Urteil des LSG Bayern vom 30.11.2005

LSG Bayern: anrechenbares einkommen, tagespflege, hauptsache, heizung, zivilprozessordnung, form, verfügung, erlass, stundenlohn, eltern

Bayerisches Landessozialgericht
Beschluss vom 30.11.2005 (rechtskräftig)
Sozialgericht Nürnberg S 5 AS 143/05 ER
Bayerisches Landessozialgericht L 11 B 466/05 AS ER
I. Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Nürnberg vom 14.07.2005 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung eines Rechtsanwaltes der Kanzlei B. & G. , E.
, wird abgelehnt.
Gründe:
I.
Die Beteiligten streiten um die Frage, ob bzw. inwieweit bei der Bewilligung von Leistungen nach dem Zweiten Buch
Sozialgesetzbuch (SGB II) Einnahmen des erwerbsfähigen Hilfebedürftigen aus geleisteter Tagespflege als
Einkommen im Sinne des § 11 Abs 3 Nr 1 SGB II zu berücksichtigen sind.
Die 1974 geborene Antragstellerin zu 1. (ASt 1) lebt zusammen mit ihren beiden Kindern, der 1999 geborenen
Antragstellerin zu 2. (ASt 2) und dem 2000 geborenen Antragsteller zu 3. (ASt 3) in einer Bedarfsgemeinschaft. Sie
erhält nach den Feststellungen des Sozialgerichts (SG) Unterhaltsleistungen zuletzt in Höhe von 249,00 EUR für die
ASt 2 und 192,00 EUR für den ASt 3, Kindergeld in Höhe von 308,00 EUR sowie Leistungen der
Wohnungsbauförderung in Höhe von monatlich 73,50 EUR. Sie hat zudem das Kind T. K. in Tagespflege und erhält
aufgrund eines Tagespflegevertrags beginnend ab dem 08.03.2005 hierfür eine Stundenlohn von 3,00 EUR. Die
sorgeberechtigten Eltern des T. K. müssen nach diesem Tages- pflegevertrag für Kleidung, saubere Wäsche und
Hausschuhe, Babynahrung, Spezialnahrung, Windeln, Pflegeutensilien usw. sorgen. Spielzeug wird von der ASt 1
gestellt. Bei einer Betreuung über vier Stunden hinaus ist täglich eine Hauptmahlzeit eingeschlossen.
Am 19.04.2005 schloss die ASt 1 einen weiteren Tagespflegevertrag beginnend ab dem 05.04.2005 für die
Tagespflege der beiden 2003 geborenen Zwillinge P. und R. K ... Die Tagespflege erstreckt sich hier von 8.30 Uhr bis
12.30 Uhr. Im Übrigen entsprechen die Regelungen im Wesentlichen dem o.a. Vertrag.
Die Grundmiete der von den ASt bewohnten Wohnung beträgt ausweislich des Mietvertrages vom 17.09.2004
monatlich 385,87 EUR zuzüglich einer monatlichen Betriebskostenzahlung in Höhe von 134,00 EUR.
Auf ihren Antrag vom 23.08.2004 bewilligte die Antragsgegnerin (Ag) Leistungen nach dem SGB II für die ASt und
zwar aufgrund des Bescheides vom 18.01.2005 in Höhe von monatlich 489,93 EUR, aufgrund des Bescheides vom
14.02.2005 in Höhe von monatlich 463,53 EUR, aufgrund des Bescheides vom 07.03.2005 für den Zeitraum von
Februar bis Juni 2005 in Höhe von monatlich 426,98 EUR und aufgrund des Änderungsbescheides vom 22.04.2005 für
den Zeitraum ab dem 01.04.2005 in Höhe von monatlich 452,48 EUR und ab dem 01.06.2005 in Höhe von monatlich
460,84 EUR.
Hiergegen erhoben die ASt am 21.05.2005 Widerspruch, über den - soweit aus den Akten ersichtlich - noch nicht
entschieden ist. Die Einnahmen aus der Tagespflege seien kein Einkommen. Es handle sich hier um reines
Betreuungsgeld, das gemäß § 11 Abs 3 Nr 1 SGB II nicht als Einkommen berücksichtigt werden dürfe.
Mit ihrem beim SG Nürnberg am 24.05.2005 eingegangenen Antrag begehrten die ASt, die Ag im Wege der
einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihnen laufende Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem
SGB II ab Januar 2005 ohne Anrechnung des Aufwendungsersatzes gemäß § 23 Achtes Buch Sozialgesetzbuch
(SGB VIII) als Einkommen im Sinne des § 11 SGB II zu bewilligen.
