Urteil des LSG Bayern vom 06.06.2000

LSG Bayern: zumutbare tätigkeit, rente, berufsunfähigkeit, erwerbsfähigkeit, ausbildung, kopfschmerzen, erwerbsunfähigkeit, arbeitsunfall, verfügung, gewissenhaftigkeit

Bayerisches Landessozialgericht
Urteil vom 06.06.2000 (rechtskräftig)
Sozialgericht Landshut S 4 Ar 926/96
Bayerisches Landessozialgericht L 5 RJ 605/97
I. Auf die Berufung des Klägers wird die Beklagte in Abänderung des Urteils des Sozialgerichts Landshut vom 16. Juli
1997 sowie des Bescheides vom 26. Februar 1996 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 8. Juli 1996
verurteilt, dem Kläger ab 1. Februar 1996 Rente wegen Berufsunfähigkeit zu gewähren. Im Übrigen wird die Berufung
zurückgewiesen. II. Die Beklagte hat dem Kläger zwei Drittel der außergerichtlichen Kosten zu erstatten. III. Die
Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
In diesem Rechtsstreit geht es um Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit.
Der am ...1949 geborene Kläger hat von 1963 bis 1966 eine Schreinerlehre absolviert. Anschließend hat er zumeist
als Schreiner bzw. in Schreinereien oder Möbelfabriken gearbeitet. Am 30.11.1979 erlitt er einen Arbeitsunfall an einer
Hobelmaschine, bei der drei Finger verletzt wurden. Auf Grund dieser Verletzung bezieht er eine Unfallrente von 20
v.H. Anschließend war er längere Zeit krank und arbeitete danach in einer Fensterfabrik und einer Schreinerei. Die Zeit
war von wiederholten Arbeitslosigkeitszeiten unterbrochen.
Am 11.07.1983 erlitt der Kläger in einem Polstereibetrieb an seinem ersten Arbeitstag, nachdem er dort nur fünf
Stunden gearbeitet hatte, einen schweren Unfall mit Verletzung der Wirbelsäule. Auch dafür erhält er von der
zuständigen Lederberufsgenossenschaft eine 20%ige Unfallrente. Im Anschluss an diesen Unfall folgten längere
Zeiten der Arbeitsunfähigkeit und Arbeitslosigkeit sowie ein erster Rentenantrag vom 08.03.1985. Eine Umschulung
zum Güteprüfer war vorgesehen, fand jedoch nicht statt. Als Schreiner hat der Kläger nach diesem Unfall nicht mehr
gearbeitet, jedoch von 1986 bis 1989 mit Unterbrechungen an Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen teilgenommen und war
dabei als Gemeindearbeiter eingesetzt, überwiegend im Straßendienst. Von 1989 bis 1995 hat der Kläger in einer
Verpackungswarenfabrik gearbeitet.
Der Rentenantrag vom 08.03.1985 wurde von der Beklagten mit Bescheid vom 21.05.1985 abgelehnt, die dagegen
erhobene Klage nach Einholung eines Gutachtens zurückgenommen. Der Gutachter (Dr ... vom 26.05.1986) war zu
dem Ergebnis gekommen, dass der Kläger nicht mehr als Schreiner arbeiten könne, wohl aber noch vollschichtig als
Prüfer von Drehteilen, gehobener Pförtner, Verkäufer in Möbelgeschäften sowie auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt.
Am 11.01.1996 hat der Kläger erneut Antrag auf Rente wegen Berufs-/Erwerbsunfähigkeit gestellt. Dieser wurde mit
Bescheid der Beklagten vom 26.02.1996 abgelehnt, weil der Kläger noch in der Lage sei, vollschichtig leichte Arbeiten
zu ebener Erde ohne besonderen Zeitdruck, ohne häufiges Bücken, ohne Überkopfarbeit und ohne häufiges Tragen
oder Bewegen von Lasten zu verrichten. Diese Beurteilung stützte sich im Wesentlichen auf einen Entlassungsbericht
des Chefarztes Dr ... von der Medizinischen Klinik Passau vom 30.01.1996 sowie weitere ärztliche Unterlagen. Der
dagegen gerichtete Widerspruch des Klägers wurde mit Widerspruchsbescheid vom 08.07.1996 zurückgewiesen. Zwar
könne der Kläger seine letzte nicht nur vorübergehend ausgeübte Facharbeitertätigkeit nicht mehr verrichten, doch sei
er auf Tätigkeiten verweisbar, die zu den sonstigen, staatlich anerkannten Ausbildungsberufen gehörten, oder die eine
betriebliche Ausbildung von wenigstens drei Monaten erforderten oder wegen ihrer Qualität tariflich wie sonstige
Ausbildungsberufe bewertet würden. In Betracht komme z.B. die Tätigkeit eines Registrators im
Versicherungsgewerbe.
