Urteil des LSG Bayern vom 26.09.2007

LSG Bayern: anspruch auf bewilligung, zumutbare tätigkeit, erwerbsfähigkeit, rente, telefonist, ausbildung, leistungsfähigkeit, arbeitslosigkeit, maler, versicherter

Bayerisches Landessozialgericht
Urteil vom 26.09.2007 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Bayreuth S 11 R 43/02
Bayerisches Landessozialgericht L 19 R 624/06
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Bayreuth vom 26.07.2006 wird zurückgewiesen. II.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist zwischen den Beteiligten die Gewährung von Rente wegen Berufsunfähigkeit (BU).
Der 1961 geborene Kläger hat zunächst im erlernten Beruf als Maler und Lackierer mit Unterbrechungen gearbeitet.
Nach einer Zeit der Arbeitslosigkeit vom 23.09.1995 bis 12.07.1996 arbeitete er nochmals vom 15.07.1996 bis
31.08.1996 im erlernten Beruf. Nach einer erneuten Zeit der Arbeitslosigkeit war der Kläger zuletzt
versicherungspflichtig beschäftigt als Gemeindearbeiter vom 01.04.1997 bis 31.03.1998. Ab Dezember 2004 ist er
selbstständig (sog. Ich-AG) tätig.
Den Rentenantrag vom 10.11.2000 lehnte die Beklagte nach Beinahme eines sozialmedizinischen Gutachtens mit
Bescheid vom 05.02.2001 ab. Im Vorverfahren wurde der Kläger chirurgisch, neurologisch-psychiatrisch und
internistisch untersucht. Nachdem sämtliche Gutachter zu der Beurteilung gelangt waren, der Kläger sei weiterhin in
der Lage, leichte und mittelschwere Tätigkeiten vollschichtig zu verrichten, wies die Beklagte den Widerspruch des
Klägers als unbegründet zurück (Widerspruchsbescheid vom 19.12.2001).
Das Sozialgericht Bayreuth (SG) hat zunächst das für das Landgericht B. erstattete Gutachten des Neurologen Prof.
Dr.N. vom 10.07.2001 beigenommen (Verfahren wegen privater BU-Rente), in dem Erwerbsfähigkeit bejaht wird auf
dem bisherigen beruflichen Niveau, wenn die Arbeit überwiegend im Sitzen erfolge. Nach Beinahme eines
Befundberichts des Allgemeinmediziners Dr.S. hat Dr.H. als ärztlicher Sachverständiger das Gutachten vom
27.06.2006 erstattet. Der Sachverständige hielt ebenfalls leichte bis mittelschwere körperliche Tätigkeiten
vollschichtig für durchführbar. So sei die Tätigkeit eines Lagerverwalters zumutbar, wenn diese mit zeitweiligem
Sitzen, Stehen und Gehen verbunden sei. Auch eine Tätigkeit als Telefonist stehe im Einklang mit dem festgestellten
Leistungsbild.
Dieser Leistungsbeurteilung hat sich das SG angeschlossen und die auf Gewährung von Rente wegen BU gerichtete
Klage mit Urteil vom 26.07.2006 abgewiesen. Im Anschluss an die Ausführungen des ärztlichen Sachverständigen
Dr.H. sei der Kläger, der Berufsschutz genieße, auf die Tätigkeiten eines Telefonisten und eines Lagerverwalters in
einer Farbstoffgroßhandlung zumutbar zu verweisen. Außerdem kämen die von der Beklagten genannten Tätigkeiten
eines Spielwarenmalers bzw. eines Dekorations- und Schildermalers in Betracht. Auch diese Tätigkeiten entsprächen
dem Leistungsvermögen des Klägers.
Gegen dieses Urteil hat der Kläger Berufung eingelegt und im Wesentlichen vorgebracht, er sei nicht in der Lage, die
im Urteil genannten Verweisungstätigkeiten aufgrund seiner "einfach gestrickten Art" auszuüben. Dass er auch
fachbezogene Gespräche mit Auftraggebern führen könne, stehe dem nicht entgegen. Von einem Telefonisten würden
eine gepflegte Ausdrucksweise, geistige Beweglichkeit und Arbeiten unter Druck erwartet und vorausgesetzt. Über
diese Fähigkeiten verfüge er nicht. Insoweit dürfe das Gericht nicht von dem Gutachten vom 10.07.2004 ausgehen,
das für das Landgericht B. erstattet wurde. Er brauche sich deshalb nicht auf den Beruf eines Telefonisten verweisen
zu lassen.