Die Einnahmen aus der Tagespflege seien lediglich Aufwendungsersatz gemäß § 23 Abs 3 SGB VIII. Die Ag gehe zu
Unrecht davon aus, dass dies als Einkommen berücksichtigt werden dürfe.
Bereits aus dem Gesetzeswortlaut des § 23 Abs 3 SGB VIII ergebe sich, dass es sich hier um Aufwendungen handle,
die einem anderen Zweck als das Arbeitslosengeld diene.
Die Ag beantragte, den Antrag abzulehnen.
Sie legte die unterschiedlichen Einkommensberechnungen dar. Es sei richtig, dass ein Aufwendungsersatz nicht als
Einkommen gewertet werden dürfe. Allerdings handle es sich bei dem frei ausgehandelten Betreuungsentgelt eben
nicht nur um einen Aufwendungsersatz, sondern auch um einen Entgeltanteil. Das Jugendamt habe hier keine
Tagespflege vermittelt und mit 1,80 EUR/Stunde bezahlt. Die ASt 1 habe vielmehr ein privates, höheres Pflegeentgelt
frei ausgehandelt. Hiervon sei der Aufwendungsersatz mit 1,80 EUR/Stunde abzuziehen, so dass aus dem
vereinbarten Pflegeentgelt in Höhe von 3,00 EUR/Stunde ein anzurechnendes Einkommen in Höhe von 1,20
EUR/Stunde verbleibe. In dieser Höhe erziele die ASt 1 Einnahmen.
Mit Beschluss vom 14.07.2005 lehnte das SG den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ab. Wegen des
geringen Betrages der streitgegenständlichen Forderung und vor dem Hintergrund der übrigen Einnahmen für die
Bedarfsgemeinschaft sei ein Anordnungsgrund nicht gegeben. Im Übrigen sei auch kein Anordnungsanspruch
glaubhaft gemacht. Die ASt habe insbesondere keine Belege über weitere Aufwendungen, die ihr de facto entstanden
sein sollen und die den Betrag von 1,80 EUR/Stunde pro Kind übersteigen sollten, vorgelegt.
Hiergegen wendet sich die ASt mit ihrer beim SG am 27.07.2005 eingegangenen Beschwerde. Es sei ein
Anordnungsgrund gegeben. Die Leistungen der Wohnungsbauförderung könnten hier nicht berücksichtigt werden und
auch nicht ausschlaggebend sein. Ebenfalls bestehe ein Anordnungsanspruch, weil die Kosten der Erziehung in Höhe
von 1,20 EUR nicht als Einkommen berücksichtigt werden dürften, was sich aus § 11 Abs 3 Nr 1a SGB II ergibt.
Die Ag beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.
Es stehe unzweifelhaft fest, dass die ASt 1 tatsächlich 1,20 EUR für jede Betreuungsstunde zusätzlich als
Einkommen zur freien Verfügung habe, wobei allerdings ggf. Freibeträge abzuziehen sind. Nach dem letzten Stand
ihrer Kenntnis betreue die ASt 1 die Pflegekinder insgesamt 94,30 Stunden/Monat, so dass sich bei 3,00 EUR/Stunde
ein Einkommen von 282,90 EUR ergebe. Nach Abzug von Freibeträgen verbliebe damit ein monatliches
anrechenbares Einkommen von 61,68 EUR.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakten in beiden Instanzen sowie auf die
vorgelegte Behördenakte Bezug genommen.
II.
Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde ist zulässig (§§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz -SGG-). Das SG hat
ihr nicht abgeholfen (§ 174 SGG).
Die Beschwerde der ASt ist jedoch unbegründet.
Dabei ist Gegenstand des Beschwerdeverfahrens allein die Frage, ob der von der ASt 1 vereinnahmte
Pflegeentgeltanteil in Höhe von 1,20 EUR/Stunde pro Kind als Einkommen zu berücksichtigen ist.
Die Beschwerde ist unbegründet, weil es das SG zu Recht abgelehnt hat, die Ag im Wege der einstweiligen
Anordnung zu verpflichten, den ASt Leistungen nach dem SGB II ohne auch nur teilweise Anrechnung des Entgeltes
für die Pflegeleistungen der ASt 1 zu bewilligen.
