Urteil des LSG Bayern vom 04.03.2011

LSG Bayern: versicherungspflicht, sozialversicherung, auflage, ermessen, nachforderung, bezifferung, arbeitsförderung, anteil, bemessungsgrundlage, bekanntgabe

Bayerisches Landessozialgericht
Beschluss vom 04.03.2011 (rechtskräftig)
Sozialgericht München S 11 R 3085/08
Bayerisches Landessozialgericht L 5 R 647/10 B
Auf die Beschwerde der Klägerin wird der Beschluss des Sozialgerichts München vom 29. Juni 2010 abgeändert und
der Streitwert auf 57.231,34 Euro festgesetzt.
Gründe:
I. Gegenstand des zwischen den Beteiligten geführten Rechtsstreits vor dem Sozialgericht war ein
Statusfeststellungsverfahren nach § 7a Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV).
Die Beklagte hatte zunächst mit Bescheid vom 23. Juni 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7.
November 2008 festgestellt, dass der Beigeladene bei der Klägerin im Rahmen eines abhängigen
Beschäftigungsverhältnisses tätig geworden und von Beginn seiner Tätigkeit an als versicherungspflichtig in den
einzelnen Zweigen der gesetzlichen Sozialversicherung zu beurteilen sei. Dagegen hat die Klägerin Klage zum
Sozialgericht erhoben. Auf den weiteren Vortrag der Klägerin und die Vorlage von Nachweisen über von dem
Beigeladenen abgeschlossene Versicherungsverträge sowie einer von dem Beigeladenen erklärten Zustimmung zum
späteren Beginn der Versicherungspflicht nach § 7b Nr. 1 SGB IV (in der bis zum 31. Dezember 2007 gültigen
Fassung) hat die Beklagte mit Bescheid vom 12. Oktober 2009 ihre frühere Feststellung konkretisiert und eine
Versicherungspflicht für die Montagetätigkeit des Beigeladenen am Betriebssitz der Klägerin in der Zeit vom 27. Juli
bis zum 21. September 2007 sowie den Beginn der Versicherungspflicht erst ab Bekanntgabe des früheren
Bescheides vom 23. Juni 2008 festgestellt. Die Klägerin hat das Teilanerkenntnis der Beklagten angenommen und
den Rechtsstreit im Übrigen für erledigt erklärt. Mit Beschluss vom 29. Juni 2010 hat das Sozialgericht der Klägerin
die Kosten des Verfahrens auferlegt und den Streitwert auf 5.000 Euro festgesetzt. Zur Höhe des Streitwerts hat das
Sozialgericht ausgeführt, da sich der Streitwert nicht genau beziffern lasse, sei "vom Regelstreitwert" in Höhe von
5.000 Euro auszugehen gewesen.
Dagegen hat die Klägerin Beschwerde eingelegt. Die Klägerin ist der Auffassung, es seien genügend Anhaltspunkte
vorhanden, den Streitwert nach der sich aus dem Antrag der Klägerin ergebenden Bedeutung zu bestimmen. Die
Klägerin hat auf der Grundlage von Rechnungen des Beigeladenen und unter Annahme eines Dreijahreszeitraums eine
Auftragssumme für die Arbeitsleistung des Beigeladenen in Höhe von insgesamt 143.078,34 Euro errechnet. Bei einer
Beitragslast zur Sozialversicherung von etwa 40 % benannte die Klägerin als Ergebnis ihrer Berechnungen ein für sie
bestehendes Kostenrisiko in Gestalt von nachzuzahlenden Sozialversicherungsbeiträgen in Höhe von 57.231,34 Euro.
Die Klägerin hat ergänzend auf eine frühere Entscheidung des Senats verwiesen, in der für ein
Statusfeststellungsverfahren ein Streitwert von 18.000 Euro angenommen worden war (vgl. Bayerisches
Landessozialgericht, Beschluss vom 15. Dezember 2008, L 5 B 914/08 R).
Die Klägerin beantragt, den Streitwert auf mindestens 18.000 Euro festzusetzen.
Die Beklagte beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.
Die Beklagte ist der Ansicht, bei einem Streit über den sozialversicherungsrechtlichen Status nach § 7a SGB IV sei
ein Regelstreitwert von 5.000 Euro festzusetzen. Das Sozialgericht hat mit Datum vom 5. August 2010 entschieden,
der Beschwerde nicht abzuhelfen und sie dem Bayerischen Landessozialgericht vorzulegen.
II.
