Urteil des LSG Bayern vom 08.08.2001

LSG Bayern: berufskrankheit, arthrose, berufliche tätigkeit, belastung, sport, kniegelenkserkrankung, publikation, zusammenwirken, akte, hobby

Bayerisches Landessozialgericht
Urteil vom 08.08.2001 (rechtskräftig)
Sozialgericht Landshut S 13 U 226/98
Bayerisches Landessozialgericht L 2 U 416/99
I. Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Landshut vom 04.10.1999 wird
zurückgewiesen. II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Anerkennung und Entschädigung einer Kniegelenkserkrankung als Berufskrankheit.
Als kniebelastend kommt die Tätigkeit des Klägers als Fahrleitungsmonteur in den Jahren 1977 bis 1992 in Betracht.
Dabei musste er sich nach den Ermittlungen des Technischen Aufsichtsdienstes der Beklagten auf unebenem Boden
(Schotter, Böschungen, unbefestigter Grund usw.) bewegen, teilweise mit Heben sehr schwerer Lasten. Bei
Gründungsarbeiten waren in hockender Stellung schwerere Arbeiten durchzuführen. Des weiteren waren schwere
Arbeiten mit verdrehten Füßen, im Mast stehend, auszuführen. Bei all diesen Tätigkeiten habe eine zusätzliche
Belastung für die Fuß- und Kniegelenke bestanden.
Der von der Beklagten als Sachverständige gehörte Orthopäde Dr.H. schloss zunächst daraus, dass der Technische
Arbeitsdienst die sogenannten arbeitstechnischen Voraussetzungen für das Vorliegen einer Berufskrankheit insoweit
nicht als erfüllt angesehen habe. Er ließ diese Frage jedoch offen und kam zu dem Ergebnis, dass ein
belastungsspezifisches Schadensbild bisher nicht gesichert worden sei und auch epidemiologische Untersuchungen
fehlten, die einen Zusammenhang plausibel begründen könnten. Zu fordern sei ein Schadensbild, von dem
wesentliche Anteile der Menisken und nicht nur Randbereiche erfasst seien. Es bestünden Arthropathien beider
Kniegelenke, überwiegend wahrscheinlich unterhalten durch deutliche Knorpelveränderungen. Beide Erkrankungen
seien nicht Folge der beruflichen Belastung.
Der Gewerbeärztliche Dienst stimmte dieser gutachterlichen Einschätzung zu.
Mit Bescheid vom 08.05.1998 lehnte die Beklagte eine Entschädigung wegen der Kniegelenkserkrankung ab und wies
den anschließenden Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 08.09.1998 als unbegründet zurück.
Im anschließenden Klageverfahren hat das Sozialgericht ein Gutachten des Orthopäden Dr.F. , München, vom
18.06.1999 eingeholt. Der Sachverständige führt aus, nur eine primäre Meniskopathie könne als Berufskrankheit
anerkannt werden. Abzugrenzen sei die sekundäre Meniskopathie, die sich im Gefolge von zunächst ausgedehnten
Knorpelschäden im Gelenk aufgrund einer Minderwertigkeit des Gelenkknorpels entwickle. Eine solche sekundäre
Meniskopathie stelle keine Berufskrankheit dar. Beim Kläger hätten die schwersten degenerativen Veränderungen in
beiden Kniegelenken im Gleitlager, etwas weniger ausgeprägt an den inneren Oberschenkelrollen bestanden.
Hingegen seien am linken Innenmeniskus nur degenerative Veränderungen ohne Rissbildung, am rechten Hinterhorn
des Innenmeniskus ein Einriss gesehen worden, also relativ geringfügige Gesundheitsstörungen an den Menisci.
