Urteil des LSG Bayern vom 18.01.2001

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Bayerisches Landessozialgericht
Urteil vom 18.01.2001 (nicht rechtskräftig)
S 3 KR 79/92
Bayerisches Landessozialgericht L 4 KR 9/99
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 14. September 1998 wird
zurückgewiesen. II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist die Kostenerstattung u.a. für eine Behandlung nach einer Amalgamentfernung.
Der am ... 1957 geborene Kläger ist bei der Beklagten seit 1982 krankenversichert. Mit Schreiben vom 09.01.1992
beantragte er bei der Beklagten unter Vorlage eines Heil- und Kostenplanes des Zahnarztes Dr ... , Schweinfurt, die
Übernahme der Kosten für den Austausch von Amalgamfüllungen gegen Gussfüllungen. Er sei seit November 1990
wegen zunehmender Lähmungserscheinungen in den Beinen in nervenärztlicher Behandlung gestanden. Trotz
umfangreicher Untersuchungen und mehrerer stationärer Aufenthalte sei weder eine Besserung noch eine
Stabilisierung des Krankheitszustandes erreicht worden. Die Kinderklinik und Poliklinik der Universität Göttingen habe
eine Adreno-Leukodystrophie/Adreno-Myelo-Neuropathie (ALD/AMN) diagnostiziert. Der praktische Arzt ..., Sulzheim,
habe bei ihm eine chronische Amalgamintoxikation mittels eines Kaugummispeicheltests festgestellt.
Die Beklagte sagte dem Kläger mit Bescheid vom 16.01.1992 für die Gussfüllungen die in der Satzung vorgesehenen
Zuschüsse zu, lehnte jedoch eine weitergehende Kostenübernahme mit der Begründung ab, Gussfüllungen zählten
nicht zu den vertragsärztlichen Leistungen. Die Versorgung mit Gussfüllungen sei medizinisch nicht notwendig, da
nach wissenschaftlicher Erkenntnis gegen die Verwendung von Amalgam für Zahnfüllungen keine Bedenken
bestünden. Das aus Amalgamfüllungen freigesetzte Quecksilber reiche zur Auslösung einer Quecksilbervergiftung
nicht aus.
Gegen diesen Bescheid legte der Kläger mit Schreiben vom 01.02.1992 Widerspruch ein, mit dem er die volle
Übernahme der Kosten für die Gussfüllungen sowie für alle mit dem Krankheitsbild verbundenen ärztlichen
Maßnahmen zur Quecksilberentgiftung geltend machte. Die Auffassung des Bundesausschusses der Zahnärzte und
Krankenkassen, dass gegen die Anwendung von Amalgam keine Bedenken bestünden, sei nach heutigem
Wissensstand nicht mehr haltbar. Da die Krankheitssymptome mit gleicher Wahrscheinlichkeit auf die ALD/AMN oder
auch auf das Amalgam zurückgeführt werden könnten, sei die Beklagte verpflichtet, die vollen Kosten für die
Gussfüllungen zu übernehmen.
Die Beklagte holte eine gutachtliche Stellungnahme des Arztes ... (Medizinischer Dienst der Krankenversicherung in
Bayern - MDK) ein, der am 25.03.1992 feststellte, dass zwischen der neurologischen Erkrankung und der angeblichen
Quecksilbervergiftung kein wissenschaftlicher Zusammenhang bestehe.
Die Amalgamfüllungen wurden in der Universitäts-Zahnklinik Würzburg in der Zeit vom 14.04. bis 27.05.1992 durch
Gussfüllungen ersetzt, wofür am 03.02.1993 925,35 DM in Rechnung gestellt wurden. Entsprechend ihrer Zusage
erstattete die Beklagte dem Kläger 330,00 DM.
Mit Widerspruchsbescheid vom 25.08.1992 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück.
Der Kläger konsultierte im Rahmen von Quecksilberentgiftungsmaßnahmen am 16.09.1992 den praktischen Arzt Dr ...
in München, der u.a. eine DMPS-Behandlung durchführte und dem Kläger auf Privatrezept Zinkorotat und Selenase-
Trinkampullen verordnete. Anschließend beantragte der Kläger bei der Beklagten die Erstattung der Fahrkosten, der
Kosten für die DMPS-Behandlung und privat verordneter Arzneimittel.
Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 24.09.1992 die Fahrkostenerstattung mit der Begründung ab, die ambulante
Behandlung durch den praktischen Arzt Dr ... in München sei nicht notwendig gewesen, da entsprechende
Behandlungsmöglichkeiten in Werneck, Schweinfurt oder Würzburg vorhanden gewesen seien.
Der Kläger hat am 25.09.1992 Klage beim Sozialgericht Würzburg (SG) erhoben und die vollständige Erstattung der
Zahnbehandlungskosten geltend gemacht (S 3 Kr 79/92). Der von Dr ... , München, am 16.09.1992 erstellte
Immunstatus habe einen Zusammenhang zwischen der Belastung des Immunsystems und der
Schwermetallbelastung ergeben. Nach der Amalgamsanierung habe der Arzt ... eine deutliche Besserung des
Allgemeinbefindens festgestellt. Es liege ein komplexes Krankheitsbild vor und die Belastung durch Amalgam sei
zumindest eine Mitursache für seine Erkrankung gewesen. Die Gefährlichkeit von Amalgamfüllungen sei durch das
Kieler Amalgam-Gutachten vom November 1995 und die Marburger Amalgam-Entgiftungsstudie belegt. Auch wenn
DMPS nicht zu diagnostischen Zwecken zugelassen sei, sei durch die Vielzahl der Testungen zwischenzeitlich der
statistische Nachweis erbracht, dass mittels dieser Testmethode eine Abschätzung der Amalgamintoxikation möglich
sei.
Gegen die Ablehnung der Fahrkostenerstattung mit Bescheid vom 24.09.1992 hat der Kläger am 22.10.1992
Widerspruch eingelegt. Die Beklagte hat die Kostenerstattung für die DMPS-Behandlung und die privat verordneten
Arzneimittel mit Bescheid vom 17.11.1992 abgelehnt. Der DMPS-Mobilisationstest habe keinen Eingang in die
vertragsärztliche Versorgung gefunden und sei darüber hinaus zum Nachweis einer Amalgam- bzw.
Quecksilbervergiftung ungeeignet. Bei Verdacht einer Intoxikation durch Amalgamfüllungen bestehe eine
Untersuchungsmöglichkeit an der Untersuchungsstelle der Deutschen Gesellschaft für Zahn-, Mund- und
Kieferheilkunde der Universitätsklinik Erlangen.
Der Kläger hat am 02.12.1992 Widerspruch eingelegt; der von Dr ... durchgeführte DMPS-Test sei im Rahmen der seit
April 1992 laufenden Quecksilberentgiftung durchgeführt worden und nicht zum Nachweis einer Amalgamvergiftung.
Kosten für die Arzneimittel Selenase und Zinkorotat habe die Beklagte in der Vergangenheit bereits mehrmals
erstattet. Mit Widerspruchsbescheid vom 12.10.1993 wurden die Widersprüche vom 22.10.1992 und 02.12.1992
zurückgewiesen.
Der Kläger hat auch dagegen unter Bezugnahme auf sein Vorbringen im Verwaltungsverfahren Klage beim SG
erhoben (S 3 Kr 140/93). Der Kaugummi-Speichel-Test habe bei ihm eine erhebliche Überschreitung der Grenzwerte
für Quecksilber ergeben. Auf diese sei eine irreversible Störung des Immunsystems zurückzuführen. Durch
quecksilberentgiftende Maßnahmen sei eine graduelle Besserung des Gesundheitszustandes erreicht worden. Wegen
seines Leidens könne er nur auf naturheilkundliche Behandlungen zurückgreifen. Das SG hat einen Befundbericht des
Zahnarztes Dr ... vom 21.04.1997 beigezogen; danach sind die vorhandenen Amalgamfüllungen nicht schadhaft
gewesen. Es hat Dr ... als Arzt des Vertrauens des Klägers gutachtlich gehört. Der Sachverständige ist im Gutachten
vom 30.06.1998 zu dem Ergebnis gelangt, bei dem Kläger sei wegen der einer der Multiplen Sklerose (MS) ähnlichen
Erkrankung eine Amalgamversorgung kontraindiziert.
