Urteil des LSG Bayern vom 16.05.2006

LSG Bayern: zumutbare tätigkeit, arbeitsmarkt, vergleich, erwerbsfähigkeit, abklärung, bauarbeiter, ausbildung, versicherter, berufsunfähigkeit, akte

Bayerisches Landessozialgericht
Urteil vom 16.05.2006 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht München S 27 RJ 1261/03
Bayerisches Landessozialgericht L 6 R 487/04
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 25. Juni 2004 wird zurückgewiesen. II.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt Rente wegen Erwerbsminderung.
Er ist 1943 geboren, österreichischer Staatsbürger und lebt in Österreich. Er hat nach seinen Angaben den Beruf des
Forstarbeiters erlernt. In Deutschland war er zwischen 1969 und 1976 versicherungspflichtig beschäftigt. Von 1976 bis
2003 war er in Österreich als Bauarbeiter tätig, in dem in Österreich eingeholten medizinischen Gutachten zu seiner
Erwerbsfähigkeit wurde er entsprechend seinen Angaben als Bauhilfsarbeiter bezeichnet.
Am 07.08.2002 stellte der Kläger über die Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter Salzburg bei der Beklagten
Antrag auf Zahlung einer Rente. An Gesundheitsstörungen stellten Dr.S. und Prof.Dr.B. im Wesentlichen die Folgen
eines Prostatakarzinoms mit radikaler Prostataentfernung fest. Nach Einschätzung der Sachverständigen war der
Kläger damit nicht mehr als Bauhilfsarbeiter einsetzbar. Ansonsten seien noch leichte, zum Teil mittelschwere
Tätigkeiten in wechselnder Körperhaltung, ohne Heben und Tragen mittelschwerer und schwerer Lasten, ohne
monotone Wirbelsäulenzwangshaltung, ohne Arbeiten auf Leitern und Gerüsten oder an laufenden Maschinen und
ohne Kälte- und Nässeexposition möglich. Der Arzt der Beklagten hielt unter Berücksichtigung dieser
Einschränkungen noch ein vollschichtiges Einsatzvermögen für gegeben.
Die Beklagte lehnte den Rentenantrag mit Bescheid vom 22.11.2002 ab und wies den Widerspruch, der im
Wesentlichen damit begründet wurde, dass der Kläger nicht mehr als Bauarbeiter tätig sein könne, mit
Widerspruchsbescheid vom 13.06.2003 als unbegründet zurück.
Im anschließenden Klageverfahren hat das Sozialgericht München ein Gutachten des Urologen Dr.B. vom 29.01.2004
eingeholt. Der Sachverständige kommt im Vergleich zu den Vorgutachten zu keinen weiteren
Leistungseinschränkungen mit Ausnahme einer Beschränkung des Arbeitsvermögens auf leichte Tätigkeiten. Auf
Anregung des Klägers eingeholte weitere Befundunterlagen haben keine Erkenntnisse erbracht, die nicht schon vom
gerichtlichen Sachverständigen verwertet worden waren.
Mit Urteil vom 25. Juni 2004 hat das Sozialgericht die Klage als unbegründet abgewiesen. Der Kläger könne auf dem
allgemeinen Arbeitsmarkt noch vollschichtig arbeiten, hierauf sei er nach der zuletzt ausgeübten Tätigkeit zu
verweisen.
Mit seiner Berufung zum Bayer. Landessozialgericht macht der Kläger geltend, dass er als Bauarbeiter nicht mehr
einsatzfähig sei. Er hat erneut urologische Befundunterlagen vorgelegt und zusätzlich Gesundheitsstörungen auf
orthopädischem Fachgebiet geltend gemacht.
