Urteil des LSG Bayern vom 10.12.2008

LSG Bayern: öffentliche ruhe und ordnung, verteidigung der ordnung, achtung der wohnung, gerichtshof für menschenrechte, schutz der gesundheit, nachforderung von beiträgen, egmr, unvollständige angabe

Bayerisches Landessozialgericht
Urteil vom 10.12.2008 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Nürnberg S 5 AL 293/03
Bayerisches Landessozialgericht L 10 AL 330/07 ZVW
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 03.02.2004 in Ziffer II des Urteilstenors
aufgehoben.
Im Übrigen wird die Berufung der Klägerin zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des gesamten Verfahrens einschließlich des Revisionsverfahrens.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitgegenstand ist die Feststellung der Rechtmäßigkeit der Anordnung einer am 02.10.2002 durchgeführten
Außenprüfung.
Am 23.09.2002 lehnte die Beklagte eine Arbeitserlaubnis für eine ausländische Arbeitnehmerin der Klägerin (A. S.)
wegen Verdachts einer bestehenden Ordnungswidrigkeit ab, nachdem die Arbeitnehmerin - entgegen der
Arbeitsgenehmigung vom 03.05.2002 bis 02.08.2002 mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 10 Stunden - im Juni
2002 von der Beklagten eine Lohnabrechnung über wöchentlich 14 Stunden erhalten hatte. Zudem erreichte der
gezahlte Stundenlohn den Tariflohn nicht. Laut Vermerk der Beklagten vom 04.10.2002 forderte die
Arbeitsmarktinspektion der Beklagten am 01.10.2002 von der zuständigen Buchhalterin der Klägerin, Frau L. (L.),
sämtliche Lohnabrechnungen an. Auf den am 01.10.2002 zugefaxten handschriftlich erstellten Lohnabrechnungen für
Juni und Juli 2002 waren die Arbeitsstunden auf 10 Stunden ausgebessert worden.
Am 02.10.2002 stellten sich zwei Prüfer der Beklagten bei L. zur Geschäftsunterlagenprüfung und Kontrolle der
Stundenaufzeichnungen vor. Auf Nachfrage stellten die Prüfer eine schriftliche Prüfungsverfügung betreffend die
Firma T. in der R.str ... , A-Stadt aus, deren Erhalt L. im Auftrag quittierte. Wegen weiterer Auffälligkeiten forderten die
Prüfer die Buchhalterin zur Vorlage aller Lohnunterlagen auf, die sichergestellt werden sollten. Die schließlich von L.
zugezogenen Geschäftsführer erklärten sich damit nicht einverstanden und drängten die Prüfer zum Verlassen der
Geschäftsräume. In der Folge wurden die Geschäftsführer jeweils mit Strafbefehlen über 60 Tagessätze wegen
Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte verurteilt.
Den Widerspruch der Klägerin vom 10.10.2002 gegen die Prüfungsverfügung vom 02.10.2002 wegen fehlender
Bekanntgabe an den richtigen Adressaten wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 11.03.2003 zurück.
Gemäß § 304 SGB III prüften die Arbeits- und die Hauptzollämter, ob ausländische Arbeitnehmer mit einer
erforderlichen Genehmigung nicht zu ungünstigeren Arbeitsbedingungen als vergleichbare deutsche Arbeitnehmer
beschäftigt werden oder wurden. Hierzu bestehe ein Betretungs- und Einsichtsrecht (§ 304 Abs 1 Satz 1 SGB III). Die
unvollständige Angabe des Firmennamens in der Prüfungsverfügung sei angesichts der korrekten Anschrift
unerheblich. Schließlich bedürfe eine Prüfungsverfügung nicht der Schriftform.
Die Klage auf Aufhebung der Prüfungsverfügung bzw. die Feststellung der Rechtswidrigkeit ist mit Urteil des
Sozialgerichts Nürnberg vom 03.02.2004 und einer Kostenentscheidung nach § 193 SGG abgewiesen worden.
Die Berufung dagegen ist vom Bayer. Landessozialgericht mit Urteil vom 28.07.2005 und einer Kostenentscheidung
gemäß § 197a SGG zu Lasten der Klägerin zurückgewiesen worden. Die Klägerin habe kein berechtigtes Interesse an
der Fortsetzungsfeststellungsklage, weil weder ein Amtshaftungsprozess aussichtsreich sei noch eine
Wiederholungsgefahr bestehe oder ein Rehabilitationsinteresse gegeben sei.
