Urteil des LSG Bayern vom 22.12.2003

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Bayerisches Landessozialgericht
Beschluss vom 22.12.2003 (rechtskräftig)
Sozialgericht Nürnberg S 11 KR 357/02
Bayerisches Landessozialgericht L 4 KR 40/03
I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 19. Dezember 2002 wird zurückgewiesen. II.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe:
I.
Streitig ist, ob die Beklagte Kosten für das An- und Ausziehen von Kompressionsstrümpfen als Behandlungspflege zu
erstatten hat.
Die 1934 geborene Klägerin ist bei der Beklagten versichert und nach dem SGB XI in Pflegestufe II eingestuft.
Die Beklagte hat mit Bescheid vom 12.07.2002 die Kostenübernahme für das ärztlich verordnete Wechseln von
Kompressionsstrümpfen ab 01.08.2002 mit der Begründung abgelehnt, nach der Rechtsprechung des
Bundessozialgerichts seien die Maßnahmen bereits bei den Leistungen der Pflegeversicherung berücksichtigt worden.
Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 10.09.2002 zurückgewiesen. Hiergegen richtete sich die zum
Sozialgericht Nürnberg erhobene Klage, die das Sozialgericht mit Urteil vom 19.12.2002 abgewiesen und dort
ausgeführt hat, die Klägerin könne von der Beklagten weder ihre ab 01.08.2002 für selbstbeschaffte
Fremdhilfeleistungen beim Anziehen der Kompressionsstrümpfe verauslagten Aufwendungen verlangen, noch
zukünftig als Sachleistung nach krankenversicherungsrechtlichen Vorschriften beanspruchen. Die Beklagte habe zu
Recht eine Genehmigung der hausärztlich verordneten Leistungen abgelehnt, denn das Bundessozialgericht habe in
seiner Entscheidung vom 30.10. 2001 (B 3 KR 2/01 R) entschieden, dass der Anspruch einer Pflegebedürftigen auf
Leistungen der häuslichen Krankenpflege ausgeschlossen sei, wenn die benötigten Maßnahmen der
Behandlungspflege bereits bei den Leistungen der Pflegeversicherung berücksichtigt worden seien. Dies sei bei der
Klägerin bei der Leistung "Aus- und Anziehen von Kompressionsstrümpfen" der Fall. Die Klägerin werde dadurch
gegenüber Nichtbehinderten nicht in gleichheitswidriger Weise benachteiligt, sie werde nicht durch Maßnahmen der
öffentlichen Gewalt tatsächlich schlechter gestellt als Nichtbehinderte. Ihr würden vielmehr im Rahmen des
gesetzlichen Leistungsumfanges Sachleistungsansprüche gewährt, die dauerhaft durch Inanspruchnahme von
Pflegediensten auch eine Verwendung für Bereiche (z.B. Hilfen bei der hauswirtschaftlichen Versorgung)
ermöglichten, die im Normalfall nicht der Leistungspflicht eines Sozialversicherungsträgers zugehört, sondern der
allgemeinen Lebensphäre. Auch mit dem Argument, dass subjektiv die derzeitigen gesetzlichen Leistungen nach dem
SGB XI als unzureichend empfunden werden, sei ein zusätzlicher Leistungsanspruch nach
krankenversicherungsrechtlichen Regelungen nicht zu begründen. Schließlich ergebe sich auch unter
Berücksichtigung des Sozialstaatsprinzips (Art.20 Grundgesetz) kein den klägerischen Anspruch stützender Aspekt.
Spezielle Leistungsrechte und Ansprüche, die über die Mindestvoraussetzungen für ein menschenwürdiges Dasein
hinausgehen, ließen sich hieraus nicht ableiten.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung der Klägerin. Auf Anfrage des Senats nach einer Berufungsbegründung
bittet die Klägerin, das Verfahren ruhend zu stellen.
