Urteil des LSG Bayern vom 16.05.2007

LSG Bayern: erlass, aussetzung, untätigkeitsklage, angemessene frist, aufschiebende wirkung, widerspruchsverfahren, einverständnis, belastung, verwaltungsverfahren, ermessen

Bayerisches Landessozialgericht
Urteil vom 16.05.2007 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Augsburg S 4 R 99/06
Bayerisches Landessozialgericht L 13 R 752/06
I. Das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 12. Oktober 2005 wird aufgehoben. II. Die Beklagte wird verpflichtet,
über den Widerspruch der Klägerin vom 13. Juni 2005 zu entscheiden. III. Die Beklagte erstattet der Klägerin die
außergerichtlichen Kosten des Verfahrens. IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist die Erstattung außergerichtlicher Kosten für eine Untätigkeitsklage.
Die 1943 geborene Klägerin bezieht von der Beklagten seit 1. Oktober 2003 eine Altersrente für Frauen.
Am 13. Juni 2005 (Eingang bei der Beklagten) widersprach der Prozessbevollmächtigte der Klägerin
(Prozessbevollmächtigte) einer nach seinen Angaben undatierten Rentenanpassungsmitteilung, wonach erstmals zum
1. Juli 2005 ein zusätzlicher Krankenversicherungsbeitrag i.H.v. 0,9% von der (Brutto)Altersrente der Klägerin
abgezogen werden solle. Dieser zusätzliche Beitrag diene unter anderem der alleinigen Finanzierung des
Krankengeldes durch die Versicherten. Die Beitragsforderung sei rechtswidrig, da die Klägerin keinen Anspruch auf
Krankengeld habe.
Die Beklagte bestätigte den Eingang des "Widerspruchs" und schlug im Hinblick auf die Durchführung von fünf näher
bezeichneten Musterverfahren vor den Sozialgerichten Regensburg und Düsseldorf vor, das Verfahren der Klägerin
ruhen zu lassen. Der Prozessbevollmächtigte teilte mit, dass damit kein Einverständnis bestehe und bat um eine
Entscheidung über den Widerspruch innerhalb der Frist des § 88 Sozialgerichtsgesetz - SGG - (Schreiben vom 17.
November und 5. Dezember 2005).
Am 12. Februar 2006 (Eingang bei Gericht) hat der Prozessbevollmächtigte beim Sozialgericht Augsburg (SG)
beantragt, die Beklagte zu verurteilen, das Verwaltungsverfahren durch Erlass eines rechtsbehelfsfähigen Bescheides
abzuschließen. Der Antrag auf Erteilung eines rechtsmittelfähigen Verwaltungsaktes sei am 13. Juni 2005 gestellt
worden. Das letzte erkennbare Verwaltungshandeln sei eine Eingangsbestätigung vom 17. November 2005.
Die Beklagte hat hierzu ausgeführt, die Klage richte sich gegen die nicht erfolgte Verbescheidung eines Widerspruchs
gegen die Erhebung des Sonderbeitrags zur Krankenversicherung nach § 241 a des Fünften Buches
Sozialgesetzbuch - SGB V - ab 1. Juli 2005. Zur Rechtmäßigkeit dieses Sonderbeitrags seien bei der Beklagten über
9000 und bundesweit zehntausende Widersprüche anhängig. Es gehe dabei nur um eine verhältnismäßig geringfügige
Verringerung des Rentenzahlbetrages, bei der Klägerin konkret um 2,60 Euro monatlich. Hierzu seien vor den
Sozialgerichten Regensburg, Düsseldorf und Gelsenkirchen bereits Klagen anhängig, an denen teilweise auch der
Prozessbevollmächtigte beteiligt sei. Angesichts dessen sei es der Beklagten nicht zumutbar, im Rahmen des
Widerspruchsverfahrens tausende gleich gelagerte Fälle abschlägig zu verbescheiden und die Widerspruchsstelle auf
diese Weise davon abzuhalten, dringendere Fälle, bei denen es um das Bestehen des Anspruchs überhaupt gehe, zu