Das SG hat nach Verbindung beider Streitsachen mit Urteil vom 14.09.1998 die Klage abgewiesen. Eine
Amalgamunverträglichkeit oder Amalgamvergiftung sei nicht belegt. Der Kläger habe es ausdrücklich abgelehnt, sich
einem Epicutantest zu unterziehen. Damit fehle eine wesentliche Voraussetzung für die Diagnose einer allergischen
Reaktion auf Amalgam. Der beim Kläger durchgeführte Kaugummi-Speichel-Test sei hingegen nicht geeignet, eine
Amalgamunverträglichkeit bzw. -vergiftung nachzuweisen; hierfür seien Analysen des Blutes bzw. Urin notwendig. Der
Sachverständige Dr ... habe festgestellt, dass eine solche, nach internationalen Standards ermittelte
Quecksilbervergiftung nicht vorliege. Speicheltestungen stellten dagegen zum gegenwärtigen Zeitpunkt keine
zuverlässigen standardisierten Verfahren dar, die geeignet wären, die interne Belastung des Organismus mit
Quecksilber aus Amalgamfüllungen zu messen. Auch der DMPS-Test böte keine wesentliche Erkenntnis für die
Quecksilberbelastung aus Amalgam. Dafür, dass die Amalgamfüllungen gerade nicht die erhöhte
Quecksilberbelastung des Klägers verursacht hätten, spreche der Umstand, dass beim Kläger die Quecksilber- und
Kupferwerte 1998 höher gewesen seien als 1992, obwohl 1998 bereits die Amalgamfüllungen entfernt und die
Ausleitungsbehandlung durchgeführt worden seien. Das Verschwinden von Krankheitssymptomen nach der
Amalgamentfernung stelle für sich keinen Beweis dar, dass tatsächlich eine Amalgamunverträglichkeit bzw. -
vergiftung vorgelegen habe, zumal ein gewisser Placebo-Effekt nicht ausgeschlossen werden könne.
Hiergegen richtet sich die Berufung des Klägers vom 02.02.1999, mit der er an seinem bisherigen Vorbringen festhält.
Die Gussfüllungen seien aus medizinischen Gründen notwendig gewesen. Das SG habe seine Entscheidung einseitig
auf Amalgam-Befürworter gestützt, den wissenschaftlichen Erkenntnisstand dagegen nicht berücksichtigt. § 8 des
Zahnarzt-Ersatzkassenvertrages vom 29.11.1963 in Verbindung mit den Gebührentarifen A bis E sei rechtswidrig, weil
dort eine Versorgung ausschließlich mit Amalgam vorgesehen sei, was nicht mehr dem aktuellem Erkenntnisstand
der Zahnmedizin entspreche. Dass das SG für den Nachweis der Amalgam-Unverträglichkeit den Epicutan-Test
verlangt habe, sei widersinnig; denn mit diesem könne man nur eine Allergie nachweisen, während im vorliegenden
Fall eine Intoxikation gegeben sei. Das SG hätte sich in seinem Urteil mit den verschiedenen wissenschaftlichen
Lehrmeinungen auseinandersetzen müssen.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts Würzburg vom 14.09.1998 sowie des Bescheids vom
16.01.1992 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25.08.1992 und der Bescheide vom 24.09. und
17.11.1992, beide in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12.10.1993, zu verurteilen, die Kosten der
Versorgung mit Inlays (925,35 DM), die nicht erstatteten Kosten der ambulanten Behandlung durch Dr ... am
16.09.1992 (534,31 DM), die von ihm verordneten Arzneimittel (183,52 DM) sowie die Fahrkosten (121,00 DM) zu
erstatten, hilfsweise ein ärztlichen Sachverständigengutachten einzuholen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Beigezogen und zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht wurden die Akten der Beklagten und des SG.
