Urteil des LSG Bayern vom 24.10.2006

LSG Bayern: grobe fahrlässigkeit, rücknahme, verwaltungsakt, leibrente, erlass, vertrauensschutz, ermessensausübung, behörde, einkünfte, anhörung

Bayerisches Landessozialgericht
Urteil vom 24.10.2006 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Würzburg S 1 V 1/99
Bayerisches Landessozialgericht L 18 V 17/04
I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 02.04.2004 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Klägerin einen Betrag von 33.988,13 EUR (66.475,00 DM) zu erstatten hat.
Die 1906 geborene und am 19.01.1998 verstorbene E. F. bezog von dem Beklagten Elternteilrente ab dem
01.03.1975. Mit Bescheid vom 21.10.1991 nahm der Beklagte den Rentenfeststellungsbescheid vom 08.02.1982
sowie die Folgebescheide mit Wirkung vom 01.01.1982 zurück, stellte fest, dass ab 01.01.1982 bei der Feststellung
der Elternteilrente Einkünfte aus Kapitalvermögen als weiteres Einkommen zu berücksichtigen seien und forderte die
Erstattung der eingetretenen Überzahlung. Mit weiterem Bescheid vom 22.10.1991, der nach der Einleitungsformel
aufgrund des Bescheides vom 21.10.1991 erging, stellte der Beklagte die Rente für die Versorgungsbezüge für die
Zeit ab 01.01.1982 fest und bezifferte den Betrag der eingetretenen Überzahlung (2.898,00 DM). Der Text dieses
Bescheides und der nachfolgenden Bescheide über die Festsetzung der Versorgungsbezüge enthielt den Hinweis,
dass die Elternrente abhängig von den Einkommensverhältnissen gewährt werde und nach § 60 Abs 1 Nr 2 des
Sozialgesetzbuches -Allgemeiner Teil- (SGB I) die Verpflichtung bestehe, jede Änderung dieser Verhältnisse
unverzüglich mitzuteilen.
Unter dem 18.01.1996 wurde für E. F. eine Betreuerin bestellt. Deren Auskünfte - erstmalig am 25.04.1996 - und
weitere Ermittlungen des Beklagten ergaben, dass E. F. seit 1982 Zinseinkünfte aus Sparguthaben und
Bundesschatzbriefen erhalten hat, die sie nicht dem Beklagten mitgeteilt hatte. Auf das Anhörungsschreiben vom
04.11.1996 über die beabsichtigte Rücknahme des Bescheides vom 21.10.1991 und Rückforderung einer
eingetretenen Überzahlung von 59.512,00 DM teilte die Betreuerin am 16.12.1996 mit, dass E. F. die Überzahlung
nicht zurückerstatten könne. Mit ihren Einkünften und noch vorhandenem Sparguthaben müssten die Heimkosten
getragen werden. Unterlagen hierüber übermittelte die Betreuerin mit Schreiben vom 22.02.1997 (Eingang 25.02.1997).
Hierzu gehörte auch eine Bescheinigung des Allgemeinarztes Dr.W. vom 17.02.1997, nach der bei E. F. der dringende
Verdacht auf Morbus Alzheimer mit zunehmender Desorientierung und anhaltenden Verwirrtheitszuständen bestehe
und sie seit Oktober 1993 unfähig gewesen sei, geschäftliche Angelegenheiten verantwortungsvoll zu erledigen. Nach
Aktenvermerken vom 20.03.1997 und 21.03.1997 ging der Sachbearbeiter des Beklagten vom Vorliegen der
Voraussetzungen für eine Aufhebungsentscheidung aus. Unter dem 07.04.1997 gab die Betreuerin in Beantwortung
des Fragebogens nach den Einkommensverhältnissen für die Zeit ab 01.04.1996 an, dass E. F. auch eine Leibrente
der Schweizerischen Rentenanstalt beziehe. Nach mehrmaligen Anfragen des Beklagten teilte das
Versicherungsunternehmen mit Schreiben vom 18.02.1998 die Höhe der an E. F. geleisteten Leibrente mit.
