Urteil des LSG Bayern vom 29.06.2004

LSG Bayern: einkünfte, bedürftigkeit, familienangehöriger, arbeitslosigkeit, aufwand, arbeitslosenhilfe, minderung, arbeitsloser, erfüllung, buchhaltung

Bayerisches Landessozialgericht
Urteil vom 29.06.2004 (nicht rechtskräftig)
S 7 AL 533/99
Bayerisches Landessozialgericht L 11 AL 318/03
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 25.06.2003 wird zurückgewiesen. II.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist die Gewährung von Arbeitslosenhilfe (Alhi) ab 30.06.1999 an den Kläger.
Der 1963 geborene Kläger bezog von der Beklagten vom 01.07.1998 bis 25.06.1999 (Erschöpfung des Anspruchs)
Arbeitslosengeld (Alg). Am 30.06.1999 beantragte er Alhi. Er gab an, weiterhin (seit September 1998) als
selbstständiger Kaufmann ca. 10 bis 14 Stunden/Woche tätig zu sein. Die hieraus erzielbaren Einkünfte schätzte er
für 1999 auf 5.000,00 DM bis 8.000,00 DM. Ferner gab er an, eine Verletztenrente von der Landwirtschaftlichen
Berufsgenossenschaft (Würzburg) nach einer MdE in Höhe von 40 vH zu beziehen (799,07 DM). Sonstiges
Einkommen und Vermögen verneinte er.
Anlässlich einer Prüfung vom 11.05.1999 durch den Außendienst der Beklagten erklärte der Kläger, er besuche seine
Kunden an drei Tagen im Monat durch eintägige Reisen. Der Zeitaufwand hierfür betrage jeweils 10 bis 14 Stunden.
Vor- bzw. Nacharbeiten erledige die durch ihn im Büro auf 630,00 DM-Basis beschäftigte Aushilfskraft R. R ... Nach
dem Arbeitsvertrag vom 02.09.1996 war mit ihr eine Arbeitszeit von täglich zwei Stunden vereinbart. Das Büro des
Klägers war nach dessen Angaben vom 13.01.2000 ausgestattet mit zwei voll eingerichteten EDV-Arbeitsplätzen, drei
Druckern, einem Scanner, einem Kopiergerät, einem Faxgerät und drei Telefonen. Nach dem Steuerbescheid vom
09.09.1999 erzielte der Kläger 1998 14.973,00 DM Einkünfte aus dem Gewerbebetrieb. Die in diesem Bescheid
ausgewiesenen Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit betrugen 36.900,00 DM. Eine vorgelegte Gewinn- und
Verlustrechnung vom 01.09.1999 - diese umfasste den Zeitraum 01.01.1999 bis 31.08.1999 - wies einen Verlust von
7.464,37 DM aus. Den Einnahmen von 246.232,27 DM standen Ausgaben in Höhe von 253.696,64 DM gegenüber. Im
Steuerbescheid vom 20.11.2000 für das Jahr 1999 sind die Einkünfte aus Gewerbebetrieb mit - 10.742,00 DM
beziffert und das zu versteuernde Einkommen mit - 13.926,00 DM festgesetzt worden.
Mit Bescheid vom 04.08.1999 lehnte die Beklagte den Alhi-Antrag ab. Der Kläger könne seinen Lebensunterhalt
anderweitig als durch Alhi bestreiten. Er sei daher nicht bedürftig. Im anschließenden Widerspruchsverfahren trug der
Kläger vor, es sei ihm nicht möglich, den Gewinn aus dem Vorjahr zu wiederholen. Dies liege am Verfall der
Rohstoffpreise und an der Agrarpolitik. Er verfüge nur über die Verletztenrente und könne seinen Lebensunterhalt -
Kosten seiner Lebenshaltung, Miete, Unterhalt für die Tochter, Darlehen - ohne Alhi nicht bestreiten.
Den Widerspruch wies die Beklagte durch Widerspruchsbescheid vom 24.01.2000 zurück. Der Kläger könne mit dem
ausgeübten Gewerbebetrieb ausreichendes Einkommen erzielen. Bedürftigkeit liege somit nicht vor. Die von ihm
angegebene wöchentliche Arbeitszeit von weniger als 15 Stunden erscheine nicht mehr plausibel.