Die Klägerin beantragt sinngemäß, das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 19. Dezember 2002 sowie den
Bescheid der Beklagte vom 12.07.2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.09.2002 aufzuheben und
die Beklagte zu verurteilen, ihr die Kosten zu erstatten, die durch verordnete Behandlungspflege in Form von Anlegen
von Kompressionsstrümpfen seit 01.08.2002 entstanden sind.
Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts sei die Pflegekasse für die beantragte Sachleistung zuständig.
Mit der Anordnung des Ruhens des Verfahrens bestehe kein Einverständnis. Die Beklagte ist jedoch mit einer
Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss einverstanden.
Die hierzu gehörte Klägerin hat sich diesbezüglich nicht geäußert.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der beigezogenen Akte der Beklagten und des Sozialgerichts
Bezug genommen.
II.
Die gemäß § 151 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung, die nicht der Zulassung gemäß § 144 Abs.1 SGG
bedarf, ist zulässig, sie erweist sich aber als unbegründet.
Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Erstattung der geltend gemachten Kosten, die Voraussetzungen des als
Anspruchsgrundlage in Betracht kommenden § 13 Abs.3 SGB V sind nicht erfüllt. Nach § 13 Abs.3 Satz 1 SGB V
sind Kosten zu erstatten, wenn die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen konnte
oder sie eine Leistung zu Unrecht abgelent hat und dadurch Versicherten für die selbstbeschaffte Leitung Kosten
entstanden sind. Die Beklagte hat die Sachleistung zutreffend abgelehnt, weil im Falle der Klägerin das An- und
Ausziehen von Stützstrümpfen als eine mit der Grundpflege zeitlich notwendig zusammenhängende Maßnahme der
Behandlungspflege in die Leistungspflicht der Pflegeversicherung fällt. Damit ist die Beklagte nicht gemäß § 37 Abs.1
Satz 1 SGB V zur Leistung verpflichtet. Das Bundessozialgericht hat in der Entscheidung vom 30.10.2001, SozR 3-
2500 § 37 Nr.3, der ein mit dem Fall der Klägerin identischer Sachverhalt zugrunde liegt, diese Abgrenzung der
Leistungspflicht zwischen Krankenversicherung und Pflegeversicherung ausdrücklich vorgenommen. Das
Sozialgericht hat sich in den Entscheidungsgründen auf diese höchstrichterliche Rechtsprechung bezogen und
überzeugend und schlüssig die verfassungsrechtlichen Bedenken der Klägerin nicht bestätigt. Der Gesetzgeber hat
diese höchstrichterliche Entscheidung korrigiert und ab 01.01.2004 (Art.37 GMG) die Zuständigkeit der Beklagten
wieder hergestellt. § 37 SGB V wurde durch Art.1 Nr.27a) aa des Gesetzes zur Modernisierung der gesetzlichen
Krankenversicherung (GMG) vom 14.11.2003 (BGBl.I, S.2190 ff.) geändert. § 37 Abs.2 Satz 1 wird folgender Satzteil
angefügt: "der Anspruch umfasst das Anziehen und Ausziehen von Kompressionsstrümpfen ab Kompressionsklasse
2 auch in den Fällen, in denen dieser Hilfebedarf bei der Feststellung der Pflegebedürftigkeit nach den §§ 14 und 15
des Elften Buches zu berücksichtigen ist." Damit bleibt die Rechtsprechung des BSG bis Ende 2003 weiterhin
maßgebend, wonach kein Fall des § 37 SGB V vorliegt mit der Folge, dass auch dessen Abs.4 als
Erstattungsgrundlage ausgeschlossen ist. Der Senat hat deshalb keinerlei Bedenken, von einer weiteren Darstellung
der Entscheidungsgründe abzusehen, die Berufung ist aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung
zurückzuweisen.
Die Kostenfolge ergibt sich aus § 193 SGG und entspricht dem Unterliegen der Klägerin.
Gründe, die Revision gemäß § 160 Abs.2 Nrn.1 und 2 SGG zuzulassen, sind nicht gegeben. Durch die Entscheidung
des Gesetzgebers ist die Rechtslage in Zukunft eindeutig.