Nach dem Tod der E. F. am 19.01.1998 und der Mitteilung des Nachlassgerichts vom 04.06.1998 über die Erben nach
E. F. erließ der Beklagte gegenüber den Erben, der Klägerin und E. R. , gleichlautende Bescheide vom 01.07.1998,
mit denen er den Bescheid vom 21.10.1991 sowie die Folgebescheide mit Wirkung ab 01.01.1982 zurücknahm und
die Elternteilrente mit Wirkung ab 01.01.1982 unter Anrechnung des bisherigen Einkommens und der zusätzlich zu
berücksichtigenden Zinseinkünfte sowie der Leibrente der Schweizerischen Rentenanstalt neu berechnete. Frau F.
habe sich nicht auf Vertrauensschutz berufen können, weil bereits 1991 ein Rücknahmebescheid wegen
Nichtmitteilens von Einkünften erteilt worden sei. Sie habe sowohl die ihr bekannte Mitteilungspflicht zur Offenlegung
ihrer Einkommensverhältnisse grob fahrlässig verletzt als auch infolge grober Fahrlässigkeit die Rechtswidrigkeit der
ergangenen Entscheidungen nicht gekannt. Bei der Ermessensausübung seien neben dem Gebot der
Gleichbehandlung gleichgelagerter Sachverhalte und der Pflicht der Verwaltung zur gesetzes- treuen Ausführung
rechtlicher Vorschriften auch die persönlichen, gesundheitlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse berücksichtigt
worden. Die zu Unrecht seit 1982 erbrachten Leistungen seien zu erstatten.
Zur Neuberechnung der Bezüge sowie auf die Berechnung des Erstattungsbetrages verwies der Beklagte auf einen
Berechnungsbescheid, der ebenfalls unter dem 01.07.1998 und gleichlautend an die Erben erging. Danach sei ein
Betrag von insgesamt 66.465,00 DM überzahlt worden und von den Erben zu erstatten.
Ebenfalls an die Erben erging ein gleichlautendes Schreiben vom 03.07.1998, in dem der Beklagte diese zur
Erstattung des überzahlten Betrages aufforderte.
Die Klägerin erhob Widerspruch gegen die Bescheide vom 01.07.1998 und gegen das Schreiben vom 03.07.1998.
Nicht widersprochen werde der Rücknahme des 1991 gegen E. F. erlassenen Rückforderungsbescheides. Zur
Begründung trug sie vor, dass zu Lebzeiten der E. F. ein Erstattungsanspruch unter Aufhebung der
Leistungsbescheide nicht geltend gemacht worden sei und daher im Zeitpunkt des Erbfalls keine Verbindlichkeit
bestanden habe, die im Wege der Gesamtrechtsnachfolge auf die Erben hätte übergehen können. Der behauptete
Erstattungsanspruch sei mit dem Tode der E. F. erloschen, da er zuvor nicht durch Bescheid geltend gemacht worden
sei. Für die Rücknahme der Rentenbescheide und Neufestsetzung der Renten mit unmittelbarer Wirkung gegenüber
den Erben fehle es an einer Rechtsgrundlage. Das Ermessen sei fehlerhaft ausgeübt worden, da ihre wirtschaftlichen
Verhältnisse nicht berücksichtigt worden seien. Angesichts des Lebensalters der E. F. und deren gesundheitlicher
Verhältnisse sei es fraglich, ob ein grob fahrlässiges Handeln angenommen werden könne. Jedenfalls könne ihr dieser
Vorwurf nicht gemacht werden, da ihr die Einkommensverhältnisse der E. F. nicht bekannt gewesen seien. Im
Hinblick auf die für die Rücknahme geltende 10-Jahres-Frist hätte eine Neufeststellung der Rente erst ab Juli 1988
erfolgen dürfen. Der Aufhebungsbescheid sei nicht innerhalb eines Jahres seit Kenntnis der entscheidungserheblichen
Tatsachen erlassen worden.
Den Widerspruch wies der Beklagte duch Widerspruchsbescheid vom 25.02.1999 zurück. Dem Vorwurf der groben
Fahrlässigkeit stehe nicht entgegen, dass E. F. zumindest seit 1996 wohl in ihrer Geschäftsfähigkeit beschränkt
gewesen sei. Ihr Fehlverhalten werde durch den nachträglichen Eintritt von Geschäftsunfähigkeit nicht geheilt. Die 10-
Jahres-Frist für die Rücknahme sei gewahrt, da diese Frist sich auf die Bekanntgabe und nicht auf den
Regelungszeitraum des aufzuhebenden Bescheides beziehe. Erst mit Auskunft der Schweizerischen Rentenanstalt
vom 18.02.1998 hätte der für die Entscheidung erforderliche Überblick über die Höhe der Zinseinkünfte und
Rentenleistungen bestanden, so dass dieser Zeitpunkt als Beginn der Jahresfrist für die Rücknahme anzusehen sei.
