Urteil des LSG Bayern vom 18.07.2006

LSG Bayern: unterkunftskosten, heizung, hauptsache, wohnung, zivilprozessordnung, erlass, angemessenheit, obsiegen, nebenkosten, anerkennung

Bayerisches Landessozialgericht
Beschluss vom 18.07.2006 (rechtskräftig)
Sozialgericht Würzburg S 7 AS 34/06 ER
Bayerisches Landessozialgericht L 11 B 195/06 AS ER
I. Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Würzburg vom 17.02.2006 wird zurückgewiesen. II. Die
Antragsgegnerin hat der Antragstellerin die außergerichtlichen Kosten im Beschwerdeverfahren zu erstatten.
Gründe:
I.
Die Beteiligten streiten um die Höhe der Unterkunftskosten, die die Antragsgegnerin (Ag) der Antragstellerin (Ast)
gemäß dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für die Zeit vom 01.02.2006 bis 30.04.2006 bewilligt hat.
Auf eine vorausgehende Klage der Klägerin verpflichtete das Sozialgericht Würzburg (SG) die Ag mit rechtskräftigem
Urteil vom 25.07.2005, bis Ende Oktober 2005 Kosten für Unterkunft und Heizung in Höhe von 338,08 EUR pro Monat
zu bewilligen.
Mit Änderungsbescheid vom 26.09.2005 bewilligte die Ag der Ast für den Zeitraum vom 01.04.2005 bis 30.09.2005
Leistungen nach dem SGB II unter Anerkennung von Kosten für Unterkunft und Heizung in Höhe von 338,08 EUR
monatlich. Mit Begleitschreiben vom 27.09.2005 übersandte die Ag der Ast den Bescheid für den Zeitraum vom
01.10.2005 bis 31.12.2005 und teilte mit, dass auch für diesen Zeitraum Aufwendungen für Kosten und Unterkunft in
Höhe von 338,08 EUR monatlich berücksichtigt werden.
Ohne weitere Ankündigung bewilligte die Ag mit dem hier streitgegenständlichen Bescheid vom 21.12.2005 für den
Zeitraum vom 01.01.2006 bis 30.04.2006 weitere Leistungen nach dem SGB II. Kosten für Unterkunft und Heizung
erkannte sie hierbei nurmehr in Höhe von 285,58 EUR an. In der Begründung dazu führte die Ag aus, sie habe ihre
Mietobergrenzen neu festgelegt. Nach diesen neuen Mietobergrenzen könne für eine zweiköpfige Wohngemeinschaft
die Mietobergrenze für 3 Personen in Höhe von 442,00 EUR anerkannt werden. Da die Ast gemeinsam mit Herrn H.
eine teuerere Wohnung bewohne, könne ihr ab 01.01.2005 lediglich die neue Mietobergrenze für 3 Personen zur Hälfte
anerkannt werden. Die Ast sei bereits mehrmals aufgefordert worden, sich eine kostengünstigere Wohnung zu
suchen.
Den hiergegen erhobenen Widerspruch wies die Ag mit Widerspruchsbescheid vom 13.03.2006 zurück. Hiergegen hat
die Ast Klage erhoben.
Am 30.01.2006 beantragte sie beim SG, die Ag im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihr vorläufig ab
dem 01.02.2006 Leistungen für die Unterkunft in Höhe von 338,08 EUR zu bewilligen. Ihr sei es nicht möglich, eine
Entscheidung im Widerspruchs- und Klageverfahren abzuwarten, weil sie über nur unzureichende Mittel verfüge, um
die Miete vollständig begleichen zu können.
Das SG verpflichtete daraufhin die Ag mit Beschluss vom 17.02.2006, der Ag für den Zeitraum vom 01.02.2006 bis
30.04.2006 Leistungen nach dem SGB II unter Zugrundelegung angemessener Unterkunftskosten in Höhe von 338,08
EUR zu zahlen.
Hiergegen hat die Ag Beschwerde zum Bayer. Landessozialgericht erhoben. Sie habe im Zeitraum vom 08.06.2005
bis zum 07.08.2005 eine Wohnungsmarkterhebung durchgeführt. Die Auswertung sei in zweifachen Abdruck der
Beschwerde beigelegt. Auf Grundlage dieser (Neu-)Festsetzungen wurde der hier streitgegenständliche Bescheid vom
21.12.2005 erlassen und die Leistung für die Unterkunft im Falle der Ast für den Zeitraum vom 01.01.2006 bis
30.04.2006 neu festgesetzt. Sie anerkenne künftig Kosten für Unterkunft und Heizung von insgesamt 245,58 EUR
monatlich, wobei 187,50 EUR auf die Grundmiete und 33,50 EUR auf Nebenkosten entfielen und zudem Heizkosten in
Höhe von 24,58 EUR bewilligt werden.
Die Ast tritt der Beschwerde entgegen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakten in beiden Rechtszügen sowie auf die
vorgelegte Behördenakte Bezug genommen.
II.
Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde ist zulässig (§§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz - SGG -). Das SG
hat ihr nicht abgeholfen (§ 174 SGG).