Das Sozialgericht Landshut (SG) hat eine größere Anzahl von Befundberichten sowie eine Arbeitgeberauskunft
betreffend die Zeit von 1989 bis 1995 eingeholt und durch den Internisten "Arbeits- und Sozialmedizin" Dr ... ein
Gutachten (vom 16.07. 1997) erstatten lassen. Dr ... stellt folgende Diagnosen:
2. WS-abhängige Beschwerden nach knöchern verheiltem Bruch des zweiten Lendenwirbels und nach Steißbeinbruch,
Abstützreaktionen zwischen erstem und zweitem LWK, keine neurologischen Irritationen oder Ausfälle, 3.
herabgesetzte Kraft in der linken Hand mit unvollkommener Beugefähigkeit der Finger drei, vier und fünf nach Unfall,
4. medikamentös nicht optimal eingestellter Bluthochdruck bisher ohne Rückwirkung auf die Arbeitsmuskulatur des 5.
Herzens, extremes Übergewicht, Fettleber und Stoffwechselstörung, 6. rentenneurotisches Fehlverhalten.
Der Sachverständige vertrat die Auffassung, der Kläger könne damit noch leichte bis mittelschwere Arbeiten zu
ebener Erde, im Freien und in geschlossenen Räumen verrichten. Nicht mehr zumutbar sei das Heben und Tragen
von Lasten über 20 kg, dauernde Arbeiten in gebückter Körperhaltung, dauernde Überkopfarbeiten bzw. Arbeiten mit
überwiegend einseitiger Zwangshaltung. Die zuletzt ausgeübte Tätigkeit als Packer könnte der Kläger noch
vollschichtig verrichten, wenn nicht ständig Lasten zwischen 10 bis 20 kg zu bewegen wären, also als Verpacker von
Kleinteilen. Die früher ausgeübte Tätigkeit eines Schreiners sei bereits seit dem Unfall im Jahre 1983 nicht mehr
zumutbar. In vergleichbaren Berufen, z.B. als Qualitätskontrolleur in der holzverarbeitenden Industrie sei der Kläger
durchaus noch vollschichtig einsatzfähig. Er sei auch in der Lage, sich auf einfache Arbeiten umzustellen, doch fehle
es an der nötigen Motivation.
Das SG hat daraufhin die Klage mit Urteil vom 16.07.1997 abgwiesen: Der Kläger habe den Beruf eines Schreiners
erlernt und versicherungspflichtig ausgeübt. Diese Tätigkeit habe er wegen eines Arbeitsunfalles aus gesundheitlichen
Gründen aufgeben müssen. Für die Frage der Verweisbarkeit sei vom Beruf des Facharbeiters, Schreiners,
auszugehen. Als solcher sei der Kläger auf die ihm gesundheitlich mögliche Tätigkeit eines Registrators zu
verweisen, die nach einer Auskunft des Landesarbeitsamtes Südbayern im oberen Anlernbereich einzustufen sei.
Der Kläger hat gegen das ihm am 27.10.1997 zugestellte Urteil mit Schreiben vom 17.11., eingegangen am
19.11.1997, Berufung zum Bayer. Landessozialgericht (LSG) eingelegt und zur Begründung ausgeführt, er habe
weiterhin laufend extrem starke Kopfschmerzen nach HWS-Trauma, die auf den ganzen Körper ausstrahlten. Zudem
habe er immer Schmerzen im Wirbelsäulenbereich (1. und 2. LWK). Im Urteil sei die Diagnose Lungenembolie nicht
berücksichtigt. Er könne sich nicht mehr auf eine einfache Arbeit umstellen, weil er nicht mehr als 20 kg tragen oder
heben könne.