Dagegen hat der Kläger Klage zum Sozialgericht Würzburg erhoben. Für die Frage seiner Arbeitslosigkeit sei es
unerheblich, ob er eine geringfügig Beschäftigte angestellt habe. Selbst ohne die Aufwendungen für diese Bürokraft
läge sein Betriebsergebnis bei einer roten Null. Im Übrigen habe er diese Kraft zum 31.12.1999 entlassen. Auch wenn
er mehr als 15 Stunden für sein Gewerbe tätig sein würde, könnte er auf Grund der schlechten Zahlen keinen Gewinn
erzielen. Er bestreite seinen Lebensunterhalt durch Inanspruchnahme von Krediten. Die Bank würde ihm den
Geldhahn zudrehen, wenn nach einer Betriebsaufgabe kein Geld mehr hereinkäme.
Das SG hat R. R. als Zeugin gehört. Auf deren Aussage vom 25.06.2003 wird verwiesen.
Mit Urteil vom 25.06.2003 hat das SG die Klage abgewiesen. Der Kläger sei nicht arbeitslos, da seine wöchentliche
Arbeitszeit 15 bzw. 18 Stunden überschreite. Neben dem Zeitaufwand für den Außendienst sei der erhebliche
Aufwand des Klägers für Bürotätigkeiten zu berücksichtigen. Auch die Arbeitszeit der Zeugin (10 Stunden/Woche)
müsse sich der Kläger zurechnen lassen, denn sonst könne die Arbeitszeitgrenze manipuliert werden.
Gegen dieses Urteil hat der Kläger Berufung zum Bayer. Landessozialgericht eingelegt. Im Monatsmittel habe er an
2,5 Tagen je 12 Stunden Außendienst geleistet. Die Zeugin sei im besagten Zeitraum nicht mehr die unterstellten 10
Stunden/Woche tätig gewesen. Auch dürfe die Arbeitszeit der Zeugin ihm nicht zugerechnet werden, da er darauf
nicht hingewiesen worden sei. Im Zeitraum vom 26.06.1999 bis 14.05.2000 (323 Tage) habe er 127 Bestellungen
abgewickelt. Sein Arbeitsaufwand habe dabei für den Außendienst 323 Stunden und für Büroarbeit 75 Stunden 16
Minuten und 38 Sekunden betragen, mithin 1,5 Stunden/Woche. Damit habe bei ihm Arbeitslosigkeit vorgelegen.
Der Kläger beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 25.06.2003 sowie den Bescheid vom 04.08.1999 in
der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.01.2000 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm ab
30.06.1999 Arbeitslosenhilfe in gesetzlicher Höhe zu gewähren.
Die Beklagte beantragt, die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 25.06.2003 zurückzuweisen.
Es sei zweifelhaft, ob die Umsätze des Klägers lediglich in der von ihm genannten Arbeitszeit von 10 bis 14
Stunden/Woche erreicht wurden. Die Berechnungen des Klägers seien mangels Nachvollziehbarkeit nicht
überzeugend.
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die beigezogenen Akten der Beklagten sowie auf die Gerichtsakten erster
(S 7 AL 533/99, S 7 AL 114/00) und zweiter Instanz (L 11 AL 318/03, L 11 AL 306/03) Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung des Klägers ist zulässig (§§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG -), aber nicht begründet. Zu
Recht hat das SG die Klage abgewiesen, denn der Kläger hat ab 30.06.1999 keinen Anspruch auf Alhi.
Anspruch auf Alhi haben Arbeitnehmer, die arbeitslos sind, sich beim Arbeitsamt arbeitslos gemeldet haben, einen
Anspruch auf Alg nicht haben, weil sie die Anwartschaftszeit nicht erfüllt haben, die besonderen
Anspruchsvoraussetzungen erfüllt haben und bedürftig sind (§ 190 Abs 1 Sozialgesetzbuch Arbeitsförderung - SGB III
-, gültig ab 01.01.1998 bis 31.12.1999).
