Urteil des LSG Bayern vom 08.02.2007

LSG Bayern: freiwillige versicherung, einkünfte, meldepflicht, krankenkasse, behandlung, versicherteneigenschaft, verwaltung, sammlung, durchschnitt, zukunft

Bayerisches Landessozialgericht
Urteil vom 08.02.2007 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Augsburg S 10 KR 88/04
Bayerisches Landessozialgericht L 4 KR 50/05
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 24. Januar 2005 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über das Fortbestehen einer Familienversicherung der beigeladenen Tochter der Klägerin N.
über den 23.02.2000 hinaus bis 08.04.2002 sowie über die Erstattung von für sie in dieser Zeit entrichteten Beiträgen
zur freiwilligen Versicherung.
Die 1992 geborene Beigeladene war über die Klägerin bei der Beklagten familienversichert. Nach dem Inhalt der Akten
und Angaben der Beklagten ist diesbezüglich eine Entscheidung der Beklagten nicht ergangen. Der Vater der
Beigeladenen ist als selbständiger Rechtsanwalt bei einem privaten Krankenversicherungsunternehmen versichert.
Auf die Nachfrage der Beklagten Ende 2001 mittels Fragebogen über die wirtschaftlichen Verhältnisse ab 11.12.1998
gab die Klägerin am 30.11.2001 an, dass im Jahre 2000 ihr Einkommen bei monatlich brutto 1.138 DM liege und das
ihres Ehemannes bei ca. 5.500 DM. Im Jahre 2001 habe sich ihre Situation nicht geändert, beim Ehemann erhöhe
sich das Einkommen auf 6.000 DM monatlich.
Die für das Jahr 2000 gültige Gewinnfeststellung des Finanzamts A. vom März 2002 und der
Einkommensteuerbescheid vom 25.04.2002, der Beklagten übermittelt am 08.04. bzw. 29.04.2002, weisen beim
Ehemann der Klägerin ein jährliches Arbeitseinkommen (brutto) von 49.397 DM und bei der Klägerin von 11.536 DM
aus sowie je einige 100 DM an Kapitalerträgen. Der Einkommensteuerbescheid für 1998 vom 21.02.2000, der
Beklagten zugegangen am 02.01.2002, hatte bei der Klägerin dasselbe Arbeitsentgelt und bei ihrem Ehemann 77.553
DM ausgewiesen. Im Jahre 1999 belief sich das klägerische Einkommen laut Einkommensteuerbescheid vom
02.02.2001 ebenfalls auf 11.536 DM und das des Ehemannes auf 100.188 DM, jeweils brutto. Auch dieser Bescheid
wurde der Beklagten erstmals am 02.01.2002 zugänglich gemacht. Daraufhin erließ sie am 31.01., korrigiert mit
Schreiben vom 05.02.2002, einen Bescheid, worin sie feststellt, dass die beigeladene Tochter N. seit 25.02.2000
nicht mehr familienversichert sei, weil das väterliche Gesamteinkommen regelmäßig im Monat ein Zwölftel der
Jahresarbeitsentgeltgrenze übersteige. Gleichzeitig kündigt sie die Geltendmachung möglicher Erstattungsansprüche
an, wie sie auch die Begründung einer freiwilligen Mitgliedschaft anregt. Davon hat N. dann vorsorglich rückwirkend ab
25.02.2000 unter Vorbehalt Gebrauch gemacht.
Mit förmlichem Bescheid vom 06.03.2002 hat die Beklagte festgestellt, dass die Klägerin mit Erhalt des
Einkommensteuerbescheides 1998 am 24.02.2000 von der Einkommensänderung erfahren habe. Somit sei an diesem
Tag die Familienversicherung zuende gegangen. Erst wenn der Einkommensteuerbescheid 2000 vorgelegt werde,
könnten danach dann die sich daraus ergebenden Einkommensverhältnisse berücksichtigt werden. Diese Vorlage
erfolgte am 29.04.2002, worauf die Beklagte mit Bescheid vom 29.04.2002 ab diesem Tag das Wiederaufleben der
Familienversicherung feststellte, sofern N. aus der freiwilligen Versicherung austrete.
Mit Widerspruchsbescheid vom 04.03.2004 schließlich bekräftigte die Beklagte ihre Entscheidung vom Wegfall der
Familienversicherung zum 25.04.2000 mit der Einschränkung, dass sie deren Wiedereintritt auf den 08.04.2002
vorverlegte (Vorlage des Gewinnfeststellungsbescheides 2000).