Bei der Ermessensabwägung sei besonders zu berücksichtigen gewesen, dass der E. F. bereits 1991 ein
Rücknahmebescheid erteilt und hierbei besonders eingehend auf ihre Mitteilungspflichten hingewiesen worden sei. Der
Rücknahmebescheid könne auch gegenüber der Klägerin erlassen werden, da diese als Erbin im Wege der
Gesamtrechtsnachfolge an die Stelle der Erblasserin getreten sei und als Miterbin für alle Nachlassverbindlichkeiten
hafte.
Ein gleichlautender Widerspruchsbescheid erging unter dem 26.02.1999 an E. R ...
Vor Erlass des Widerspruchsbescheides hatte die Klägerin beim Sozialgericht Würzburg (SG) Untätigkeitsklage
erhoben und nach dessen Erlass beantragt, die Bescheide vom 01.07.1998 und 03.07.1998 aufzuheben, soweit sie
nicht bestandskräftig seien. Das Ermessen sei insofern fehlerhaft ausgeübt worden, als keine Anhörung erfolgt sei
und ihre wirtschaftliche Interessen und ihre fehlende Kenntnis über die Vermögens- und Rentenangelegenheiten der E.
F. nicht berücksichtigt worden seien. Die Rücknahmeentscheidung sei erst nach Ablauf eines Jahres seit Kenntnis
der hierfür erheblichen Tatsachen ergangen. Entscheidungsreife habe ausweislich der Aktenvermerke vom 20.03.1997
und 21.03.1997 spätestens im März 1997 bestanden. Die späteren Ermittlungen stünden dem nicht entgegen, da die
Rücknahmeentscheidung auch ohne diese weiteren Erkenntnisse hätte erlassen werden können. Eine Behörde dürfe
es nicht in der Hand haben, den Ablauf der der Rechtssicherheit dienenden Jahresfrist unübersehbar weit
hinauszuschieben. Mit der Aufhebung des Rücknahmebescheides vom 21.10.1991 seien die ursprünglichen
Leistungsbescheide wieder wirksam geworden ("Aufhebung der Aufhebung"), so dass nicht nur der von E. F.
erstattete Betrag von 2.898,00 DM ohne rechtlichen Grund geleistet worden sei, sondern sich auch die
Aufhebungsentscheidung vom 01.07.1998 nur auf die Rentenbescheide ab Juli 1988 beziehen konnte.
Im nachfolgenden Klageverfahren hat das SG Würzburg E. R. mit Beschluss vom 01.07.1999 beigeladen. Das SG hat
das Klagebegehren der Klägerin darin gesehen, die Aufhebung der Bescheide vom 01.07.1998 und 03.08.1998 zu
erreichen, soweit diese nicht bestandskräftig seien und die Klage ohne mündliche Verhandlung mit Urteil vom
02.04.2004 abgewiesen. Der Beklagte sei berechtigt gewesen, die Bewilligung der Elternrente gegenüber der Klägerin
rückwirkend ab 01.01.1982 aufzuheben und die Erstattung der überzahlten Leistungen zu verlangen. Die hierfür
einzuhaltenden Fristen habe der Beklagte gewahrt. Auf Vertrauensschutz habe sich E. F. nicht berufen können. Auch
sei die Ermessensausübung der Beklagten nicht zu beanstanden, insbesondere seien die wirtschaftlichen
Verhältnisse der Klägerin nicht zu berücksichtigen gewesen.
Hiergegen richtet sich die Berufung der Klägerin. Als Adressatin des belastenden Bescheides sei der Beklagte
verpflichtet gewesen, sie vor Erlass der Entscheidung anzuhören und ihre wirtschaftlichen Interessen im Rahmen des
Ermessens zu berücksichtigen. Darüber hinaus sei zu beachten, dass sich die Aufhebung des Bescheides vom
21.10.1991 nicht auf einen begünstigenden, sondern einen belastenden Bescheid beziehe, da dieser Bescheid die
Aufhebung der vorhergehenden Bescheide, die Neufestsetzung der bisherigen Leistungen mit geringerer Höhe und
eine Erstattungsforderung zum Inhalt gehabt habe. Die noch im erst- instanzlichen Verfahren hilfweise erhobene
Einrede der Dürftigkeit des Nachlasses werde im Berufungsverfahren nicht geltend gemacht.