Der Senat hat Beweis erhoben durch Einholung eines internistischen Gutachtens von Dr ... vom 24.08.1998 und eines
neurologisch-psychiatrischen Gutachtens von Dr ... vom 08.02.1999. Dr ... stellt beim Kläger seit Januar 1996
folgende Gesundheitsstörungen fest:
- Halswirbelsäulensyndrom mit chronischen Kopfschmerzen und schmerzhafter Bewegungseinschränkung, -
Lendenwirbelsäulensyndrom bei Zustand nach knöchern verheiltem Bruch des 2. Lendenwirbelkörpers, -
Funktionsstörung der linken Hand nach Verletzung der Finger III bis V, - erhöhter Blutdruck mit herabgesetzter
Auswurfleistung der linken Herzkammer, - nutritiv-toxischer Leberschaden, - Übergewicht.
Damit könne der Kläger nur noch leichte Arbeiten durchführen; wenn es gelinge, den Blutdruck besser einzustellen,
auch wieder mittelschwere. Länger dauernde einseitige Körperhaltungen, häufiges Bücken sowie das Heben und
Tragen von Lasten über 20 kg seien zu vermeiden. Wegen der Funktionsstörung der linken Hand könnten auch
feinmanuelle Tätigkeiten nicht mehr ausgeführt werden. Die psychische Belastbarkeit durch Arbeiten mit besonderen
Anforderungen an das Konzentrations- und Reaktionsvermögen, Arbeiten unter Zeitdruck, in Wechsel- und
Nachtschicht sei herabgesetzt. Unter Berücksichtigung dieser Einschränkungen könnten die Tätigkeiten aber noch
vollschichtig ausgeübt werden. Als Schreiner könne der Kläger nicht mehr arbeiten; der Beruf eines Verpackers könne
ohne Gefährdung der Restgesundheit ausgeübt werden, wenn die zu bewegenden Gegenstände nicht schwerer als 20
kg seien. Die Verweisungstätigkeiten Registrator oder Hausmeister könnten unter denselben Einschränkungen
ebenfalls ausgeführt werden.
Dr ... stellt in seinem neurologisch-psychiatrischen Gutachten eine neurotische Fehlhaltung fest, die mit einem
massiven Rentenwunsch korreliere. Der Kläger leide unter den Folgen einer Erlebnis- und Gestaltungsstörung ohne
Krankheitswert. Aus neuro-psychiatrischer Sicht könnte er noch leichte bis mittelschwere Arbeiten verrichten, die
keine besonderen Anforderungen an das Stützgerüst stellten, auch keine besonderen Anforderungen an die Kognition,
zumindest nicht im Hinblick auf eine Extrembelastung. Die psychologisch festgestellte geringe
Informationsverarbeitungsgeschwindigkeit sei Ergebnis eines Trainingsmangels, der durch eine durchschnittliche
berufliche Belastung kompensierbar wäre. Anfangs seien Arbeiten unter Zeitdruck zu vermeiden. Allerdings bestünden
Einschränkungen hinsichtlich der Leistungsmotivation. Besondere Anforderungen an Merk- und
Konzentrationsfähigkeit dürften nicht gestellt werden. Verantwortungsbewusstsein und Gewissenhaftigkeit seien
prinzipiell verfügbar, in den letzten Jahren aber nicht genutzt worden. Selbständiges Denken und Handeln sei unter
ausreichender Motivation prinzipiell möglich. Das Unterscheidungs- und Beurteilungsvermögen sei auf Grund der
bestehenden primären mangelnden Differenziertheit kaum zu nützen, wäre aber langfristig kompensierbar.