Am 02.04.2004 hat die Klägerin auf den Fortbestand der Familienversicherung für ihre Tochter geklagt und die
Erstattung der vorbehaltlich gezahlten freiwilligen Beiträge verlangt. Das Sozialgericht Augsburg hat die Klage
abgewiesen, weil nachträglich eine vorausschauende Betrachtungsweise der Einkommensverhältnisse anhand der
Einkommensteuerbescheide anzustellen gewesen sei. Es hat ferner unter Zitierung jüngster BSG-Rechtsprechung
auch eine Benachteiligung der Beigeladenen unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten verneint (Urteil vom
24.01.2005). Die dagegen eingelegte Berufung ist erneut mit der Rüge begründet worden, dass die von der Beklagten
angewandte Vorschrift des § 10 Abs.3 SGB V das verfassungsrechtliche Gleichheitsgebot dahin verletze, dass
Selbständige und ihre Familien erheblich benachteiligt würden. Es müssten bei dem anzurechnenden
Gesamteinkommen die immensen sozialversicherungsbedingten Ausgaben (keine Arbeitgeberbeiträge) mindernd
berücksichtigt werden. Ebenso sei abweichend von den Einkommensteuerbescheiden das Einkommen des Vaters
anders auf die jeweiligen Jahre zu verteilen bzw. die Einkünfte in den Jahren 1999 und 2000 zusammenzurechnen und
dann wieder zu halbieren, denn die Einkommensteuerbescheide gäben lediglich buchungstechnische
Einkommensverteilungen wieder.
Die Klägerin beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 24.01.2005 und den zugrunde liegenden Bescheid
der Beklagten vom 06.03.2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04.03.2004 aufzuheben und
festzustellen, dass die Beigeladene durchgehend über den 23.02.2000 hinaus familienversichert war und die Beklagte
zu verurteilen, die unter Vorbehalt geleisteten Beiträge für die Beigeladene in Höhe von 2.879 EUR zu erstatten.
Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Im Erörterungstermin vom 09.02.2006 hat die Beklagte die Bedenken des Vorsitzenden zur gesetzeskonformen
Anwendung der Meldevorschriften zu zerstreuen versucht, indem er auf die Möglichkeit der umgehenden Vorlage der
Einkommensteuerbescheide hingewiesen hat. Im Übrigen wird zur weiteren Darstellung des Tatbestandes auf den
Inhalt der Akten und der gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die frist- und formgerecht eingelegte Berufung (§§ 144, 151 SGG), die zwei Streitgegenstände umfasst, ist zulässig,
in der Sache selbst jedoch unbegründet.
Die von der Beklagten getroffene Feststellung über das Nichtbestehen der Familienversicherung für die beigeladene
Tochter N. in der streitigen Zeit trifft zu mit der Folge, dass gemäß der elterlichen Anzeige in dieser Zeit für N. eine
freiwillige Versicherung mit der entsprechenden Beitragspflicht bestand (§§ 9 Abs.1 Nr.2, 250 Nr.2, 252 SGB V).
Insbesondere ist nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung (so BSG vom 25.01.2000 - B 12 KR 10/04 R
abgedruckt in Die Leistungen, Beil.06, S.179) in Fällen wie dem vorliegenden auch eine nachträgliche Änderung eines
Versicherungsverhältnisses möglich, auch wenn dies dem Grundsatz, nicht rückwirkend in bestehende
Versicherungsverhältnisse eingreifen, wie es vom BSG im Urteil vom 25.02.1997 - BSGE 80, 102, 107, festgestellt
wurde, widerspricht.
Schließlich besteht auch keine Rechtspflicht der Beklagten, die Beigeladene so zu behandeln, als ob eine
beitragsfreie Versicherung bestanden hätte.
Legitimiert, diese Streitfragen im eigenen Namen auszutragen, ist die Klägerin als Stammversicherte, da sie bezüglich
der Ablehnung der Familienversicherung ihrer Kinder unmittelbar im eigenen Recht berührt ist (BSG vom 25.08.2004 -
B 12 KR 36/03 R, abgedruckt in NZS 05, 428).
