Urteil des LSG Bayern vom 20.02.2009

LSG Bayern: vorläufige einstellung, schutzwürdiges interesse, verfahrensmangel, widerspruchsverfahren, verwaltungsakt, zahlungseinstellung, wiederholungsgefahr, auflage, zustellung, arbeitslosigkeit

Bayerisches Landessozialgericht
Beschluss vom 20.02.2009 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Nürnberg S 19 AL 414/08
Bayerisches Landessozialgericht L 10 AL 6/09 NZB
Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Berufung im Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 19.11.2008 wird
zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe:
I. Die Beteiligten streiten um das Vorhandensein eines Bescheides und um die Kosten für die Tätigkeit eines
Bevollmächtigten im Widerspruchsverfahren. Mit Schreiben vom 11.04.2008 teilte die Beklagte dem Kläger mit,
wegen Nichtteilnahme an einer Gruppeninformation am 11.04.2008 würden die Leistungen wegen Arbeitslosigkeit
vorläufig eingestellt. Gleichzeitig wurde dem Kläger eine Meldeaufforderung mit Rechtsmittelbelehrung übermittelt.
Den Widerspruch hiergegen verwarf die Beklagte am 14.07.2008 als unzulässig, da es sich bei dem Schreiben vom
11.04.2008 nicht um einen Verwaltungsakt handle. Am 15.05.2008 hatte sie die vorläufige Zahlungseinstellung
gelöscht und die Leistungen für April und Mai 2008 nachbezahlt. Das Sozialgericht hat die Klage auf Aufhebung des
Bescheides vom 11.04.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.07.2008 und die Erstattung der
Kosten des Klage- und Widerspruchsverfahrens mit Urteil vom 19.11.2008 abgewiesen. Bei dem Schreiben habe es
sich um keine Regelung gehandelt, sondern um eine Anhörung zu einer möglichen Sperrzeit. Auch durch die
Rechtsbehelfsbelehrung sei deutlich geworden, dass nur gegen die Meldeaufforderung ein Widerspruch statthaft war.
Gegen die Nichtzulassung der Berufung hat der Kläger nach der Zustellung des Urteils am 29.12.2008 am 08.01.2009
Beschwerde eingelegt. Es sei von grundsätzlicher Bedeutung, ob gegen die Anordnung der vorläufigen
Leistungseinstellung Widerspruch statthaft sei. Zudem verstoße es gegen den Meistbegünstigungsgrundsatz, wenn
der der Anordnung beigefügten Belehrung über die Statthaftigkeit des Widerspruchs keine Bedeutung zugemessen
werde. Der Kläger beantragt: Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 19.11.2008 wird
zugelassen. Das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 19.11.2008 wird aufgehoben. Der Bescheid der Beklagten
vom 11.04.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides der Beklagten vom 14.04.2008 wird aufgehoben. Die
Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich der notwendigen Auslagen des Klägers. Die Hinzuziehung
eines Rechtsanwalts als Bevollmächtigten im Widerspruchsverfahren wird für notwendig erklärt. Die Beklagte
beantragt, die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Berufung im Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom
19.11.2008 zurückzuweisen und zu entscheiden, dass außergerichtliche Kosten nicht zu erstatten sind. Bei der
vorläufigen Zahlungseinstellung handle es sich um keinen Verwaltungsakt, da mit ihr keine eigenständige Regelung
getroffen werde. Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Inhalt der Beklagtenakten, der Sozialgerichtsakten sowie
der Beschwerdeakten Bezug genommen.