erledigen. Die Beklagte sei sich sehr wohl bewusst, dass grundsätzlich das Abwarten des Ausgangs von
Musterverfahren noch keinen zwingenden Grund im Sinne des § 88 SGG darstelle, einen Antrag nicht zu
verbescheiden. Bei Massenverfahren sei dies aber zulässig, wie das Hessische Landessozialgericht mit Beschluss
vom 27. September 2001 (Az.: L 3 B 73/01 U) zu § 114 Abs. 2 SGG entschieden habe. Dies müsse im Interesse
eines ordnungsgemäßen Widerspruchsverfahrens auch für die Widerspruchsstelle gelten. Auch habe der
Prozessbevollmächtigte in einem Parallelfall kundgetan, er sei zwar nicht mit der Aussetzung des
Widerspruchsverfahrens, wohl aber des anschließenden Klageverfahrens einverstanden. Außerdem sei die Erhebung
der Untätigkeitsklage weder notwendig noch gerechtfertigt und daher rechtsmissbräuchlich. Der Klägerin entstehe
durch die Aussetzung des Widerspruchsverfahrens kein Schaden. Der Prozessbevollmächtigte nutze ohne eigenen
Nutzen eine formale Rechtsposition zum (Kosten)Schaden der Beklagten aus. Die Beklagte hat hierzu auf einen
Beschluss des Landessozialgerichts Bremen vom 3. Juli 1996 (Az.: L 4 BR 39/95) verwiesen, dem allerdings ein
Widerspruch gegen einen Forderungsbescheid zugrunde lag. Der Widerspruch hatte aufschiebende Wirkung und dem
Kläger war bekannt, dass in eigener Sache ein vorrangig zu bearbeitender Widerspruch vorlag.
Der Prozessbevollmächtigte hat darauf hingewiesen, die im Auftrag der Deutschen Rentenversicherung versandten
Rentenanpassungsmitteilungen zum 1. Juli 2005 enthielten zwar eine Rechtsbehelfsbelehrung, jedoch kein
Bescheiddatum. Allein durch die Bescheidung des Widerspruchs in der Sache werde die fristgemäße
Widerspruchserhebung von Seiten der Beklagten anerkannt. Insoweit bestehe ein Rechtsschutzinteresse am Erlass
eines Widerspruchsbescheides. Der Beschluss des Hessischen Landessozialgerichts könne nicht herangezogen
werden, da § 114 SGG nur für das gerichtliche Verfahren gelte. Für eine entsprechende Anwendung durch die
Widerspruchstelle sei keine rechtliche Grundlage vorhanden.
Das SG hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 12. Oktober 2006, dem Prozessbevollmächtigten zugestellt am 23.
Oktober 2006). Der Grundgedanke des § 88 Abs. 1 und 2 SGG bestehe darin, dass auch durch eine fehlende
Entscheidung der Verwaltung in angemessener Frist ein Eingriff in die Rechtsposition Betroffener stattfinden könne.
Diese Subsumtion greife im vorliegenden Fall aber nicht, denn es handle sich nur um eine relativ geringfügige
Verringerung des Rentenzahlbetrages und bezüglich der infrage stehenden Rechtsproblematik seien bereits zahlreiche
Verfahren vor den Sozialgerichten anhängig. Insoweit sei zu bedenken, dass im Rahmen eines nach Erlass des
begehrten Widerspruchsbescheides anhängigen Klageverfahrens eine Aussetzung des Verfahrens nach § 114 Abs. 2
SGG zu erfolgen hätte, denn es sei den Sozialgerichten nicht zuzumuten, über zehntausende gleich gelagerte Fälle
zu entscheiden, wenn bereits zahlreiche Musterverfahren anhängige seien. Diese Grundsätze seien analog für das
Widerspruchsverfahren im Rahmen des § 88 SGG heranzuziehen. Dabei sei auch zu beachten, dass der geringfügige
Eingriffe in den Rentenzahlbetrag der Klägerin nach Vorliegen einer höchstrichterlichen Entscheidung sofort wieder
rückgängig gemacht werden könne.