§ 10 SGB V, der im Einzelnen regelt, wann Familienangehörige bzw. Kinder kostenfrei familienversichert sind, zieht in
seinem Abs.3 eine Grenze für die Kinder, bei denen ein Elternteil nicht Mitglied einer gesetzlichen Krankenkasse ist
und sein Gesamteinkommen regelmäßig im Monat ein Zwölftel der Jahresarbeitsentgeltgrenzen übersteigt und
regelmäßig höher als das Gesamteinkommen des versicherten Elternteils ist. Der Ehemann der Klägerin und Vater
von N. ist im streitigen Zeitraum nicht Mitglied der gesetzlichen Krankenkasse gewesen. Die Beklagte musste davon
ausgehen, dass in dieser Zeit sein Gesamteinkommen regelmäßig im Monat ein Zwölftel der
Jahresarbeitsentgeltgrenzen überstieg. Das waren im Jahre 2000 6.450 DM; 2001 3.336,18 EUR und 2002 3.375 EUR.
Als selbständiger Rechtsanwalt unterliegt das Arbeitseinkommen beim Vater der Beigeladenen naturgemäß
beachtlichen Schwankungen. Das wird insbesondere dann relevant, wenn sich die Einkünfte aus seiner Kanzlei im
Großen und Ganzen bzw. im Durchschnitt gesehen, nahe der jeweils geltenden Jahresarbeitsentgeltgrenze bewegen.
Die Einkünfte aus der selbständigen Tätigkeit, das Arbeitseinkommen ist nahezu identisch mit dem
Gesamteinkommen, weil die bekannten Kapitaleinkünfte keine ausschlaggebende Rolle spielen, lagen in den Jahren
1998 und 1999 im Monat 1/12 über der jeweiligen Jahresarbeitsentgeltgrenze und überstiegen die Einkünfte der
Klägerin. Die Ermittlung des Gesamteinkommens richtet sich zunächst nach der Berechnung, wie sie §§ 16 und 15
SGB IV vorgeben. Dabei sind besondere Freibeträge wie die von der Klägerin geltend gemachten Sonderausgaben
ihres Ehemannes unberücksichtigt zu lassen. Dies hat das BSG in seiner Entscheidung vom 25.08.2004 a.a.O.
ausführlich dargelegt und die typisierende und pauschalierende Berechnungsweise hervorgehoben.
Der Gesetzgeber macht es den Krankenkassen bei der Feststellung des jeweils maßgebenden Gesamteinkommens
des privat versicherten Elternteils nicht leicht, indem bei solchen Selbständigen wie im vorliegenden Fall die
tatsächlichen Einkünfte sich im jeweiligen Zeitpunkt nicht feststellen lassen. Hier besteht ein Gegensatz zwischen
dem Grundsatz, dass die Versicherung tageweise, je nach Vorliegen ihrer Voraussetzungen besteht und, was die
Feststellung der Versicherteneigenschaft noch weiter erschwert, dass Familienversicherte keine eigenständigen
Mitglieder sind und daher die Beendigungstatbestände der §§ 191 ff. SGB V auf sie nicht angewendet werden können.
Das wird im vorliegenden Fall deutlich, wo tatsächlich im Jahre 2000 das Gesamteinkommen beim Vater unter der
Jahresarbeitsentgeltgrenze lag, gleichwohl aber die Klägerin sich so behandeln lassen muss, als ob ihre Tochter in
dieser Zeit lediglich versicherungsberechtigt gewesen wäre. Wie das BSG in seiner Entscheidung vom 22.03.2006
SozR 4-2500 § 240 Nr.5 in Zusammenhang mit der Einnahmebeurteilung für freiwillige Versicherte festgestellt hat, ist
bei diesem Personenkreis tatsächlich ein Einnahmenachweis jeweils immer nur für vergangene Zeiten zu führen.