Diese erklärten sich wiederum durch eine seitens des vorbehandelnden Orthopäden festgestellte Instabilität des
Innenbandes und des vorderen Kreuzbandes des rechten Kniegelenks und durch eine Elongation des vorderen
Kreuzbandes links. Hinzugekommen sei jetzt ein Außenmeniskusganglion rechts, erschwerend wirke sich die O-
Beinstellung aus. Wäge man alle Befunde gegeneinander ab, insbesondere die arthroskopisch gesicherten erheblichen
Knorpelschäden und Bänderanomalien, den Verbreitungsgrad degenerativ und möglicherweise auch entzündlich
bedingter Veränderungen am Skelettsystem und die Angaben des Klägers zum Beschwerdebild, so sei davon
auszugehen, dass die primäre Gesundheitsstörung der Kniegelenke eine Erkrankung der Kniescheibenlager gewesen
sei. Diese sei sicher auch durch den mehrere Jahre lang betriebenen Boxsport gefördert worden, da gerade bei diesen
Sportlern sehr häufig Erkrankungen im Kniescheibengleitlager gefunden würden. Hierzu hatte der Kläger gegenüber
dem Sachverständigen geäußert, zuletzt habe er bis 1970 Bodybuilding und Boxen betrieben. Die Sportarten habe er
etwa drei Jahre lang ausgeübt, dabei habe er insgesamt 15 Boxwettkämpfe bestritten. Ansonsten habe er sich
sportlich nicht betätigt. Der Sachverständige führt weiter aus, inwieweit Stoffwechselstörungen und eine mögliche
rheumatische Erkrankung zusätzlich mitgewirkt häten, lasse sich nicht exakt abgrenzen. Die noch bestehende,
während der früheren Kindheit offenbar teilweise korrigierte O-Beinstellung bewirke zwangsläufig eine erhöhte
Druckbelastung der inneren Kompartimente, wodurch sich erkläre, dass nur innenseitig Knorpelschäden an den
Oberschenkelrollen gefunden worden seien und auch die degenerativen Meniskusveränderungen nur innenseits
bestanden hätten. Zusammengefasst könne mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit eine primäre Meniskopathie,
verursacht durch Berufsbelastungen, nicht begründet werden. Es bestehe also kein Zusammenhang zwischen den
Tätigkeiten des Fahrleitungsmonteurs und der Erkrankung der Kniegelenke im Sinne der Entstehung oder
Verschlimmerung.
Mit Gerichtsbescheid vom 04.10.1999 hat das Sozialgericht die Klage als unbegründet abgewiesen und sich auf das
Gutachten des Sachverständigen Dr.F. gestützt.
Im Berufungsverfahren hat der Senat auf Antrag des Klägers nach § 109 SGG ein Gutachten von dem Orthopäden
Dr.K. , B. , vom 31.01.2001 eingeholt. Der Sachverständige sieht die Tätigkeit des Klägers als Fahrleitungsmonteurs
als kniebelastend an. Entschädigungspflichtig als Berufskrankheit sei aber nur der primäre Meniskusschaden. Die
Arthrose sei in aller Regel als Bindeglied zwischen kniebelastender Tätigkeit und Meniskopathie ungeeignet. Die
sekundäre Meniskopathie bedinge keinen messbaren Schaden. Sei die Arthrose das eigentliche
Krankheitsgeschehen, so bestimme diese die Funktionseinbußen. Die Meniskopathie sei dann nur ein untergeordneter
Teilaspekt, der keine eigenständige MdE begründe. Beim Kläger spreche das gesamte Schadensbild für eine primäre
Betroffenheit der Knorpeloberfläche und nicht der Innenmenisken. Der Sachverständige zitiert sodann eine Publikation
von 1992, wonach ein Meniskusschaden als Berufskrankheit auch dann in Betracht komme, wenn die gefährdende
Tätigkeit den Meniskusschaden nur mittelbar über die Verschlimmerung einer berufskrankheitenunabhängigen
Arthrose verursacht habe. Andere gefährdende Beanspruchungen aus der privaten Lebensphäre (z.B. Sport, Hobby)
müssten ausgeschlossen bzw. bei Zusammenwirken von beruflichen und außerberuflichen Noxen in ihrer Bedeutung
abgehoben werden. Im Anschluss daran führt der Sachverständige aus, der von Dr.F. angeführte Einwand der
Mitverursachung durch sportliche Aktivitäten habe bei genauer Nachfrage beim Kläger, bei Berücksichtigung des
Versicherungsverlaufs (AOK) und Abwägung der zeitlichen Beziehungen zwischen verschiedenen Belastungsarten
nach seiner Auffassung keinen Bestand. Der Kläger hatte gegenüber dem Sachverständigen angegeben, 1967 und
1968 habe er auch mal als Vereinssportler geboxt. Es seien neun Kämpfe bestritten worden. Es habe sich damals
nicht um Leistungssport gehandelt und auch sonst habe er keinen Leistungssport betrieben. In der damaligen Zeit
habe er gelegentlich für sich mal Gewicht heben gemacht. Das sei aber nie vereinsmäßig oder leistungsmäßig
betrieben worden.