Der Senat hat die Erben der am 30.04.2004 verstorbenen E. R. mit Beschluss vom 19.11.2004 beigeladen.
Die Klägerin beantragt, unter Abänderung des Urteils des SG Würzburg vom 02.04.2004 beide Bescheide des
Beklagten vom 01.07.1998 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 25.02.1999 aufzuheben.
Die Beigeladenen schließen sich diesem Antrag an.
Der Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Der Beklagte hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die beigezogenen Akten der Beklagten sowie die Gerichtsakten erster und
zweiter Instanz Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin ist zulässig (§§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz -SGG-
), aber nicht begründet. Das erstinstanzliche Urteil ist im Ergebnis nicht zu beanstanden, da der Beklagte berechtigt
war, den Bescheid vom 21.10.1991 und die Folgebescheide aufzuheben und von der Klägerin die Erstattung der
überzahlten Leistungen in Höhe von 33.988,13 EUR (66.475,00 DM) zu fordern.
Gegenstand des Berufungsverfahrens sind die Bescheide vom 01.07.1998 in der Fassung des
Widerspruchsbescheides vom 25.02.1999. Zwar hat das SG über den Widerspruchsbescheid vom 25.02.1999 nicht
entschieden. Ergeht aber der Widerspruchsbescheid erst nach Klageerhebung, wird dieser nach § 96 Abs 1 SGG in
das Klageverfahren einbezogen. Dies gilt auch dann, wenn dieser den Widerspruch vollständig als unbegründet
zurückweist und damit weder den ursprünglichen Verwaltungsakt abändert noch ersetzt, wie es der Wortlaut des § 96
Abs 1 SGG fordert (vgl. BSG SozR 1500 § 96 Nr 24). Zu entscheiden ist über den Widerspruchsbescheid nicht im
Rahmen einer isolierten Anfechtungsklage, über die das Berufungsgericht erstinstanzlich zu entscheiden hätte. Dies
entspricht dem Begehren der Klägerin, die Ausgangsbescheide einschließlich des Widerspruchsbescheides
anzufechten und der Regelung des § 95 SGG, nach der der Widerspruchsbescheid den bereits angefochtenen
Ausgangsbescheiden die entscheidende Gestalt gibt.
Hinsichtlich der Zulässigkeit der Anfechtungsklagen bestehen keine Bedenken. Die von der Klägerin zunächst
erhobene Untätigkeitsklage war nach Erlass des Widerspruchsbescheides vom 25.02.1999 unzulässig, da die
Untätigkeitsklage im Sinne des § 88 Abs 2 SGG auf die Verurteilung der Behörde zur Bescheiderteilung und nicht auf
den Erlass eines Verwaltungsaktes mit einem bestimmten Inhalt gerichtet ist. Die Klägerin konnte ihre Klage ändern
und als Anfechtungsklagen fortführen. Der Beklagte hat der Änderung nicht widersprochen (§ 99 Abs 2 SGG).
Die Anfechtungsklage gegen den Aufhebungsbescheid vom 01.07.1998 richtet sich nicht allein gegen die Aufhebung
der Folgebescheide. Zwar hat die Klägerin ihren Widerspruch gegen den Bescheid vom 01.07.1998 insofern
eingeschränkt, als der Rücknahme des Bescheides vom 21.10.1991 nicht widersprochen werde. Diese Teilanfechtung
ist unzulässig, da der Bescheid nicht hinsichtlich einer Aufhebung des Bescheides vom 21.10.1991 und der
Aufhebung der Folgebescheide teilbar ist. Für die Teilbarkeit eines Verwaltungsaktes ist entscheidend, ob der
rechtswidrige Teil so wesentlich ist, dass die Behörde den Verwaltungsakt ohne ihn nicht erlassen hätte;
entsprechend § 40 Abs 4 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X), BSGE 30, 218, 219 f. Dies ist vorliegend der
Fall, da der Beklagte eine einheitliche Aufhebungsentscheidung hinsichtlich sämtlicher seit 01.01.1982 ergangener
Rentenfestsetzungen treffen wollte.