Der Anspruch des Klägers scheitert bereits daran, dass er nicht arbeitslos war. Gemäß § 198 Satz 2 Nr 1 SGB III
finden insoweit die Alg-Vorschriften Anwendung. Nach § 118 Abs 1 SGB III (gültig ab 01.01.1998 bis 31.12.2004) ist
arbeitslos ein Arbeitnehmer, der vorübergehend nicht in einem Beschäftigungsverhältnis steht
(Beschäftigungslosigkeit) und eine versicherungspflichtige, mindestens 15 Stunden wöchentlich umfassende
Beschäftigung sucht (Beschäftigungssuche). Die Ausübung einer weniger als 15 Stunden wöchentlich umfassende
Beschäftigung schließt Beschäftigungslosigkeit nicht aus; gelegentliche Abweichungen von geringer Dauer bleiben
unberücksichtigt. Mehrere Beschäftigungen werden zusammengerechnet (§ 118 Abs 2 SGB III). Eine selbstständige
Tätigkeit und eine Tätigkeit als mithelfender Familienangehöriger stehen einer Beschäftigung gleich. Die Fortführung
einer mindestens 15 Stunden wöchentlich, aber weniger als 18 Stunden wöchentlich umfassenden selbstständigen
Tätigkeit oder Tätigkeit als mithelfender Familienangehöriger, die unmittelbar vor dem Tag der Erfüllung aller sonstigen
Voraussetzungen für den Anspruch auf Alg innerhalb der letzten 12 Monate mindestens 10 Monate neben der
Beschäftigung, die den Anspruch begründet, ausgeübt worden ist, schließt Beschäftigungslosigkeit nicht aus (§ 118
Abs 3 SGB III).
Im vorliegenden Fall hat der vom Kläger erbrachte Zeitaufwand für die selbstständige Tätigkeit die
Geringfügigkeitsgrenze überschritten.
Der Kläger selbst hat im Antrag auf Alhi eine wöchentliche Arbeitszeit von 10 bis 14 Stunden angegeben und diese
Angaben den Ermittlungsbeamten der Beklagten gegenüber am 11.05.1999 bestätigt. Diese Selbsteinschätzung dürfte
kaum zu niedrig ausgefallen sein, denn nach den Angaben der Zeugin R. hatte sich der Kläger die Bearbeitung der
Buchhaltung und der Zahlungseingänge, das Aushandeln der Preise und die Rechnungsstellung vorbehalten. Aufgabe
der Zeugin war es lediglich, den Anrufbeantworter abzuhören, die Liefertermine weiterzugeben und Transportmittel zu
besorgen. Hinzu kam eine zeitliche Inanspruchnahme des Klägers von 10 bis 14 Stunden an jeweils drei Tagen im
Monat (30 bis 42 Stunden) für Besuche der vorwiegend im Bereich des Donauries angesiedelten Kunden. Bereits nach
diesen Angaben ergibt sich eine durchschnittliche wöchentliche Arbeitszeit des Klägers von 20,35 Stunden (10 - 14
Stunden + 6,9 - 9,7 Stunden = 17 - 23,7 Stunden; durchschnittlich 20,35 Stunden).
Die vom Kläger hierzu selbst angestellten Berechnungen berücksichtigen nicht, dass auch erfolglose Kundenbesuche
mit entsprechendem Zeitaufwand zu berücksichtigen sind. Im Rahmen der Kundenbesuche sind die erforderlichen
Vor- und Nacharbeiten - Vorbereitungen auf die Kundengespräche und Zusammenstellen von Informationsmaterial,
Bearbeitung und Weiterleitung des Vertragsabschlusses - einzubeziehen (Landessozialgericht Baden Württemberg,
Urteil vom 23.10.2002 - L 5 AL 225/00).
Nicht unberücksichtigt bleiben darf ferner der Teil der Arbeit, deren Ausführung der Kläger nicht selbst vorgenommen -
obwohl er hierzu in der Lage gewesen wäre -, sondern der Zeugin übertragen hat. Diese arbeitete fünf Tage/Woche à
zwei Stunden (10 Stunden/Woche) im Büro des Klägers. Auch wenn nach den Angaben des Klägers und der Zeugin
diese Arbeitszeit insbesondere gegen Ende des Arbeitsverhältnisses nicht mehr voll mit eigentlicher Arbeit ausgefüllt
war - die Zeugin wurde am 31.12.1999 durch den Kläger entlassen - ist zumindest die geleistete Arbeitszeit zu
berücksichtigen.
Für einen höheren als den vom Kläger angegebenen zeitlichen Aufwand spricht auch das gut ausgestattete Büro.
Zwei voll eingerichtete EDV-Arbeitsplätze, drei Drucker, ein Scanner, ein Kopiergerät, drei Telefone und ein Faxgerät
lassen auf einen beachtlichen Arbeitsanfall schließen.
Arbeitslosigkeit des Klägers war somit weder zum Zeitpunkt der Antragstellung (30.06.1999), noch später gegeben.
Unabhängig davon fehlte es auch an der Bedürftigkeit des Klägers im Sinne § 190 Abs 1 Nr 5 SGB III.
Gemäß § 193 Abs 1 SGB III (gültig ab 01.01.1998 bis 31.07.2001) ist bedürftig ein Arbeitsloser, soweit er seinen
Lebensunterhalt nicht auf andere Weise als durch Alhi bestreitet oder bestreiten kann und das zu berücksichtigende
Einkommen die Alhi nicht erreicht. Nicht bedürftig ist ein Arbeitsloser, solange mit Rücksicht auf sein Vermögen, das
Vermögen seines nicht dauernd getrennt lebenden Ehegatten oder das Vermögen einer Person, die mit dem
Arbeitslosen in eheähnlicher Gemeinschaft lebt, die Erbringung von Alhi nicht gerechtfertigt ist (§ 193 Abs 2 SGB III).
Nach § 10 Arbeitslosenhilfeverordnung (AlhiV), gültig vom 01.01.1993 bis 31.12.2001, ist anzunehmen, dass der
Arbeitslose seinen Lebensunterhalt und den seines Ehegatten sowie seiner Kinder, für die er Anspruch auf Kindergeld
nach dem Bundeskindergeldgesetz oder auf eine das Kindergeld ausschließende Leistung für Kinder hat, im Sinne
des § 137 Abs 1 des Arbeitsförderungsgesetzes auf andere Weise als durch Alhi bestreitet oder bestreiten kann, 1.
wenn der Arbeitslose eine Tätigkeit als Arbeitnehmer, Selbstständiger oder mithelfender Familienangehöriger
aufnehmen oder fortsetzen und hierdurch oder durch Wahrnehmung einer sonstigen zumutbaren Möglichkeit
Einkommen erzielen könnte, das zur Minderung oder Versagung der Alhi führen würde, 2. wenn sich nicht feststellen
lässt, ob oder in welcher Höhe der Arbeitslose Einkommen oder Vermögen hat, die Gesamtumstände der
Lebensführung des Arbeitslosen jedoch den Schluss zulassen, dass er nicht oder nur teilweise bedürftig ist.
§ 10 AlhiV ordnet an, wann - ohne konkreten Vermögens- oder Einkommensnachweis - die fehlende Bedürftigkeit zu
vermuten ist. Hier obliegt der Beklagten die objektive Beweislast nur hinsichtlich der Vermutungsvoraussetzungen. Zu
deren Widerlegung ist jedoch der Arbeitslose objektiv beweispflichtig (Kärcher in Niesel SGB III, § 194 RdNr 35). Der
Kläger hätte die bisher ausgeübte Tätigkeit als Selbstständiger ausweiten und hierdurch weiteres (höheres)
Einkommen erzielen können. Mit seiner Einlassung, dies hätte nur zu weiteren Verlusten geführt, kann der Kläger
nicht gehört werden, denn ein höherer Arbeitseinsatz für den bereits eingerichteten und ausgeübten Gewerbsbetrieb
hätte - wie 1998 - einen Gewinn erwarten lassen, der wenigstens zur Minderung der Alhi geführt hätte. Diese Annahme
wird bestätigt durch die Weiterführung des Betriebes durch den Kläger trotz des - vorübergehenden - Verlustes.
Im Übrigen lassen auch die damaligen Gesamtumstände der Lebensführung des Klägers den Schluss zu, dass dieser
nicht bedürftig war. Neben der Verletztenrente hatte er nach seinen Angaben kein weiteres Einkommen und kein
Vermögen. Allerdings hat er zum Vermögen auf dem Konto bei der E. Direkt Bank (Konto-Nr. 8848788621) Angaben
verweigert (vgl. Berufungsverfahren L 11 AL 306/03). Ferner ist der Gewinn- und Verlustrechnung vom 01.09.1999 zu
entnehmen, dass der Kläger die dort aufgeführten Ausgaben zwar nicht vollständig mit Einnahmen ausgleichen
konnte. Dies kann aber darauf zurückzuführen sein, dass die in der Gewinn- und Verlustrechnung aufgeführten
Betriebsausgaben dem Kläger zum Teil auch persönlich (privat) zugute gekommen sind. Wie er selbst einräumte, war
er sogar in der Lage Schulden zu tilgen. Insoweit war es daher nicht möglich, die tatsächlichen Einkommens- und
Vermögenswerte des Klägers zuverlässig festzustellen.
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 25.06.2003 war somit aus den
genannten Gründen zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe, die Revision gemäß § 160 Abs 2 Nrn 1, 2 SGG zuzulassen, liegen nicht vor.