Der Sachverständige fasst zusammen, in Anbetracht der Anamnese und Befundlage bei Fehlen wesentlicher
konkurrierender Ursachen für eine primäre Knorpelschädigung der Kniegelenke bleibe als wesentlich mitwirkender
Schadensfaktor die besonders kniebelastende oder meniskusbelastende berufliche Tätigkeit bestehen. Die berufliche
Beanspruchung sei eine wesentliche Teilursache.
Hierzu hat die Beklagte eine Stellungnahme des Chirurgen Dr.S. vorgelegt, wonach die Aufbrauchsveränderungen der
Knorpelflächen so ausgeprägt gewesen seien, dass sie nicht Folge der Meniskuserkrankung seien, sondern im
Gegenteil die Meniskuserkrankung Folge der allgemeinen Aufbrauchsveränderungen des Kniegelenks. Es handele
sich hiermit um eine sogenannte sekundäre Meniskopathie.
Der Kläger beantragt, die Beklagte unter Aufhebung des Gerichtsbescheides des Sozialgerichts Landshut vom
04.10.1999 und des Bescheides vom 08.05.1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.09.1998 den
Meniskusschaden als Berufskrankheit anzuerkennen und Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung zu
erbringen. Hilfsweise beantragt er die Einholung eines weiteren Gutachtens zur Abklärung der berufsbedingten
Schädigung des bestehenden sekundären Meniskusschadens sowie der festgestellten Arthrose.
Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Zum Verfahren beigezogen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren die Akte der Beklagten und die Akte
des Sozialgerichts Landshut in dem vorangegangenen Klageverfahren. Auf ihren Inhalt und das Ergebnis der
Beweisaufnahme wird ergänzend Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die vom Kläger form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig; eine Beschränkung der Berufung nach § 144
SGG besteht nicht.
Die Berufung ist jedoch nicht begründet, denn der Kläger hat keinen Anspruch auf Feststellung seiner
Kniegelenkserkrankung als Berufskrankheit.
Die Entscheidung des Rechtsstreits richtet sich auch im Berufungsverfahren nach den Vorschriften der RVO, da die
als Berufskrankheit geltend gemachten Gesundheitsstörungen vor dem 01.01.1997 eingetreten sind und die
möglicherweise verursachende Tätigkeit auch vor diesem Zeitpunkt beendet wurde (§ 212 SGB VII).
Der Senat hält die Berufung aus den Gründen des angefochtenen Gerichtsbescheides des Sozialgerichts Landshut für
unbegründet und sieht entsprechend § 153 Abs.2 SGG von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab.
Daran ändert das im Berufungsverfahren eingeholte Gutachten des Dr.K. zur Überzeugung des Senats nichts.
Zwar spricht einiges dafür, dass der Kläger in seiner Tätigkeit als Fahrleitungsmonteur in erheblich höherem Grade als
die übrige Bevölkerung besonderen Einwirkungen auf seine Kniegelenke ausgesetzt war (§ 551 Abs.1 Satz 2 RVO).