Ausreichende Umstellungsfähigkeit und Reaktionsfähigkeit seien vorhanden, praktische Anstelligkeit und Findigkeit
nutzbar. Die Anpassungsfähigkeit an den technischen Wandel sei mit einem gewissen Zeitverzug nur übergangsweise
eingeschränkt. Ausdauerleistungen wären möglich, die zumutbaren Tätigkeiten könnten vollschichtig verrichtet
werden. Unter Berücksichtigung der Einschränkungen wäre auch die Tätigkeit eines Schreiners zumutbar, doch
würden bevorzugt Hilfstätigkeiten und Zubringetätigkeiten zu fordern sein. Den Beruf eines Verpackers könne der
Kläger ohne Gefährdung für seine Restgesundheit ausüben. Auch sei es möglich, Verweisungstätigkeiten wie
Registrator oder Hausmeister unter den vorgenannten Einschränkungen zu bewältigen.
In der mündlichen Verhandlung des Senats vom 26.10.1999 hat der Kläger ein Attest des Allgemeinarztes Dr ... vom
19.10.1999 vorgelegt, wonach bei ihm starke Kopfschmerzen vorlägen. Der Blutdruck sei trotz intensiver anti-
hypertensiver Behandlung erhöht. Zusammen mit den Stoffwechselerkrankungen und der dauernden angespannten
Situation bestehe Schlaganfallgefahr und Herzschädigung. Der Senat hat daraufhin die Beweiserhebung fortgesetzt
durch Einholung von Arztberichten des Internisten Dr ..., der Akut-Klinik Waldmünchen und des Orthopäden Dr ...
Daraus ergibt sich u.a., dass der Kläger an einem schweren n-CPAP-pflichtigen Schlafapnoesyndrom leidet, dass er
aber mit der Maske nicht zu recht kommt. Der Senat hat daraufhin ergänzende Stellungnahmen von Dr ... und Dr ...
eingeholt, die jedoch im Wesentlichen an ihrer bisherigen Auffassung festhalten und zu dem Ergebnis kommen, dass
der Kläger die Tätigkeit in einer Registratur oder Poststelle vollschichtig ausüben könne.
die Beklagte unter Aufhebung des Urteils des Sozial- gerichts Landshut vom 16.07.1997 sowie des Bescheides der
Beklagten vom 26.02.1996 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 08.07.1996 zu verurteilen, ihm auf
Grund des Antrages vom 11.01.1996 Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit zu gewähren.
Die Beklagte beantragt, die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 16.07.1997
zurückzuweisen.
Der Senat hat die Akten der Beklagten, des Sozialgerichts Landshut (S 4 Ar 926/96, S 2 Ar 343/85 und S 8 U 1/86),
des Versorgungsamts Landshut, der Holzberufsgenossenschaft, der Lederberufsgenossenschaft und des
Kreiskrankenhauses Viechtach zum Verfahren beigezogen. Außerdem wurden je ein Gutachten des
Landesarbeitsamtes (LAA) Südbayern vom 04.11.1996 sowie des LAA Nordbayern vom 26.02.1997, in denen es um
die Verweisbarkeit eines Schreiners geht und insbesondere auch die Tätigkeit eines Registrators beschrieben wird,
zum Verfahren beigezogen und zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist zulässig und zum Teil begründet insofern, als der Kläger Anspruch auf Rente wegen
Berufsunfähigkeit hat.
Nach § 43 Abs.1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) haben Versicherte bis zur Vollendung des 65.
Lebensjahres Anspruch auf Rente wegen Berufsunfähigkeit, wenn sie
2. in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Berufsunfähigkeit drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte
Beschäftigung oder Tätigkeit aufzuweisen und 3. vor Eintritt der Berufsunfähigkeit die allgemeine Wartezeit erfüllt
haben.
Berufsunfähig sind Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder Behinderung auf weniger als die Hälfte
derjenigen von körperlich, geistig und seelisch gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen
Kenntnissen und Fähigkeiten gesunken ist. Der Kreis der Tätigkeiten, nach denen die Erwerbsfähigkeit von
Versicherten zu beurteilen ist, umfasst alle Tätigkeiten, die ihren Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihnen unter
Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs ihrer Ausbildung sowie ihres bisherigen Berufs und der besonderen
Anforderungen ihrer bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können. Berufsunfähig ist nicht, wer eine zumutbare
Tätigkeit vollschichtig ausüben kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (§ 43 Abs.2
Satz 1, 2 und 4).
