Urteil des LSG Bayern vom 23.03.2007

LSG Bayern: aufschiebende wirkung, öffentliches interesse, privates interesse, sanktion, hauptsache, anfechtungsklage, verwaltungsverfahren, auflage, verwaltungsakt, akte

Bayerisches Landessozialgericht
Beschluss vom 23.03.2007 (rechtskräftig)
Sozialgericht Bayreuth S 14 AS 1012/06 ER
Bayerisches Landessozialgericht L 11 B 46/07 AS ER
I. Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Bayreuth vom 28.12.2006 wird zurückgewiesen. II.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe:
I.
Die Beteiligten streiten über die Höhe der zu beanspruchenden Leistungen auf Grundsicherung für Arbeitsuchende.
Die Antragstellerin (ASt) bezieht seit 30.03.2005 Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem
Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Am 24.03.2006 unterzeichnete die ASt eine Eingliederungsvereinbarung,
mit der sie sich verpflichtete für die Dauer von 12 Monaten der Antragsgegnerin (Ag) monatlich vier Bewerbungen
nachzuweisen.
Nach ihrem Fortzahlungsantrag vom 25.07.2006 bezog die Antragstellerin mit Bescheid vom 27.07.2006
Arbeitslosengeld II (Alg II) in Höhe von 627,00 EUR monatlich (Regelleistung 345,00 EUR; Kosten der Unterkunft
245,00 EUR; Zuschlag nach dem Bezug von Alg: 37,00 EUR).
Nachdem die ASt zum 21.08.2006 eine geringfügige Beschäftigung aufgenommen hatte, kürzte die Ag zunächst die
Leistungen der ASt pauschal um 80,00 EUR (Bescheid vom 24.08.2006) für die Zeit ab dem 01.10.2006 und nach
Vorlage der Verdienstbescheinigungen in Höhe des anzurechnenden Einkommens (Bescheid vom 03.11.2006). In
diesem Zusammenhang berücksichtigte die Ag auch, dass die ASt - entgegen ihrer Verpflichtung aus der
Eingliederungsvereinbarung - in der Zeit vom 13.06.2006 bis 16.10.2006 keinerlei Eigenbemühungen nachgewiesen
habe. In der Folge sei die Ag berechtigt gewesen eine Absenkung der Regelleistung um 30 % - unter Wegfall des
Zuschlages nach § 24 SGB II - für den Zeitraum 01.11.2006 bis 31.01.2007 vorzunehmen (Bescheid vom
19.10.2006).
Mit dem Bescheid vom 03.11.2006 bewilligte die Ag der ASt Alg II für die Zeit vom 01.10.2006 bis 31.10.2006 in Höhe
von 458,30 EUR, für die Zeit vom 01.11.2006 bis 31.01.2007 in Höhe von 317,30 EUR und ab 01.02.2007 bis
28.02.2007 wieder in Höhe von 458,30 EUR. Darüber hinaus erklärte sie, die durch die Einkommensanrechnung
entstandene Überzahlung in Höhe von 153,65 EUR für Oktober 2006 mit Leistungen für den Monat November 2006
aufzurechnen.
Auf die Widersprüche der ASt vom 31.10.2006 (gegen den Bescheid vom 19.10.2006) und 13.11.2006 (gegen den
Bescheid vom 03.11.2006) stellte die Ag die Aufrechnung der Überzahlung für die Dauer der Sanktion zurück
(Bescheid vom 17.11.2006) und zahlte die einbehaltenen Leistungen in Höhe von 153,65 EUR an die ASt aus.
Am 23.11.2006 hat die ASt beim Sozialgericht Bayreuth (SG) beantragt, die aufschiebende Wirkung ihrer
Widersprüche gegen die Bescheide vom 19.10.2006 und 03.11.2006 anzuordnen.
Diesen Antrag hat das SG mit Beschluss vom 28.12.2006 abgelehnt, weil sich sowohl die Sanktionsentscheidung der
Ag, als auch die Anrechnung des Einkommens bei summarischer Prüfung als rechtmäßig erweisen dürften, so dass
in einem Hauptsacheverfahren mit einem Klageerfolg kaum zu rechnen sei. Auch eine Abwägung der individuellen
Interessen der ASt mit dem öffentlichen Interesse am sofortigen Vollzug der Leistungskürzung gebiete keine
Entscheidung zugunsten der ASt.