Nach Beinahme eines Befundberichts des Allgemeinmediziners Dr.P. erstattete der Neurologe und Psychiater Dr.K.
das Gutachten vom 04.05.2007. Dieser stellte als Gesundheitsstörungen eine Alkoholkrankheit (stabile Abstinenz seit
1995) und als Folge davon eine leichte Polyneuropathie der unteren Extremität mit Störungen der
Oberflächensensibilität und auch leichten Störungen der Tiefensensibilität fest. Möglich seien dem Kläger körperlich
leichte und mittelschwere Tätigkeiten im Wechselrhythmus. Die Belastbarkeit für die Tätigkeit als Maler und Lackierer
sei nicht mehr gegeben. Zumutbar sei aber aufgrund der erhobenen Befunde durchaus eine Tätigkeit als Telefonist
sowie als Mitarbeiter in einer Poststelle und einer Registratur. In der Stellungnahme vom 21.06.2007 hat Dr.K. betont,
dass sich aufgrund der ausführlichen Vorgutachten eine andere Beurteilung der Leistungsfähigkeit des Klägers nicht
ergebe, zumal die Vorgutachten durchgehend wohlbegründet seien.
Der Kläger beantragt, das Urteil des SG Bayreuth vom 26.07.2006 und den Bescheid der Beklagten vom 05.02.2001
in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 19.12.2001 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, Rente
wegen BU aufgrund des Antrages vom 10.11.2000 zu gewähren.
Die Beklagte beantragt, die Berufung des Klägers zurückzuweisen.
Zur Begründung ihres Antrags verweist die Beklagte darauf, dass die Ermittlungen des Senats ihre Auffassung
bestätigt hätten.
Beigezogen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren neben den Verwaltungsunterlagen der Beklagten die
Schwerbehindertenakten des ZBFS, Region Oberfranken, Versorgungsamt B. (GdB 40) und die Gerichtsakten erster
und zweiter Instanz, auf deren Inhalt wegen der Einzelheiten des Tatbestands Bezug genommen wird.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist form- und fristgerecht eingelegt (§§ 143, 151 Sozialgerichtsgesetz -SGG-) und auch im Übrigen
zulässig (§ 144 SGG).
Das Rechtsmittel des Klägers erweist sich als nicht begründet. Das SG hat im angefochtenen Urteil vom 26.07.2006
zu Recht entschieden, dass der Kläger gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Bewilligung von Rente wegen BU
noch wegen teilweiser Erwerbsminderung hat. Denn der Kläger war und ist nicht berufsunfähig und auch nicht
teilweise erwerbsgemindert bei BU im Sinne der Gesetze.
Die Rechtslage beurteilt sich gemäß § 300 Abs 2 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) noch nach § 43 SGB VI
in der vom 01.01.1992 bis zum 31.12.2000 geltenden Fassung (aF), da ein Leistungsbeginn vor dem 01.01.2001 in
Streit steht.
Nach § 43 Abs 2 SGB VI aF sind solche Versicherte berufsunfähig, deren Erwerbsfähigkeit aus gesundheitlichen
Gründen auf weniger als die Hälfte derjenigen von gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen
Kenntnissen und Fähigkeiten gesunken ist. Der Kreis der Tätigkeiten, nach denen die Erwerbsfähigkeit von
Versicherten zu beurteilen ist, umfasst hierbei alle Tätigkeiten, die ihren Kräften und Fähigkeiten entsprechen und
ihnen unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs ihrer Ausbildung sowie ihres bisherigen Berufs und der
besonderen Anforderungen ihrer bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können. Berufsunfähig ist nicht, wer
eine zumutbare Tätigkeit vollschichtig ausüben kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu
berücksichtigen.
Die hier genannten Erfordernisse der BU sind beim Kläger ab dem Zeitpunkt der Rentenantragstellung am 10.11.2000
nicht erfüllt.
Das zunächst festzustellende berufliche Leistungsvermögen des Klägers ist zwar schon seit der Zeit vor der
Rentenantragstellung eingeschränkt gewesen, insbesondere durch die Alkoholproblematik. Nach den aktenkundigen
Befunden besteht aber seit 1997 eine Alkoholabstinenz. Als Folge des früheren Alkoholabusus besteht beim Kläger
eine leichte Polyneuropathie der unteren Extremität. Die Befunde sind neuro-physiologisch gut kompensiert. Hinweise
auf weitere alkoholtypische Folgeerkrankungen wie Encephalopathie, Myelopathie oder Wesensänderung sowie
epileptische Anfälle ergaben sich nicht. Das Krankheitsbild ist insgesamt gut kompensiert, eine fachspezifische
Behandlung wird auch nicht durchgeführt. Die früher beschriebenen Gesundheitsstörungen wie
Leberparenchymschaden und zeitweise Arthralgien der unteren Sprunggelenke waren bei der Untersuchung durch
Dr.K. kompensiert, so dass insoweit keine wesentlichen Einschränkungen der Erwerbsfähigkeit vorliegen. Hinsichtlich
des beim Kläger vorliegenden Wirbelsäulensyndroms waren neurologische Ausfallsmuster nicht nachweisbar.