Mit der am 7. November 2006 beim Bayerischen Landessozialgericht (LSG) eingelegten Berufung macht der
Prozessbevollmächtigte insbesondere geltend, es könne nicht im Ermessen einer Verwaltung liegen zu entscheiden,
welche Widersprüche unbeschieden blieben. Eine entsprechende Bewertung könne erst im Rahmen eines
Klageverfahrens durch das Gericht erfolgen. Nur dort sei auch § 114 SGG anwendbar. Außerdem ergebe sich das
Rechtsschutzbedürfnis der Klägerin daraus, dass die Rentenanpassungsmitteilung nicht mit einem Datum versehen
worden sei und daher erst durch die Erteilung eines Widerspruchsbescheides von Seiten der Beklagten die
Anerkennung des fristgerecht erhobenen Widerspruchs erfolge.
Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 12. Oktober 2006 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die Kosten
des Rechtsstreits vom 15. Dezember 2006 dem Grunde nach zu übernehmen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Alleine bei der Beklagten seien nicht weniger als 9046 Widersprüche gegen die Einführung des Sonderbeitrags zur
Krankenversicherung ab 1. Juli 2005 eingegangen. Diese seien alle erfasst worden. Jedem Widerspruchsführer sei der
Eingang seines Widerspruchs mit einem Formularschreiben bestätigt worden. Damit sei der von der Klägerin
eingelegte Widerspruch als zulässig angenommen worden und ihrem Rechtsschutzbedürfnis insoweit Rechnung
getragen. Um eine einheitliche Verfahrensweise der gesetzlichen Rentenversicherung zu gewährleisten und eine Flut
von Widerspruchs- und Klageverfahren zu verhindern, hätten die Rentenversicherungsträger sich auf die Durchführung
von Musterverfahren geeinigt. Für die Träger in Bayern sei die Deutsche Rentenversicherung Bayern Süd mit der
Durchführung derartiger Prozesse betraut worden. Bei einer Reihe dieser Verfahren sowie in weiteren Verfahren in
Nordrhein-Westfalen seien die Kläger durch den Prozessbevollmächtigten dieses Verfahrens vertreten. Im Übrigen
müssten im Rahmen des § 88 SGG auch die berechtigten Interessen der Verwaltung gesehen werden, denen bei
Massen von Widersprüchen nicht abverlangt werden könne, diese alle zu verbescheiden und damit die Vorlage zu
tausenden Klageverfahren zu liefern, für die Pauschalgebühren zu entrichten seien. Die Beklagte hat dazu eine Liste
der Musterverfahren (insgesamt 30) vorgelegt.
Der Senat hat die Akten der Beklagten und des SG beigezogen. Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf den Inhalt
der beigezogenen Akten und der Berufungsakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Der Senat war an einer Entscheidung nicht dadurch gehindert, dass die Ladung der Beklagten abweichend von §§ 110
Abs. 1 S. 1, 202 SGG i.V.m. § 217 Zivilprozessordnung (ZPO) erst am Tag vor der mündlichen Verhandlung
zugegangen ist, da die Beklagte in der mündlichen Verhandlung ordnungsgemäß vertreten war und in Kenntnis der
verspäteten Ladung ohne entsprechende Verfahrensrüge zur Sache verhandelt hat (§ 202 SGG i.V.m. § 295 ZPO)
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§§ 143, 144, 151 SGG). Zwar hat der
Prozessbevollmächtigte in seinem Schriftsatz vom 1. Februar 2007 dem Wortlaut nach nur eine Änderung der vom
SG getroffenen Kostenentscheidung beantragt, denn er hat weder in seinem Antrag noch in dessen Begründung oder
in weiteren Schriftsätzen ausdrücklich erklärt, dass er weiterhin den Erlass eines Widerspruchsbescheides begehrt.
Eine solche isolierte Kostenberufung wäre unzulässig. Da bislang noch kein Widerspruchsbescheid ergangen ist und
der Prozessbevollmächtigte sich in seiner Berufungsbegründung neben der Frage des Rechtsschutzbedürfnisses
auch mit der Frage auseinander gesetzt hat, ob die Beklagte vom Erlass eines Widerspruchsbescheides absehen
darf, wird eine derart enge Auslegung des Klageantrags dem in der Untätigkeitsklage zum Ausdruck kommenden
Begehren auf Erlass eines Widerspruchsbescheides allerdings nicht gerecht. Auch liegen keine Anhaltspunkte dafür
vor, dass das Interesse der Klägerin an der Bescheiderteilung zwischenzeitlich entfallen ist. Der Antrag, das Urteil
des SG aufzuheben, ist deshalb gemäß § 123 SGG dahingehend auszulegen, dass die Beklagte zum Erlass eines
Widerspruchsbescheides verpflichtet werden soll.