Zutreffend hat die Klägerin mit der Berufung nicht mehr die Zahlungsaufforderung vom 03.07.1998 angefochten. Diese
Mitteilung des Beklagten erging als Begleitschreiben zu den Bescheiden vom 01.07.1998. Es enthält lediglich einen
Hinweis auf die mit diesen Bescheiden auferlegten Verpflichtungen, ohne aber eine darüber hinausgehende
Regelungswirkung zu entfalten. Dies zugrunde gelegt stellt dieses Schreiben keinen Verwaltungsakt im Sinne des §
31 Satz 1 SGB X dar, so dass die Anfechtungsklage schon deshalb unzulässig war.
Dagegen sind die Anfechtungsklagen gegen die Bescheide vom 01.07.1998 in der Fassung des
Widerspruchsbescheides vom 25.02.1999 zulässig, aber nicht begründet. Regelungsgehalt des Bescheides vom
01.07.1998 ist die Aufhebung des Bescheides vom 21.10.1991 sowie der entsprechenden Folgebescheide.
Gleichzeitig wird die Verpflichtung festgestellt, die zu Unrecht empfangenen Leistungen zu erstatten. Mit dem
weiteren Bescheid vom 01.07.1998 wird die Elternteilrente für die Zeit ab 01.01.1982 neu berechnet und endgültig
festgestellt sowie die Höhe des Erstattungsbetrages beziffert.
Die Bescheide sind nicht deshalb zu beanstanden, weil der Beklagte diese Bescheide gegen die Klägerin als Erbin der
E. F. erlassen hat. Nach dem Tode der Versorgungsbezieherin treten die Erben in die öffentlich-rechtliche
Rechtsstellung der Erblasserin entsprechend den §§ 1922, 1967 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) ein und haften als
Gesamtschuldner (§§ 421, 2058 BGB). Zwar fehlt im Sozialrecht eine ausdrückliche Regelung, nach der bei
Gesamtrechtsnachfolge die Forderungen und Schulden auf den Rechtsnachfolger übergehen. Jedoch ergibt sich
insbesondere aus den Bestimmungen über die Sonderrechtsnachfolge, dass sich die Haftung des Erben nach den
Vorschriften des BGB richtet, soweit nicht die vorrangige Regelung der Sonderrechtsnachfolge eintritt (vgl. § 58 Satz
1 SGB I; BSG SozR 1300 § 45 Nr 40 mwN). Dies gilt jedenfalls, soweit es sich nicht um höchstpersönliche
Verhältnisse oder Umstände handelt, die unlösbar mit der Person des Rechtsvorgängers verbunden sind. Dies ist bei
der Rückforderung wegen überzahlter Elternteilrente nicht der Fall.
Entgegen der Auffassung der Klägerin ist es für den Übergang im Wege der Gesamtrechtsnachfolge nicht erforderlich,
dass die Erstattungsverpflichtung noch zu Lebzeiten der Erblasserin gegen diese hätte durchgesetzt werden können.
Insofern hat es keiner vorherigen Festsetzung durch Verwaltungsakt oder Rechtshängigkeit der Klageforderung
bedurft. Denn zu den "vom Erblasser herrührenden Schulden" im Sinne von § 1967 Abs 2 BGB gehören nicht nur
solche, die bis zum Erbfall entstanden sind, sondern aufgrund der Gesamtrechtsfolge gehen auf den Erben alle
vermögensrechtlichen Beziehungen über, auch wenn ihre Folgen erst nach dem Erbfall eintreten (vgl. Palandt-
Edenhofer, BGB, 65.Aufl, § 1967 Rdnr 2).
Zutreffend hat sich der Beklagte auch auf die §§ 45 Abs 2, 50 Abs 1 SGB X gestützt. Ein rechtswidriger
begünstigender Verwaltungsakt darf, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, nur unter den in § 45 Abs 2 bis 4
SGB X genannten Einschränkungen ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit
zurückgenommen werden (§ 45 Abs 1 SGB X). Der Klägerin ist hinsichtlich der Anwendung dieser Vorschrift
zuzugeben, dass der aufgehobene Bescheid vom 21.10.1991 insofern nicht begünstigend ist, als es um die
Aufhebung der Rentenfeststellungsbescheide und die Verpflichtung zur Erstattung der überzahlten Leistungen geht.