Dieser Gedanke ist auch auf die Anwendung des § 10 Abs.3 SGB V umzusetzen. In den Fällen wie dem vorliegenden
lässt sich der Gesetzeswille für die Verwaltung annähernd nur dadurch umsetzen, als "rückwirkend, vorausschauend"
die Einkommenssituation betrachtet wird. Das BSG hat dazu in verschiedenen Entscheidungen, wie sie bereits vom
Sozialgericht zitiert wurden sowie in der Entscheidung vom 25.02.1997 - 12 RK 19/96 (Sammlung Juris) empfohlen,
die Einkommensteuerbescheide oder gegebenenfalls Gewinn- und Verlustrechnung hinzuzuziehen. Damit ist die
Vorgehensweise der Beklagten gerechtfertigt, die sich jeweils an den Einkommensteuerbescheiden bzw. dem
Gewinnfeststellungsbescheid vom März 2002 orientiert. D.h., es wird für die Zukunft, beginnend mit dem Erhalt des
jeweiligen Bescheides beim anderen Elternteil des familienversicherten Kindes das dort ausgewiesene
Gesamteinkommen an der aktuell geltenden Jahresarbeitsentgeltgrenze gemessen. Es war also am 02.01.2002, als
erstmalig der Steuerbescheid für 1998 vom 21.02.2000 vorgelegt wurde sowie der Einkommensteuerbescheid von
1999, bei dem das Gesamteinkommen jeweils über der Jahresarbeitsentgeltgrenze lag, von den dort genannten
Zahlen auszugehen und zwar nicht nur vom Zeitpunkt der Vorlage dieser Einkommensteuerbescheide, sondern wie es
die Beklagte auch getan hat, vom Tag des Einganges bei ihrem Mitglied. Die im Einkommensteuerbescheid
genannten Zahlen blieben damit maßgeblich bis zu dem Zeitpunkt, bis der Beklagten ein neuer Bescheid übermittelt
wurde, aus dem ein Gesamteinkommen hervorging, welches wieder unter der Jahresarbeitsentgeltgrenze lag. Das war
am 08.04.2002 der Fall, als der Einkommensteuerbescheid 2000 ihr erstmalig zuging.
Dass die Beklagte bei dieser vom BSG vorgezeichneten Vorgehensweise als Zeitpunkt für die maßgebliche Änderung
des Gesamteinkommens den Tag festsetzt, an dem der Steuerbescheid dem Mitglied zugegangen ist, ist nicht zu
beanstanden und folgt aus § 10 Abs.6 SGB V, welches dem Mitglied eine Meldepflicht auferlegt. Ob die Klägerin sich
dieser Meldepflicht bewusst war oder nur darauf vertraut hat, von der Beklagten mit Fragebögen versorgt zu werden,
ist unerheblich, denn auch wenn der Beklagten die Einkommensteuerbescheide 1998 und 1999 eher zugegangen
wären, hätte sich am Fortfall der Familienversicherung für N. nichts geändert. Warum die Beklagte in solchen Fällen
die Fragebögen nicht jährlich versendet, wie sie das bei ihren freiwilligen selbständigen Mitgliedern tut und damit
unnötige Streitereien vermeidet, ist hier nicht zu entscheiden.
Wie bereits im Erörterungstermin besprochen, verstößt die Ausschlussregel des § 10 Abs.3 SGB V nicht gegen
höherrangiges Recht. In seiner Entscheidung vom 12.02.2003, SozR 4-2500 § 10 Nr.1 hat das
Bundesverfassungsgericht diese Norm an Art.6 Grundgesetz gemessen und dargelegt, dass bei derartigen
Versicherungen eine gewisse Unausgewogenheit hinzunehmen ist. Die Tatsache, dass ein Elternteil von N.
privatversichert ist, erlaubt eine andere gesetzliche Behandlung, als wenn beide Elternteile sich dieser
Versicherungsform anschließen. Auch die Ungereimtheit, dass Versichertenstatus und tatsächliche
Einkommensverhältnisse aufgrund der Schwierigkeiten ihrer Feststellung sich nicht zeitgleich auszuwirken vermögen,
macht die Norm im Verwaltungsalltag zwar schwer handhabbar, jedoch noch nicht grundrechtswidrig. Die jeweiligen
Verschiebungen des Versichertenstatus durch spätere Kenntniserlangung von den tatsächlichen
Einkommensverhältnissen dürften sich im Wesentlichen ausgleichen. Würde man diesen Weg nicht gehen, käme bei
solchen Familienangehörigen wie N. eine Familienversicherung nie zustande, weil sie einen aktuellen Nachweis über
das unschädliche Gesamteinkommen ihres privatversicherten Elternteils aktuell nicht führen kann.
Angesichts des Verfahrensausgangs besteht kein Anlass, der Klägerin ihre außergerichtlichen Kosten zu erstatten (§
193 SGG).
Im Hinblick auf die vorliegende, in die Entscheidung eingeflossene höchstrichterliche Rechtsprechung, wird die
Revison nicht zugelassen.