Dies ist jedoch nicht entscheidungserheblich, weil diese Einwirkungen nicht wenigstens wesentliche Teilursache für
die Meniskusschädigungen an den Kniegelenken waren. Das anderslautende Gutachtensergebnis des Dr.K. kann
nicht überzeugen. Das Gutachten ist in mehrfacher Hinsicht in sich unschlüssig. Es führt zum einen aus, die Arthrose
sei in aller Regel als Bindeglied zwischen kniebelastender Tätigkeit und Meniskopathie ungeeignet. Im Gegensatz
dazu macht es sich die Ansicht zu eigen, eine Berufskrankheit komme auch dann in Betracht, wenn die gefährdende
Tätigkeit den Meniskusschaden nur mittelbar über die Verschlimmerung einer berufskrankheitunabhängigen Arthrose
verursacht habe (s. hierzu Schönberger-Mehrtens-Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 6. Aufl. S.657 f.). Es
kann dahingestellt bleiben, ob die rechtlich zutreffende Aussage, dass auch mittelbar wirkende Ursachen in die
Kausalitätsbeurteilung einzubeziehen sind, dazu führt, dass die medizinisch-wissenschaftliche Abwägung den
beruflichen Einwirkungen dann auch das Gewicht einer wesentlichen Teilursache zugestehen muss, oder dies
dennoch generell verneinen darf. Auch wenn eine solche wesentliche Mitverursachung medizinisch allgemein in
Betracht zu ziehen ist, bleibt das Gutachten des Dr.K. eine Begründung für die beruflich bedingte Verschlimmerung
der berufskrankheitenunabhängigen Arthrose schuldig. Es fehlt nicht nur an einer Begründung des Zusammenhangs
zwischen der Belastung durch den Beruf und einer Verschlimmerung der Arthrose, auch die Erörterung der
konkurrierenden Ursachen ist nicht überzeugend. Das Gutachten zitiert die herangezogene Publikation mit den
Ausführungen, andere gefährdende Beanspruchungen aus der privaten Lebenssphäre (z.B. Sport, Hobby) müssten
ausgeschlossen bzw. bei Zusammenwirken von beruflichen und außerberuflichen Noxen in ihrer Bedeutung
abgewogen werden. In dem Gutachten fehlt es jedoch, im Gegensatz zu dem des Sachverständigen Dr.F. , an einer
solchen nachvollziehbaren Abwägung. Warum der Einwand der Mitverursachung durch sportliche Aktivitäten bei
genauer Nachfrage beim Kläger keinen Bestand habe, ist nicht ersichtlich. Dr.F. ist in seiner Beurteilung davon
ausgegangen, dass der Kläger mehrere Jahre lang Boxsport betrieben hat. Zum einen sind die geänderten Angaben
des Klägers zur Sportausübung mit Skepsis zu betrachten, nachdem ihm durch das Gutachten des Dr.F. die
medizinische Relevanz dieses Sachverhalts bekannt geworden war. Zum anderen handelt es sich bei der Äußerung
des Klägers zu der Frage, ob es sich um Leistungssport gehandelt habe, um eine höchst subjektive Einschätzung,
die überdies im Gutachten des Dr.F. keine Rolle gespielt hat. Dem Gutachten des Dr.K. ist auch nicht zu entnehmen,
warum der Einwand der Mitverursachung durch Sport nach den korrigierten Angaben des Klägers bedeutungslos sein
soll. Ebenfalls nicht nachvollziehbar begründet ist, warum die der AOK-Auskunft zu entnehmende
Krankheitsgeschichte ohne Relevanz sein soll. Endgültig nicht nachvollziehbar ist die Aussage des
Sachverständigen, wonach es an einer wesentlichen konkurrierenden Ursache für eine primäre Knorpelschädigung der
Kniegelenke fehle, nachdem er zuvor - in Übereinstimmung mit dem Sachverständigen Dr.F. - davon ausgegangen
war, dass sie Vorläufer der Meniskusschädigung und nicht durch die berufliche Belastung bedingt war. Mit dem
Gutachten lässt sich zur Überzeugung des Senats deshalb nicht begründen, dass die kniebelastenden Tätigkeiten
des Klägers wesentlich wenigstens mitursächlich für seine Meniskusschäden waren.
Die Einholung weiterer Gutachten war nicht veranlasst. Der Sachverhalt ist in medizinischer Hinsicht aufgeklärt und
es ist nicht ersichtlich, welche weiteren entscheidungserheblichen Erkenntnisse durch weitere Gutachten zu gewinnen
gewesen wären.
Die Entscheidung über die Kosten stützt sich auf § 193 SGG und folgt der Erwägung, dass der Kläger in beiden
Rechtszügen keinen Erfolg hatte.
Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs.2 Nrn.1 und 2 SGG liegen nicht vor.