Auf den Inhalt dieser Akten sowie die Sitzungsniederschrift wird im Übrigen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die frist- und formgerecht eingelegte Berufung (§ 151 SGG) ist zulässig; der Wert des Beschwerdegegenstandes
übersteigt 1.000,00 DM (§ 144 Abs.1 Satz 1 Nr.1 SGG).
Die Berufung ist unbegründet.
Der Kläger hat mit der Berufung erneut die Erstattung von Fahrkosten geltend gemacht, obwohl er zuletzt in der
mündlichen Verhandlung vor dem SG den die Fahrkosten betreffenden Bescheid vom 24.09.1992 nicht mehr
angegriffen hatte. Zwar hat das SG in den Entscheidungsgründen diesen Bescheid als rechtmäßig bezeichnet, doch
konnte es mangels Anfechtung in der Sache nicht mehr entscheiden. Wenn der Kläger nunmehr wiederum die
Fahrkosten mittels der Berufung erlangen will, ist sein Begehren kein zulässiger Berufungsantrag.
Der Kläger hat, wie das SG und die Beklagte zutreffend entschieden haben, keinen Anspruch auf Erstattung der
restlichen Kosten für die Gussfüllungen, für die ambulante Behandlung durch Dr ... am 16.09.1992 und die von ihm
verordneten Arzneimittel.
Der Antrag des Klägers auf volle Erstattung der Kosten für die Gussfüllungen hat keinen Erfolg. Der Kläger hat über
die bereits gewährte Kostenerstattung hinaus (vgl. § 24 Abs.3 der Satzung der Beklagten) insoweit keine weiteren
Ansprüche.
Gemäß § 13 Abs.2 Sozialgesetzbuch V (SGB V) in der Fassung vom 20.12.1988 (BGBl.I 2477) sind Kosten zu
erstatten, die dadurch entstehen, dass die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen
kann (Voraussetzung 1) oder eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat (Voraussetzung 2) und sich der Versicherte die
notwendige Leistung deshalb selbst beschafft hat. Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor.
Eine unaufschiebbare Leistung, insbesondere ein Notfall, war in dem Zeitraum, in dem der Kläger die
Amalgamfüllungen durch Gussfüllungen hat ersetzen lassen (14.04. bis 27.05.1992) nicht gegeben. Denn ein solcher
läge nur vor, wenn eine derart bedrohliche Erkrankung gegeben wäre, bei der nur noch sofortige ärztliche Behandlung
Hilfe bringen könnte und bei der dem Versicherten unter Berücksichtigung aller Umstände die Inanspruchnahme eines
Kassenarztes anstelle eines (erreichbaren) Nichtkassenarztes nicht zuzumuten ist (Bundessozialgericht (BSG) vom
24.05.1972 BSGE 34, 172). Verlangt wird eine "Gefahr im Verzug", d.h. der Eintritt (weiterer) Schäden an Leib und
Leben kann nur durch sofortiges ärztliches Eingreifen verhindert werden. Eine derartige Gefährdungssituation lag
schon nach dem zeitlichen Ablauf der Behandlungsmaßnahmen beim Kläger nicht vor. Er hatte bereits im Januar
1992 den Austausch der Amalgamfüllungen beantragt, dagegen wurde die Leistung erst in der Zeit von April bis Mai
1992 erbracht.
Die Beklagte hat den Austausch der Amalgamfüllungen durch Gussfüllungen auch nicht zu Unrecht abgelehnt. Denn
ein Amalgamaustausch war nicht erforderlich und die selbst beschaffte Leistung gehört ihrer Art nach nicht zu den
Leistungen, die von den gesetzlichen Krankenkassen als Sachleistung zu erbringen sind (BSG vom 16.09.1997
BSGE 81, 54, 56).
