Urteil des LSG Bayern vom 26.10.2006

LSG Bayern: feststellungsklage, gesetzesänderung, untätigkeitsklage, rechtswidrigkeit, krankenversicherung, erlass, einwilligung, verfassungsrecht, normenkontrolle, auflage

Bayerisches Landessozialgericht
Urteil vom 26.10.2006 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht München S 32 KR 1010/04
Bayerisches Landessozialgericht L 4 KR 97/06
I. Die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts München vom 7. Juni 2005 wird zurückgewiesen. II.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist die Feststellung der Rechtswidrigkeit des Wegfalls der Leistung Sterbegeld.
Der 1940 geborene Kläger war vom 01.09.2003 bis 31.07.2004 Mitglied der Beklagten, die Klägerin war als seine
Ehefrau in dieser Zeit über ihn familienversichert.
Die Kläger machten mit den Schreiben vom 03.02.2004 und 01.09.2004 bei der Beklagten geltend, die Streichung des
Sterbegelds zum 01.01.2004 durch die gesetzliche Neuregelung sei rechtswidrig und beantragten bei der Beklagten
den Erlass rechtsmittelfähiger Bescheide, damit sie den Klageweg beschreiten können (außerdem machten sie für
ihre Bemühungen Kosten für Porti, Telefon und Schreibmaterial in Höhe von 5,00 Euro geltend).
Die Beklagte lehnte mit den Schreiben vom 06.02.2004 und 16.09.2004 sinngemäß den Erlass von Verwaltungsakten
hierüber ab.
Die Kläger haben am 30.07.2004 gegen den Wegfall der Sterbegelder beim Sozialgericht München (SG) Klage
erhoben. Das Gericht habe festzustellen, ob eine Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung ohne weiteres
gestrichen werden könne, zumal sie jahrzehntelang hierfür Beiträge gezahlt haben. Das SG habe die
Wiedereinsetzung der früheren Sterbegeldregelung durchzuführen. Die Angelegenheit habe grundsätzliche Bedeutung,
eine Klagerücknahme komme nicht in Frage.
Das SG hat nach Anhörung der Beteiligten mit Gerichtsbescheid vom 07.06.2005 die Klage abgewiesen. Es handle
sich im vorliegenden Fall um eine unzulässige Feststellungsklage, es fehle an einem konkreten Rechtsverhältnis. Zur
Klärung abstrakter Rechtsfragen dürfen Gerichte nicht angerufen werden. Das Begehren der Kläger sei auf
Feststellung der Gültigkeit der Gesetzesänderung und auf Wiederherstellung des früheren Zustands gerichtet.
Rechtschutz könne nicht gegen eine Rechtsnorm in Anspruch genommen werden, sondern nur gegen Einzelakte der
Verwaltung aufgrund solcher Rechtsnormen. Nach dem Prinzip der Gewaltenteilung obliege es der Legislative, eine
Gesetzesänderung herbeizuführen oder eine Gesetzesänderung rückgängig zu machen, aber nicht den
Sozialgerichten. Auch unter dem Gesichtspunkt einer Untätigkeitsklage habe die Klage keinen Erfolg. Das Begehren
der Feststellung der Rechtswidrigkeit der Gesetzesänderung könne nicht Gegenstand eines Verwaltungsakts sein.
Die Kläger haben am 08.07.2005 gegen den Gerichtsbescheid Berufung eingelegt. Mit Einwilligung der Beteiligten hat
der Senat im Hinblick auf beim Bundessozialgericht anhängige Revisionsverfahren über die Zahlung von Sterbegeld
im Zusammenhang mit der gesetzlichen Neuregelung das Ruhen des Verfahrens angeordnet.
Die Beteiligten haben den Rechtsstreit am 16.03.2006 bzw. am 24.03.2006 wieder aufgenommen, nachdem das BSG
mit Urteil vom 13.12.2005 entschieden hatte, dass ab dem 01.01.2004 kein Anspruch auf Sterbegeld besteht und die
Aufhebung der Leistungsvorschriften Verfassungsrecht nicht verletzt. Die Kläger halten dieses Urteil für unrichtig.
Sie beantragen sinngemäß,
unter Aufhebung des Gerichtsbescheids des Sozialgerichts München festzustellen, dass der Wegfall des Sterbegelds
(§§ 58, 59 Sozialgesetzbuch V) ab 01.01.2004 rechtswidrig gewesen ist.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Beigezogen und zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht wurden die Akten der Beklagten und des SG.