Auf die Revision der Klägerin hin hat das Bundessozialgericht das Urteil des Bayer. Landessozialgerichts vom
28.07.2005 mit Urteil vom 28.08.2007 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an
dieses Gericht zurückverwiesen. Entgegen der Ansicht des Landessozialgerichts sei die
Fortsetzungsfeststellungsklage zulässig, weil ein Rehabilitationsinteresse zu bejahen sei. Die Durchführung einer
unangekündigten Außenprüfung könne Aufsehen erregen und Geschäftsinteressen berühren. Ob die
Fortsetzungsfeststellungsklage auch begründet sei, könne der Senat mangels ausreichender tatsächlicher
Feststellungen des Landessozialgerichts nicht abschließend entscheiden. Es sei bereits fraglich, auf welche
gesetzliche Ermächtigung die Außenprüfung gestützt werden könne. Anhaltspunkte ergäben sich lediglich für die
Anwendung des § 304 Abs 1 SGB III. Namentlich die Anordnung der Außenprüfung zu erlaubten Zwecken und deren
Erforderlichkeit im Rahmen des der Beklagten obliegenden Ermessens bedürfe näherer Prüfung. Dabei werde davon
auszugehen sein, dass Artikel 8 Abs 2 der Europäischen Menschenrechts-Konvention (EMRK) dem nationalen
Gesetzesrecht nicht per se entgegenstehe. Am Maßstab des von der Klägerin herangezogenen Artikel 8 EMRK
betreffenden Urteils des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) vom 16.04.2002 - 37871/97 - zum
französischen Recht lasse sich eine Rechtswidrigkeit der vorliegenden Außenprüfung kaum begründen, denn die vom
EGMR gerügten Kontrollmechanismen lägen in Deutschland gerade vor. Zu Unrecht berufe sich die Klägerin auf eine
Unbestimmtheit des Adressaten der Prüfungsverfügung, die ohnehin nicht schriftlich ergehen müsse. Der Adressat
sei trotz der fehlerhaften Bezeichnung in der schriftlichen Prüfungsverfügung erkennbar gewesen. Gegen die
Änderung der Kostenentscheidung zu Ungunsten der Klägerin bestünden keine Bedenken.
Auf den Hinweis des Gerichts, die Beklagte habe wohl hinreichenden Anlass für Nachforschungen gehabt, hat die
Klägerin vorgetragen, die Berufung werde aufrecht erhalten. Die Verfügung sei bereits formell rechtswidrig gewesen,
da sie ohne Begründung ergangen sei. Zumindest der konkrete Verdacht hätte in der Verfügung genannt werden
müssen, zumal es sich dabei um einen Ermessensakt handle. Die Prüfungsverfügung sei auch materiell rechtswidrig,
da die Berechtigungsgrundlage Artikel 8 EMRK verletze. Der EGMR prüfe die Verhältnismäßigkeit von Eingriffen
besonders intensiv, wenn das Nationale Recht keinen Richtervorbehalt vorsehe und kein angemessener und
wirksamer Missbrauchsschutz gegeben sei. Die weitreichenden Prüfungsbefugnisse der Beklagten ließen jede Menge
Raum für den Missbrauch der Befugnisse, die in der Praxis auch seitens der Beklagten realisiert würden. Der vom
EGMR geforderte angemessene wirksame Missbrauchsschutz existiere nicht. Entgegen der Ansicht des
Bundessozialgerichts sei der vom EGMR in der zitierten Entscheidung genannte Fall mit dem anhängigen
vergleichbar. Auch in Frankreich existiere die Möglichkeit der nachträglichen gerichtlichen Kontrolle. Auch eine
nachträgliche Kontrolle sei nicht möglich, wenn pauschal auf sämtliche Ermächtigungsgrundlagen verwiesen werde.