Am 11.01.2006 hat die ASt Beschwerde zum Bayer. Landessozialgericht eingelegt.
Die Ag hat die Widersprüche der ASt mit den Widerspruchsbescheiden vom 15.01.2007 (W 625/06; Sanktion und W
643/06; Einkommensabrechnung) als unbegründet zurückgewiesen.
Die Ag hat am 20.03.2007 mitgeteilt, dass eine Klage gegen einen Widerspruchsbescheid vom 15.01.2007 nicht
erhoben worden sei.
Die ASt hat erklärt, dass sie einen Bescheid vom 24.01.2007 nicht erhalten habe; auch sei sie seit Dezember 2006
druchgehend krank. Angaben zu einer Klage gegen die Widerspruchsbescheide vom 15.01.2007, die ihr auch mit
gerichtlichem Schreiben vom 31.01.2007 übersandt worden waren, hat die ASt nicht gemacht.
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die beigezogene Akte der Ag sowie die Gerichtsakten erster und zweiter
Instanz Bezug genommen.
II.
Die form- und fristgerechte Beschwerde ist zulässig, §§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Das SG hat der
Beschwerde nicht abgeholfen, § 174 SGG. Sie ist auch statthaft.
Das Rechtsmittel erweist sich jedoch als unbegründet.
Die Widersprüche vom 31.10.2006 (gegen den Bescheid vom 19.10.2006) und 13.11.2006 (gegen den Bescheid vom
03.11.2006) hatten keine aufschiebende Wirkung, da mit diesen Bescheiden die Ag über Leistungen der
Grundsicherung für Arbeitsuchende entschieden hat und die Widersprüche dagegen keine aufschiebende Wirkung
haben (§ 86a Abs 2 Nr 4 SG iVm § 39 Nr 1 SGB II).
Auch war nicht erforderlich, dass die ASt vorhergehend einen Aussetzungsantrag nach § 86a Abs 3 Stz 1 SGG bei
der Ag gestellt hätte (vgl Meyer-Ladewig Kommentar zum SGG 8.Auflage § 86b RdNr 9a).
Das Gericht der Hauptsache kann auf Antrag in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine
aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen, § 86b Abs 1 Nr 2 SGG. Die
Anordnung der aufschiebenden Wirkung eines Widerspruchs oderr eine Klage ist nur möglich, wenn das besondere
Interesse des Antragstellers an der Anordnung der aufschiebenden Wirkung das vom Gesetz vorausgesetzte
Interesse an der sofortigen Vollziehbarkeit des Verwaltungsaktes überwiegt, wobei bei Prüfung der Interessen zuerst
auf die Erfolgsaussichten in der Hauptsache abzustellen ist. Ebenso wenig wie ein offensichtlich rechtswidriger
Verwaltungsakt ein öffentliches Interesse an der Vollziehbarkeit begründen kann, so dass in diesen Fällen die
Anordnung der aufschiebenden Wirkung zu erfolgen hat, kann ein Widerspruch oder eine Klage, die offensichtlich
keinen Erfolg haben kann, ein überwiegendes privates Interesse begründen, das die Anordnung der aufschiebenden
Wirkung eines Rechtsmittels rechtfertigen würde (vgl Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8.Aufl, § 86b
RdNr 12a).
Im vorliegenden Fall hat das Rechtsmittel der ASt keinen Erfolg, weil die Ag bereits mit den Widerspruchsbescheiden
vom 15.01.2007 über die Widersprüche vom 31.10.2006 und 13.11.2006 entschieden hat, womit sich ein
schützenswertes Interesse der ASt an der aufschiebenden Wirkung ihrer Widersprüche erledigt hat.
Das Rechtsmittel kann auch nicht als Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung einer Klage umgedeutet
werden, weil die ASt keine Klagen gegen diese - ihr zugegangenen - Widerspruchsbescheide erhoben hat.
Da mit den Widerspruchsentscheidungen die Verwaltungsverfahren bestandskräftig abgeschlossen sind, gibt es auch
keinen Anlass der ASt im Wege einer Regelungsanordnung Leistungen zuzusprechen, da es auch in diesem
Zusammenhang an einem schutzwürdigen Interesse der ASt fehlt.
Nachdem die Beschwerde zurückzuweisen ist, hat die ASt keinen Anspruch auf die Erstattung ihrer
außergerichtlichen Kosten. Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Der Beschluss ist nicht anfechtbar, § 177 SGG.