Auf den Inhalt der beigezogenen Akten und die Sitzungsniederschrift wird im Übrigen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die frist- und formgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§§ 143, 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG).
Der angefochtene Gerichtsbescheid ist nicht zu beanstanden. Das SG hat zu Recht die geltend gemachte
Feststellung abgelehnt. Gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG kann mit der Feststellungsklage die Feststellung des
Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses begehrt werden, wenn der Kläger ein berechtigtes
Interesse an der baldigen Feststellung hat. Es fehlt im vorliegenden Fall jedoch ein Rechtsverhältnis in diesem Sinne.
Unter Rechtsverhältnis versteht man die Rechtsbeziehungen zwischen Personen oder Personen und Gegenständen,
die sich aus einem konkreten Sachverhalt aufgrund einer Norm des öffentlichen Rechts nicht verfassungsrechtlicher
Art für das Verhältnis mehrerer Personen untereinander oder einer Person zu einer Sache ergeben. D.h. das
Rechtsverhältnis muss konkretisiert sein, eine Rechtsposition oder ein allgemeiner Rechtszustand genügt nicht,
solange er sich nicht zu einem Rechtsverhältnis verdichtet hat. Zur Klärung nur abstrakter Rechtsfragen dürfen die
Gerichte nicht angerufen werden. Ein Rechtsverhältnis liegt zum Beispiel nicht vor, wenn allein die Gültigkeit einer
gesetzlichen Vorschrift streitig ist, da das Sozialgerichtsverfahren eine abstrakten Normenkontrolle nicht kennt
(allgemeine Meinung, siehe z.B. Mayer-Ladewig, und andere, SGG, 8. Auflage, § 55, Rdnrn. 4, 5,10, 10a m.w.N. der
höchstrichterlichen Rechtsprechung).
Auch wenn die Kläger im streitigen Zeitraum, in dem die Leistung Sterbegeld durch die gesetzliche Neuregelung
weggefallen ist, bei der Beklagten versichert gewesen sind, fehlt es an einem konkreten Rechtsverhältnis. Die
Versicherung bei der Beklagten reicht hierfür noch nicht aus. Unabhängig davon, dass die Versicherung bei der
Beklagten nicht streitig ist, wird ein Rechtsverhältnis durch subjektive Rechte und Pflichten gekennzeichnet. Um ein
derartiges Rechtsverhältnis geht es nur, wenn die Feststellung von Rechten und Pflichten streitig ist. Solche
Rechtsverhältnisse setzen aber stets einen konkreten Sachverhalt voraus (Bundessozialgericht - BSG - vom
20.12.2001, Die Sozialgerichtsbarkeit 2002,275). Ein derartiger Sachverhalt, nämlich der Eintritt eines Todesfalles
eines Versicherten der Beklagten, der Leistungsvoraussetzung ist, ist von den Beteiligten nicht angegeben worden,
ebenso nicht die Anspruchsberechtigung gem. § 58 Satz 2 SGB V aF, d.h. das Tragen der Bestattungskosten.
Ebensowenig ist die Feststellungsklage als vorbeugende Feststellungsklage zulässig, da ein überschaubarer, d.h.
sich voraussichtlich realisierender Sachverhalt nicht geschildert wird und ein berechtigtes Interesse gerade an einer
baldigen vorbeugenden Feststellung, also ein spezielles, auf die Inanspruchnahme vorbeugenden Rechtsschutzes
gerichtetes Interesse nicht vorliegt. Der Hinweis der Kläger, dass alle Menschen sterben, genügt nicht, da der
Zeitpunkt im allgemeinen ungewiss ist.
Das SG hat auch zu Recht erkannt, dass das Rechtsschutzbegehren der Kläger auch unter dem Gesichtspunkt der
Untätigkeitsklage erfolglos ist, da hier ein Verwaltungsakt nicht zu ergehen hat (§ 88 Abs. 1 SGG).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs. 2 Nr. 1, 2 SGG).
Nur zur Information der Kläger wird darauf hingewiesen, dass nach dem Urteil des BSG vom 13.12.2005 (SozR 4-2500
§ 98 Nr.1) der Anspruch auf Sterbegeld in der gesetzlichen Krankenversicherung zum 01.01.2004 ohne Verstoß gegen
das Grundgesetz entfallen ist.