Versicherte haben nach § 27 Abs.1 Satz 1 SGB V Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine
Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Nach
Satz 2 Nr.2 dieser gesetzlichen Vorschrift schließt die Krankenbehandlung die zahnärztliche Behandlung mit ein, die
ihrerseits nach § 28 Abs.2 Satz 1 SGB V zur Verhütung, Früherkennung und Behandlung von Zahn-, Mund- und
Kieferkrankheiten ausreichend und zweckmäßig sein muss. Einzelheiten der vertragszahnärztlichen Versorgung, also
der Durchführung der Behandlung durch zugelassene Zahnärzte regelt der Vertrag zwischen der Kassenzahnärztlichen
Bundesvereinigung und dem Verband der Angestellten-Krankenkassen e.V. sowie dem Verband der Arbeiter-
Ersatzkassen e.V. (Ersatzkassen-Vertrag Stand 01.01.1990) in § 8, der auf die einschägigen Gebührentarife verweist.
Eine weitere Regelung enthalten die Richtlinien des Bundesausschusses der Zahnärzte und Krankenkassen für eine
ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche kassenzahnärztliche Versorgung, die in Abschnitt B.II.4. vorsehen,
dass nur anerkannte und erprobte plastische Füllungsmaterialien verwendet werden sollen. Hierzu gehören Goldinlays
nicht, da sie bereits in gehärteter Form gelegt werden. Aus der Anmerkung Nr.1 zu der Gebührenordnungsposition
Nr.13 des Einheitlichen Bewertungsmaßstabes für zahnärztliche Leistungen (Gebührentarif A, Anlage 1 zum
Ersatzkassen-Vertrag) ergibt sich, dass mit dieser Leistung (Präparieren einer Kavität, Füllen mit plastischem
Füllmaterial usw.) die Verwendung jedes erprobten und praxisüblichen plastischen Füllmaterials ... abgegolten ist. Die
Anmerkung Nr.2 enthält den Hinweis, dass das Legen einer Gussfüllung nicht abrechnungsfähig ist. Zwar findet sich
im Zusammenhang mit Nr.13 des Einheitlichen Bewertungsmaßstabes für zahnärztliche Leitungen (Anlage A zum
BMV-Z) eine Protokollnotiz zum Beschluss des erweiterten Bewertungsausschusses für zahnärztliche Leistungen
vom 17.04.1996, wonach u.a. Amalgamfüllungen absolut kontraindiziert sind, wenn der Nachweis einer Allergie
gegenüber Amalgam bzw. dessen Bestandteilen gemäß den Kriterien der Kontaktallergiegruppe der Deutschen
Gesellschaft für Dermatologie erbracht wurde bzw. wenn bei Patienten mit schwerer Niereninsuffizienz neue Füllungen
gelegt werden müssen. Diese Protokollnotiz ist im vorliegenden Fall schon deswegen nicht einschlägig, da es hier
nicht um das Einbringen von Amalgamfüllungen, sondern um deren Beseitigung geht.
Die Erstattung der restlichen Kosten der streitigen Zahnbehandlung (Einsetzen der Inlays) lässt sich auch nicht unter
dem Gesichtspunkt einer mittelbaren Behandlung begründen, nämlich der Verhinderung oder Besserung etwaiger
durch die Verwendung von Amalgam bedingter Gesundheitsschäden.
Zwar liegt beim Kläger eine Krankheit im Sinne der gesetzlichen Krankenversicherung vor. Darunter ist ein
regelwidriger Körper- oder Geisteszustand zu verstehen, der die Notwendigkeit einer ärztlichen Heilbehandlung oder
zugleich oder allein Arbeitsunfähigkeit zur Folge hat (Kasseler Kommentar-Höfler, § 27 SGB V, Rdnr.9 m.w.N.). Der
Kläger leidet seit 1990 unter zunehmenden Lähmungserscheinungen in den Beinen, verbunden mit
Gleichgewichtsstörungen und Konzentrationsmängeln.