Mit diesem Antrag ist die Berufung begründet.
Die Untätigkeitsklage ist zulässig. Ist ein Antrag auf Vornahme eines Verwaltungsakts ohne zureichenden Grund in
angemessener Frist sachlich nicht beschieden worden, so ist die Klage nicht vor Ablauf von sechs Monaten seit dem
Antrag auf Vornahme des Verwaltungsaktes zulässig (§ 88 Abs. 1 S. 1 SGG). Das gleiche gilt, wenn über einen
Widerspruch nicht entschieden worden ist, mit der Maßgabe, dass als angemessene Frist eine solche von drei
Monaten gilt (§ 88 Abs. 2 SGG).
Die Frist des § 88 Abs. 2 SGG ist eingehalten. Der Prozessbevollmächtigte hat am 13. Juni 2005 einer durch
undatierte Rentenanpassungsmitteilung angekündigten Reduzierung des monatlichen Rentenzahlbetrages um einen
zusätzlichen Krankenversicherungsbeitrag ab 1. Juli 2005 widersprochen und - nachdem er die Beklagte mit
Schreiben vom 17. November und 5. Dezember 2005 erfolglos zum Erlass eines Widerspruchsbescheids aufgefordert
hatte - erst am 15. Februar 2006 Untätigkeitsklage erhoben.
Für diese Untätigkeitsklage ist auch ein Rechtsschutzbedürfnis der Klägerin gegeben. Allerdings hätte es zur Klärung
der Frage, ob der Widerspruch vom 13. Juni 2005 innerhalb der Widerspruchsfrist des § 84 Abs. 1 S. 1 SGG erhoben
worden ist, keiner Widerspruchsentscheidung der Beklagten bedurft. Der Prozessbevollmächtigte hat diese Frage im
Verwaltungsverfahren zu keinem Zeitpunkt angesprochen und die Beklagte auch nicht aufgefordert, sich zur
Fristwahrung zu äußern. Unter diesen Umständen sind die erst im Klageverfahren ohne Angabe der Umstände, aus
denen sich eine mögliche Fristversäumung ergeben könnte, vom Prozessbevollmächtigten vorgetragenen Bedenken
bezüglich der Fristwahrung nicht geeignet, ein Rechtsschutzbedürfnis für eine Untätigkeitsklage auf Erlass eines
Widerspruchsbescheides zu begründen.
Ein Rechtschutzbedürfnis wäre im vorliegenden Fall zu verneinen, wenn die Untätigkeitsklage rechtsmissbräuchlich
erhoben worden wäre. Dies könnte der Fall sein, wenn die Klageerhebung dem Zweck dienen soll, einen
Kostenanspruch gegen die Beklagte zu begründen oder der Widerspruchsbescheid nur zu dem Zweck begehrt wird, in
einem anschließenden Klageverfahren einen solchen Kostenanspruch zu begründen. Dafür liegen jedoch keine
hinreichenden Nachweise vor.
Die Klägerin hat ein sachliches Interesse an der Entscheidung über den von ihr erhobenen Widerspruch. Sie wendet
sich gegen eine Herabsetzung ihres monatlichen Rentenzahlbetrages. Auch wenn der monatliche Kürzungsbetrag von
2,60 Euro für die Klägerin keine erkennbare existenzielle Bedeutung hat, steht dies einem Rechtsschutzbedürfnis für
die erhobene Untätigkeitsklage nicht entgegen. Ein Versicherter muss auch geringfügige Eingriffe in seine - hier durch
Verwaltungsakt festgestellten - Zahlungsansprüche nicht unwidersprochen dulden. Es steht ihm frei, die gegen die
Kürzungsentscheidung vom Gesetz zur Verfügung gestellten Rechtsbehelfe zu ergreifen, um möglicherweise
rechtswidrige Eingriffe zu beseitigen. Ein "gestaffeltes" Rechtsschutzinteresse, z. B. nach der Intensität oder Dauer
des Eingriffs, sieht das Gesetz dabei nicht vor. Daher sind die Höhe des Kürzungsbetrages und die wirtschaftlichen
Verhältnisse der Klägerin, aus denen sich die Intensität des Eingriffs ableiten ließe, für die Frage des
Rechtsschutzinteresses im vorliegenden Fall ohne Bedeutung.