Die von der Klägerin eingelegte Beschwerde ist zulässig (§ 68 Gerichtskostengesetz, GKG). Sie hat auch in der
Sache Erfolg. Das Sozialgericht hat zu Unrecht den Streitwert auf 5.000 Euro festgesetzt.
Besteht in einem Rechtsstreit vor den Sozialgerichten Gerichtskostenpflicht, finden die Vorschriften des
Gerichtskostengesetzes Anwendung (§ 197a Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz, SGG). Für die Verfahren vor den
Gerichten der Verwaltungs-, Finanz- und Sozialgerichtsbarkeit enthält das Gerichtskostengesetz besondere
Bestimmungen zur Festsetzung des Streitwertes. Grundsätzlich gilt: Der Streitwert ist, soweit nichts anderes
bestimmt ist, nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen
des Gerichts zu bestimmen (§ 52 Abs. 1 GKG).
1. Die vorrangig anzuwendende Sonderregelung des § 52 Abs. 3 GKG ist nicht einschlägig. Betrifft der Antrag des
Klägers eine bezifferte Geldleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt, so ist deren Höhe maßgebend.
Dies ist hier nicht der Fall. Zwar wird eine im Anfrageverfahren nach § 7a SGB IV getroffene Entscheidung der
Beklagten über das Vorliegen einer Beschäftigung und das Bestehen einer Versicherungspflicht in den einzelnen
Zweigen der gesetzlichen Sozialversicherung zur Nachforderung und zur Zahlung von zukünftigen
Sozialversicherungsbeiträgen führen. Die Entscheidung nach § 7a SGB IV enthält jedoch noch keine konkrete
Forderung. Der Gesamtsozialversicherungsbeitrag wird erst später fällig, nämlich zu dem Zeitpunkt, zu dem die
Entscheidung, dass eine Beschäftigung tatsächlich vorliegt, unanfechtbar geworden ist (§ 7a Abs. 6 Satz 2 SGB IV).
Die Nachforderung und die Einziehung weiterer Beiträge obliegt dann der zuständigen Krankenkasse als der
Einzugsstelle nach § 28h Abs. 1 SGB IV.
2. Es bleibt bei der Anwendung der Generalklausel des § 52 Abs. 1 GKG. Die sich aus dem Antrag der Klägerin für
sie ergebende Bedeutung der Sache ist nach Ermessen des Gerichts zu bestimmen (§ 52 Abs. 1 GKG). Die
Bedeutung für die Klägerin entspricht ihrem Interesse an der angestrebten Entscheidung. Dabei gilt ein objektiver
Maßstab. Entscheidend sind die rechtliche Tragweite und die Auswirkungen, die ein Erfolg des Begehrens für die
wirtschaftliche Lage eines Klägers hat (vgl. Hartmann, Kostengesetz, 39. Auflage, § 52 GKG, Rdnr. 9). Wie bereits
ausgeführt, hat eine Entscheidung der Beklagten über das Vorliegen einer Beschäftigung und das Bestehen der
Sozialversicherungspflicht die Zahlung von Beiträgen zur Folge. Für die Klägerin, als die Schuldnerin des
Gesamtsozialversicherungsbeitrages nach § 28e Abs. 1 Satz 1 SGB IV, war mit dem Ausgang ihres Klageverfahrens
unmittelbar verknüpft eine mögliche Verpflichtung zur Zahlung von Sozialversicherungsbeiträgen. Die Bezifferung
dieses Risikos für einen klagenden Arbeitgeber, abhängig vom Erfolg des Anfrageverfahrens nach § 7a SGB IV, ist
daher Inhalt der Bestimmung nach § 52 Abs. 1 GKG.
a.) Bei Annahme einer Versicherungspflicht in der gesetzlichen Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung sowie nach
dem Recht der Arbeitsförderung sind derzeit grundsätzlich 40,35 % des Bruttoarbeitsentgelts von Arbeitgeber und
Arbeitnehmer gemeinsam zu tragen (Stand: März 2011). Schuldner des an die Einzugsstelle abzuführenden
Gesamtsozialversicherungsbeitrages ist nach § 28e Abs. 1 Satz 1 SGB IV jedoch nur der Arbeitgeber. Dieser muss
erst seinen Anspruch gegen den Beschäftigten auf den von diesem zu tragenden Anteil geltend machen. Der
Arbeitgeber trägt das Risiko, dass ein in der Vergangenheit unterbliebener Abzug von den Lohn- oder
Gehaltszahlungen nicht mehr nachgeholt werden kann (§ 28g Satz 3 SGB IV). Daher erscheint es angemessen, der
Bestimmung einer sich aus dem Statusfeststellungsverfahren für den klagenden Arbeitgeber ergebenden
wirtschaftlichen Bedeutung die Gesamtsozialversicherungsbeiträge in ihrem vollen Umfang (Arbeitgeber- und
Arbeitnehmeranteil) zugrunde zu legen (differenzierend: LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 27. Januar 2009, L