Der Anspruch scheitert auch nicht schon daran, dass beim Kläger keine Zahn-, Mund- und Kieferkrankheit im
eigentlichen Sinn besteht, wie es § 28 Abs.2 Satz 1 SGB V für Zahnbehandlungen zu verlangen scheint. Denn § 28
Abs.2 SGB V ist erweiternd so auszulegen, dass auch Eingriffe an ordnungsgemäß sanierten und deshalb aus
zahnmedizinischer Sicht nicht behandlungsbedürftigen Zähnen zur zahnärztlichen Behandlung im Sinne dieser
Vorschrift zu rechnen sind, wenn dadurch eine andere, allgemeinmedizinische Erkrankung behoben werden kann
(BSG Urteil vom 06.10.1999 BSGE 85, 56 ff.). Dieser vom BSG geforderte Wirkungszusammenhang kann aber nicht
nachgewiesen werden.
Der Versicherte kann nur solche Leistungen beanspruchen, die für den angestrebten Behandlungserfolg nach den
Regeln der ärztlichen Kunst zweckmäßig sind (§ 12 SGB V). Dazu gehört, dass von einer hinreichenden Wirksamkeit
der betreffenden Leistungen ausgegangen werden kann (BSG vom 21.11.1991 BSGE 70, 24, 26 ff.). Die
Zweckmäßigkeit einer Behandlung setzt voraus, dass über ihre Qualität und Wirksamkeit zuverlässige,
wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen gemacht werden können (BSG vom 05.07.1995 BSGE 76, 194). Das Gesetz
verlangt in § 2 Abs.1 Satz 3 SGB V, dass Qualität und Wirksamkeit der Leistungen der Krankenversicherung dem
allgemeinen anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechen. Danach ist ein nur möglicher
Behandlungserfolg grundsätzlich nicht geeignet, die krankenversicherungsrechtliche Leistungspflicht zu begründen.
Dies gilt um so mehr, als der Kläger Kostenerstattung für eine lediglich mittelbare Behandlung begehrt. Diese
mittelbare Behandlung ist dadurch gekennzeichnet, dass Eingriffe an ordnungsgemäß sanierten und deshalb aus
zahnmedizinischer Sicht nicht behandlungsbedürftigen Zähnen vorgenommen wurden, um dadurch eine andere,
allgemeinmedizinische Erkrankung zu beheben. An den Nachweis der Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit des
therapeutischen Vorgehens werden hier erhöhte Anforderungen gestellt.
Nach dem Urteil des BSG vom 06.10.1999 (SozR 3-2500 § 28 Nr.4 = BSGE 85, 56 ff.) hat die Krankenkasse nicht für
Kosten aufzukommen, die dadurch entstehen, dass sich der Versicherte wegen unklarer gesundheitlicher
Beschwerden intakte Zahnfüllungen aus Amalgam entfernen und gegen ein anderes Füllmaterial austauschen läßt.
Die bloß auf allgemeine Erwägungen gestützte hypothetische Möglichkeit eines Heilerfolges kann die Leistungspflicht
der gesetzlichen Krankenversicherung grundsätzlich nicht begründen. Das BSG hat ausgeführt, dass allein die
Tatsache, dass ein Versicherter sich zum Arzt oder zu mehreren Ärzten begeben hat, kein ausreichendes Indiz ist,
um eine Verurteilung der Krankenkasse zu bestimmten Leistungen zu rechtfertigen. Es hat aber in dem zu
entscheidenden Fall die Frage des Nachweises der Erkrankung offen gelassen, da der geltend gemachte Anspruch
aus anderen Gründen ausgeschlossen war. Es handelt sich bei dem Amalgamaustausch also um eine mittelbare
Behandlung, die einer speziellen Rechtfertigung bedarf. Die therapeutischen Bemühungen setzen bei einer mittelbaren
Behandlung dort an, wo für sich genommen eine Behandlung nicht erforderlich ist, so dass eine besonders
umfassende Abwägung zwischen voraussichtlichem medizinischen Nutzen und möglichem gesundheitlichen Schaden
erfolgen muss. Noch strengere Anforderungen müssen dann gelten, wenn die mittelbare Behandlung eine gezielte
Verletzung gesunder Körpersubstanz voraussetzt, wie das beim Amalgamaustausch des Klägers der Fall ist. In
diesem Fall werden die Interessen der Versichertengemeinschaft besonders nachhaltig berührt, weil eventuelle
Folgekosten der zu Therapiezwecken vorsätzlich veranlassten Gesundheitsschädigung wiederum die Gemeinschaft
belasten könnte. Das BSG hat die Kostenübernahme für einen Amalgamaustausch mit der Begründung verneint, dass
der therapeutische Nutzen dieser Maßnahme nicht ausreichend gesichert ist.