Dass ihr Prozessbevollmächtigter auch andere Versicherte vertritt, die Beteiligte der sog. Musterverfahren sind, reicht
für die Annahme einer dennoch rechtsmissbräuchlichen Klagerhebung nicht aus, da die Klägerin gesetzlich nicht
verpflichtet ist, den Ausgang von Verfahren abzuwarten, die sie mangels eigener Beteiligtenstellung nicht
beeinflussen kann. Die Weigerung des Prozessbevollmächtigten, das Widerspruchsverfahren ruhen zu lassen
verbunden mit der Ankündigung, nach Erlass des Widerspruchsbescheides im anschließenden Klageverfahren einem
Ruhen zuzustimmen, wäre dagegen geeignet, die Annahme eines Rechtsmissbrauchs zu begründen. Allerdings hat
die Beklagte hierzu lediglich auf eine einzelne Erklärung des Prozessbevollmächtigten in einem anderen
Widerspruchsverfahren hingewiesen, ohne dass dem vorgelegten Schreiben zu entnehmen wäre, welche Gründe ihn
veranlasst haben könnten, einem "Ruhen" des Widerspruchsverfahrens dort nicht zuzustimmen. Wenngleich damit
der Verdacht eines kostenorientierten Verhaltens des Prozessbevollmächtigten nicht von der Hand zu weisen ist,
reichen die Anhaltspunkte für die Annahme einer rechtsmissbräuchlichen Klagerhebung nicht aus.
Es liegt auch kein zureichender Grund dafür vor, dass die Beklagte über den Widerspruch der Klägerin bisher nicht
entschieden hat. Grundsätzlich hat jeder Versicherte Anspruch auf eine Entscheidung über seinen gegen einen
Verwaltungsakt (hier eine Rentenanpassungsmitteilung) gerichteten Widerspruch. Die Vorschriften der §§ 83 ff. SGG
räumen der Beklagten diesbezüglich kein Ermessen ein. Auch ist für das Widerspruchsverfahren gesetzlich weder ein
Ruhen noch eine Aussetzung des Verfahrens vorgesehen. Die Regelungen des § 202 SGG i.V.m. § 251 ZPO über
das Ruhen und des § 114 SGG über die Aussetzung des Klageverfahrens gehören nicht zu den auf das
Widerspruchsverfahren anwendbaren Vorschriften des SGG (vgl. von Wulffen, SGB X, 5. Auflage, § 8 Rdnr. 5).
Auch eine entsprechende Anwendung kommt nicht in Betracht. Ein Ruhen erfordert regelmäßig die Zustimmung der
(Haupt)Beteiligten und könnte daher auch im Widerspruchsverfahren nicht gegen den Willen des Versicherten
erfolgen. § 114 SGG ermöglicht zwar eine von der Zustimmung der Verfahrensbeteiligten unabhängige Aussetzung
des Klageverfahrens, gestattet ihrem Wortlaut nach aber keine Aussetzung wegen der anderweitigen Anhängigkeit
sog. Musterverfahren. Eine solche Aussetzung wird in erweiternder (entsprechender) Anwendung des § 114 SGG
überwiegend nur ausnahmsweise aus prozessökonomischen Gründen als zulässig angesehen (vgl. Meyer-
Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8. Auflage, § 114 Rdnr. 7a m.w.N.). Gegen eine (doppelt) entsprechende Anwendung
auf das Widerspruchsverfahren spricht dabei insbesondere, dass die Entscheidung hierüber allein durch einen der
Verfahrensbeteiligten selbst erfolgen würde und der Beklagten damit bezüglich der Durchführung des
Widerspruchsverfahrens eine einseitige Gestaltungsmacht verliehen würde, die der in § 88 SGG zum Ausdruck
kommenden grundsätzlichen Verpflichtung zur zügigen Durchführung des Verfahrens widerspräche. Dementsprechend
wird eine solche "Aussetzung" im Verwaltungsverfahren allenfalls für zulässig gehalten, wenn sie mit Zustimmung des
Versicherten erfolgt (vgl. von Wulffen, SGB X a.a.O.). Eine solche Zustimmung liegt hier gerade nicht vor.