Der Senat hat den Orthopäden Dr.G. mit Gutachten vom 23.10.2005 als Sachverständigen gehört. Der
Sachverständige hat auf seinem Fachgebiet unter anderem eine klinisch gesicherte Gefühlsstörung am rechten
Oberschenkel, die differenzialdiag- nostisch verschieden zugeordnet werden könne, festgestellt. Hier werde weitere
neurologische Abklärung empfohlen. Nach Einschätzung des Sachverständigen kann der Kläger weiterhin
vollschichtig tätig sein. An weitergehenden Einschränkungen im Vergleich zu den vorherigen
Sachverständigengutachten nennt er eine Einschränkung des dauerhaften Gebrauchs der Hände, die zu einem
Ausschluss schwerer und mittelschwerer Tätigkeiten sowie von Heben und Tragen über 5 kg führe. Tätigkeiten in
dauerhaftem Sitzen sowie mit häufigem Bücken seien nicht mehr möglich.
Der Kläger hat hiergegen eingewendet, der Berufsschutz für die letzte Tätigkeit sei noch zu klären. Die Einschränkung
des dauerhaften Gebrauchs der Hände schließe Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt aus, zum Beispiel das
oftmals zitierte Sortieren von Kleinteilen. Insgesamt bestehe eine Summierung ungewöhnlicher
Leistungseinschränkungen und eine zumutbare Verweisungstätigkeit sei nicht benannt. Dr.G. empfehle eine
neurologische Abklärung hinsichtlich der Gefühlsstörung am rechte Oberschenkel.
Der Senat hat den Kläger darauf hingewiesen, dass er bei der in Österreich durchgeführten Begutachtung als
Hilfsarbeiter bezeichnet worden sei und keine Anhaltspunkte für einen Berufsschutz bestünden. Dr.G. spreche von
einer neurologischen Abklärung, nicht von einer Begutachtung. Die entscheidungserheblichen Funktionsdefizite seien
in seinem Gutachten erhoben.
Der Kläger beantragt, die Beklagte unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts München vom 25.06.2004 sowie
des Bescheides vom 22.11.2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.06.2003 zu verurteilen, ihm ab
01.09.2002 Rente wegen voller Erwerbsminderung zu zahlen.
Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Zum Verfahren beigezogen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren die Akte der Beklagten und die Akte
des Sozialgerichts München in dem vorangegangenen Klageverfahren. Auf ihren Inhalt wird ergänzend Bezug
genommen.
Entscheidungsgründe:
Die vom Kläger form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig; eine Beschränkung der Berufung nach § 144
SGG besteht nicht.
Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Der Kläger hat keinen Rentenanspruch.
Der vom Kläger erhobene Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung ab 01.09.2002 ist nach § 43 SGB VI in
der seit 01.01.2001 geltenden Fassung zu beurteilen (§ 300 Abs.1 SGB VI).
Zugunsten des vor dem 02.01.1961 geborenen Klägers ist auch § 240 SGB VI anzuwenden. Nach dessen Abs.1
haben Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung auch Versicherte, die unter anderem berufsunfähig
sind. Nach Abs.2 sind Versicherte berufsunfähig, deren Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder Behinderung im
Vergleich zur Erwerbsfähigkeit von körperlich, geistig und seelisch gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung
und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten auf weniger als sechs Stunden gesunken ist. Der Kreis der
Tätigkeiten, nach denen die Erwerbsfähigkeit von Versicherten zu beurteilen ist, umfasst alle Tätigkeiten, die ihren
Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihnen unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs ihrer Ausbildung
sowie ihres bisherigen Berufs und der besonderen Anforderungen ihrer bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden
können. Berufsunfähig ist nicht, wer eine zumutbare Tätigkeit mindestens sechs Stunden täglich ausüben kann; dabei
ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.
Ausgangspunkt der Beurteilung der Berufsunfähigkeit ist der bisherige Beruf. Das ist die zuletzt und auf Dauer
ausgeübte versicherungspflichtige Beschäftigung. Grundsätzlich ist hierfür die in Deutschland zuletzt ausgeübte
versicherungspflichtige Beschäftigung heranzuziehen (BSG, SozR 2200 § 1246 Nr.64), es sei denn, eine zwischen-
oder überstaatliche Regelung gebietet eine Gleichstellung der im Ausland ausgeübten Beschäftigung mit einer
versicherungspflichtigen Beschäftigung in Deutschland. Dies trifft bei EU-Staaten und damit auch bei Österreichern zu
(vgl. hierzu BSG, SozR 3-2600 § 43 Nr.15).