Die Beschwerde ist aber nicht begründet. Die Verpflichtung der Ag durch das SG, der Ast für den Zeitraum vom
01.02.2006 bis 30.04.2006 Leistungen nach dem SGB II unter Zugrundelegung angemessener Unterkunftskosten in
Höhe von 338,08 EUR zu bewilligen, ist rechtlich nicht zu beanstanden.
Rechtsgrundlage für die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug
auf ein streitiges Rechtsverhältnis stellt im vorliegenden Rechtsstreit § 86b Abs 2 Satz 2 SGG dar.
Hiernach ist eine Regelungsanordnung zulässig, wenn sie zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Das
ist etwa dann der Fall, wenn dem Ast ohne eine solche Anordnung schwere oder unzumutbare, nicht anders
abwendbare Nachteile entstehen, zu deren Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage
wäre (so Bundesverfassungsgericht - BVerfG - vom 25.10.1988 BVerfGE 79, 69, 74; vom 19.10.1977 BVerfGE 46,
166/179 und vom 22.11.2002 NJW 2003, 1236; Niesel, Der Sozialgerichtsprozess, 4.Aufl, RdNr 643).
Die Regelungsanordnung setzt das Vorliegen eines Anordnungsgrundes - das ist in der Regel die Eilbedürftigkeit - und
das Vorliegen eines Anordnungsanspruches - das ist der materiell-rechtliche Anspruch, auf den die Ast ihr Begehren
stützt - voraus. Die Angaben hat die Ast hierzu glaubhaft zu machen (§ 86b Abs 2 Sätze 2 und 4 SGG iVm § 920 Abs
2, § 294 Zivilprozessordnung - ZPO -; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8.Aufl, § 86b RdNr 41).
Zwischen Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch besteht dabei eine Wechselbeziehung. An das Vorliegen des
Anordnungsgrundes sind dann weniger strenge Anforderungen zu stellen, wenn bei Prüfung der Sach- und Rechtslage
in vom Bundesverfassungsgericht vorgegebenen Umfang (BVerfG vom 12.05.2005 Breithaupt 2005, 803) das
Obsiegen in der Hauptsache sehr wahrscheinlich ist bzw. wäre. Wäre eine in der Hauptsache erhobene Klage
offensichtlich unzulässig oder unbegründet, so ist wegen des fehlenden Anordnungsanspruches der Erlass einer
einstweiligen Anordnung abzulehnen. Sind die Erfolgsaussichten in der Hauptsache offen, kommt dem
Anordnungsgrund entscheidende Bedeutung zu. Soweit existenzsichernde Leistungen in Frage stehen, sind die
Anforderungen an den Anordnungsgrund und den Anordnungsanspruch weniger streng zu beurteilen. In diesem Falle
ist ggfs. anhand einer Folgenabwägung unter Berücksichtigung der grundrechtlichen Belange des Ast zu entscheiden
(BVerfG vom 12.05.2005 aaO und vom 22.11.2002 aaO).
Unter Zugrundelegung dieser Vorgaben hat das SG die Ag in rechtlich nicht zu beanstandender Weise im Wege des
einstweiligen Rechtsschutzverfahrens verpflichtet, für den Zeitraum vom 01.02.2006 bis 30.04.2006 Leistungen für
Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen gemäß § 22 Abs 1 Satz 2 SGB II zu erbringen.
Nach dieser Vorschrift sind Aufwendungen für die Unterkunft, die die ansich angemessenen Aufwendungen
übersteigen, solange zu berücksichtigen, wie es dem alleinstehenden Hilfebedürftigen oder der Bedarfsgemeinschaft
nicht möglich oder nicht zuzumuten ist, durch einen Wohnungswechsel, durch Vermieten oder auf andere Weise die
Aufwendungen zu senken; in der Regel jedoch längstens für 6 Monate.
Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Aufgrund des rechtskräftigen Urteils des SG vom 25.07.2005 (Az: S 16 AS
93/05) konnte die Ast jedenfalls für den Bewilligungszeitraum vom 01.04.2005 bis 31.10.2005 davon ausgehen, dass
ihre Unterkunftskosten in Höhe von 338,08 EUR monatlich angemessen iS des § 22 Abs 1 Satz 1 SGB II sind. Für
den folgenden Zeitraum bis zum 31.12.2005 bestätigte die Ag - losgelöst von der vorausgegangenen Verurteilung - die
Angemessenheit der Unterkunftskosten in der vorgenannten Höhe dadurch, dass sie der Ast die Leistungen in der
bisherigen Höhe weiter bewilligte, ohne sie darauf aufmerksam zu machen, dass sie auf der Grundlage einer
Wohnungsmarkterhebung im Zeitraum vom 08.06.2005 bis 07.08.2005 andere Mietobergrenzen zukünftig anerkenne.
Vor diesem Hintergrund war es der Ast weder möglich noch zumutbar iS des § 22 Abs 1 Satz 2 SGB II, ihre
Mietkosten bereits ab dem 01.01.2006 bzw für den hier streitgegenständlichen Bewilligungszeitraum zu senken.
Mithin hat die Beschwerde insgesamt keinen Erfolg. Die Frage der Miethöhe für folgende Bewilligungszeiträume bleibt
der Klärung in einem Hauptsacheverfahren überlassen.
Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).