Im Übrigen hat die Beklagte nicht substantiiert vorgetragen, dass der vom Prozessbevollmächtigten beantragte Erlass
eines Widerspruchsbescheides tatsächlich zu einem die Funktionsfähigkeit der Widerspruchsstellen gefährdenden
Verwaltungsaufwand führen würde. Allein die Tatsache, dass zu der für die Entscheidung über den Widerspruch
maßgebenden Rechtsfrage bei der Beklagten über 9000 Widersprüche eingegangen sind, rechtfertigt die Annahme
einer Überlastung der Widerspruchstelle nicht. Aufgrund der Bemühungen der Beklagten, bereits mit der
Eingangsbestätigung über den Widerspruch das Einverständnis des jeweiligen Versicherten mit dem Ruhen seines
Widerspruchsverfahrens einzuholen, dürfte eine Vielzahl der Widersprüche mit Einverständnis der Versicherten nicht
zur Vorlage an die Widerspruchsstelle gelangt sein. Über wie viele der 9046 Widersprüche danach tatsächlich noch zu
entscheiden war, in welcher Relation die Zahl dieser Verfahren zur Gesamtzahl der zu entscheidenden
Widerspruchsverfahren stand, wie stark die Belastung der Widerspruchsstellen im streitigen Zeitraum war und welche
Maßnahmen die Beklagte gegebenenfalls ergriffen hat, um dem - vorhersehbaren - sprunghaften Anstieg der
Widersprüche im Zuge der Einführung des Sonderbeitrags zur Krankenversicherung Rechnung zu tragen, hat die
Beklagte auch auf entsprechende Hinweise des Senats in der mündlichen Verhandlung nicht dargelegt, sondern nur
auf die Zahl der eingegangenen Widersprüche verwiesen.
Die Tatsache, dass mit dem Erlass eines Widerspruchsbescheides dem Versicherten Gelegenheit zur Klage gegeben
wird und die Beklagte damit möglicherweise in einer Vielzahl von Klageverfahren eine Pauschgebühr an die
Staatskasse zu entrichten hat, rechtfertigt es ebenfalls nicht, den Anspruch der Versicherten auf rechtsbehelfsfähige
Entscheidung über die von ihnen erhobenen Widersprüche grundsätzlich zu verneinen, zumal die Beklagte weder die
Anzahl der zu erwartenden anschließenden Klageverfahren noch ihre damit voraussichtlich verbundene finanzielle
Belastung, insbesondere in Relation zum durchschnittlichen Gesamtaufwand der Beklagten für sozialgerichtliche
Verfahren, substantiiert dargelegt hat.
Die Beklagte ist daher verpflichtet, unverzüglich über den Widerspruch der Klägerin zu entscheiden.
Die Kostenentscheidung beruht auf der Erwägung, dass die Klägerin mit ihrem Klagebegehren im Berufungsverfahren
erfolgreich war.
Gründe, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG), liegen nicht vor. Ob ein zureichender Grund dafür
vorliegt, dass die Beklagte über einen Widerspruch nicht innerhalb der Frist des § 88 SGG entschieden hat, ist unter
Berücksichtigung der konkreten Umstände im Einzelfall zu entscheiden. Im vorliegenden Fall ist die von der
Beklagten behauptete Befugnis zur "Aussetzung" des Widerspruchsverfahrens bei sog. Massenverfahren nicht
klärungsbedürftig, weil die Beklagte keine konkreten Tatsachen vorgetragen hat, aus denen sich eine die
"Aussetzung" begründende tatsächliche Überlastung ihrer Widerspruchsstellen oder eine unzumutbare finanzielle
Belastung der Beklagten ergeben könnte.