Selbst wenn man die Rechtmäßigkeit der Ermächtigungsgrundlage unterstelle, müsse die Ermessensausübung der
Behörde nachvollziehbar und nachprüfbar sein. Die fehlende Begründung in der Ausgangsverfügung und im
Widerspruchsbescheid indiziere, dass im vorliegenden Fall ein Ermessensfehler vorliege. Es sei nicht erkennbar,
dass sich die Behörde mit allen Umständen des Einzelfalls aus-einandergesetzt habe. Vielmehr habe sie lediglich
Ermittlungen ins Blaue hinein durchgeführt, um Zufallsfunde zu kreieren. Angesichts des Sachverhalts hätte eine
angekündigte Routineprüfung ausgereicht, die Prüfungsverfügung sei daher unverhältnismäßig gewesen. Mithin sei
der Bestimmtheitsgrundsatz aufgrund der Pauschalangabe sämtlicher denkbarer Rechtsgrundlagen in einem nicht
individualisierten Formschreiben verletzt.
Die Beklagte hat dagegen vorgetragen, der Widerspruchsbescheid nenne die Rechtsgrundlage hinreichend deutlich.
Der konkrete Tatverdacht sei nicht in die Verfügung aufzunehmen und im Übrigen angesichts der vorangegangen
Ermittlungen offensichtlich gewesen. Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit der Rechtsgrundlage bestünden
nicht.
Die Klägerin beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 03.02.2004 aufzuheben und festzustellen, dass
die Prüfungsverfügung des Arbeitsamts A-Stadt vom 02.10.2002 rechtswidrig war.
Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Inhalt der Beklagtenakte, der Akte des Sozialgerichts Nürnberg, der Akte
des Bundessozialgerichts, der Akte der Staatsanwaltschaft N. sowie der Berufungsakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die statthafte, form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig. Die von der Klägerin geltend gemachten
Umstände reichen aus, das Feststellungsinteresse für die Fortsetzungsfeststellungsklage zu begründen. Wie das
Bundessozialgericht in seiner zurückverweisenden Entscheidung ausgeführt hat, sind bei der
Fortsetzungsfeststellungsklage keine strengeren Anforderungen für die Bejahung des Feststellungsinteresses als im
Fall der allgemeinen Feststellungsklage zu stellen, so dass es für das Feststellungsinteresse als ausreichend
anzusehen ist, dass die Klägerin geltend macht, die unangekündigte Betretung ihres nichtöffentlichen
Betriebsbereichs stelle eine Geschäftsschädigung und Verletzung des Hausfriedens dar.
Die zulässige Fortsetzungsfeststellungsklage ist hingegen nicht begründet. Die Prüfungsverfügung der Beklagten vom
02.10.2002 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.03.2003 ist nicht zu beanstanden. Die Prüfung erfolgte
auf einer ausreichenden gesetzlichen Grundlage, die weder gegen das Grundgesetz noch gegen die Europäische
Menschenrechtskonvention verstößt, und sie war verhältnismäßig.
Die unangekündigte, verdachtsgestützte Außenprüfung der Beklagten findet ihre Rechtsgrundlage in § 304 Abs 1 Nr 2
SGB III iVm § 305 Abs 1 Satz 1 SGB III in der bis 31.07.2004 gültigen Fassung. Danach prüfen die Arbeitsämter, ob
ausländische Arbeitnehmer mit der erforderlichen Genehmigung und nicht zu ungünstigeren Arbeitsbedingungen als
vergleichbare deutsche Arbeitnehmer beschäftigt werden oder wurden. Zur Durchführung dieser Aufgaben sind sie
berechtigt, Grundstücke und Geschäftsräume des Arbeitgebers während der Geschäftszeit zu betreten und dort
Einsicht in die Lohn-, Melde- oder vergleichbare Unterlagen zu nehmen. Anlass für die Außenprüfung war eine
Unregelmäßigkeit in der Vertragsabwicklung zwischen der Klägerin und ihrer ausländischen Arbeitnehmerin, Frau A. S
... Diese war im Besitz einer gültigen Arbeitsgenehmigung vom 03.05.2002 bis 02.08.2002 mit einer wöchentlichen
Arbeitszeit von 10 Stunden. In ihrer Lohnabrechnung für Juni 2002 war eine wöchentliche Beschäftigungsdauer von 14
Stunden mit einem monatlichen Arbeitslohn von 322,11 EUR eingetragen. Dieses Entgelt von 5,31 EUR pro Stunde
entsprach nicht den tariflichen bzw. ortsüblichen Bedingungen, zu denen vergleichbare deutsche Arbeitnehmer
entlohnt wurden (Tariflohn 8,60 EUR). Der Widerspruch zwischen der Arbeitsgenehmigung und der Lohnabrechnung
wurde durch die am 01.10.2002 übersandten Lohnabrechnungen nicht ausgeräumt, weil die darin enthaltenen
wöchentlichen Arbeitsstunden auf 10 Stunden ausgebessert worden waren. Die Geschäftsunterlagenprüfung wurde
angeordnet, um die Stundenaufzeichnungen einer Überprüfung zu unterziehen.
