Urteil des LSG Bayern vom 19.11.1998

LSG Bayern: wichtiger grund, eheähnliche gemeinschaft, besondere härte, eintritt des versicherungsfalles, kündigung, wohnung, arbeitslosigkeit, zusammenleben, lebensgemeinschaft, auflösung

Bayerisches Landessozialgericht
Urteil vom 19.11.1998 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Nürnberg S 5 Al 894/96
Bayerisches Landessozialgericht L 8 AL 214/97
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 17. April 1997 wird zurückgewiesen. II.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist das Ruhen des Anspruches auf Arbeitslosengeld (Alg) wegen des Eintritts einer Sperrzeit
vom 01.10.1995 bis 23.10.1995 streitig.
Die am ...1963 geborene Klägerin meldete sich am 09.10.1995 arbeitslos und beantragte Alg. Sie war zuletzt vom
15.01.1990 bis 30.09.1995 als Gärtnermeisterin bei der Firma ... in Korschenbroich-Pesch beschäftigt gewesen.
Dieses Arbeitsverhältnis kündigte die Klägerin am 28.08.1995 zum 30.09.1995. Als Gründe für die Kündigung gab sie
später an, am 19.07.1995 ihren späteren Ehemann kennengelernt zu haben. Am 18.08.1995 habe man beschlossen,
zusammenzubleiben und zu heiraten. Sie sei dann aus der bisher mit ihrem früheren Lebensgefährten genutzten
Wohnung ausgezogen und sei am 14.09.1995 in der Wohnung ihres späteren Ehemannes in Landgraaf in den
Niederlanden eingezogen. 14 Tage lang sei sie noch von den Niederlanden aus jeweils 180 Kilometer hin- und
zurückgefahren. Die Autofahrt habe täglich ca. 3 Stunden betragen. Dies sei wegen des bevorstehenden Winters und
der saisonbedingten Mehrarbeit nicht mehr möglich gewesen. Zudem habe sie auch nicht über ein eigenes
Kraftfahrzeug verfügt. Ende November/Anfang Dezember 1995 sei bei der Gemeinde Landgraaf der Hochzeitstermin
bestellt worden. Am 24.03.1996 habe man geheiratet. Am 04.10.1995 habe sie sich beim GAK in Heerlen/Niederlande
arbeitslos gemeldet und von da an jeden Monat mindestens zwei bis drei Bewerbungen an Gärtnereien sowohl in
Deutschland als auch in den Niederlanden geschrieben.
Unter Hinweis auf ihren ausländischen Wohnsitz lehnte die Beklagte zunächst mit Bescheid vom 16.11.1995 den
Antrag auf Leistungen ab. Der Widerspruch vom 12.12.1995 führte zur Aufhebung dieses Ablehnungsbescheides
(Aufhebungsbescheid vom 10.04. 1996).
Mit Bescheid vom 12.04.1996 bewilligte sodann die Beklagte der Klägerin ab 25.12.1995 antragsgemäß Alg für
vorläufig 306 Tage. Für die Zeit vom 01.10.1995 bis 23.12.1995 lehnte sie mit Bescheid vom 10.04.1996 den Antrag
wegen des Eintritts einer Sperrzeit von 12 Wochen (01.10.1995 bis 23.12.1995) ab. Die Fortsetzung ihres
Beschäftigungsverhältnisses bis zur Heirat sei ihr zumutbar gewesen. Der Widerspruch der Klägerin vom 09.05.1996
blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 19.07. 1996).
Gegen den am 24.07.1996 zugestellten Widerspruchsbescheid erhob die Klägerin am 23.08.1996 Klage zum
Sozialgericht Aachen, das den Rechtsstreit mit Beschluss vom 20.09.1996 an das Sozialgericht Nürnberg verwies.
Ein wichtiger Grund für die Aufgabe ihres Beschäftigungsverhältnisses ergebe sich aus dem Schutz von Ehe und
Familie.
Mit Urteil vom 17.04.1997 wies das Sozialgericht Nürnberg die Klage ab; die Klägerin könne sich nicht auf einen
wichtigen Grund berufen. Gründe beruflicher Art hätten sie nicht veranlaßt, ihr Beschäftigungsverhältnis zu beenden.