Der Kläger hat den Beruf eines Schreiners erlernt und bis zu seinem Arbeitsunfall im Jahre 1983 auch im
Wesentlichen ausgeübt. Dazu ist er sowohl nach den Ermittlungen des ärztlichen Dienstes der Beklagten, als auch
nach dem Ergebnis der vom SG und LSG eingeholten Gutachten nicht mehr in der Lage. Auch die Beklagte geht in
den angefochtenen Bescheiden davon aus, dass der Kläger die Facharbeitertätigkeit eines Schreiners nicht mehr
verrichten kann.
Tatsächlich ist der Kläger nach dem Unfall auch nicht mehr im Schreinerberuf tätig gewesen. Vielmehr hat er an ABM-
Maßnahmen teilgenommen und über einige Jahre hinweg in einer Verpackungsfabrik gearbeitet. Seinen Berufsschutz
als Schreiner hat er durch diese Tätigkeiten nicht verloren, da die Loslösung vom Schreinerberuf gesundheitlich
bedingt war. Eine Loslösung vom Beruf liegt dann nicht vor, wenn solche Gründe dafür maßgeblich waren, für die die
gesetzliche Rentenversicherung einzustehen hat (vgl. Niesel in Kasseler Kommentar, Sozialversicherungsrecht Band
2, § 43 SGB VI Rz. 34). Es stellt sich damit die Frage, ob der Kläger trotz seiner ärztlicherseits festgestellten
Leistungseinschränkungen noch in der Lage ist, in einem zumutbaren Verweisungsberuf die Hälfte eines
vergleichbaren (gesunden) Versicherten zu verdienen.
Ein dem Restleistungsvermögen des Klägers entsprechender und ihm sozial zuzumutender Verweisungsberuf ist
nicht ersichtlich.
Die Beklagte und das Erstgericht haben den Kläger auf den Beruf eines Registrators verwiesen. Nach der bereits vom
SG zum Gegenstand des Verfahrens gemachten Stellungnahme des Landesarbeitsamtes Südbayern vom 04.11.1996
umfasst die Tätigkeit eines Registrators leichte, zeitweise mittelschwere (Heben und Bewegen von Behältern mit
Akten/Unterlagen) Arbeiten in geschlossenen Räumen, überwiegend im Sitzen, auch im Gehen und Stehen, zeitweise
in Zwangshaltung (Entnehmen/Einlegen von Akten in Regale, dabei auch Überkopfarbeiten und kniende Arbeitshaltung
möglich). Erforderlich ist Ordnungssinn, systematische und zuverlässige Arbeitsweise und Konzentrationsfähigkeit.
Diese Eigenschaften stehen dem Kläger zumindest derzeit nach dem Ergebnis der Begutachtungen in erster und
zweiter Instanz nicht zur Verfügung. Das betrifft zunächst bereits die körperlichen Anforderungen. Der Kläger kann
nach dem Ergebnis der Begutachtung nur mehr leichte Arbeiten ohne länger dauernde einseitige Körperhaltung, ohne
häufiges Bücken, ohne Kopfarbeiten, ohne Heben und Tragen von Lasten über 20 kg verrichten. Bei der Tätigkeit
eines Registrators fallen jedoch zumindest zeitweise auch mittelschwere Arbeiten an, die das Heben und Bewegen
von Behältnissen mit Akten/Unterlagen erfordern. Auch ist mit zeitweisen Zwangshaltungen und insbesondere mit
Überkopfarbeiten zu rechnen. Vor allem aber fehlen dem Kläger die erforderlichen geistigen Qualifikationen wie
Ordnungssinn, systematische und zuverlässige Arbeitsweise und Konzentrationsfähigkeit. So führt Dr ... in seinem
insoweit durchaus überzeugenden Gutachten aus, besondere Anforderungen an die Kognition könnten nicht gestellt
werden. Arbeiten unter Zeitdruck seien zumindest zum gegebenen Zeitpunkt zu vermeiden. Besondere Anforderungen
an Merk- und Konzentrationsfähigkeit, die bei einem Registrator nach den vom LAA genannten Kriterien
Voraussetzung sind, dürften nicht gestellt werden. Auch die unter die Kategorie Ordnungssinn, systematische und
zuverlässige Arbeitsweise fallenden Kriterien des Verantwortungsbewusstseins und der Gewissenhaftigkeit hält der
Sachverständige nur für prinzipiell verfügbar, weist aber darauf hin, dass diese in den letzten Jahren nicht genutzt
worden seien und damit offenbar nicht zur Verfügung stünden. Zwar führt Dr ... aus, der Kläger könne noch als
Registrator arbeiten, setzt aber hinzu unter den oben genannten Einschränkungen. Das lässt nur den Schluss zu,
dass zumindest zum derzeitigen Zeitpunkt, der für die Entscheidung des Gerichtes maßgeblich ist, der Kläger die
Anforderungen an einen Registrator, wie sie vom LAA Südbayern aufgezählt werden, gerade nicht erfüllt.