16 B 13/08 R).
b.) Als Bemessungsgrundlage dient die von der Klägerin genannte an den Beigeladenen zu zahlende Auftragssumme
in Höhe von 143.078,34 Euro. Die Klägerin hat auf die Rechnungen des Beigeladenen vom 1. August 2007, vom 8.
Oktober 2007 und vom 21. Dezember 2007 verwiesen und den Rechnungsbetrag von insgesamt 23.846,39 Euro auf
drei Jahre hochgerechnet. Dabei wurde die Beitragsbemessungsgrenze nach § 341 Abs. 3 Satz 1 Drittes Buch
Sozialgesetzbuch und § 181 Abs. 2 Satz 1 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch sowie nach § 223 Abs. 3 Fünftes Buch
Sozialgesetzbuch und § 57 Abs. 1 Satz 1 Elftes Buch Sozialgesetzbuch nicht erreicht (vgl. dazu LSG Nordrhein-
Westfalen, Beschluss vom 14. Dezember 2009, L 8 B 21/09 R). Nach § 42 Abs. 2 Satz 1 GKG ist in Verfahren vor
Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit, in denen Ansprüche auf wiederkehrende Leistungen dem Grunde oder der Höhe
nach geltend gemacht oder abgewehrt werden, der dreifache Jahresbetrag der wiederkehrenden Leistungen
maßgebend. Zwar enthält die Entscheidung nach § 7a SGB IV nur eine Aussage über das konkrete Bestehen einer
Versicherungspflicht, ohne dass über die daraus erst folgenden Beitragsansprüche entschieden wird. Dennoch ist die
Beitragslast untrennbar mit der Entscheidung über die Versicherungspflicht verbunden. § 42 Abs. 2 Satz 1 GKG ist
daher zumindest entsprechend anzuwenden. Da Gegenstand des Klageverfahrens die sozialversicherungsrechtliche
Beurteilung der Tätigkeit des Beigeladenen ohne zeitliche Einschränkung war, war der Streitwertberechnung auch kein
kürzerer Zeitraum als drei Jahre zugrunde zu legen.
Bei Annahme eines Beitragsabzugs von gerundeten 40 % von einem Dreijahresbetrag in Höhe von 143.078,34 Euro
lässt sich das Begehren der Klägerin wertmäßig in einem Streitwert in Höhe von 57.231,34 Euro abbilden. Aufgrund
der hier vorliegenden Angaben, die eine konkrete Bestimmung des Streitwertes nach § 52 Abs. 1 GKG ermöglichten,
konnte von einer pauschalen Festsetzung in Höhe von 18.000 Euro abgesehen werden (vgl. dazu noch Bayer. LSG,
Beschluss vom 23. März 2009, L 5 B 815/07 KR, m.w.N.).
3. In dem hier zu entscheidenden Rechtsstreit bestanden ausreichende Anhaltspunkte zur Bestimmung der sich für
die Klägerin ergebenden Bedeutung der Sache. § 52 Abs. 2 GKG war daher nicht mehr anzuwenden. Erst wenn der
Sach- und Streitstand für die Bestimmung des Streitwertes keine genügenden Anhaltspunkte bietet, ist ein Streitwert
von 5.000 Euro anzuwenden. Dabei handelt es sich entgegen der Annahme des Sozialgerichts nicht um einen
"Regelstreitwert", sondern vielmehr um einen Auffangstreitwert (vgl. Meyer, GKG, 11. Auflage, § 52 Rdnr. 22). Nur
wenn keine Aussage über die konkrete wirtschaftliche Bedeutung des Statusfeststellungsverfahrens gemacht werden
kann, ist ein Streitwert von 5.000 Euro gerechtfertigt (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 27. Januar 2009,
L 16 B 13/08 R, II 3.).
Diese Entscheidung ergeht gebührenfrei (§ 68 Abs. 3 GKG).
Die Beschwerde an das Bundessozialgericht findet nicht statt (§ 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).