Die unangekündigte Außenprüfung entsprach pflichtgemäßem Ermessen. Ebenso wenig wie Ermittlungen der
Steuerfahndung sind Ermittlungen der Arbeitsämter "ins Blaue hinein" zulässig. Andererseits ist zu berücksichtigen,
dass es sich nicht um strafrechtliche Ermittlungen handelt, die für Durchsuchungsbeschlüsse einen auf Tatsachen
gegründeten strafrelevanten Anfangsverdacht benötigen. Für ein berechtigtes Auskunftsverlangen hat es der
Bundesfinanzhof für ausreichend angesehen, dass die Steuerfahndung im Rahmen einer Prognoseentscheidung im
Wege vorweggenommener Beweiswürdigung nach pflichtgemäßem Ermessen zu dem Ergebnis gelangt, dass die
Auskunft zu steuererheblichen Tatsachen zu führen vermag (Bundesfinanzhof, Urteil vom 29.10.1986 - VII R 82/85).
Voraussetzung für die Einnahme des Augenscheins im Rahmen der Fahndung ist, dass für Nachforschungen ein
hinreichender Anlass besteht. Dasselbe muss für das Prüfungsrecht der Arbeitsämter gelten. Ein hinreichender
Anlass besteht dann, wenn aufgrund konkreter Anhaltspunkte oder aufgrund allgemeiner Erfahrung die Möglichkeit
eines Verstoßes im Sinne des § 304 Abs 1 Nrn 1 und 2 SGB III besteht (ebenso für die Steuerfahndung Anm Jäger in
Juris Praxisreport Steuerrecht 16/2007). Die Beklagte hatte aufgrund der im Vorfeld durchgeführten Ermittlungen
hinreichenden Anlass zu weiteren Ermittlungen. Die am 01.10.2002 geforderte Übersendung sämtlicher
Lohnunterlagen hatte zur Aufklärung der Unregelmäßigkeit nicht beigetragen. Wegen der Ausbesserung einer weiteren
Lohnabrechnung, nämlich der für Juli 2002, waren vielmehr neue Fragen aufgetaucht. Eine Antwort hierauf ließ sich
nur aus den Stundenaufzeichnungen vor Ort finden. Wegen der Differenz zwischen Arbeitserlaubnis und
Lohnabrechnungen und schließlich handschriftlicher Verbesserungen der Stundenzahl war die Inaugenscheinnahme
der Stundenaufzeichnungen zweckmäßig.
Die Prüfungsverfügung war auch verhältnismäßig. Entgegen der Behauptung des Klägerbevollmächtigten war die
Prüfung nicht darauf angelegt, Zufallsbefunde zu generieren. Sie beschränkte sich zunächst auf die Unterlagen der
Frau A. und erstreckte sich erst nach dem Auffinden weiterer Aufzeichnungen auf weitere Unterlagen ausländischer
Arbeitnehmer. Bei der Abwägung mit den Interessen der Klägerin ist zu berücksichtigen, dass den Geschäfts- und
Betriebsräumen von vornherein nach ihrer Zweckbestimmung eine größere Offenheit "nach außen" eignet (BVerwG,
Urteil vom 05.11.1987 in BVerwGE 78, 251 - 257). Die Tätigkeiten, die die Klägerin als Arbeitgeber in diesen Räumen
vornimmt, wirken notwendig nach außen und berühren deshalb auch die Interessen anderer und insbesondere der
Arbeitnehmer sowie der Solidargemeinschaft der Sozialversicherten. Vor diesem Hintergrund ist es folgerichtig, dass
die Beklagte als die mit dem Schutz dieser Interessen beauftragte Behörde bei gegebenem Anlass - und erscheine
dieser dem Arbeitgeber auch noch so geringfügig - die Tätigkeit des Arbeitgebers an Ort und Stelle kontrollieren und
zu diesem Zweck die Räume betreten darf. Dass in der Folge keine Nachforderung von Beiträgen erhoben worden ist
ändert am Gewicht der Arbeitnehmerinteressen nichts.