Allerdings ergibt sich aus der Feststellung, dass bei der Berechnung der Elternteilrente die Einkünfte aus
Kapitalvermögen als weiteres Einkommen zu berücksichtigen seien, dass die Elternteilrente der E. F. in anderer Höhe
weiter zusteht; insofern wurde auch zur Berechnung der Bezüge auf den Bescheid vom 22.10.1991 verwiesen.
Demnach enthält der Bescheid eine belastende und eine begünstigende Wirkung. Indes ist der Bescheid nicht teilbar,
da der Beklagte mit der Aufhebung des Bescheides vom 21.10.1998 nicht die Rechtsfolgen des Bescheides vom
08.02.1982 und der Folgebescheide in Geltung setzen wollte, sondern die Aufhebung mit der Neufeststellung der
Rente verbunden hatte. Bei einem Verwaltungsakt mit einem nicht teilbaren begünstigenden und belastenden Inhalt
richtet sich die Anwendung der Aufhebungsvorschriften nicht nach Maßgabe des § 44 SGB X sondern nach den
strengeren Rücknahmevoraussetzungen des § 45 SGB X (vgl. Vogelsang in Hauck/Noftz, SGB X, § 44 Rdnr 24a § 45
Rdnr 22).
Die rückwirkende Aufhebung ist nicht aus Gründen des Vertrauensschutzes ausgeschlossen (§ 45 Abs 4 Satz 1 iVm
Abs 2 Satz 3 Nrn 2, 3 SGB X). Hinsichtlich des Vertrauensschutzes ist, wenn eine rechtswidrige Leistung nicht mehr
vom Empfänger, sondern aufgrund seines Todes von den Erben zu erstatten ist, nicht auf in der Person des Erben
begründete Umstände, sondern auf die Umstände in der Person des Erblassers abzustellen (vgl. BVerwG NJW 2002,
1892), denn nur dieser hat die Leistung aufgrund eines einen besonderen Vertrauensschutz begründenden
Sozialrechtsverhältnisses erlangt. Die Erben hingegen erlangen die Leistungen nicht aufgrund eines
Sozialrechtsverhältnisses, sondern infolge einer Gesamtrechtsnachfolge. Insofern kann sich die Erblasserin nicht auf
Vertrauensschutz berufen, weil die Rentenbescheide auf Angaben beruhten, die sie zumindest grob fahrlässig in
wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat (§ 45 Abs 2 Satz 3 Nr 2 SGB X). Die Pflicht zur
Mitteilung ergibt sich aus § 60 Abs 1 Satz 1 Nr 2 SGB I. Nach dieser Vorschrift hat derjenige, der Sozialleistungen
beantragt oder erhält, Änderungen in den Verhältnissen, die für die Leistung erheblich sind, unverzüglich mitzuteilen.
Auf ihre Mitteilungspflicht ist die E. F. auch in den aufgehobenen Bescheiden hingewiesen worden. Teilt ein
Versicherter jedoch wesentliche Tatsachen nicht mit, obwohl er dazu verpflichtet war und auch unmissverständlich
belehrt worden ist, liegt in aller Regel grobe Fahrlässigkeit vor (von Wulffen/Wiesner, SGB X, 5.Aufl, § 45 Rdnr 22).
Die vom behandelnden Allgemeinarzt Dr.Wendel mitgeteilte Verdachtsdiagnose vermag nicht die grobe Fahrlässigkeit
auszuschließen, zumal erst unter dem 18.01.1996 eine Betreuerin für E. F. bestellt wurde. Offen bleiben kann, ob E.
F. die Fehlerhaftigkeit der Bescheide ohne Mühe hat erkennen können (§ 45 Abs 2 Satz 3 Nr 3 SGB X).
Der Aufhebung steht nicht die Jahresfrist des § 45 Abs 4 Satz 2 SGB X entgegen. Mit Wirkung für die Vergangenheit
kann ein begünstigender Bescheid nach dieser Vorschrift nur zurückgenommen werden, wenn die Behörde den
Rücknahmebescheid innerhalb eines Jahres seit Kenntnis der die Rücknahme rechtfertigenden Tatsachen erlässt.
Diese Frist beginnt zu laufen, wenn mangels vernünftiger, objektiv gerechtfertiger Zweifel eine hinreichend sichere
Informationsgrundlage bezüglich sämtlicher für die Rücknahmeentscheidung notwendiger Tatsachen besteht (BSGE
65, 221, 223 ff; 74, 20, 26 f). In der Regel beginnt die Jahresfrist nach erfolgter Anhörung (BSGE 77, 295, 301).