II. Die vom Kläger fristgerecht eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde ist gemäß § 145 Abs 1 Satz 2
Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässig, sachlich aber nicht begründet. Es gibt keinen Grund, die gemäß § 144 Abs 1
Satz1 Nr 1 SGG wegen des Wertes des Beschwerdegegenstandes ausgeschlossene Berufung zuzulassen. Nach §
144 Abs 2 SGG ist die Berufung zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (Nr. 1), das Urteil
von einer Entscheidung des Landessozialgerichts, des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der
Obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht
(Nr. 2) oder ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und
vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann (Nr. 3). Diese Voraussetzungen sind hier nicht gegeben. Die
Rechtssache ist nicht von grundsätzlicher Bedeutung. Die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache ist gegeben,
wenn die Streitsache eine bisher nicht geklärte Rechtsfrage abstrakter Art aufwirft, deren Klärung im allgemeinen
Interesse liegt, um die Rechtseinheit zu erhalten und die Weiterentwicklung des Rechts zu fördern, wobei ein
Individualinteresse nicht genügt (Leitherer in Meyer-Ladewig/ Keller/Leitherer, SGG, 9.Auflage, § 144 Rdnr 28). Neben
der Klärungsbedürftigkeit und der über den Einzelfall hinaus gehenden Bedeutung der vom Kläger erstrebten
Entscheidung ist auch zu fordern, dass die aufgeworfene Rechtsfrage konkret klärungsfähig ist. Dies setzt voraus,
dass die klärungsbedürftige Rechtsfrage für den zu entscheidenden Fall erheblich ist, das Berufungsgericht also nach
der Zulassung der Berufung in der Lage ist, über die klärungsbedürftige Rechtsfrage auch sachlich zu entscheiden
(Leitherer aaO § 144 Rdnr 28 und § 160 Rdnr 9). Die vom Kläger erstrebte Klärung ist dem Berufungsgericht jedoch
nicht möglich. Der Kläger wirft die Rechtsfrage auf, ob gegen die vorläufige Einstellung von Leistungen das
Rechtsmittel des Widerspruchs statthaft sei, diese Einstellung also einen Verwaltungsakt darstelle oder nicht.
Hierüber ist nicht mehr zu entscheiden. Die streitbefangene Regelung ist nämlich bereits vor Klageerhebung durch die
Löschung der Anordnung erledigt worden. Eine Beschwer war daher mit der strittigen Regelung nicht mehr verbunden,
so dass trotz Bestehens des klageabweisenden Urteils ein schutzwürdiges Interesse des Klägers an der
Durchführung des Rechtsmittelverfahrens nicht zu erkennen ist. Zwar ist zu prüfen, ob der Kläger ein berechtigtes
Interesse an der Klärung der Rechtmäßigkeit der strittigen Anordnung hat. Dies ist ausnahmsweise zu bejahen, wenn
ein berechtigtes Interesse im Sinne des § 131 Abs 1 Satz 3 SGG gegeben ist. Dabei genügt ein durch die Sachlage
vernünftigerweise gerechtfertigtes Interesse, z.B. hinreichend konkrete Wiederholungsgefahr oder
Rehabilitationsinteresse. Vorliegend geht es erkennbar darum, dass der Kläger ein Interesse an der Änderung der für
ihn ungünstigen Kostenentscheidung hat. Dieses Interesse kann
die weitere Inanspruchnahme der Gerichte aber regelmäßig nicht rechtfertigen (BSG, Urteil vom 21.06.1995 in SozR
3-1500 § 131 Nr 5, Leitherer aaO § 145 Rdnr 48a). Die Berufung ist nämlich ausgeschlossen, wenn es sich um die
Kosten des Verfahrens handelt (§ 144 Abs 4 SGG). Das Urteil des Sozialgerichts leidet auch nicht an dem vom
Kläger gerügten Verfahrensmangel. Ein Verfahrensmangel ist ein Verstoß gegen eine Vorschrift, die das
sozialgerichtliche Verfahren regelt. Der Mangel bezieht sich nicht auf den sachlichen Inhalt des Urteils, so dass es
nicht um die Richtigkeit der Entscheidung gehen kann, sondern lediglich um das prozessuale Vorgehen des Gerichts
auf dem Weg zum Urteil oder die Zulässigkeit des Urteils. Der Kläger macht geltend, er habe nach dem Grundsatz der
Meistbegünstigung die Möglichkeit gehabt, Widerspruch einzulegen, weil er in den Rechtsfolgen- und
Rechtsbehelfsbelehrungen auf das Rechtsmittel des Widerspruchs hingewiesen worden sei. Der etwaige Verstoß
gegen diesen Grundsatz der Meistbegünstigung betrifft jedoch vorliegend nicht das gerichtliche Verfahren, sondern
das Widerspruchsverfahren. Ein derartiger Verfahrensmangel ist jedoch nicht geeignet, die Zulassung der Berufung zu
rechtfertigen (Leitherer aaO § 144 Rdnr 32). Der Kläger macht zwar auch einen Zulassungsgrund im Sinne des § 144
Abs 2 Nr 2 SGG geltend, beruft sich zur Begründung der Divergenz allerdings nur auf Urteile des
Bundesgerichtshofes. Die Voraussetzung des § 144 Abs 2 Nr 2 SGG ist damit nicht erfüllt. Aus diesen Gründen ist
die Beschwerde als unbegründet zurückzuweisen. Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden
Anwendung des § 193 SGG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG). Nach § 145 Abs 4 Satz 4 SGG wird das Urteil des Sozialgerichts mit
der Ablehnung der Beschwerde durch das Landessozialgericht rechtskräftig.