Würde man eine Quecksilberintoxikation unterstellen, ergäbe sich daraus dennoch keine Leistungspflicht der
Beklagten. Denn zum einen bliebe ungeklärt, ob die präsumtive Quecksilberintoxikation auf die Amalgamfüllungen
zurückzuführen war. Dagegen spricht, dass laut Feststellung des Sachverständigen Dr ... beim Kläger im Jahr 1998,
also sechs Jahre nach Entfernung der Amalgamfüllungen, höhere Quecksilber- und Kupferwerte festgestellt wurden
als 1992. Damit liegt der Schluss nahe, dass Amalgam nicht Ursache der erhöhten Quecksilber- und Kupferwerte
gewesen sein kann. Die beim Kläger aufgetretene Krankheitssymtpomatik ist auch nicht nur zum Teil auf eine
Quecksilbervergiftung zurückführen. Das Krankheitsbild muss die begründete Vermutung rechtfertigen, dass die vom
Arzt angenommene Erkrankung vorliegt und mit der vorgeschlagenen Therapie wirksam behandelt werden kann. Ohne
hinreichende Erfolgschance gebührt dem Interesse der Versichertengemeinschaft an einer Begrenzung auf die
nachweisbar medizinisch notwendigen Leistungen der Vorrang vor dem Interesse des Einzelnen an einem
kostenfreien Heilversuch. Auch wenn man mit dem früheren 14a-Senat des BSG (Urteil vom 08.09.1993 SozR 3-2500
§ 2 Nr.2 SGB V) davon ausgeht, die grundsätzliche und vollständige Ablehnung von Amalgam habe den Stellenwert
einer besonderen Therapierichtung, würde daraus sich kein anderes Ergebnis ergeben. Denn dieses Urteil betraf eine
Disziplinarmaßnahme gegen einen Zahnarzt.
Zum anderen ist zu berücksichtigen, dass der Kläger, auch wenn ein Gesundheitsschaden durch Amalgamvergiftung
unterstellt wird, keinen Anspruch auf Versorgung mit Gussfüllungen hatte, sondern nur auf Verwendung mit üblichen
und erprobten plastischen Füllungsmaterialien.
Auch die Erstattung der Kosten für die Quecksilberausleitung mittels DMPS-Behandlung kann vom Kläger nicht mit
Recht verlangt werden. Die Beklagte hat die Leistung nicht zu Unrecht abgelehnt. Es fehlt bereits ein entsprechender
Kostennachweis (BSG vom 4.05.2000 - B 1 Kr 62/99 B - nicht veröffentlicht). Eine Kostenerstattung nach § 13 Abs.2
2. Alternative SGB V kommt außerdem nur dann in Betracht, wenn der Versicherte vor Inanspruchnahme der Leistung
erfolglos einen Antrag bei der Krankenkasse gestellt hat (ständige Rechtsprechung des BSG, vgl. z.B. Urteil vom
24.09.1996 BSGE 79, 125). Dies war nicht der Fall. Der praktische Arzt Dr ... behandelte den Kläger privat am
16.09.1992, ohne dass letzterer vorher diese Leistung bei der Beklagten beantragt hatte. Eine Konstellation, bei der
ein vorheriger Antrag entbehrlich gewesen wäre, war nicht gegeben. Aus diesem Grund entfällt auch ein Anspruch auf
Erstattung der Kosten des Privatrezepts von Dr ... in Höhe von 183,52 DM.
Der Senat ist auch nicht verpflichtet, hier ärztliche Sachverständigengutachten einzuholen (§ 106 Abs.3 Nr.5 SGG),
da es aus rechtlichen Gründen auf die Frage einer generellen Gesundheitsgefährdung durch Amalgam nicht ankommt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs.2 Nrn.1, 2 SGG).