Eingeschränkt ist die Erwerbsfähigkeit des Klägers somit im Wesentlichen durch die Polyneuropathie. Danach sind
ihm nicht zumutbar Tätigkeiten auf Leitern und Gerüsten oder mit Absturzgefahr, da die Empfindungsqualität im
Bereich beider Füße eingeschränkt ist. Ansonsten ist der Kläger für leichte und mittelschwere Tätigkeiten nach den
überzeugenden Ausführungen von Dr.K. , denen sich der Senat anschließt, vollschichtig einsatzfähig.
Zwar ist der Kläger aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr in der Lage, den erlernten und ausgeübten Beruf eines
Malers und Lackierers zu verrichten. Der Umstand, dass ein Versicherter seinen bisherigen (Fach-)Beruf nicht mehr
ausüben kann, führt aber noch nicht ohne Weiteres zur Annahme des Leistungsfalles der BU. Die soziale
Zumutbarkeit einer Verweisungstätigkeit ist nach der Rechtsprechung des BSG nach dem Leistungsgruppenschema
zu beurteilen. Der Kläger kann auch als Facharbeiter auf Angelerntentätigkeiten des oberen Bereichs verwiesen
werden. Denn grundsätzlich darf der Versicherte im Vergleich zu seinem bisherigen Beruf auf die nächstniedrigere
Gruppe verwiesen werden (BSG SozR 2200 § 1246 Nr 143 mwN).
Zutreffend hat das SG im angefochtenen Urteil deshalb entschieden, dass der Kläger zumutbar auf die Tätigkeit eines
Telefonisten verwiesen werden kann. Diese Tätigkeit entspricht den medizinischen Gegebenheiten. Denn insgesamt
gesehen liegen beim Kläger keine gravierenden Gesundheitsstörungen vor. Bei Gesamtwürdigung aller beim Kläger
vorliegenden Leidenszustände ist der Senat vielmehr zu der Überzeugung gelangt, dass weder die Polyneuropathie
allein noch in Zusammenwirken mit anderen Gesundheitsstörungen dessen Erwerbsfähigkeit in einem
rentenerheblichen Maße einschränkt. Übereinstimmend mit den Ausführungen von Dr.K. ist auch der Senat der
Auffassung, dass der Kläger gesundheitlich nicht gehindert ist, Tätigkeiten eines Telefonisten oder als Mitarbeiter in
einer Poststelle oder Registratur zu verrichten. Eine Tätigkeit als Telefonist ist dem Kläger als Facharbeiter nach der
Rechtsprechung auch sozial zumutbar, vgl. Urteil des HessLSG vom 26.05.2000 -L 13 RJ 411/98- und Urteil des
BayLSG vom 25.01.2006 -L 20 R 40/02-. Nach den Feststellungen des ärztlichen Sachverständigen Dr.K. ist der
Kläger psychisch gut belastbar. Nach Dr.K. besitzt der Kläger zweifelsohne noch die Fähigkeit, sich in neue Bereiche
einzuarbeiten. Die diesbezügliche Umstellungsfähigkeit und intellektuelle Kapazität ist gegeben. Somit ist der Kläger
subjektiv und objektiv auf die Tätigkeit eines Telefonisten verweisbar. Der Kläger selbst, der seit Dezember 2004 als
Raumausstatter im Holz- und Bautenschutz selbstständig erwerbstätig ist, schätzt die Einschränkung seiner
Erwerbsfähigkeit offenbar nicht als sehr gravierend ein. Aus den Unterlagen der Beklagten über berufliche Förderung
ergibt sich nämlich, dass er mit den Anforderungen dieser selbstständigen Tätigkeit (auch sonstige Dienstleistungen
wie z.B. Gartenarbeiten) zurecht kommt. Der Kläger selbst spricht von seiner eigenen Leistungsfähigkeit, er sei "fit
wie ein 20-Jähriger" (Beratungsgespräch am 13.11.2006). Bei der Anamneseerhebung durch Dr.K. hat der Kläger
angegeben, er arbeite - wenn es nötig sei - auch acht bis zehn Stunden am Tag. Für den Senat besteht kein Anlass,
an der von Dr.K. vorgenommenen Leistungsbeurteilung des Klägers zu zweifeln. Mit dem aufgezeigten
Leistungsvermögen ist der Kläger nicht berufsunfähig i.S. des § 43 Abs 2 Satz 1 SGB VI aF. Damit ist er auch nicht
teilweise erwerbsgemindert bei BU i.S. der ab 01.01.2001 geltenden Vorschriften (§ 240 SGB VI). Die Berufung des
Klägers war daher zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung gemäß § 193 SGG beruht auf der Erwägung, dass die Berufung des Klägers erfolglos blieb.
Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs 2 SGG liegen nicht vor.