Entscheidend kommt hinzu, dass die Tätigkeit eines Registrators dem Kläger auch sozial nicht zumutbar wäre. Als
Facharbeiter mit einer dreijährigen Ausbildung in einem anerkannten Ausbildungsberuf (Schreiner) ist der Kläger zwar
auf Anlerntätigkeiten grundsätzlich verweisbar. Diese müssen aber entweder zu den sonstigen staatlich anerkannten
Ausbildungsberufen gehören oder eine betriebliche Ausbildung von mindestens drei Monaten erfordern oder wegen
ihrer Qualität tariflich wie ein sonstiger Ausbildungsberuf bewertet sein (Niesel a.a.O., § 46 Rz. 105 m.w.N.). Nach
dem Gutachten des LAA Südbayern vom 04.11.1996 erfüllt der Registrator diese Voraussetzungen nicht. Danach ist
nämlich eine Anlern- bzw. Einarbeitungszeit von ca. zwei Wochen bis drei Monaten üblich. Nach der
Tätigkeitsbeschreibung des LAA Nordbayern (a.a.O.) hat ein Registrator anfallendes Schriftgut entsprechend der
Aktenorganisation zu sortieren, sichten, auszuzeichnen und in gekennzeichneten Akten oder Mappen abzulegen bzw.
diesen zu entnehmen. Die jeweiligen Akten/Mappen müssen dann in Regale/Schränke eingeordnet werden. Diese
Beschreibung entspricht in etwa der eines Mitarbeiters in der Poststelle von Behörden oder Firmen. Derartige
Tätigkeiten sind wie das LAA Nordbayern in seinem ebenfalls zum Gegenstand des Verfahrens gemachten Gutachten
vom 26.02.1997 ausführt, nach Vergütungsgruppe X (Hilfsleistungen bei der Postabfertigung) bzw. IX b
(Postabfertiger) eingestuft. Tätigkeiten nach der Vergütungsgruppe BAT IX sind jedoch Facharbeitern nicht zumutbar,
weil sie keine echte Anlernzeit von mehr als drei Monaten erfordern (BSG SozR 3-2200 § 1246 Nr. 17). Etwas anderes
wäre es, wenn es sich um Tätigkeiten nach Vergütungsgruppe VIII handeln würde. Hierfür wäre jedoch für einen
Versicherten, der wie der Kläger über keinerlei verwertbare Vorkenntnisse verfügte, wiederum nach der vorgenannten
Stellungnahme das LAA Nordbayern, eine dreimonatige Einarbeitung keinesfalls ausreichend.
Zusammenfassend kommt der Senat zu dem Ergebnis, dass der Kläger eine Tätigkeit als Registrator (oder als
Mitarbeiter einer Poststelle) weder gesundheitlich ausführen kann, noch eine solche Tätigkeit ihm sozial zumutbar ist.
Unbeschadet dessen, dass Verweisungsberufe grundsätzlich von der Beklagen zu benennen wären (z.B. BSG v.