Soweit sie auf ihre persönlichen Belange verweise, mit ihrem Lebensgefährten in den Niederlanden
zusammenzuziehen, rechtfertige das nicht die Aufgabe des Arbeitsplatzes zu dem gewählten Zeitpunkt. Einen
wichtigen Grund stelle anerkanntermaßen der Zuzug zum Ehegatten dar. Dies gelte auch dann, wenn die Ehe noch
nicht geschlossen ist, der Arbeitnehmer bei Kündigung des Arbeitsverhältnisses aber davon ausgehen dürfe, daß die
Schließung bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses erfolgen werde. Ein derartiger Ausnahmefall sei bei der
Klägerin jedoch nicht anzunehmen. Die Aufnahme der nichtehelichen Lebensgemeinschaft mit ihrem Partner
rechtfertige die Kündigung zum 30.09.1995 nicht. Der Sonderfall der Versorgung von Kindern liege nicht vor. Auch
wenn sich die Lebenswirklichkeit durch eine beträchtliche Zunahme nichtehelicher Lebensgemeinschaften geändert
habe, so könne dennoch die nichteheliche Gemeinschaft der ehelichen Lebensgemeinschaft nicht gleichgestellt
werden. Die Klägerin könne sich auch nicht erfolgreich darauf berufen, daß ihr das Zusammenleben mit ihrem
bisherigen Lebenspartner in der Betriebswohnung nicht mehr zumutbar gewesen sei. Dazu hätte sie sich zumindest
übergangsweise bis zu ihrer Verheiratung um eine arbeitsplatznahe Wohnung bemühen müssen. Derartig in den
Privatbereich fallende besondere Schwierigkeiten könnten der Versichertengemeinschaft nicht angelastet werden.
Eine besondere Härte liege nicht vor.
Gegen das am 09.11.1997 zugestellte Urteil legte die Klägerin am 01.07.1997 Berufung ein. Zur Begründung bezog
sie sich auf ihr bisheriges Vorbringen und bat um Prüfung, ob nicht doch mindestens von einer besonderen Härte
auszugehen sei.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 17.04.1997 und den Bescheid der Beklagten vom 10.04.1996 in der
Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.07.1996 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr für die Zeit vom
09.10.1995 bis 23.12.1995 Arbeitslosengeld zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 17.04.1997 zurückzuweisen.
Sie hält die Entscheidungsgründe des Sozialgerichts für zutreffend.
Gegenstand der mündlichen Verhandlung war die Leistungsakte der Beklagten und die erstinstanzliche
Verfahrensakte. Wegen des Sachverhalts wird ergänzend auf die beigezogenen Akten und die Berufungsakte Bezug
genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§§ 151 Abs.1, 143 Sozialgerichtsgesetz - SGG -);
insbesondere bedurfte sie nicht der Zulassung gemäß § 144 Abs.1 SGG.
Das Rechtsmittel ist nicht begründet.
Mit der richtigen kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage wendet sich die Klägerin gegen den Bescheid vom
10.04.1996 (Widerspruchsbescheid vom 19.07.1996), mit dem ihr das beantragte Alg für die Zeit der eingetretenen
Sperrzeit abgelehnt wurde. Die Klagebefugnis der Klägerin ist nicht dadurch berührt, daß sie beim niederländischen
Versicherungsträger Leistungen beantragt, für die Zeit vom 02.10.1995 bis 14.01.1996 vorschußweise auch
Leistungen erhalten (fl. 4.899,35 = 4.374,21 DM) und die deutschen Leistungsansprüche wegen Arbeitslosigkeit an
den niederländischen Leistungsträger abgetreten hat. Denn das der Klägerin zustehende Anfechtungsrecht war damit
nicht an den Abtretungsgläubiger übergegangen (vgl. BSG vom 26.04.1979, BSGE 48, 159), da das Alg-Stammrecht
davon nicht berührt war. Das Ruhen des Anspruchs gemäß § 119 Abs.1 Satz 3 AFG und die Minderung der Dauer des
Anspruches gemäß § 110 Satz 1 Nr.2 AFG konnte daher nur die Klägerin als Inhaberin des Stammrechts betreffen.