Bei diesem maßgeblichen, zuletzt ausgeübten Beruf handelt es sich beim Kläger um den eines Bauhilfsarbeiters. Das
ergibt sich aus seinen Angaben im österreichischen Pensionsverfahren, etwas anderes hat der Kläger nicht
behauptet. Diesen Beruf kann der Kläger nach dem Ergebnis der eingeholten Sachverständigengutachten nicht mehr
ausüben.
Er ist damit jedoch nicht berufsunfähig. Im Vergleich zu seinem bisherigen Beruf darf ein Versicherter grundsätzlich
auf einen Beruf in der nach seiner Wertigkeit nächst niedrigeren Gruppe verwiesen werden. Hierbei wird die unterste
Gruppe ohnehin von der des ungelernten Arbeiters gebildet. Damit muss sich der Kläger auf alle Tätigkeiten des
allgemeinen Arbeitsmarktes verweisen lassen, das heißt auf alle Tätigkeiten die keine besonderen Qualifikationen
erfordern. Bei einer Verweisung auf den allgemeinen Arbeitsmarkt bedarf es nicht mehr der Benennung einer
konkreten beruflichen Tätigkeit, die ein Versicherter mit dem ihm verbliebenen Leistungsvermögen noch konkret
ausüben kann. Es genügt, wenn er noch sechs Stunden einsatzfähig ist, es sei denn, es länge eine ungewöhnliche
Summierung von Leis- tungseinschränkungen oder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung vor.
Dies gilt auch für die qualitative Einschränkung des dauerhaften Gebrauchs der Hände. Der Sachverständige Dr.G.
berücksichtigt jedoch deren Funktionseinschränkungen dergestalt, dass nur noch leichte Tätigkeiten ohne Heben und
Tragen von Gegenständen über 5 kg zumutbar seien. Dies stellt keine schwere spezifische Leistungsbehinderung dar
(vgl. BSG SozR 2200 § 1246 Nr.117), auch ansonsten ist eine Summierung ungewöhnlicher
Leistungseinschränkungen nicht ersichtlich. Es bedarf damit nicht der Benennung einer konkreten
Verweisungstätigkeit (vgl. BSG, Urteil vom 29.07.2004, Az.: B 4 RA 5/04 R).
Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme kann der Kläger zur Überzeugung des Senats seit 01.09.2002 noch
mindestens sechs Stunden täglich ihm zumutbare Arbeiten verrichten. Ein dem Kläger günstigeres
Sachverständigengutachten liegt nicht vor.
Eine weitere Sachverhaltsaufklärung war nicht erforderlich, insbesondere nicht die Einholung eines Gutachtens auf
neurologischem Fachgebiet. Zunächst ist schon nicht ersichtlich, welche Leistungseinschränkungen sich aus einer
Gefühlsstörung am rechten Oberschenkel für die Einsatzfähigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ergeben sollten.
Entscheidend ist jedoch, dass der für eine Funktionsbeurteilung maßgebliche klinische Befund vom Sachverständigen
Dr.G. als erwiesen angesehen und bei der Beurteilung der Leistungsfähigkeit berücksichtigt worden ist. Da auf
urologischem Fachgebiet keine neuen, bisher nicht berücksichtigten Befunde vorlagen, war die Einholung eines
Gutachtens auf diesem Fachgebiet nicht mehr erforderlich.
Es fehlt damit an Leistungseinschränkungen, denen zufolge der Kläger berufsunfähig nach § 240 Abs.2 SGB VI wäre.
Dem Kläger steht damit keine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit zu.
Der Kläger hat damit erst recht keinen Anspruch auf Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung nach § 43
SGB VI, denn nach dessen Abs.2 ist nicht erwerbsgemindert, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen
Arbeitsmarktes noch mindestens sechs Stunden erwerbstätig sein kann, wobei die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu
berücksichtigen ist.
Die Entscheidung über die Kosten stützt sich auf § 193 SGG und folgt der Erwägung, dass der Kläger in beiden
Rechtszügen nicht obsiegt hat.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.