Die Prüfungsverfügung ist nicht deshalb rechtswidrig, weil sie zu wenig bestimmt wäre. Das Bundessozialgericht hat
bereits in der zurückverweisenden Entscheidung ausgeführt, dass sich die Klägerin zu Unrecht auf eine
"Unbestimmtheit" des Adressaten (fehlerhafte Firmenbezeichnung) der Prüfungsverfügung berufe, die ohnehin nicht
schriftlich ergehen musste. Auch der Inhalt der schriftlichen Prüfungsverfügung ist nicht zu beanstanden. Zwar ist
diese ganz allgemein gehalten und enthält insbesondere keine Begründung der konkreten Prüfung. Abgesehen davon,
dass eine fehlende Begründung einen Verwaltungsakt nicht nichtig macht und der Verfahrensfehler geheilt werden
kann (§ 40 und § 41 Abs 1 Nr 2 SGB X), beschränkt sich die Informationsverpflichtung der kontrollierenden Beklagten
auf die Aussage, dass die Geschäfts- und Betriebsräume zu Kontrollzwecken betreten werden. Wie das
Bundesverwaltungsgericht im Zusammenhang mit dem Betretungsrecht der Behördenbediensteten nach § 41 Abs 3
Nr 1 Lebensmittel- und Bedarfsgegenständegesetz entschieden hat (Urteil vom 05.11.1987, 3 C 52/85, NJW 1988,
1278), besteht keine Verpflichtung der kontrollierenden Bediensteten, vor dem Betreten der Betriebsräume Angaben
über Einzelheiten des Besichtigungszwecks und vorgesehene Kontrollmaßnahmen zu machen. Die Verpflichtung der
Überwachungsbehörden, sich an Ort und Stelle über die tatsächlichen Verhältnisse Kenntnisse zu verschaffen,
schließt überraschende Kontrollen ein. Zudem ist wegen § 306 SGB III gewährleistet, dass der Arbeitgeber den Inhalt
der Kontrolle begleitet. § 306 SGB III normiert Auskunfts- und Mitwirkungspflichten des Arbeitgebers, die ihn
gleichzeitig über die Kontrollschritte der Behörde aufklären. Die Klägerin war also zu jedem Zeitpunkt über den Inhalt
der Prüfung informiert.
§ 305 SGB III verstößt nicht gegen das Grundgesetz (GG). Zwar ist der Begriff "Wohnung" in Art 13 Abs 1 GG weit
auszulegen, so dass er auch Arbeits-, Betriebs- und Geschäftsräume umfasst. Dies hat zur Folge, dass für Eingriffe
und Beschränkungen gesetzliche Mindestanforderungen zu beachten sind, die das Bundesverfassungsgericht in
seiner Entscheidung vom 13.10.1971 normiert hat (BVerfGE 32, 54). Danach muss eine besondere gesetzliche
Vorschrift zum Betreten der Räume ermächtigen, das Betreten der Räume, die Vornahme der Besichtigung müssen
einem erlaubten Zweck dienen und für dessen Erreichung erforderlich sein, das Gesetz muss den Zweck des
Betretens, den Gegenstand und den Umfang der zugelassenen Besichtigung und Prüfung deutlich erkennen lassen
und das Betreten der Räume und die Vornahme der Besichtigung und Prüfung dürfen nur in den Zeiten passieren, zu
denen die Räume normalerweise für die jeweilige geschäftliche oder betriebliche Nutzung zur Verfügung steht. Diese
Voraussetzungen erfüllt § 305 SGB III. Er enthält ein ausdrückliches Betretensrecht, begrenzt das Einsichtsrecht in
Lohn-, Melde- oder vergleichbare Unterlagen des Arbeitgebers, zählt den Zweck der Prüfung einzeln auf und gestattet
das Betretungsrecht nur während der Geschäftszeit.