In der Sache folgt der Senat der Begründung des Sozialgerichts in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht. Gemäß §
153 Abs.2 SGG wird auf das erstinstanzliche Urteil verwiesen und von einer weiteren Darstellung der
Entscheidungsgründe abgesehen.
Im Hinblick auf das Berufungsvorbringen ist ergänzend auszuführen, daß der 11.Senat des BSG in seiner
Entscheidung vom 26.03. 1998 (B 11 AL 49/97 R) die bisherige, auch vom Sozialgericht zugrundegelegte
Rechtsprechung bekräftigt hat. Soweit der 7. Senat des BSG in der Entscheidung vom 29.04.1998 (B 7 AL 56/97 R)
die Absicht bekundet hat, seine Rechtsprechung für die Fälle des "Zuzugs" zum Partner einer eheähnlichen
Gemeinschaft zu modifizieren, betrifft das lediglich die starre Fallkonstellation, wonach der Zuzug zum Partner einer
bereits bestehenden eheähnlichen Gemeinschaft für sich allein grundsätzlich zur Versagung eines wichtigen Grundes
führen müsse.
Der 7. Senat will künftig davon ausgehen, daß die persönlichen Interessen des Arbeitslosen nicht grundsätzlich hinter
den Interessen der Versichertengemeinschaft zurücktreten, wenn die Arbeitsplatzaufgabe zu dem Zweck erfolge,
durch Umzug vom arbeitsplatznahen Wohnort nach dem Ort der gemeinsamen Wohnung ein engeres Zusammenleben
mit dem Partner zu ermöglichen, mit dem bereits eine "eheähnliche Gemeinschaft" im Sinne der Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichtes bestehe. Er geht dabei davon aus, daß erst eine dreijährige Dauer der Beziehung
genügende Ernsthaftigkeit und Kontinuität bezeuge, um eine eheähnliche Gemeinschaft anzunehmen. Der Senat hat
sodann weiter ausgeführt, daß Ausdruck der Ernsthaftigkeit und Intensität der Beziehungen darüber hinaus in der
Arbeitssuche in der Nähe des gemeinsamen Wohnorts vor der Lösung des bestehenden Arbeitsverhältnisses zum
Ausdruck komme. Insoweit beabsichtigt der 7. Senat, den Zuzug zu einem Partner einer bestehenden eheähnlichen
Gemeinschaft nur dann als wichtigen Grund anzuerkennen, wenn sich der Arbeitslose vor der Kündigung seines
Beschäftigungsverhältnisses so intensiv um eine andere Arbeit in der Nähe des gemeinsamen Wohnorts bemüht hat,
daß dadurch sein Bedürfnis nach einem engen Zusammenleben dokumentiert werde.
Es kann hier dahingestellt bleiben, ob bei diesem Bewertungsmaßstab nicht auch beim Zuzug zum Ehepartner ein
wichtiger Grund entfällt, wenn die vom BSG geforderten zumutbaren Bemühungen unterblieben sind. Denn dem
wichtigen Grund liegt der Gedanke zugrunde, daß eine Sperrzeit nur eintreten soll, wenn dem Arbeitnehmer unter
Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung seiner Interessen mit denen der
Versichertengemeinschaft ein anderes Verhalten zugemutet werden kann (vgl. BSG vom 13.08.1986, SozR 4100 §
119 Nr.8 = NZA 87, 180; BSG vom 26.03.1998, a.a.O.). Deshalb kann sich die Klägerin auf einen wichtigen Grund
schon deshalb nicht berufen, weil sie nicht die ihr zumutbaren Anstrengungen unternommen hat, den
Versicherungsfall der Arbeitslosigkeit zu vermeiden.