23.10.1996 4 RA 1/96, SozR 3-2600 § 43 SGB VI Nr.14) sei darauf hingewiesen, dass auch eine Verweisung des
Klägers auf den Beruf des Hausmeisters der sozial durchaus zumutbar wäre, schon allein wegen der damit
verbundenen körperlichen Belastung nicht in Betracht kommt. Ein Hausmeister muss in der Lage sein, leichte bis
mittelschwere, gelegentlich auch schwere Arbeiten überwiegend im Gehen und Stehen, verbunden mit Zwangshaltung
(u.a. Überkopfarbeiten und Bücken) zu verrichten. Dazu ist der Kläger nach übereinstimmender Auffassung aller
Sachverständigen nicht in der Lage (vgl. LAA Nordbayern vom 26.02.1997 Bl. 12).
Ausgeschlossen ist ferner eine Tätigkeit als Kundenberater oder Fachverkäufer in einem Bau- oder Hobbymarkt.
Abgesehen davon, dass diese Tätigkeit häufig auch schweres Heben erfordert, setzt sie auf alle Fälle
Kontaktfähigkeit, Flexibilität und eine gewisse psychische Belastbarkeit voraus. Bei größerem Kundenandrang kommt
es zu Zeitdruck. Je nach konkretem Arbeitsplatz überwiegen Gehen und Stehen, aber auch Bücken ist häufig
erforderlich, gelegentlich Überkopfarbeiten und das Besteigen von Leitern (LAA Nordbayern a.a.O. Bl. 9).
Auf den Beruf eines einfachen Pförtners braucht sich der Kläger nicht verweisen zu lassen, da dieser einem
Facharbeiter sozial nicht zumutbar wäre (BSG vom 17.12.1997 13 RJ 59/97).Bezüglich des sogenannten qualifizierten
Pförtners ist von einer Verschlossenheit des Arbeitsmarktes auszugehen (BSG SozR 2200 § 1246 Nr. 137).
Nach allem sieht der Senat den Tatbestand der Berufsunfähigkeit im Fall des Klägers für erfüllt an, und zwar bereits
ab Antragstellung, da sich an den medizinischen Gegebenheiten seitdem nichts Wesentliches geändert hat. Da auch
die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen des § 43 Abs.1 Nrn. 2 und 3 SGB VI erfüllt sind, steht dem Kläger
Rente wegen Berufsunfähigkeit zu.
Erwerbsunfähigkeit liegt hingegen nicht vor. Nach § 44 Abs.2 SGB VI sind erwerbsunfähig Versicherte, die wegen
Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, eine Erwerbstätigkeit in gewisser
Regelmäßigkeit auszuüben oder Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen zu erzielen, das 1/7 der monatlichen
Bezugsgrenze bzw. 630,00 DM (seit 01.04.1999) übersteigt. Erwerbsunfähig ist nicht, wer eine Tätigkeit vollschichtig
ausüben kann.
Nach dem Ergebnis der gerichtsärztlichen Begutachtung steht fest, dass die Erwerbsfähigkeit des Klägers zwar durch
eine Reihe von gesundheitlichen Beeinträchtigungen, insbesondere im Bereich der Wirbelsäule, aber auch durch einen
zu hohen Blutdruck, sowie aus psychiatrisch-neurologischen Gründen qualitativ stark eingeschränkt ist. Gleichwohl ist
er in der Lage, körperlich leichte Arbeiten ohne einseitige Körperhaltungen, häufiges Bücken, Heben und Tragen von
Lasten über 20 kg, ohne besondere Anforderungen an das Konzentrations- und Reaktionsvermögen, Arbeiten unter
Zeitdruck, in Wechsel- und Nachtschicht vollschichtig zu verrichten. Insbesondere käme die Tätigkeit eines
Verpackers von leichteren Gegenständen, wie sie vom Kläger auch zeitweilig (bis 1993) ausgeübt wurde, durchaus
noch in Betracht. Damit liegt Erwerbsunfähigkeit nicht vor. Insoweit war die Berufung als unbegründet
zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung trägt dem teilweisen Obsiegen des Klägers Rechnung (§ 193 SGG).
Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht ersichtlich.