Allerdings ist vorliegend nicht auf den Zeitpunkt abzustellen, zu dem die Betreuerin die Unterlagen zu ihrem
Anhörungsvorbringen vorgelegt hat. Zwar trägt die Klägerin vor, dass sich aus den Aktenvermerken vom 20.03.1997
und 21.03.1997 ergebe, dass aufgrund der Mitteilung der Betreuerin vom 25.02.1997 eine ausreichende Grundlage für
die Rücknahmeentscheidung bestanden habe. Jedoch hat zu diesem Zeitpunkt noch keine Gewissheit bezüglich aller
für die Rücknahmeentscheidung notwendigen Tatsachen bestanden, da die Betreuerin unter dem 07.04.1997 den
Bezug einer Leibrente mitgeteilt hat. Erst nach länger andauernden Ermittlungen war eine Auskunft der
Schweizerischen Rentenanstalt über die Höhe der Leibrente und damit über die anrechenbaren Einkünfte zu erreichen.
Ein "Hinauszögern" des Fristbeginns, wie die Klägerin meint, ist hierin nicht zu sehen, da die Verzögerung der
Ermittlungen nicht vom Beklagten zu verteten ist. Dieser hatte die Auskunft erst nach mehrmaligen Anfragen erhalten.
Selbst wenn die Jahresfrist nach erfolgter Anhörung begonnen hätte, steht dem Ablauf der Jahresfrist entgegen, dass
dem Beklagten erst durch Mitteilung des Nachlassgerichts vom 04.06.1998 die Erben bekannt gegeben wurden und
die Aufhebung bzw. der Rückforderungsbescheid erst nach Annahme der Erbschaft durch die Erben geltend gemacht
werden kann (vgl. BVerwG Buchholz 316 § 48 VwVfG Nr 85).
Auch die nach § 45 Abs 3 Satz 3 SGB X erforderliche 10-Jahres-Frist hat der Beklagte eingehalten, weil die
Rücknahme innerhalb von zehn Jahren nach der Bekanntgabe des Bescheides vom 21.10.1991 und der
Folgebescheide erfolgte.
Die Ermessensausübung des Beklagten ist nicht zu beanstanden. Zwar mögen die sozialen Verhältnisse der E. F.
gegen eine Rücknahme sprechen. Jedoch ist zugunsten des Beklagten die Bösgläubigkeit der E. F. zu
berücksichtigen, so dass die Aufhebungsentscheidung gerechtfertigt ist (vgl. BSG SozR 3-1300 § 50 Nr 16 zum
Gesichtspunkt der Bösgläubigkeit des Leistungsempfängers).
Nach alledem ergibt sich, dass die Voraussetzungen für die Aufhebung erfüllt sind. Aus § 50 Abs 1 Satz 1 SGB X
folgt, dass nach Aufhebung des Verwaltungsaktes die bereits erbrachten Leistungen zu erstatten sind.
Anhörungsmängel liegen nicht vor, da die Klägerin im Widerspruchsverfahren - auch vor Klageerhebung - zum
Ausgangsbescheid Stellung nehmen konnte und sich auch umfassend geäußert hat. Auf eine pflichtgemäße
Ermessensausübung gegenüber der Klägerin kommt es nicht an, da der Erstattungsanspruch gegen die Erben nach §
50 Abs 1 SGB X nicht im Ermessen des Beklagten steht (von Wulffen/Wiesner, SGB X, 5.Aufl, § 50 Rdnr 10;
Freischmidt in Hauck/Noftz, SGB X, § 50 Rdnr 13f). Dies ergibt sich bereits aus dem Wortlaut dieser Vorschrift
("sind"). Die Ermessenserwägungen sind vielmehr bei der Aufhebung des Verwaltungsaktes anzustellen. Der Beklagte
ist mithin befugt, mit den angefochtenen Bescheiden von der Klägerin die Erstattung der überzahlten Leistungen in
Höhe von 33.988,13 EUR (66.475,00 DM) zu fordern.
Dies zugrunde gelegt ist die Berufung zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 183, 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht ersichtlich (§ 160 Abs 2 Nrn 1 und 2 SGG).