Die Prüfungsverfügung verstößt auch nicht gegen Art 8 EMRK. Der vom Klägerbevollmächtigten geforderte
Richtervorbehalt findet in Art 8 Abs 2 EMRK keine Grundlage. Danach ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die
Ausübung des Rechts auf Achtung der Wohnung nur statthaft, soweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und
eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe
und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren
Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer
notwendig ist. Das Betretens- und Prüfungsrecht des § 305 SGB III dient dem Schutz der Arbeitnehmer bzw. der
Versichertengemeinschaft. Eine vorherige richterliche Genehmigung zum Betreten der Geschäftsräume wird nicht
gefordert.
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat am 16.04.2002 festgestellt, dass auch
Geschäftsräume juristischer Personen vom Schutzbereich des Art 8 Abs 1 EMRK erfasst werden. Er hat weiter
Durchsuchungsmaßnahmen auf gesetzlicher Grundlage die Verhältnismäßigkeit mangels ausreichender
Kontrollmechanismen abgesprochen. Weil die Beamten zur Aufdeckung betrügerischer Preisabsprachen alleine über
den Zeitpunkt, die Zahl, die Dauer und das Ausmaß der Nachforschung entscheiden konnten, ohne einer
unabhängigen Kontrolle zu unterliegen, sei keine angemessene Garantie gegen einen möglichen Missbrauch gegeben.
Das Bundessozialgericht hat einen Verstoß gegen Art 8 EMRK deshalb bestritten, weil der EGMR die
Verhältnismäßigkeit der Eingriffe wegen fehlender Kontrollmechanismen verneint habe, während gerade die
vorliegende Möglichkeit der Fortsetzungsfeststellungsklage vom Gegenteil zeuge. Zutreffend rügt der
Klägerbevollmächtigte, dass der EGMR die nachträgliche gerichtliche Kontrolle, die auch in Frankreich stattfindet,
nicht ausreichen lässt. Hingegen ist der vom EGMR entschiedene Fall nicht mit dem vorliegenden vergleichbar.
Das vom EGMR beanstandete Verfahren in Frankreich sah nahezu uneingeschränkte Befugnisse für die zuständigen
Beamten vor. Sie hatten das Recht, die Beschlagnahme von Dokumenten aller Art durchzuführen, die der Erfüllung
ihrer Aufgaben dienten. § 305 SGB III hingegen normiert entsprechend den verfassungsgerichtlichen Vorgaben
Einschränkungen insbesondere im Hinblick auf die Art der Unterlagen, die geprüft werden dürfen. Ganz wesentlich ist
jedoch, dass das Betreten und Prüfen von Geschäftsräumen durch Beauftragte der Bundesanstalt für Arbeit im
Rahmen ihrer Zuständigkeit grundsätzlich keine Durchsuchung darstellt (BVerfG, Beschluss vom 11.11.1986 in SozR
4100 § 132a Nr 1). Weil für die Prüfer kein Durchsuchungsrecht besteht, war es erforderlich, Arbeitgebern,
Arbeitnehmern und Dritten, die bei der Prüfung angetroffen werden, Duldungs- und Mitwirkungspflichten aufzuerlegen.
Dies ist in § 306 SGB III geschehen. Danach hat der Arbeitgeber die Prüfung zu dulden und dabei mitzuwirken,
insbesondere auf Verlangen Auskünfte über Tatsachen zu erteilen, die darüber Aufschluss geben, ob Leistungen nach
dem SGB III zu Unrecht bezogen werden bzw. ausländische Arbeitnehmer zu ungünstigeren Arbeitsbedingungen
beschäftigt sind. Eine Beschlagnahme von Dokumenten verschiedenster Art wie in dem vom EGMRK entschiedenen
Fall ist daher ausgeschlossen. Umfang und Intensität der von der Beklagten durchgeführten Maßnahme sind also mit
dem vom EGMR entschiedenen Fall in keinster Weise vergleichbar. Der Gefahr des Missbrauchs wird durch die
Einbindung des Arbeitgebers begegnet, dem nur im Fall der unberechtigten Verweigerung des Zutritts gemäß § 404
Abs 2 Nr 17 SGB III ein Bußgeld droht.
Aus diesen Gründen war die Berufung als unbegründet zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 154 Abs 2 VwGO.
Gründe, die Revision zuzulassen, sind nicht ersichtlich.