Diese Einschränkung folgt aus dem Grundgedanken der Sperrzeitregelung, die die Gemeinschaft der Beitragszahler
davor schützen soll, daß der Anspruchsberechtigte das Risiko seiner Arbeitslosigkeit manipuliert. Der unbestimmte
Rechtsbegriff des wichtigen Grundes macht es deshalb erforderlich, nicht nur die Gründe für die Aufgabe des
Beschäftigungsverhältnisses und des Umzuges, sondern auf die Vorkehrungen zur Erhaltung des bisherigen sowie
zur Erlangung eines Anschlußarbeitsverhältnisses in die wertende Betrachtung einzubeziehen. Zwar führt das Fehlen
von Bemühungen um einen Anschlußarbeitsplatz nicht allein zum Eintritt einer Sperrzeit, jedoch verwehrt es die
Verletzung von aus dem Versicherungsverhältnis abzuleitenden Obliegenheiten dem Arbeitslosen, sich auf einen
wichtigen Grund im Sinne des § 119 Abs.1 Satz 1 Nr.1 AFG zu berufen (BSG vom 26.03.1988, a.a.O.).
Der Grundsatz, daß eine Verletzung der Obliegenheit des Versicherten, den Eintritt des Versicherungsfalles zu
vermeiden, der Anerkennung eines wichtigen Grundes entgegensteht, führt nach der Rechtsprechung des BSG dazu,
daß sich der wichtige Grund mit dem Zeitpunkt der Auflösung des Arbeitsverhältnisses decken muß. Der Arbeitslose
muß einen wichtigen Grund dafür haben, daß er das Arbeitsverhältnis gerade zu dem bestimmten, von ihm gewählten
Zeitpunkt auflöst (BSG vom 13.08.1986, a.a.O., BSG vom 26.03.1998, a.a.O.). Das BSG hat in diesem
Zusammenhang dargelegt, daß ein wichtiger Grund zur Kündigung bei einem erheblichen Zwischenraum zwischen
einer Arbeitsaufgabe und beabsichtigter Eheschließung nur vorliegt, wenn der Arbeitslose erfolglos eine zumutbaren
Versuch unternommen hat, diesen durch eine Vereinbarung mit dem bisherigen Arbeitgeber über die Auflösung des
Arbeitsverhältnisses zum geplanten Eheschließungstermin zu vermeiden (BSG vom 29.11.1988, BSGE 64, 202 =
SozR 4100 § 119 Nr.34).
Die Klägerin hat dagegen vor Lösung ihres Arbeitsverhältnisses naheliegende Anstrengungen zur Erlangung eines
Anschlußarbeitsplatzes unterlassen. Sie hat weder vor noch zum Zeitpunkt der Kündigung sich um einen solchen
Arbeitsplatz in der Nähe der beabsichtigten neuen gemeinsamen Wohnung bemüht. Sie hat zudem auch nicht
rechtzeitig einen Vermittlungsauftrag zur nahtlosen Erlangung eines Anschlußarbeitsplatzes erteilt. Sie hat sich
vielmehr erst am 04.10.1995 in den Niederlanden und am 09.10. 1995 beim Arbeitsamt in Deutschland arbeitslos
gemeldet. Zwischen der Kündigung des Arbeitsverhältnisses und der Einschaltung der Arbeitsvermittlung lag
demnach ein Zeitraum von über einem Monat. Nach ihren eigenen Angaben setzten auch ihre eigenen Bemühungen
zu einer Beschäftigungssuche nicht früher ein.
Wie das Sozialgericht zutreffend angenommen hat, kann eine besondere Härte nicht angenommen werden. Neben den
vom Sozialgericht angeführten Gründen steht auch das Unterlassen zumutbarer Bemühungen um einen
Anschlußarbeitsplatz der Annahme einer besonderen Härte entgegen. Von der Klägerin war zu erwarten, ihre
persönliche Entscheidung, kurzfristig zu ihrem neuen Lebenspartner und Verlobten zu ziehen, unter Wahrung der
Interessen der Versichertengemeinschaft zu treffen. Besondere Umstände, die das Verhalten der Klägerin notwendig
oder verständlich erscheinen lassen, sind nicht gegeben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG; unter Berücksichtigung des Verfahrensausganges bestand keine
Veranlassung, die Beklagte zur Erstattung von Kosten zu verpflichten.
Gründe für die Zulassung der Revision im Sinne von § 160 Abs.2 Nrn.1 und 2 SGG liegen nicht vor.