Eine Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis
(Regelungsanordnung) ist zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint
(§ 86b Abs 2 Satz 2 SGG). Das ist etwa dann der Fall, wenn den ASt ohne eine solche Anordnung schwere oder
unzumutbare, nicht anders abwendbare Nachteile entstehen, zu deren Beseitigung die Entscheidung in der
Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (so BVerfG vom 25.10.1988 BVerfGE 79, 69/74 und vom 19.10.1977
BVerfGE 46, 166/179; Niesel, Der Sozialgerichtsprozess, 4.Aufl 2005, Rdnr 643).
Eine solche Regelungsanordnung setzt aber voraus, dass die ASt Angaben zum Vorliegen eines Anordnungsgrundes
- das in der Regel die Eilbedürftigkeit - und zum Vorliegen eines Anordnungsanspruches - das ist der materiell-
rechtliche Anspruch, auf den sie ihr Begehren stützen - glaubhaft machen können (§ 86b Abs 2 Sätze 2, 4 SGG iVm
§ 920 Abs 2, § 294 Abs 1 Zivilprozessordnung -ZPO-; Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8.Aufl 2005, § 86b Rdnr
41).
Bei der hier erforderlichen Überprüfung der Sach- und Rechtslage (vgl. dazu im Einzelnen BVerfG vom 12.05.2005
NDV-RD 2005, 59) zeigt sich, dass das Begehren der ASt auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes in der Sache
keinen Erfolg haben kann.
Zutreffend hat das SG bereits darauf hingewiesen, dass den ASt bereits kein Anordnungsgrund zur Seite steht.
Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung des Vorliegens eines solchen Anordnungsgrundes, also der Eilbedürftigkeit
der Sache, ist in jeder Lage des Verfahrens, insbesondere also auch noch im Beschwerdeverfahren, der Zeitpunkt der
gerichtlichen Entscheidung. Der Senat hält die Sache in diesem Sinne nicht für eilbedürftig.
Den ASt ist es unter Berücksichtigung ihrer finanziellen Gesamtsituation ohne Weiteres zuzumuten, eine
Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten, weil sie keine schweren oder unzumutbare Nachteile zu gewärtigen oder
hinzunehmen haben. Der streitige Betrag von 1,20 EUR/Stunde pro Kind führt unter Berücksichtigung der
Freibetragsregelungen zu einem monatlichen Differenzbetrag von etwa 62,00 EUR, wie die Ag zutreffend und
unbestritten ausgeführt hat, der zudem unter der bewilligten Leistung für Wohnungsbauförderung in Höhe von
monatlich 73,50 EUR liegt. Die ASt erhalten deshalb in jedem Falle Leistungen oberhalb der Regelleistungen nach
dem SGB II. Wofür die ASt 1 die Wohnungsbauförderung, die sie neben den Kosten für Unterkunft und Heizung erhält,
verwendet, ist unerheblich. Die finanzielle Situation der ASt wird sich durch die am 1. Oktober 2005 in Kraft
getretenen Änderungen in §§ 30, 67 SGB II für künftige Bewilligungszeiträume nicht nachteilig verändern.
Die ASt haben es darüber hinaus aber auch versäumt, einen Anordnungsanspruch glaubhaft zu machen. Die Ag
anerkennt, dass es sich bei den Pflegevertragsentgelten jedenfalls zum Teil um einen bloßen Aufwendungsersatz
handelt. Ihrer Aufforderung, im Einzelfall darzulegen, welche Anteile Aufwendungsersatz und Verdienst darstellen, ist
die ASt 1 aber nicht nachgekommen. Mithin erscheint es zumindest im Eilverfahren vertretbar, wenn die Ag auf der
Grundlage der herangezogenen Empfehlungen des Bayer. Landkreistages von den 3,00 EUR/Stunde pro Kind 60 v.H.,
also 1,80 EUR/Stunde pro Kind als Aufwendungsersatz anerkennt und lediglich die verbliebenen 1,20 EUR/Stunde pro
Kind als Einkommen der ASt 1 ansetzt. Die ASt 1 behauptet zwar, höhere tastsächliche Aufwendungen als 1,80
EUR/Stunde pro Kind zu haben, versäumt aber, das glaubhaft zu machen. Vor dem Hintergrund der o.a.
Vertragsausgestaltungen kann der Senat deshalb die Verfahrensweise der Ag im Rahmen des Verfahrens des
vorläufigen Rechtsschutzes rechtlich nicht beanstanden.
Die Beschwerde hat mithin keinen Erfolg.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 177 SGG).