Nachfrage in den Antragsformularen ihr Studium sofort
angegeben. Aus der allgemeinen Nachfrage zu Änderungen in ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen
hat es sich ihr nicht erschlossen, dass sie die Aufnahme eines Studiums, das sie neben der Pflege der Mutter, soweit
es ihr zeitlich möglich war, betrieb, anzugeben habe. Die Klägerin hat glaubwürdig ausgeführt, dass ihr nicht bewusst
war, dass ihr Studium etwas mit der Leistungsbewilligung nach dem SGB II zu tun haben könnte. Für sie bestand
jederzeit die Möglichkeit und auch die Verpflichtung gegenüber der Beklagten, ihr Studium aufzugeben, sobald sie
einen Arbeitsplatz gefunden hätte. Daher steht es zur Überzeugung des Senats fest, dass die Klägerin nicht grob
fahrlässig gehandelt hat. Für sie war es aufgrund ihrer besonderen Lebenssituation subjektiv nicht nahe liegend, dass
ihr Studium etwas mit der Leistungsbewilligung nach dem SGB II zu tun hatte. Daher war das Unterlassen der
Angabe, dass sie ein Studium aufgenommen habe, lediglich leicht fahrlässig. Der Klägerin war es nicht ohne weitere
Überlegungen klar, dass sie diesen Umstand mitteilen musste. Sie kann sich auf Vertrauensschutz nach § 45 Abs.2.
S.2 SGB X berufen, da sie auf den Bestand der Bewilligungsbescheide vertraut hat und die Leistungen verbraucht
sind.
Das Urteil des Sozialgerichts Regensburg vom 18.5.2010 ist unter Ziffer II und der Bescheid der Beklagten vom
19.6.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7.12.2009 ist auch für den Zeitraum vom 11.3.2006 bis
zum 31.5.2008 aufzuheben. Die Beklagte konnte die Leistungen wegen des entgegenstehenden Vertrauensschutzes
der Klägerin nach § 45 Abs. 2 SGB X nicht zurückfordern.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe, die Revision zuzulassen, sind nicht ersichtlich (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG).